European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00145.24F.1028.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der in Wien wohnhafte Kläger kaufte am 3. 2. 2014 bei der P* KG, einer Fahrzeughändlerin, einen Neuwagen (Audi Q5 2,0 TDI) mit einem von der Zweitbeklagten entwickelten Dieselmotor des Typs EA 189 um 41.226 EUR. Die Erstzulassung des Fahrzeugs erfolgte am 10. 6. 2014. Im Februar 2023 verkaufte der Kläger das Fahrzeug mit einer Laufleistung von ca 80.000 km um 19.000 EUR privat.
[2] Der Kläger begehrt von den Beklagten 25 % des von ihm gezahlten Kaufpreises, somit 10.306,50 EUR, samt 4 % Zinsen pa seit 3. 2. 2014 aus dem Titel des Schadenersatzes. Er habe geglaubt, ein einwandfreies, technologisch fortschrittliches und umweltfreundliches Fahrzeug aus dem Konzern der Zweitbeklagten zu erwerben. Er habe nach dem Erwerb erfahren müssen, dass das Fahrzeug vom sogenannten Abgasskandal betroffen sei. Zum Zeitpunkt des Erwerbs habe aufgrund einer im Fahrzeug verbauten sogenannten „Umschaltlogik“ die latente Gefahr des Verlusts der Typengenehmigung für den gesamten Fahrzeugtyp bzw der Zulassung für das konkrete Fahrzeug bestanden. Die Gefahr bestehe noch immer, zumal das Fahrzeug trotz der Entfernung dieser verbotenen Abschalteinrichtung durch ein Software‑Update in Gestalt eines – vom Kläger näher ausgeführten – Thermofensters weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise. In Kenntnis der wahren Umstände hätte der Kläger das Fahrzeug nicht, jedenfalls aber nur um einen wesentlich geringeren Preis erworben. Die Zweitbeklagte sei die Herstellerin des im Fahrzeug verbauten Motors und die Muttergesellschaft des betreffenden Automobilkonzerns. Dieser habe seine Dieselmotoren jahrelang vorsätzlich derart manipuliert, dass die mit einer Manipulationssoftware ausgestatteten Fahrzeuge die Abgasvorschriften nur während des normierten Tests auf dem Prüfstand einhielten („Umschaltlogik“). Die Manipulationen, Verschleierungen und Täuschungen seien kein Alleingang einzelner Mitarbeiter der Zweitbeklagten gewesen, sondern – vom Kläger näher vorgebracht – auf Anweisung von Entscheidungsträgern der Zweitbeklagten erfolgt, die zu diesem Zeitpunkt auch Organfunktionen bei der Erstbeklagten innegehabt hätten. Die Beklagten hätten die mangelnde Zulassungsfähigkeit und damit die minderwertigen Eigenschaften ihrer Fahrzeuge vor Behörden und Kunden verschleiert. Die Zweitbeklagte treffe aufgrund der Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge und der Beteiligungsverhältnisse im Konzern auch für die zum Konzern gehörende Erstbeklagte die Entscheidungen in den Funktionsbereichen Beschaffung, Finanzierung, Organisation und Absatz. Die Erstbeklagte fungiere als exklusive Partnerin, Generalimporteurin und zentrale Vertriebsorganisation für die Zweitbeklagte und deren andere Tochtergesellschaften in Österreich. Sie sei – vom Kläger jeweils näher ausgeführt – für die Zweitbeklagte am österreichischen Markt in Sachen Marketing, Vertrieb, Kundendienst und Teiledienst tätig und auch für die Durchführung der Softwareupdates zuständig gewesen. Die Beklagten hätten in Sachen Import, Inverkehrsetzung, Marketing, Vertrieb und After-Sales (technischer Support, Reparaturen) in Österreich „und damit auch im Rahmen der rechtswidrigen Handlungen gegenüber österreichischen Kunden wissentlich und willentlich zusammen[gearbeitet]“. Die den Verbrauchern und Händlern zur Verfügung gestellten Werbematerialien – Fahrzeugkataloge, Flyer, Angebotsunterlagen und Bedienungsanleitungen – hätten Anpreisungen in Bezug auf Umweltverträglichkeit und Umweltverantwortung enthalten; gleiches gelte für die in Film, Fernsehen und Radio verbreiteten Werbeaussagen und die auf den jeweiligen Homepages der Beklagten und der freien Importeure gemachten Angaben.
[3] Die Beklagten wandten – jeweils unter Erstattung eines eingehenden Vorbringens – Verjährung und in Hinsicht auf die Erstbeklagte unter Hinweis darauf, dass sie dem Kläger das Fahrzeug nicht verkauft habe, mangelnde Passivlegitimation und Unschlüssigkeit der Klage ein und bestritten das Vorliegen eines Schadens sowie eines schuldhaften Verhaltens ihrerseits sowie jenes Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Ein Minderwert des Fahrzeugs lasse sich nicht feststellen. Das – bestrittene – Täuschungsverhalten sei für den Kaufentschluss des Klägers zudem nicht kausal gewesen. Dieser müsse sich jedenfalls auch die aus dem Fahrzeug gezogenen Vorteile (Fahrzeugnutzung und Weiterverkauf) im Wege des Vorteilsausgleichs in Minderung seines Schadenersatzanspruchs anrechnen lassen.
[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es traf – zusätzlich zum eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt – folgende Feststellungen:
„Zum Zeitpunkt des Ankaufs des Klagsfahrzeuges durch den Kläger ist dieser davon ausgegangen, dass das Klagsfahrzeug sich in einem ordnungsgemäßen Zustand befindet und mangelfrei ist. Nach ca. 2 Jahren bekam der Kläger ein Schreiben, wonach im Rahmen eines Servicetermins ein Software-Update zur Beseitigung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Rahmen des 'V* Abgasskandals' durchgeführt werde und war der Kläger sodann der Ansicht, dass somit beim Klagsfahrzeug nach Durchführung dieses Software-Updates wieder alles in Ordnung sei. Der Kläger wollte sich damals ein umweltfreundliches Fahrzeug, das sich am letzten Stand der Technik befindet, kaufen. Mit den Abgaswerten des gegenständlichen Fahrzeuges hat sich der Kläger damals nicht beschäftigt und waren diese für ihn nicht kaufentscheidend. Wenn er zum Kaufzeitpunkt gewusst hätte, dass das Klagsfahrzeug allenfalls von einem 'Abgasskandal' betroffen ist, dann hätte er es sich nicht gekauft.
Der Kläger hatte das Klagsfahrzeug vom Ankaufszeitpunkt bis zum Verkauf immer ohne wesentliche motorbezogenen Probleme in Verwendung und war dieses immer fahrbereit und betriebssicher. Der im Klagsfahrzeug verbaute Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse EU 5 fällt unter den Anwendungsbereich der VO (EG) Nummer 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates von 2. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (EUR 5 und EUR 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge.
Zum Ankaufszeitpunkt war der Dieselmotor des Klagsfahrzeuges mit einer Software ausgestattet, die bewirkte, dass dieses Fahrzeug am Prüfstand die Stickoxidwerte der EUR 5 Abgasnorm einhielt, während es im normalen Fahrbetrieb auf Straßen einen deutlich höheren Stickstoffausstoß aufwies.
Zur Emissionskontrolle ist im Klagsfahrzeug ein Abgasrückführsystem (AGR-System) bestehend aus einem AGR-Ventil und einem AGR-Kühler verbaut. Zudem kommen ein Stickoxidspeicherkatalysator samt Dieselpartikelfilter zum Einsatz. Das Klagsfahrzeug beinhaltet seit Durchführung des Software-Updates keine Fahrkurvenerkennung mehr.
Die Abgasrückführung dient vor allem der Reduktion der Stickoxid (NOX)-Werte. Ein Teil des bei der Verbrennung im Motor entstandenen Gases wird dem Verbrennungsmotor zurückgeführt. Je höher die Abgasrückführung, desto geringer die NOX-Emissionen. Bei durchgehend sehr hoher Abgasrückführungsrate ist die Gefahr des Verlackens, Verrußens oder Vereisens im Bereich der Bauteile des AGR-Systems und ein Defekt desselben gegeben.
Um den vom deutschen Kraftfahrtbundesamt geforderten Zustand beim Klagsfahrzeug herzustellen, hat die beklagte Partei in der Folge ein Software-Update entwickelt. Dieses bewirkt, dass zwar die 'Umschaltlogik' eliminiert wurde, das sogenannte 'Thermofenster' bleibt jedoch auch nach Durchführung dieses Software-Updates im Fahrzeug vorhanden. Dabei handelt es sich um eine Abschalteinrichtung, die dazu dient, dass die volle Abgasrückführung nur im Temperaturbereich zwischen ca. 15° Celsius und ca. 33° Celsius erfolgt. Bei Temperaturen darüber oder darunter wird die Abgasrückführung sukzessive reduziert, um vor allem die Anbauteile des Motors zu schonen. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich das beim Klagsfahrzeug vorhandene Thermofenster in einem davon abweichenden, größeren Temperaturbereich bewegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass das deutsche Kraftfahrtbundesamt von der genauen temperaturmäßigen Ausgestaltung des Thermofensters beim gegenständlichen Motor EA189 in Kenntnis war.
Zur weiteren Reduktion des Schadstoffausstoßes werden die aus dem Verbrennungsprozess ausgeschiedenen Stickoxide im Speicherkatalysator gespeichert, bis derselbe die Aufnahmekapazität erreicht hat. Die Motorelektroniksteuerung erkennt den Befüllungsgrad des Speicherkatalysators. Ist der Filter zu voll, wird eine erhöhte Menge Dieseltreibstoff in den Verbrennungsprozess eingespritzt und durch die dann erhöhte Temperatur und die erhöhte Treibstoffmenge die Gitterstruktur des Speicherkatalysators wieder freigebrannt. Dadurch entsteht aus den Stickoxidanteilen ein sekundäres Stickstoffdioxid, welches sodann schädigungsarm über das restliche Abgassystem nach außen hin transportiert wird.
Bei Fehlern im AGR-System, beispielsweise bei Versotten, Verlacken, Verkoken oder Vereisen, wird dies über die Warnlampe im Cockpit angezeigt und es kommt zu einem Notlauf des Triebwerks. Ein solcher Notlauf wird geschaltet, um unter Vermeidung gröberer Schäden am Triebwerk und den umgebenden Peripheriebauteilen noch zur nächsten Stillstandsposition oder zur nächsten Werkstätte fahren zu können. Es handelt sich nicht um eine sofortige, unmittelbare Gefahr, sondern um einen zunehmenden Prozess im Laufe des Fahrzeuglebens bei fortschreitender Laufleistung, welche dann letztlich durch den fortdauernden Verschleiß zum Erliegen eines der Bauteile führen kann.
Die Menge der im Zuge des AGR-Systems rückgespeisten Gase (AGR-Rate) wird in einem komplexen System über unterschiedliche Parameter wie die Umgebungstemperatur, die Leistungsanforderung, die Gaspedalstellung, das Drehmoment, die Seehöhe, den Sauerstoffgehalt in der Umgebungsluft, das Fahrverhalten des Fahrers und die Temperatur am und im Triebwerk sowie jene die im Abgasrückführsystem selbst über das Motormanagement in Form des Motorkennlinienfeldes gesteuert. Der Faktor Seehöhe wirkt sich in diesem System beim Klagsfahrzeug derart aus, dass in einer Betriebshöhe von über 1.000 Meter über dem Meeresspiegel die AGR-Rate zurückgefahren wird (sogenannte 'Höhenschaltung'). Dies einerseits, um trotz des niedrigen Sauerstoffgehalts in der Luft die Motorleistung zu erhalten, andererseits zum Schutz der Bauteile des AGR-Systems vor vorzeitigem Verschleiß. Zur Bauteilschonung der abgasmindernden Komponenten wird auch bei einem Betrieb im Leerlauf über einen Zeitraum von mehr als 15 Minuten die AGR-Rate reduziert (sogenannte 'Taxischaltung').
Im Zeitraum 2016 bis 2018 war aufgrund der Vorbehalte gegen ein von der Abgasproblematik betroffenes Fahrzeug mit den bestehenden technischen Unsicherheiten bei solchen Fahrzeugen von einer merkantilen Wertminderung von 10 bis 15 % auszugehen. Seit dem Jahr 2019 und auch noch zum Zeitpunkt des Verkaufs des Klagsfahrzeuges durch den Kläger im Februar 2023 hat sich die Marktsituation für gebrauchte Fahrzeuge als Folge der hohen Nachfrage so verändert, dass es keine merkantile Wertminderung mehr hinsichtlich der vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge gibt. Das Klagsfahrzeug war weder von einem Entzug des Typenscheins bedroht, noch kam es zu einem solchen. Bei Verkauf des Klagsfahrzeuges durch den Kläger im Februar 2023 entsprach der erzielte Kaufpreis von EUR 19.000,00 dem damaligen Marktwert des Klagsfahrzeuges und bestand zu diesem Zeitpunkt keine merkantile Wertminderung am Klagsfahrzeug. Nach der linearen Berechnungsmethode ergibt sich für das Klagsfahrzeug für den Kläger zwischen Ankauf und Verkauf desselben ein Benutzungsentgelt in Höhe von EUR 13.192,00.
Das Klagsfahrzeug war für den Kläger von Ankauf bis Verkauf durchgehend nutzbar und uneingeschränkt betriebs- und verkehrssicher und auch im Sinne der Zulassungsfähigkeit fahrbereit.“
[5] Rechtlich führte das Erstgericht aus, das bei dem im gegenständlichen Fahrzeug verbauten Motor des Typs EA 189 auch nach dem Software-Update verbleibende Thermofenster von 15° Celsius bis 33° Celsius sei eine unzulässige Abschalteinrichtung. Dem Kläger sei durch den Kauf des Fahrzeugs zunächst ein Schaden in seinem Vermögen entstanden; dieser liege in der latenten Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs, die aus dem Einbau der unzulässigen Umschaltlogik folge und trotz Installation des Software-Updates aufgrund der Unzulässigkeit des Thermofensters weiterhin vorgelegen sei. Solange das Klagsfahrzeug im Eigentum des Klägers gestanden sei, habe er einen solchen Schaden im Sinne des Minderwerts des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs gehabt. Weil der Kläger jedoch das Fahrzeug während des gesamten Zeitraums uneingeschränkt betrieben habe, keine motorbezogenen Probleme aufgetreten seien und er das Fahrzeug mittlerweile zu einem dem vollen Marktwert entsprechenden und damit keine merkantile Wertminderung enthaltenden Preis verkauft habe, liege zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung kein Schaden im Sinne irgendeiner Wertminderung mehr im Vermögen des Klägers vor, weshalb sein Schadenersatzbegehren ins Leere gehe.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte – sich der Rechtsansicht des Erstgerichts anschließend – dieses Urteil. Es ließ die Revision zur Frage zu, ob ein eingetretener Schaden auf der Seite des Klägers schon deshalb zu verneinen sei, weil das Fahrzeug nach den Feststellungen nicht von einem Entzug des Typenscheins bedroht war.
[7] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus dem Rechtsmittelgrund nach § 503 Z 4 ZPO erhobene Revision des Klägers mit einem auf Klagestattgebung gerichteten Abänderungs- und hilfsweise einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
[8] Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist zulässig und im Sinne des Eventualantrags auf Aufhebung und Zurückverweisung auch berechtigt.
[10] Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die Ansicht der Vorinstanzen, das Fahrzeug habe in Gestalt der bei ihm zunächst vorhandenen Prüfstandserkennung (Umschaltlogik) bzw des jedenfalls auch nach dem Software‑Update vorhandenen Thermofensters mit einem Temperaturbereich von 15° Celsius bis 33° Celsius eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art 5 VO 715/2007/EG aufgewiesen, der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung entspricht (zu diesem Thermofenster RS0134801, zur Umschaltlogik zB – je mwN – 6 Ob 182/23t [Rz 9] und 10 Ob 13/24w [Rz 22]).
[11] Die Klage richtet sich nicht gegen den Hersteller des Fahrzeugs, sondern den Motorenhersteller (Zweitbeklagte) und den – nach dem Klagevorbringen in den Vertrieb und das Marketing des betreffenden Fahrzeugkonzerns eingebundenen – Importeur (Erstbeklagte). Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass eine (deliktische) Haftung wegen Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung aufgrund der vom EuGH aus Art 5 VO 715/2007/EG abgeleiteten unionsrechtlichen Schutzgesetzverletzung nur den Fahrzeughersteller trifft (RS0134616). Gegen den Motorhersteller ist aber ein durch nationales Recht determinierter Schadenersatzanspruch wegen arglistiger Irreführung (§ 874 ABGB) oder absichtlicher Schadenszufügung (§ 1295 Abs 2 ABGB) denkbar (zB 2 Ob 139/23i [Rz 14] mwN). Gleiches gilt für eine andere Person, die gleichfalls qualifiziert schuldhaft den Geschädigten zum Kauf eines Fahrzeugs verleitete. Die hier gegen die Erstbeklagte erhobenen Vorwürfe, durch Werbematerial und dergleichen – auch – den Kläger über die Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs getäuscht zu haben, und dies trotz Kenntnis maßgeblicher Repräsentanten von ihr darüber, dass die betreffenden Fahrzeuge nur aufgrund einer nicht offengelegten und unzulässigen Abschalteinrichtung (Umschaltlogik) am Fahrzeugprüfstand die Abgasvorschriften einhielten, sind grundsätzlich geeignet, einen Schadenersatzanspruch des Klägers gegen sie zu begründen. Der gegen die Klage erhobene Unschlüssigkeitseinwand geht daher fehl. Ein im Sinne von §§ 874 oder 1295 Abs 2 ABGB schuldhaftes und schadenskausales Verhalten der Erstbeklagten unterstellt käme ihr auch für den Schadenersatzanspruch die Passivlegitimation zu.
[12] Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist – unter Zugrundelegung des Vorbringens des Klägers zu einem wegen Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung überhöhten Kaufpreises – auch von einem Schaden des Klägers auszugehen: Bei einer arglistigen Irreführung über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung kann der Käufer eines Fahrzeugs, der dieses bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erworben hätte, nach der Rechtsprechung nämlich bereits durch die Veranlassung der Leistung eines überhöhten Kaufpreises am Vermögen geschädigt sein (10 Ob 31/23s [Rz 51]; 4 Ob 204/23p [Rz 48] ua). An der Schädigung bereits durch Entrichtung eines überhöhten Kaufpreises ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger fortan das Fahrzeug jahrelang benützt und dieses anschließend zu einem marktkonformen Preis wieder verkauft hat. Sofern wegen des Weiterverkaufs eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs zu einem marktüblichen Preis in der von der Revisionsbeantwortung ins Treffen geführten Entscheidung 9 Ob 33/22a das Vorliegen eines Schadens verneint wurde, ist anzumerken, dass der 9. Senat von dieser Auffassung in seiner Entscheidung zu 9 Ob 2/23v (insb Rn 20) ausdrücklich abgegangen ist. Er hat dies unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 10 Ob 2/23a (Rz 22) und 10 Ob 27/23b (Rz 25) sowie die Entscheidung des EuGH (C-100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 84) im Wesentlichen damit – zutreffend – begründet, dass im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs der Eintritt eines objektiv-abstrakt zu ermittelnden Schadens allein aufgrund des Kaufvertrags erfolgt und dieser in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit liege. Diese Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags sei nach den Vorgaben des EuGH als europarechtlich relevanter Schaden anzusehen und zwar auch in Fällen, in denen das Fahrzeug bereits verkauft wurde.
[13] Hält der Getäuschte – wie hier der Kläger, der das Fahrzeug weiterverkauft hat und somit von der Gültigkeit seines eigenen Fahrzeugkaufs ausgeht – am Vertrag fest, so ist der Schaden nach der Rechtsprechung nach der relativen Berechnungsmethode zu ermitteln (2 Ob 139/23i [Rz 24]; 4 Ob 204/23p [Rz 50]; 10 Ob 13/24w [Rz 44]). In diesem Fall ist die Wertdifferenz des Fahrzeugs mit und ohne unzulässiger Abschalteinrichtung im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses zu ersetzen. Der Ermittlung des Werts der wertgeminderten Sache ist der gemeine Wert im Sinn des § 305 ABGB zugrunde zu legen, also der – hier noch nicht festgestellte – Verkehrswert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs (10 Ob 13/24w [Rz 45]).
[14] Zur Vorteilsanrechnung bei Schadensermittlung nach der relativen Berechnungsmethode wurde in der Entscheidung zu 3 Ob 109/10s (Pkt 4.1.) ausgesprochen, dass es im Schadenersatzrecht zu einer Vorteilsanrechnung nur bei subjektiv-konkreter Schadensberechnung kommen kann, bei der die Vermögenslage des Geschädigten infolge der Beschädigung mit der Lage ohne das schädigende Ereignis zu vergleichen ist. Demgegenüber wird der Schaden nach der relativen Berechnungsmethode ohne Rücksicht auf das Schuldnervermögen an sich, sondern nur aus dem Verhältnis von Preis und Wert der Leistung berechnet, weshalb eine Vorteilsanrechnung nicht denkbar ist (vgl RS0018699). Bei einem Schadenersatzbegehren, das auf den Ersatz der Wertdifferenz nach der relativen Berechnungsmethode (§ 874 ABGB) gerichtet ist, findet eine Vorteilsanrechnung nicht statt. Da der Kaufvertrag aufrecht bleibt und eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nicht stattfindet, verwendete der Kläger das Fahrzeug bis zu seinem Weiterverkauf weiterhin rechtmäßig. Die ausgetauschten Leistungen sind daher nicht nach §§ 1435 f ABGB zurückzustellen.
[15] Entgegen der Ansicht der Beklagten findet damit im vorliegenden Fall keinesfalls eine Vorteilsanrechnung statt.
[16] Ob der Erst- und/oder der Zweitbeklagten überhaupt ein (schadenskausales) qualifiziertes Verschulden im Sinne des § 874 oder § 1295 Abs 2 ABGB zur Last fällt, kann mangels Feststellungen dazu noch nicht beurteilt werden. Gleiches gilt (unter anderem) für den von den Beklagten erhobenen Verjährungseinwand und aufgrund des nicht festgestellten Werts des Fahrzeugs im Ankaufszeitpunkt bei Kenntnis der wahren Umstände für die – gegebenenfalls vorzunehmende – relative Berechnung.
[17] Damit erweist sich die Rechtssache noch nicht als spruchreif. Dem Erstgericht ist die neuerliche Urteilsfällung nach Durchführung eines ergänzenden Beweisverfahrens aufzutragen.
[18] Der Kostenvorbehalt ist Folge der Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen erstgerichtlichen Entscheidung (Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 52 Rz 6).
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