OGH 1Ob6/01s

OGH1Ob6/01s18.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Anna W*, vertreten durch Dr. Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei H* AG, *, vertreten durch Dr. Erwin Köll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Nichtigerklärung der Verfahren 15 Cg 268/97g, 15 Cg 71/97g, 15 Cg 269/97d und 15 Cg 265/97s jeweils des Landesgerichts Innsbruck (Gesamtstreitwert der verbundenen Verfahren S 6,290.510,40 sA) infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 27. November 2000, GZ 2 R 263/00v-22, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 18. September 2000, GZ 41 Cg 124/00d-18, bestätigt wurde,

I. durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter am 27. November 2001 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2001:E64034

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Verstärkter Senat

 

Spruch:

Es liegen die Voraussetzungen des § 8 Abs 1 Z 2 OGHG vor; zur Entscheidung über die Revision ist deshalb ein verstärkter Senat berufen.

 

II. durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Klinger, Dr. Maier, Dr. Angst, Dr. Petrag, Dr. Bauer und Dr. Kodek sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter den weiteren

 

B e s c h l u s s

gefasst:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos behoben. Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung:

Am 13. 3. 1997 brachte die hier Beklagte - ein Kreditinstitut - gegen die nunmehrige Klägerin eine Wechselklage über den Betrag von 1 Mio S ein. Der am 17. 3. 1997 antragsgemäß erlassene Wechselzahlungsauftrag wurde der dort Beklagten am 18. 4. 1997 durch Hinterlegung zugestellt.

Am 5. 12. 1997 erhob die Beklagte gegen die Klägerin eine weitere Wechselklage über S 390.344. Der vom Erstgericht antragsgemäß am 10. 12. 1997 erlassene Wechselzahlungsauftrag wurde der Klägerin eigenhändig zugestellt.

Die Beklagte brachte ferner am 11. 12. 1997 eine Wechselklage über den Betrag von S 1,899.566,46 s.A. gegen die Klägerin ein. Der am 15. 12. 1997 antragsgemäß erlassene Wechselzahlungsauftrag wurde der Klägerin am 19. 12. 1997 durch Hinterlegung zugestellt. Deren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einwendungsfrist wies das Erstgericht mit Beschluss vom 13. 3. 1998 ab.

Mit Klage vom 11. 12. 1997 begehrte die Beklagte schließlich von der Klägerin als Hypothekarschuldnerin die Zahlung eines Betrags von 3 Mio S bei Exekution in bestimmte Liegenschaftsanteile. Das - mit Ausnahme der Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens - klagsstattgebende Ersturteil wurde der Klägerin am 25. 11. 1998 durch Hinterlegung gemäß den §§ 8, 23 ZustG bei Gericht zugestellt.

Beim zuständigen Bezirksgericht behängt ein Scheidungsverfahren, in dem die Klägerin beklagt ist. In der Verhandlungstagsatzung vom 6. 11. 1998 wendete sie ein, sie habe sich auf Grund der Ereignisse "in einem extremen nervlichen und psychischen Zustand befunden", sodass Zweifel an ihrer Prozessfähigkeit bestünden. Daraufhin wurde das Scheidungsverfahren gemäß § 6a ZPO ausgesetzt und der Akt dem Pflegschaftsgericht übermittelt. Die dort bestellte Sachverständige gelangte in ihrem Gutachten vom 15. 12. 1998 zu dem Schluss, die nunmehrige Klägerin leide an einer deutlich manischen Psychose bei MDK; zur Zeit seien alle typischen Symptome einer manischen Psychose nachweisbar, die sich in Antriebssteigerung, Ideenflüchtigkeit, manisch angehobener Stimmungslage mit Wechsel von Heiterkeit und Gereiztheit und allgemein gehobenem Lebensgefühl mit Unfähigkeit zur realen Einschätzung und adäquater Bewältigung der Lebenssituation äußere. Mit Beschluss vom 18. 1. 1999 wurde der bereits zuvor bestellte einstweilige Sachwalter zum Sachwalter der Klägerin mit dem Wirkungskreis des § 273 Abs 3 Z 2 ABGB bestellt, und zwar für die Vertretung vor Gericht, den Abschluss von Rechtsgeschäften und für finanzielle Angelegenheiten.

Da der Sachwalter erklärte, die bisherige Prozessführung im Scheidungsverfahren nicht zu genehmigen, wurde dort ein weiteres psychiatrisches Gutachten zur Frage eingeholt, ob die nunmehrige Klägerin auch im Zeitpunkt der Zustellung der Scheidungsklage prozessunfähig gewesen sei. Nach diesem am 7. 10. 1999 bei Gericht eingelangten Gutachten litt die nunmehrige Klägerin bereits seit 1968 an einer affektiven Psychose, die anfänglich in depressiven Phasen verlief und sich seit Herbst 1997 in einer ausgeprägten manischen Störung äußert. Die Klägerin habe somit während des gesamten Zeitraums vom 6. 10. 1997 bis 3. 2. 1998 an einer Geisteskrankheit im rechtlichen Sinn gelitten, weshalb sie nicht in der Lage gewesen sei, sich des Wesens und der Bedeutung der gegen sie erhobenen Klage bewusst zu sein, im Prozess ihre Rechte zu wahren und die Tragweite des Prozessführungsauftrags an den dazu ausgewählten Rechtsanwalt bzw den Zweck der Vollmachtserteilung zu begreifen. Die nunmehrige Klägerin sei geschäftsunfähig gewesen und sei es noch immer.

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass bei der Klägerin zumindest seit März 1996 eine Einschränkung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit gegeben ist.

Mit ihren je am 8. 11. 1999 beim Erstgericht eingelangten, in der Folge zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen begehrte die Klägerin, die genannten Entscheidungen und das diesen vorangehende Verfahren einschließlich der Klagszustellung als nichtig aufzuheben und die jeweiligen Klagebegehren ab-, in eventu zurückzuweisen. Aus den im Pflegschafts- und im Scheidungsverfahren eingeholten Gutachten ergebe sich, dass die Klägerin schon seit 1968 an einer affektiven Psychose leide und dass sie zumindest seit Herbst 1997 auf Grund psychischer Störungen geschäftsunfähig und damit auch prozessunfähig gewesen sei. Die Klägerin sei bei Zustellung sämtlicher Klagen im dargestellten Sinn betroffen gewesen. Da die Klagen nie einem gesetzlichen Vertreter der Klägerin zugestellt worden seien, seien die darüber abgeführten Verfahren nichtig. Die Nichtigkeitsklagen seien rechtzeitig erhoben, weil dem gesetzlichen Vertreter der Klägerin frühestens mit der Zustellung des im Scheidungsverfahren eingeholten Gutachtens am 11. 10. 1999 die Prozessunfähigkeit der Klägerin bekannt geworden sei. Zudem sei eine Zustellung der in den Vorverfahren ergangenen Entscheidungen an den gesetzlichen Vertreter der Klägerin nie erfolgt, sodass die Nichtigkeitsklage nicht verfristet sein könne. Nach neuerer Rechtsprechung sei die Nichtigkeitsklage auch bei bloßer Scheinrechtskraft zulässig.

Die Beklagte wendete dagegen die Verfristung der Klage ein. Die Scheinrechtskraft der angefochtenen Entscheidungen sei bereits im Zeitpunkt der Bestellung des Sachwalters vorgelegen und der Fristenlauf habe daher mit diesem Zeitpunkt im Jänner 1999 begonnen. Zweck der Bestellung sei gerade die Vertretung der Klägerin in verschiedenen Gerichtsverfahren gewesen. Dem Sachwalter sei bereits im Zeitpunkt seiner Bestellung die Geschäfts- und Prozessunfähigkeit der Klägerin bekannt gewesen. Das im Scheidungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten habe keine wesentlichen neuen Erkenntnisse gebracht.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren wegen Verspätung zurück. Es traf die in ihren wesentlichen Teilen eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Beurteilung aus, nach ständiger Rechtsprechung setze die infolge eines Zustellmangels bloß scheinbar eingetretene Rechtskraft ("Scheinrechtskraft") den Fristenlauf des § 534 Abs 2 ZPO nicht in Gang. Die Nichtigkeitsklage sei bei nicht ordnungsgemäßer Zustellung dann zulässig, wenn die Lösung der Frage nach dem Eintritt der Rechtskraft von streitigen Tatsachen wie der Prozessunfähigkeit des Nichtigkeitsklägers zur Zeit des Vorverfahrens abhänge. In diesem Fall sei davon auszugehen, dass die vierwöchige Frist des § 534 ZPO mit dem Zeitpunkt beginne, zu dem dem Nichtigkeitskläger der Nichtigkeitsgrund bekannt geworden sei. Die Grundlagen für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage seien dem Sachwalter aber schon seit seiner Bestellung im Jänner 1999 bekannt gewesen, sei er doch bereits damals auf dem Standpunkt gestanden, dass die Klägerin bereits fünf Jahre früher bei Unterfertigung der Bürgschaftserklärungen geschäftsunfähig gewesen sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Frist zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs 1 Z 2 ZPO beginne gemäß § 534 Abs 2 Z 2 ZPO unabhängig von einer allfälligen früheren Kenntnis des Nichtigkeitsklägers mit der wirksamen Zustellung im Sinne des § 416 ZPO. Es bedürfe daher vor Einbringung der Nichtigkeitsklage bei behaupteter Prozessunfähigkeit jedenfalls der Zustellung an die Partei oder deren gesetzlichen Vertreter. Nach den Feststellungen des Erstgerichts sei die Klägerin nach wie vor prozessunfähig, sodass die von den Nichtigkeitsklagen betroffenen Entscheidungen erst ihrem gesetzlichen Vertreter zuzustellen seien, um die Frist des § 534 ZPO auszulösen. Dass dies bislang noch nicht der Fall gewesen sei, sei unstrittig. Eine vor Beginn der im § 534 ZPO normierten Frist eingebrachte Nichtigkeitsklage sei als verfrüht zurückzuweisen. Die Frage der Prozessfähigkeit müsse daher (zuerst) im Verfahren über die neuerliche Zustellung einer erst "scheinrechtskräftigen" Entscheidung geprüft werden. Damit erweise sich die Nichtigkeitsklage in Wahrheit nicht als verspätet, sondern als verfrüht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; es kommt ihm auch Berechtigung zu.

I. Verstärkungsbeschluss:

Die Revisionsrekurswerberin weist in ihrem Rechtsmittel zutreffend darauf hin, dass die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage nach der Zulässigkeit einer aus dem Grund des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO erhobenen Nichtigkeitsklage divergent sei. Der Oberste Gerichtshof hat in zahlreichen - in ihrer wesentlichen Begründung noch darzustellenden - Entscheidungen die Vorstellung einer "Scheinrechtskraft" abgelehnt und ausgesprochen, dass die Zivilprozessordnung der von einer Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO bzw § 529 Abs 1 Z 2 ZPO betroffenen Partei die Möglichkeit der Erhebung der Nichtigkeitsklage erst nach Bewirkung einer rechtswirksamen Zustellung im Sinn des § 416 ZPO eröffne (RIS-Justiz RS0044396; RS0044431; RS0042135); eine vor Beginn der im § 534 ZPO normierten Frist eingebrachte Nichtigkeitsklage sei verfrüht, daher nicht auf einen gesetzlich zulässigen Anfechtungsgrund gestützt und somit zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0044373). Demgegenüber vertritt ein Teil der Rechtsprechung die Ansicht, die Nichtigkeitsklage sei trotz unterbliebener Zustellung der Entscheidung des Vorprozesses an den gesetzlichen Vertreter des behauptetermaßen prozessunfähigen Klägers dann zulässig, wenn der Eintritt von Scheinrechtskraft infolge Beteiligung einer prozessunfähigen Partei behauptet werde und die Feststellung der Prozessfähigkeit dieser Partei von streitigen Tatsachen abhänge. Das Verfahren über die Nichtigkeitsklage sei wegen der Notwendigkeit und der größeren Sicherheit kontradiktorischer Beweisaufnahme wesentlich besser zur Aufklärung dieser streitigen Tatsachen geeignet als im Rahmen des Vorverfahrens durchzuführende amtswegige Erhebungen, bei denen der betroffene Gegner kein rechtliches Gehör habe (RIS-Justiz RS0078895; RIS-Justiz RS0110275). Es wird somit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht einheitlich beantwortet, sodass die Voraussetzungen für eine Senatsverstärkung nach § 8 Abs 1 Z 2 OGHG verwirklicht sind.

II. Erwägungen des verstärkten Senats:

Gemäß § 529 Abs 1 ZPO kann eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Sache erledigt ist, durch die Nichtigkeitsklage angefochten werden, wenn - u.a. (Z 2) - eine Partei in dem Verfahren gar nicht oder, falls sie eines gesetzlichen Vertreters bedarf, nicht durch einen solchen vertreten war, sofern die Prozessführung nicht nachträglich ordnungsgemäß genehmigt wurde. Gemäß § 534 Abs 1 ZPO ist die Klage binnen der Notfrist von vier Wochen zu erheben. Diese Frist wird gemäß § 534 Abs 2 Z 2 ZPO im Falle des § 529 (Abs 1) Z 2 ZPO von dem Tag, an dem die Entscheidung der Partei, und wenn diese nicht prozessfähig ist, deren gesetzlichen Vertreter zugestellt wurde, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung, berechnet. § 534 Abs 3 ZPO normiert eine Frist von zehn Jahren nach dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, nach deren Ablauf die Klage, mit Ausnahme des - hier zu beurteilenden - in Abs 2 Z 2 erwähnten Falles, nicht mehr erhoben werden kann.

Der Wortlaut dieser Bestimmungen ist - ausgenommen die Änderung der Not(h)frist des § 534 Abs 1 ZPO von einem Monat in eine solche von vier Wochen - seit der (Stamm-)Fassung des Gesetzes vom 1. 8. 1895, RGBl 113, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung), unverändert geblieben. Anordnungen über die Nichtigkeitsklage fanden sich davor in den Hofdekreten vom 4. Juni 1789, J.G.S. Nr 1015, und vom 14. Oktober 1803, J.G.S. Nr 629, die durch Art I Abs 2 EGZPO ihre Wirksamkeit verloren. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers der ZPO sollte “jene außerordentliche Abhilfe, welche die Hofdecrete...gewähren" in ihrer Gestaltung ausgedehnt und verbessert werden (Materialien zu den neuen österreichischen Civilproceßgesetzen [1897], 367).

Das "Hofdecret vom 4ten Junius 1789" ordnet in seiner lit f an wie folgt:

"Wenn dem Richter eine Schrift von einer Partey oder wider eine Partey vorfällt, welcher das Recht, sich selbst zu vertheidigen, nicht eigen ist, soll der Richter eine derley Schrift sogleich verwerfen, und die Sache auf die Ordnung weisen; wäre aber eine solche Schrift angenommen worden, und es entdeckte sich dieser Umstand während des Zuges des Verfahrens auf was immer für eine Art, soll, was bis dahin geschehen, aufgehoben, das Verfahren sogleich eingestellt, und die ganze Sache in die Ordnung geleitet werden. Wäre es endlich bis zum richterlichen Spruche gekommen, so stehet nur dem gesetzmäßigen Vertreter der Partey, die sich selbst zu vertreten nicht berechtigt ist, bevor, die Nullität des Urtheils, es möge in erster oder einer höheren Behörde geschöpfet seyn, anzuzeigen, und die Einleitung eines neuerlichen Verfahrens anzusuchen."

Das "Hofdecret vom 14ten October 1803" präzisiert diese Anordnung wie folgt:

"In dem durch das Hofdecret vom 4ten Junius 1789, Nr 1015, angenommenen Falle, hat der gesetzmäßige Vertreter der Partey, welche nicht berechtigt ist, sich selbst zu vertreten, die Nullität des Urtheiles nicht mittelst einer Klage, sondern mittelst eines bloßen Gesuches bey der ersten Behörde anzuzeigen, und die Einleitung eines neuerlichen Verfahrens anzusuchen. Ueber ein solches Gesuch hat jene Behörde, welche das letzte Urtheil gefället hat, zu erkennen, mithin hat die erste Instanz, im Falle das letzte Urtheil bey einer höheren Behörde gefället worden wäre, das erwähnte Gesuch mit ihren Amtserinnerungen an die höhere Instanz zu befördern."

Die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Civilproceßordnung (aaO 367 ff) verweisen zu § 529 ZPO (dort noch § 551) darauf, dass die besondere Nichtigkeitsklage bis zum Eintritt der Rechtskraft entbehrlich sei. Sie werde hier durch die ordentlichen Rechtsmittel sowie durch die "amtliche Cognition des Gerichtes" ersetzt. Die Nichtigkeitsklage könne daher auf die Anfechtung rechtskräftiger Entscheidungen beschränkt werden. Zu § 534 Abs 2 Z 2 ZPO (dort noch § 556 Z 2) wird erläutert (aaO 371 f):

"Von dem Mangel der in Bezug auf die Vertretung einer Partei (§ 551 Z.2) unterlaufen, erfährt dieselbe unmittelbar durch die Zustellung der ergangenen Entscheidung. Es fällt daher hier die Zustellung der Entscheidung an die richtige Partei mit dem Tage zusammen, an welchem die Partei vom Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt hat. Die Zustellung an die proceßunfähige Partei selbst kann natürlich nicht die Wirkung haben, die Klagsfrist in den Lauf zu setzen, da der proceßunfähigen Partei die Möglichkeit der Klagsanbringung fehlt. Hier muß daher die Zustellung der Entscheidung an den berechtigten gesetzlichen Vertreter als der Tag angesehen werden, an welchem eine processualisch verwertbare Kenntnis vom Anfechtungsgrunde erlangt wurde. Hat jedoch die Partei oder ihr gesetzlicher Vertreter schon innerhalb der Rechtsmittelfrist vom Nichtigkeitsgrunde des § 551 Z 1 und 2 erfahren, so kann die Frist zur Anbringung der Nichtigkeitsklage nicht vor Eintritt der Rechtskraft des anzufechtenden Urtheiles beginnen, da die Benachtheiligung durch dieses Urtheil vor Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht feststeht und nach § 551 nur rechtskräftige Entscheidungen mittels dieser Klage angefochten werden können."

 

Zum nunmehrigen § 534 Abs 3 ZPO wird dort ausgeführt:

 

“Der letzte Absatz des § 556 beschränkt die Erhebung der Nichtigkeits- wie der Wiederaufnahmsklage - abgesehen vom Nichtigkeitsgrunde des § 551 Z 2 - auf eine zehnjährige, mit dem Eintritte der Rechtskraft des Urtheiles (Urtheil im eigentlichen Sinne oder Entscheidung) beginnende Frist. Hiedurch wird die außerordentliche Rechtshilfe einer Art Verjährung unterworfen. Zur Begründung dient die wiederholt betonte Nothwendigkeit, rechtskräftige Urtheile vor weiterer Anfechtung zu schützen und die durch die Erfahrung bestätigte Thatsache, daß nach Ablauf einer geraumen Zeit die Sach- und Rechtsverhältnisse regelmäßig so verdunkelt sind, daß von einer Wiederaufnahme des Verfahrens wenig praktischer Erfolg zu erwarten ist. Diese Erwägungen konnten es aber nicht auch begründen, nach Ablauf von zehn Jahren jemand an ein Urtheil zu binden, welches nur scheinbar gegen ihn ergangen, in Wahrheit gar nicht gegen ihn erflossen, sondern ihm völlig fremd ist."

 

Im Wesentlichen gleichlautende Erwägungen finden sich auch im Bericht des Abgeordnetenhauses (688 der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des Abgeordnetenhauses-XI. Session 1893, 316).

In der Literatur wurde zu den hier untersuchten Bestimmungen der §§ 529 und 534 ZPO mehrfach Stellung genommen:

Von Fürstl gibt in seinem bereits 1897 erschienenen Werk "Die neuen österreichischen Civilprocessgesetze", 798, die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zu § 534 ZPO wieder und betont darüber hinaus, unter Zustellung sei "jede ordnungsmäßige Zustellung an die zur Zeit der Zustellung processfähige Partei selbst bezw. für die zur Zeit der Zustellung nicht processfähige Partei an ihren gesetzlichen Vertreter zu verstehen". Auch zur Unanwendbarkeit der zehnjährigen “Präclusivfrist" folgt er den “Regierungsmotiven", dass auch nach deren Ablauf niemand an ein nur scheinbar gegen ihn ergangenes Urteil gebunden sein solle.

Sperl (Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, I. Bd., I. Teil, 690) lehrt, die Frist des § 534 ZPO laufe im Falle der nach § 529 Z 2 ZPO erhobenen Klage von dem Tag an, da der Kläger die von ihm zu bekämpfende Entscheidung zugestellt erhalten habe; sei der Kläger prozessunfähig gewesen, jedoch von dem Tag an, da die Entscheidung seinem gesetzlichen Vertreter zugestellt worden sei. Im Fall des § 529 Z 2 ZPO sei die Nichtigkeitsklage nur an die subjektive Monatsfrist, dagegen nicht an die Zehnjahresfrist gebunden. Habe die Partei niemals von dem Klagegrund Kenntnis erlangt, so beginne weder die Einmonatsfrist, noch die Zehnjahresfrist zu laufen. Es liege in gewissem Sinn Dauernichtigkeit vor.

Wolff (Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts2, 373) führt aus, der Beginn der Monatsfrist sei von der Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung an zu rechnen, bei mangelnder Vertretung von der späteren wirksamen Zustellung der angefochtenen Entscheidung an die Partei (Vertreter).

In diesem Sinne argumentiert auch Petschek (Der österreichische Zivilprozess, 410), der den Beginn des Fristenlaufs im Fall des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung ansetzt, falls diese dem Kläger bzw seinem richtigen gesetzlichen Vertreter oder den ordnungsmäßigen Bevollmächtigten dieser Personen vorher zugestellt wurde, anderenfalls erst seit Zustellung an den richtigen Zustellungsempfänger. Die Rechtsschutzzulässigkeit des Tatbestands nach § 529 Abs 1 Z 2 ZPO dauere stets bis zum Ablauf der einmonatigen Notfrist, könne daher unbeschränkt lange währen, wenn diese Frist nicht in Lauf komme (§ 534 Abs 3 ZPO).

Schima begrüßt in seiner Glosse zur Entscheidung JBl 1956, 412, "dass die Entscheidung der Annahme einer 'scheinbaren' Rechtskraft entgegentritt, weil eine Entscheidung nur entweder rechtskräftig sein kann oder es nicht ist, was eben von der Wirksamkeit der Zustellung abhängt".

Neumann (Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen4, 2. Bd, 1421) brachte - soweit überblickbar - erstmals den Begriff der "Scheinrechtskraft" in die Diskussion ein. Er betont zwar ebenfalls, dass die "einmonatliche Frist" erst von der ordnungsgemäßen Zustellung an die zur Zeit der Zustellung prozessfähige Partei oder an ihren wirklichen Bevollmächtigten oder bei mangelnder Prozessfähigkeit an den wirklichen gesetzlichen Vertreter, jedoch nicht vor Rechtskraft des angefochtenen Urteils zu laufen beginne. Er führt aber sodann weiter aus, die Rechtskraft könne "eigentlich" nicht eintreten, solange das Erkenntnis nicht der prozessfähigen Partei bzw dem wirklichen Vertreter zugestellt sei, weshalb hier die "scheinbare Rechtskraft" gemeint sei, die dadurch eingetreten ist, dass das Urteil der Person, die anstelle der Partei, sei es infolge Verwechslung, sei es in der unrichtigen Annahme einer Vertretung, dem Verfahren beigezogen war, zugestellt wurde. Die Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung sei also nicht "vorzeitig" eingebracht, wenn sie innerhalb eines Monats nach dem Eintritt der formellen Rechtskraft erhoben werde. Für Nichtigkeitsklagen, die sich auf § 529 Z 2 ZPO gründen, sei der Beginn der “einmonatlichen" Notfrist besonders geregelt und infolgedessen die Präklusivfrist von zehn Jahren weder erforderlich noch gültig, nur in diesem Punkte seien auch diese Klagen den anderen Nichtigkeitsklagen gleichgestellt. Die Kenntnis der Partei vom Wiederaufnahmsgrund habe hier auf den Beginn der Frist keinen Einfluss.

Diese Argumentationslinie wird von Fasching (Komm II 614 f und IV 483 f) fortgesetzt und erweitert: Voraussetzung für den Eintritt der Rechtskraft sei die Wirksamkeit der Entscheidung (§ 416 ZPO), die die rechtsgültige Zustellung der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung an die Parteien voraussetze. Der Schluss liege nahe, dass eine gesetzwidrige Zustellung niemals den Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung ermögliche und dass daher eine gesetzwidrig zugestellte Entscheidung, die also nur in "Scheinrechtskraft" erwachsen könnte, niemals mit Nichtigkeitsklage bekämpft werden könne. In diesen Fällen bleibe der betroffenen Partei der Antrag auf ordnungsgemäße Zustellung der Entscheidung, bei dessen Erledigung das Gericht von Amts wegen die Umstände zu erheben habe, unter denen die mangelhafte Zustellung erfolgt sei. Jedoch sei wegen der Struktur des Nichtigkeitsprozesses die Nichtigkeitsklage auch im Falle der "Scheinrechtskraft" für zulässig zu erachten, wenn die Frage des Eintritts der Rechtskraft bzw "Scheinrechtskraft" von streitigen Tatsachen abhänge. Dafür spreche vor allem der Umstand, dass der Gegner im amtswegigen Erhebungsverfahren kein Recht auf Gehör habe und es tatsächlich kaum je erhalte, obwohl er ganz entscheidend zur Vollständigkeit und Richtigkeit des Prozessstoffes und des Entscheidungsmaterials beitragen könne. Das Wort "rechtskräftig" im § 529 Abs 1 ZPO könne, vernünftig ausgelegt, doch nur bedeuten, dass die Nichtigkeitsklage nur gegen jene Entscheidungen Platz greifen dürfe, die nach der Aktenlage vom Gericht als rechtskräftig anzusehen seien. Da der Nichtigkeitskläger Tatbestände vorbringe, die in der Aktenlage keine Deckung finden, müsste schon wegen des Grundsatzes des beiderseitigen rechtlichen Gehörs und wegen der Notwendigkeit und größeren Sicherheit kontradiktorischer Beweisaufnahme die Nichtigkeitsklage jedenfalls als zulässig erachtet werden.

In diesem Sinn argumentiert dieser Autor auch in seinem Lehrbuch (2. Aufl., Rz 2044), wo er der Partei bei "Scheinrechtskraft" zudem die Wahl zwischen Zustellantrag und Nichtigkeitsklage einräumen will.

Der soeben dargestellten Auffassung Faschings schlossen sich jüngst Rechberger/Simotta (Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts5, Rz 898) an, die der Rechtsprechung, die die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage von der ordnungsgemäßen Zustellung im Vorprozess abhängig macht, entgegenhalten, dass wohl nur maßgeblich sein könne, ob die Zustellung aus der Sicht des Gerichts ordnungsgemäß gewesen und damit nach der Aktenlage die Unanfechtbarkeit eingetreten sei. Das kontradiktorische Verfahren über die Nichtigkeitsklage werde in der Regel auch besser zur Aufklärung des Nichtigkeitsgrundes geeignet sein als die amtswegigen Erhebungen, die auf Grund des Zustellantrags in Gang gesetzt werden. Außerdem habe der Gegner der betroffenen Partei - anders als im Verfahren über die Nichtigkeitsklage - bei diesen amtswegigen Erhebungen kein Gehör. Die Voraussetzungen für die Nichtigkeitsklage müssten daher "sinnvollerweise" schon dann gegeben sein, wenn die anzufechtende Entscheidung "nach der Aktenlage formell rechtskräftig erscheint". Dies sei durchaus auch mit § 534 Abs 2 Z 2 ZPO in Einklang zu bringen, weil dort nur der Beginn des Laufes der Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage von der Zustellung der Entscheidung an die Partei selbst bzw an den gesetzlichen Vertreter der prozessunfähigen Partei abhängig gemacht werde, keineswegs aber die Rechtskraft dieser Entscheidung. Aus der Tatsache, dass für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO keine absolute Klagefrist bestehe, ergebe sich, dass die von dieser Gesetzestelle sanktionierten Verstöße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach der Wertung des Gesetzes die gravierendsten von allen Verfahrensmängeln seien, auf die die ZPO Bedacht genommen habe (aaO Rz 903).

Kodek (in Rechberger, ZPO2) referiert in Rz 1 zu § 529 ZPO den divergenten Stand von Lehre und Rechtsprechung, zu dem er in Rz 2 zu § 534 ZPO dahin Stellung nimmt, dass der Fristenlauf gemäß § 529 Abs 1 Z 2 ZPO erst mit der nach wirksamer Zustellung eingetretenen Rechtskraft beginne.

Die - soweit überblickbar - jüngste Literaturstimme findet sich als Glosse zur Entscheidung 2 Ob 143/00v in WoBl 2001/193: Die Glossatorin-Domej - lehnt die Ansicht Faschings und von Rechberger/Simotta zur "Scheinrechtskraft" ab. Das Wort "rechtskräftig" werde im § 529 Abs 1 ZPO ohne Unterschied sowohl für den Nichtigkeitsgrund nach Z 1 als auch für jenen nach Z 2 verwendet. Dies sei ein "starkes Indiz" dafür, dass in beiden Fällen dieselbe "Rechtskraft" gemeint sei, wobei nach § 529 Abs 1 Z 1 ZPO nach einhelliger Auffassung die wirkliche - und nicht bloß eine scheinbare - Rechtskraft erforderlich sei. Sei der Empfänger nicht prozessfähig, so könne im Sinne des § 416 Abs 1 ZPO nicht wirksam zugestellt werden und entfalte die Zustellung überhaupt keine Wirkung. Sei die Partei während des Verfahrens und bei der ursprünglichen Zustellung prozessunfähig gewesen, so sei eine neuerliche Zustellung erforderlich, und zwar je nachdem, ob die Partei in der Zwischenzeit prozessfähig geworden ist, entweder an sie oder an den gesetzlichen Vertreter. Die Anordnung, dass die Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage nicht vor der Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung beginne, sei - entgegen Rechberger/Simotta aaO - ohne die Annahme einer "Scheinrechtskraft" keineswegs sinnlos, weil ordnungsgemäße Zustellung und Rechtskraft nicht notwendigerweise zusammenfielen.

Die Rechtsprechung lehnt - wie bereits dargestellt - überwiegend die Annahme einer "Scheinrechtskraft" ab. Bereits in ZBl 1932/59 wird für den Beginn des Fristenlaufs des § 534 ZPO die Zustellung an die prozessfähige Partei oder bei fehlender Prozessfähigkeit an ihren gesetzlichen Vertreter gefordert. Allerdings sei die vor Zustellung eingebrachte Nichtigkeitsklage nicht als verfrüht abzuweisen, weil "die Festsetzung einer Frist, innerhalb deren die Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage spätestens angebracht werden muss, natürlich nicht die frühere Einbringung der Klage hindert."

Spr29 neu = SZ 24/100 betont, die Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs 1 ZPO sei gegen eine rechtskräftige Entscheidung gegeben, durch die eine Rechtssache erledigt wurde, und sie bezwecke die Beseitigung einer Nichtigkeit, von der die Grundlagen der Entscheidung selbst betroffen wurden. Eine bloß mangelhafte Zustellung sei "einfach zu wiederholen", sie rechtfertige jedoch die Nichtigkeitsklage nicht.

Diese Ansicht wurde in SZ 27/191 aufrecht erhalten und dazu ausgeführt, die (behauptete) Nichtigkeit der Zustellung eines Versäumungsurteils schließe eine Nichtigkeitsklage aus, weil in diesem Fall das Urteil noch nicht in Rechtskraft erwachsen sei.

JBl 1956, 412 verneint es ausdrücklich, dass die bloß scheinbare Rechtskraft als Voraussetzung für die Nichtigkeitsklage ausreiche. Diese Auffassung werde von der überwiegenden neueren Rechtsprechung abgelehnt. Unter Rechtskraft des Urteils sei nur die wirkliche, nicht auch die bloß scheinbare Rechtskraft zu verstehen.

In SZ 46/13 lehnte der Oberste Gerichtshof sowohl die bereits dargestellte Lehrmeinung Faschings als auch die in der Entscheidung ZBl 1932/59 ohne eingehende Begründung vertretene Auffassung, die Nichtigkeitsklage könne schon vor Beginn der im § 534 ZPO normierten Frist eingebracht werden, ausdrücklich ab, setze sich diese doch damit über die im § 529 Abs 1 ZPO verankerte Grundvoraussetzung jeder Nichtigkeitsklage hinweg, dass die bekämpfte Entscheidung rechtskräftig sein müsse. Gewiss sei die Zustellung einer Entscheidung nicht Selbstzweck, sondern solle im Wesentlichen dazu dienen, den Beteiligten die Anfechtung der Entscheidung zu ermöglichen. Gerade dieser verfahrensrechtliche Gedanke komme aber hier zum Tragen. Die Zivilprozessordnung eröffne der in einem Nichtigkeitsfall nach § 477 Abs 1 Z 5 bzw § 529 Abs 1 Z 2 ZPO betroffenen Partei nach Bewirkung einer rechtswirksamen Zustellung (§ 416 ZPO) - ohne einen Zwang in die eine oder andere Richtung auszuüben - das Wahlrecht, den Weg einer Nichtigkeitsberufung zu beschreiten oder bei Nichtbeschreitung des Berufungsweges binnen der Frist eines Monats ab Rechtskraft des wirksam zugestellten Urteils die Nichtigkeitsklage zu erheben. Eine verfrüht überreichte Nichtigkeitsklage müsse zurückgewiesen werden, weil es mangels einer die Sache erledigenden rechtskräftigen Entscheidung am gesetzlich zulässigen Anfechtungsgrund fehle.

Diese Ansicht schrieb der Oberste Gerichtshof unter neuerlicher Ablehnung der Lehre Faschings in seiner Entscheidung SZ 47/99 fort.

In der Folge betonte die Rechtsprechung vielfach, unter "Rechtskraft" im Sinn des § 529 Abs 1 ZPO sei nur die wirkliche Rechtskraft zu verstehen; die Ansicht, dass die bloße "Scheinrechtskraft" zur Erhebung der Nichtigkeitsklage genüge, werde in der neueren Rechtsprechung nicht mehr vertreten (MietSlg 30.771; EFSlg 30.083; JBl 1997, 465; EFSlg 91.075; WoBl 2001/193 [mit zust Glosse von Domej]).

Die - nicht veröffentlichte - Entscheidung 6 Ob 1/99m begründete das Erfordernis der Zustellung an die Partei oder ihren gesetzlichen Vertreter vor Erhebung der auf § 529 Abs 1 Z 2 ZPO gestützten Nichtigkeitsklage bei behaupteter Prozessunfähigkeit der Partei unter anderem mit dem Argument, dass sonst für den "Fristbeginn unter dem Gesichtspunkt des § 534 Abs 2 Z 2 ZPO contra legem nicht mehr auf die Zustellung abzustellen wäre, sondern notwendigerweise auf andere Kriterien, allenfalls, wie etwa nach Z 1 leg cit, auf die Kenntnis der Partei."

In SZ 68/223 wich der Oberste Gerichtshof von dieser Rechtsprechungslinie mit der Begründung ab, den vorher zitierten Entscheidungen sei entweder ein bloßer Zustellmangel oder eine "evidente" Prozessunfähigkeit der Partei, die sich der Nichtigkeitsklage bediente, wie etwa Minderjährigkeit oder bestehende Sachwalterschaft, zu Grunde gelegen. Hänge aber die Frage des Eintritts der Rechtskraft bzw "Scheinrechtskraft" von streitigen Tatsachen ab, so werde im Gefolge der Auffassung Faschings die Nichtigkeitsklage ohne vorhergehende, im Vorprozess bewirkte Zustellung an den gesetzlichen Vertreter für zulässig erachtet, weil das Verfahren hierüber wegen der Notwendigkeit und größeren Sicherheit kontradiktorischer Beweisaufnahme wesentlich besser zur Aufklärung der streitigen Tatsache der Prozessunfähigkeit des Nichtigkeitsklägers im Zustellungszeitpunkt geeignet sei als im Rahmen des Berufungsverfahrens durchzuführende amtswegige Erhebungen, in deren "Zug" der betroffene Gegner kein rechtliches Gehör besitze.

Diese Rechtsprechung wurde in den Entscheidungen SZ 71/97, SZ 71/113 und 7 Ob 89/99k fortgeschrieben.

Der Oberste Gerichtshof hatte - soweit überblickbar - dreimal gemäß § 532 ZPO über Nichtigkeitsklagen meritorisch zu entscheiden. In SZ 41/143 und SZ 51/93 bejahte er dabei die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage, ohne das Problem der Rechtskraft der Vorentscheidung zu berühren, obwohl dem wiedergegebenen Sachverhalt eine Zustellung an den gesetzlichen Vertreter nicht entnommen werden kann. In SZ 71/97 begründete der Oberste Gerichtshof die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage trotz unterbliebener Zustellung des Urteils des Obersten Gerichtshofs im Vorprozess unter Hinweis auf SZ 68/223 mit der besseren Eignung des kontradiktorischen Verfahrens, die strittige Frage der Prozessfähigkeit des Nichtigkeitsklägers zu klären.

Unbeachtet blieb bisher in Lehre und Rechtsprechung die Rechtslage in Deutschland, obwohl die dort mit Reichsgesetz vom 30. 1. 1877 (RGBl S.83) - somit rund 18 Jahre vor der österreichischen ZPO - eingeführte deutsche Zivilprozessordnung Vorbild der österreichischen Zivilprozessordnung war und in den §§ 578, 579 und 586 (bis 1900 §§ 541, 542 und 549 CPO) identische Bestimmungen kennt. Gemäß § 578 dZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens unter anderem durch Nichtigkeitsklage erfolgen. Diese findet gemäß § 579 Abs 1 Nr. 4 dZPO statt, “wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach der Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat". Dieser Tatbestand wird in Absatz 2 der genannten Gesetzesstelle nicht zu den Fällen gezählt, bei denen die Möglichkeit, die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend zu machen, die Klage unzulässig macht. § 586 dZPO regelt die Klagefrist: Die Klagen sind vor Ablauf der Notfrist eines Monats zu erheben (Absatz 1), die mit dem Tag beginnt, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils. Nach Ablauf von fünf Jahren, von dem Tag der Rechtskraft des Urteils an gerechnet, sind die Klagen unstatthaft (Absatz 2). Die Vorschriften des Absatzes 2 sind jedoch auf Nichtigkeitsklagen wegen mangelnder Vertretung nicht anzuwenden; die Frist für die Erhebung der Klage läuft dann von dem Tage, an dem der Partei und bei mangelnder Prozessfähigkeit ihrem gesetzlichen Vertreter das Urteil zugestellt ist (Absatz 3).

Im Entwurf der Civilprozeßordnung enthielt der § 579 dZPO entsprechende § 518 nur zwei die Nichtigkeitsklage rechtfertigende Tatbestände, die im wesentlichen mit jenen des § 529 Abs 1 ZPO übereinstimmen. Der sonst unverändert gebliebene § 525 (neu: § 586) dZPO sah noch eine zehnjährige Frist, nach deren Ablauf die Klageerhebung unstatthaft ist, vor (Die gesammelten Materialien zur Civilprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30. Januar 1877, 66 f). Diese Frist wurde in den Beratungen der Kommission (Erste Lesung) aus Praktikabilitätsgründen auf fünf Jahre verkürzt (aaO 746). In den Erläuterungen wird - ähnlich den österreichischen Materialien - darauf hingewiesen, es sei “so lange das erlassene Urtheil durch Rechtsmittel oder Einspruch angefochten werden kann, für beide Klagen ungewiß, ob eine Benachtheiligung durch das Urtheil, welche nothwendige Voraussetzung der Klagen ist, eintreten wird, da andere Umstände ein gleich günstiges Urtheil wie die Wiederaufnahme für die Partei herbeiführen können" (aaO 384). Zur Fristbestimmung wird erläutert, bis zum Zeitpunkt der Kenntnis der Partei von dem Urteil fehle es an jeder Beziehung zwischen dieser und dem Urteil, weshalb die zehnjährige, von der Kenntnis der Partei unabhängige Verjährungsfrist auf diesen Nichtigkeitsgrund überhaupt keine Anwendung finden könne. Die entscheidende Kenntnis sei mit der gehörigen Zustellung des Urteils an die Partei und bei mangelnder Prozessfähigkeit an deren gesetzlichen Vertreter zu verbinden. Dies sei eine Vorschrift, die nicht dahin verstanden werden dürfe, als ob die Partei “behindert" wäre, schon früher, wenn sie anderweitig Kenntnis von dem Urteil erhält, dessen Beseitigung zu beantragen, sei es durch das Rechtsmitel der Revision, sei es durch Erhebung der Nichtigkeitsklage (aaO 385).

Das Reichsgericht judizierte bereits seit Beginn des vorigen Jahrhunderts, es ergebe sich aus § 586 Abs 3 dZPO, dass das Urteil rechtskräftig werden könne, obwohl die Partei in dem Verfahren nicht nach der Vorschrift der Gesetze vertreten war und ohne dass das Urteil ihr selbst oder ihrem richtigen gesetzlichen Vertreter zugestellt worden wäre, dass also ein solches Urteil auch durch Ablauf der Rechtsmittel- oder Einspruchsfrist nach der Zustellung an einen falschen gesetzlichen Vertreter rechtskräftig werde (JW 1917, 605). Diese Rechtsprechungslinie hielt es auch in der Folge aufrecht: Eine Zustellung an eine geschäftsunfähige und darum nicht prozessfähige Partei sei zwar grundsätzlich unwirksam; diesen Mangel habe das Gericht in allen “Rechtszügen" von Amts wegen zu berücksichtigen. Ein Urteil aber, das nicht innerhalb der gesetzlichen Frist durch Einspruch oder Rechtsmittel angefochten werde, gehe in Rechtskraft über, auch wenn die Zustellung an die prozessunfähige Partei erfolgt sei. Es bleibe dann nur die Möglichkeit der Erhebung der Nichtigkeitsklage gemäß § 579 Abs 1 Nr. 4 dZPO. Wenngleich die Nichtigkeitsklage gemäß § 578 Abs 1 dZPO auch im Falle des § 579 Nr. 4 dZPO ein durch rechtskräftiges Urteil geschlossenes Verfahren voraussetze, sei aus § 586 Abs 3 dZPO der Eintritt der Rechtskraft auch in dem Fall zu folgern, dass die Partei im Verfahren nicht gesetzmäßig vertreten war. Die gegenteilige Meinung sei mit den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs unvereinbar, “weil sie bei allen Urteilen, die eine nicht prozeßfähige Partei betreffen, die Möglichkeit eröffnen würde, ohne jede Zeitbeschränkung, auch noch im Zwangsvollstreckungsverfahren, die rechtliche Wirksamkeit mit der Behauptung anzufechten, die Partei sei im Verfahren nicht nach der Vorschrift der Gesetze vertreten gewesen und das Urteil habe die Rechtskraft nicht erlangt, da es weder dem richtigen gesetzlichen Vertreter noch der Partei selbst, nachdem diese prozeßfähig geworden, zugestellt worden sei." Diese Ausführungen fänden auch im - zitierten - Schrifttum Billigung (RGZ 121, 63).

Der Bundesgerichtshof übernahm diese Rechtsprechung unter neuerlichem Hinweis auf die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs und der Rechtssicherheit und legte mehrfach dar, das gegen eine prozessunfähige Partei, die im Rechtsstreit zu Unrecht die Stellung eines Prozessfähigen eingenommen habe, ergangene Urteil werde in derselben Weise rechtskräftig, wie wenn es sich um eine wirklich prozessfähige Partei gehandelt habe. Ein derartiges Urteil könne nur mit der gemäß § 579 Abs 1 Nr. 4 dZPO zu erhebenden Nichtigkeitsklage beseitigt werden (FamRZ 1958, 58; FamRZ 1963, 131; FamRZ 1999, 28). Zur Frage der Rechtskraft eines Vollstreckungsbescheides führte der BGH aus, mit dem Postulat des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit sei es nicht zu vereinbaren, “wenn der formelle Akt der Zustellung in seiner Wirkung, die Rechtsbehelfsfristen in Lauf zu setzen, durch Mängel, die bei der Zustellung nicht erkennbar sind und erst in einem längeren Verfahren geprüft werden müßten, in Frage gestellt würde." Auch der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör gebiete es nicht, der Zustellung an den Prozessunfähigen jede Wirkung zu versagen. Es werde jedenfalls im Verfahren über die Nichtigkeitsklage das etwa vorher verweigerte rechtliche Gehör nachträglich gewährt (BGHZ 104, 109, 111 ff; = FamRZ 1988, 828 = ZZP 102, 368 [Orfanides]).

Auch die deutsche Lehre teilt überwiegend diesen Rechtsstandpunkt (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO60, § 56 Rz 8 und 11, § 579 Rz 8 und 12; Braun in Münch.Komm² § 586 Rz 16 bis 20, je mwH).

In neuerlicher Prüfung der im Verstärkungsbeschluss aufgeworfenen Rechtsfrage lässt sich der verstärkte Senat bei seiner Entscheidung von nachstehenden Erwägungen bestimmen:

Vorweg ist klarzustellen, dass eine nicht ordnungsgemäße Zustellung für sich allein niemals Grundlage einer Nichtigkeitsklage sein kann. Dies ergibt sich aus § 529 Abs 2 ZPO im Zusammenhalt mit § 536 Z 1 ZPO: Nur das Verfahren, das die Grundlage der Entscheidung bildet und somit der Entscheidung vorausgeht, kann nichtig sein, nicht aber eine verfehlte Zustellung dieser Entscheidung, die das zur Entscheidung führende Verfahren nicht betrifft, sondern dieser nachfolgt. Eine derartige mangelhafte Zustellung ist vom Gericht einfach zu wiederholen (SZ 24/100 [SpR Nr 29 neu]; SZ 27/191; JBl 1956, 412; Pollak, System des österreichischen Zivilprozessrechtes2, 619). Hat somit der Zustellmangel auf den Gang des Verfahrens keinen Einfluss, weil er erst nach Fällung der Entscheidung eingetreten ist, etwa weil die Partei erst nach diesem Zeitpunkt prozessunfähig wurde, so kann Abhilfe jedenfalls nur in dem vom Mangel betroffenen Verfahren gesucht werden und ist dort der Zustellantrag zu stellen (vgl Fasching Komm II 614).

Im hier zu beurteilenden Fall war die Nichtigkeitsklägerin allerdings nach ihren Behauptungen schon bei Einleitung der Vorprozesse und während der gesamten Verfahren einschließlich aller Zustellvorgänge prozessunfähig. Dass das Gericht im Scheidungsverfahren auf Grund des Vorbringens der Klägerin (dort Beklagten) gemäß § 6a ZPO vorging, ist für die hier zu beurteilende Rechtsfrage ohne Bedeutung, weil die Bindung an die Feststellung der Prozessunfähigkeit im Sachwalterbestellungsbeschluss nur für die Zukunft, also für die Zeit ab Wirksamkeit der Bestellung des Sachwalters besteht. Für den vor diesem Zeitpunkt liegenden Zeitraum hat das Prozessgericht nach nunmehr gesicherter Rechtsprechung selbständig zu prüfen, ob eine Partei prozessfähig ist (SZ 71/97; 4 Ob 329/98f; 3 Ob 183/99d; 3 Ob 76/00y).

Das - nur mehr historisch bedeutsame - Hofdekret vom 14. Oktober 1803, J.G.S. Nr 629 schloss die Geltendmachung einer “Nullität" durch Klage ausdrücklich aus. Die nach den einleitenden Worten der Materialien zur Zivilprozessordnung zu §§ 551 bis 554 (aaO 367) angestrebte “Ausdehnung und verbesserte Gestaltung" jener außerordentlichen Abhilfe, die die Hofdekrete gegen ein durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes, jedoch wegen Teilnahme eines Prozessunfähigen nichtiges Verfahren gewähren, bestand demgegenüber in der Hauptsache darin, die “Anfechtung von Entscheidungen im Wege der Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage“ zu ermöglichen. Die weitere Begründung, die Anfechtung erfolge wegen einer “Nichtigkeit, die unheilbar ist, weil sie für jeden richterlichen Spruch essentielle Voraussetzungen betrifft" (aaO), zeigt deutlich auf, dass bereits der historische Gesetzgeber der durch mangelnde Vertretung im Prozess begründeten Nichtigkeit ganz besonderes Gewicht zumaß. Insbesondere aus § 534 Abs 3 ZPO, der die Nichtigkeitsklage gemäß § 529 Abs 1 Z 2 ZPO von der absoluten zehnjährigen Klagefrist ausnimmt, ist die Wertung des Gesetzgebers abzuleiten, dass im Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wie dies Rechberger/Simotta (aaO Rz 903) zutreffend bemerken, der gravierendste aller Verfahrensmängel zu erkennen ist. Dass der Geltendmachung eines solchen Mangels keine absolute zeitliche Schranke entgegenstehen solle, erläutern die Materialien (aaO 372) in anschaulicher Weise: Es sie nicht begründbar, “jemand nach Ablauf von zehn Jahren an ein Urtheil zu binden, welches nur scheinbar gegen ihn ergangen, in Wahrheit gar nicht gegen ihn erflossen, sondern ihm völlig fremd ist". Diese Überlegung kommt insofern auch in der nachfolgenden Lehre zum Ausdruck, als sie den Fall des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO als “Dauernichtigkeit" ansieht. Nur in diesem Sinn können die Ausführungen Neumanns (aaO) zur “Ungültigkeit" der Zehnjahresfrist bei diesem Klagegrund verstanden werden. Legt man den hier zu prüfenden Bestimmungen ein solches Verständnis zu Grunde, so folgt - wie das auch der BGH bei vergleichbarer Rechtslage annimmt - aus § 534 Abs 3 ZPO zwanglos, dass im Falle des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO die für das ordentliche Rechtsmittel, das zur Anfechtung der Entscheidung vorgesehen ist, bestimmte Frist trotz Zustellung an die nicht gesetzmäßig vertretene Partei gleichwohl in Gang gesetzt wird und dass daher unter “Rechtskraft" die infolge Ablaufs der ungenützt gebliebenen Rechtsmittelfrist eingetretene formelle Rechtskraft zu verstehen ist. Anderenfalls erwiese sich nämlich die Ausnahme von der ab dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung zu rechnenden Zehnjahresfrist - entgegen den dargestellten Intentionen des Gesetzgebers - als inhaltsleer oder verkehrte sich gar in ihr Gegenteil, weil sie sich dann lediglich auf die Aussage beschränkte, dass dem gesetzlichen Vertreter nach Zustellung der Entscheidung an ihn bloß die Notfrist von vier Wochen zur Erhebung der Klage zur Verfügung steht, was § 534 Abs 1 ZPO indes ohnedies vorsieht. Da diese Notfrist - § 534 Abs 2 Z 2 ZPO zufolge - nicht vor Eintritt der Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung zu laufen beginnt, hieße, würde man den Eintritt der Rechtskraft erst an den Ablauf der mit Zustellung der Entscheidung an den gesetzlichen Vertreter in Gang gesetzten Frist knüpfen, das in Wahrheit nichts weiter, als der dem erwähnten Hofdekret entsprechenden Rechtslage das Wort zu reden, was aber - wie schon erörtert - nicht dem Willen des historischen Gesetzgebers entspräche. Die Prozessfähigkeit der Partei müsste dann nämlich in Erledigung des Zustellantrags des gesetzlichen Vertreters im Anlassverfahren geprüft werden, wodurch sich die Erhebung einer Nichtigkeitsklage weitestgehend erübrigte. Die Anordnungen des § 534 ZPO können nur dann aufeinander abgestimmt werden, wenn der Eintritt der Rechtskraft, der dort den Lauf der Klagefristen auslöst, an den Ablauf der Rechtsmittelfrist nach Zustellung an die prozessunfähige Partei geknüpft wird. In letzterem Fall steht es dieser Partei, gleichviel wann sie bzw. ihr gesetzlicher Vertreter vom Nichtigkeitsgrund erfahren hat, jederzeit offen, die Nichtigkeitsklage zu erheben; nur, wenn sie bei Zustellung der bekämpften Entscheidung selbst (wieder) prozessfähig war oder deren Zustellung ohnehin an ihren gesetzlichen Vertreter bewirkt wurde, sie somit wie jede andere Partei ihre Rechte wahrnehmen kann, bedarf sie keines weiteren gesetzlichen Schutzes mehr, sodass sie dann an die vierwöchige Frist des § 534 Abs 2 Z 2 ZPO gebunden wird.

Dieses Verständnis des Rechtskraftbegriffs erstreckt sich auch auf § 529 ZPO, weshalb die Zustellung der Entscheidung an den gesetzlichen Vertreter keine Voraussetzung der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage ist. Würde man die in den §§ 529 und 534 ZPO als zeitliches Element verwendete Rechtskraft von einer solchen Zustellung abhängig machen, so zeitigte das das unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie abzulehnende Ergebnis, dass der gesetzliche Vertreter ein Wahlrecht zwischen dem ordentlichen Rechtsmittel und der Nichtigkeitsklage und es überdies in der Hand hätte, die Klagefrist etwa durch Erheben und späteres Zurückziehen eines Rechtsmittels nicht unerheblich zu verlängern. Wird aber die Zustellung an die prozessunfähige Partei im dargestellten Sinn als für den Eintritt der Rechtskraft maßgebend angesehen, muss der gesetzliche Vertreter innerhalb der vierwöchigen Frist des § 534 Abs 2 Z 2 ZPO ab der Zustellung an ihn handeln. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass einem Zustellantrag des gesetzlichen Vertreters schon wegen der bereits eingetretenen Rechtskraft ohne Prüfung des behaupteten Vertretungsmangels stattzugeben ist.

Wird die Entscheidung dem gesetzlichen Vertreter noch während des Laufs der durch die Zustellung an die prozessunfähige Partei in Gang gesetzten Rechtsmittelfrist zugestellt, verlängert sich angesichts der erörterten Wirksamkeit der Zustellung die Rechtsmittelfrist nicht. Der Partei steht durch ihren gesetzlichen Vertreter nach eingetretener Rechtskraft die Nichtigkeitsklage offen. Nützt der gesetzliche Vertreter die noch offene Frist zur Erhebung des ordentlichen, auf diesen Nichtigkeitsgrund gestützten Rechtsmittels, so ist aber damit das Anfechtungsrecht konsumiert (§ 529 Abs 2 ZPO).

Dem Lösungsansatz Faschings und der ihm folgenden Lehre und Rechtsprechung, hänge die Frage des Eintritts der Rechtskraft bzw. der “Scheinrechtskraft" von streitigen Tatsachen ab, so müsse die Nichtigkeitsklage schon wegen der größeren Sicherheit kontradiktorischer Beweisaufnahme zulässig sein, kann demgegenüber in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden: Es ist nunmehr gesicherte Rechtsprechung, dass den Parteien zur Wahrung des durch Art 6 Abs 1 EMRK garantierten rechtlichen Gehörs Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, bekannt zu geben sind und dass ihnen die Möglichkeit zu eröffnen ist, dazu Stellung zu nehmen (SZ 54/124 mwN). Diesem Grundsatz wurde von der Rechtsprechung insbesondere auch in jenen Fällen zum Durchbruch verholfen, in denen es um Erhebungen zur Prüfung der Rechtzeitigkeit und Wirksamkeit von Zustellungen (§ 87 Abs 1 ZPO) ging (SZ 62/129; 3 Ob 100/92; 1 Ob 190/99v; vgl auch RIS-Justiz RS0005915; RS0041874). Das Gericht könnte wohl auch eine mündliche Verhandlung anberaumen, um den Parteien - auch im Interesse einer Vereinfachung des Verfahrens - nicht nur eine nachträgliche Stellungnahme zu Beweisergebnissen, sondern an deren Stelle die unmittelbare Einflussnahme auf die Aufnahme der Beweise durch die Befragung von Parteien, Zeugen und Sachverständigen zu ermöglichen, soweit ein solcher Verfahrensschritt angesichts der besonderen Fallgestaltung geboten erscheint, wird doch eine solche Verhandlung vom Gesetz keineswegs ausgeschlossen.

Während somit in erster Instanz auch bei Prüfung der Prozessfähigkeit auf Grund eines Zustellantrags ein Rechtsschutzdefizit nicht bestünde, ist ein solches aber im Rechtsmittelverfahren gegeben: Zumindest im streitigen Verfahren kann das Rekursgericht, auch wenn die Erhebungen von Amts wegen zu führen sind (vgl. RIS-Justiz RS0007070; EvBl 1998/87) und das Neuerungsverbot des § 482 ZPO durchbrochen ist (RIS-Justiz RS0108589), grundsätzlich von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts - hat dieses die Beweise unmittelbar aufgenommen - nicht abgehen (RIS-Justiz RS0041847; RS0044018). Demgegenüber eröffnet das Berufungsverfahren weiterreichende Anfechtungsmöglichkeiten.

Auch diese Überlegungen rechtfertigen es, der Nichtigkeitsklage gegenüber einem im Vorprozess durchzuführenden Verfahren den Vorzug zu geben.

Der verstärkte Senat formuliert folgenden Rechtssatz:

Unter Rechtskraft im Sinn des § 529 Abs 1 Z 2 und Abs 2 und des § 534 Abs 2 Z 2 und Abs 3 ZPO ist die formelle Rechtskraft zu verstehen, die auch dann eintritt, wenn die Prozessunfähigkeit der Partei nicht erkannt wurde. Die Partei, die ihre Prozessunfähigkeit behauptet, kann mit dem ihr zu Gebote stehenden ordentlichen Rechtsmittel den Nichtigkeitsgrund geltend machen. Ist die Rechtsmittelfrist verstrichen, daher die formelle Rechtskraft eingetreten, kann sie bis spätestens vier Wochen nach der - jedoch keine Zulässigkeitsvoraussetzung bildenden - Zustellung an ihren gesetzlichen Vertreter durch diesen Nichtigkeitsklage aus dem Grund des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO erheben.

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 Abs 1 ZPO.

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