Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 4.871,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 811,84 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte brachte gegen die Klägerin am 19. 4. 1996 beim Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz zu 28 C 69/96a die Klage auf Scheidung der zwischen den Streitteilen am 10. 10. 1970 vor dem Standesamt Feldkirchen zu Ehebuch Nr 29/1970 geschlossenen Ehe gemäß § 55 Abs 1 EheG wegen mehr als dreijähriger Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft ein. In der mündlichen Tagsatzung vom 13. 6. 1996 ließ er sein ursprüngliches Klagebegehren fallen und begehrte die Ehescheidung gemäß § 49 EheG aus dem Verschulden der Klägerin.
Dieses Klagebegehren wurde von der Klägerin weder bestritten, noch erschien sie trotz wiederholter Ladungen zu den Tagsatzungen. Mit Urteil vom 5. 8. 1996 wurde die Ehe der Streitteile daher gemäß § 49 EheG aus dem Verschulden der Klägerin geschieden. Diese Entscheidung wurde ihr am 27. 8. 1996 durch postamtliche Hinterlegung zugestellt.
Am 29. 10. 1996 regte die Tochter der Klägerin die Beigebung eines Sachwalters für ihre Mutter mit der Begründung an, dass diese sich von der Umwelt abkapsle und unter Wahnvorstellungen und Angstzuständen leide. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 2. 12. 1996, 13 P 196/96i‑8 wurde Mag. Robert Müller vom Verein der Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft zum einstweiligen und mit Beschluss vom 3. 4. 1997, 13 P 196/96d‑14, endgültig zum Sachwalter bestellt und mit der Besorgung der Einkommens- und Vermögensverwaltung, der Vertretung vor Ämtern und Behörden sowie der medizinischen Betreuung betraut. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige Dr. Dieter F***** stellte in seiner am 18. 3. 1997 eingelangten vorbereitenden Befundaufnahme fest, dass bei der Klägerin ein ängstlich‑dysphorisches Zustandsbild mit sensitiven Zügen im Rahmen eines Borderline‑Syndroms bestehe. Sie sei daher aus psychiatrischer Sicht nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten ohne die Gefahr eines Nachteils für sie zu besorgen. Die Krankheit der Klägerin habe sicherlich auch schon 1994 und 1995 bestanden und dazu geführt, dass sie geschäfts- und prozessunfähig war und somit die nachteiligen Folgen für sich und die Tragweite ihres Handelns nicht verstehen konnte.
Mit ihrem am 3. 11. 1997 eingebrachten Schriftsatz beantragte die Klägerin die Zustellung des zu 28 C 69/96a‑10 ergangenen Scheidungsurteils an ihren Sachwalter (die am 16. 1. 1998 erfolgte) und stellte in der unter einem erhobenen Nichtigkeitsklage gemäß § 529 Abs 1 Z 2 ZPO das Begehren, das oben genannte Urteil als nichtig aufzuheben und das dieser Entscheidung vorangegangene Verfahren ab Klagszustellung für nichtig zu erklären. Sie sei während der gesamten Dauer des Scheidungsverfahrens prozessunfähig gewesen, weshalb der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO vorliege. In der Tagsatzung vom 5. 10. 1998 zog die Nichtigkeitsklägerin den Antrag auf neuerliche Zustellung des mit Nichtigkeit bekämpften Urteils aus rein prozessualen Gründen zurück.
Der Nichtigkeitsbeklagte beantragt die Zurückweisung in eventu Abweisung der Klage. Im gegenständlichen Verfahren sei die Prozessfähigkeit der Klägerin neuerlich zu prüfen. Im Übrigen sei die relative Frist des § 534 Abs 2 Z 2 ZPO nicht eingehalten worden. Bloße „Scheinrechtskraft“ sei für die Erhebung der Nichtigkeitsklage nicht ausreichend. Außerdem sei die von der Klägerin vorgenommene Kumulierung von Zustellantrag und Nichtigkeitsklage unzulässig. Sie sei daher erst nach dem 19. 2. 1998 berechtigt gewesen, die Nichtigkeitsklage zu erheben, da dem Klagevertreter das Scheidungsurteil vom 5. 8. 1996 am 16. 1. 1998 zugestellt worden und somit erst am 19. 2. 1998 in Rechtskraft erwachsen sei.
Das Erstgericht gab der Nichtigkeitsklage statt, hob das Scheidungsurteil vom 5. 8. 1996, AZ 28 C 69/96a‑10, als nichtig auf und erklärte das dieser Entscheidung vorangegangene Verfahren für nichtig. Rechtlich führte es aus, dass das ergangene Scheidungsurteil der Nichtigkeitsklägerin durch Hinterlegung am 27. 8. 1998 (gemeint wohl: 1996) zugestellt worden und in Scheinrechtskraft erwachsen sei. Die Einbringung der Nichtigkeitsklage nach Scheinrechtskraft werde als eindeutig zulässig erachtet, weshalb die Frist des § 534 Abs 3 ZPO jedenfalls gewahrt sei. Die Kumulierung von Zustellungsantrag und Nichtigkeitsklage sei ebenfalls zulässig.
Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Beklagten, wegen Nichtigkeit, und gab ihr im Übrigen keine Folge. Es erklärte die Erhebung der Revision für zulässig. Der vom Berufungswerber geltend gemachte Nichtigkeitsgrund „analog § 477 ZPO“ liege nicht vor. Nach der Rechtsprechung (vgl JBl 1996, 734 und ÖJZ‑LSK 1996/111) und Lehre (vgl Faschings LB2, RZ 2044) sei die Erhebung der Nichtigkeitsklage auch dann zulässig, wenn die Frage des Eintritts der Rechtskraft bzw Scheinrechtskraft von streitigen Tatsachen abhänge, weil das Verfahren hierüber wegen der Notwendigkeit und größeren Sicherheit kontradiktorischer Beweisaufnahmen wesentlich besser zur Aufklärung der streitigen Tatsache der Prozessunfähigkeit des Nichtigkeitsklägers im Zustellungszeitpunkt geeignet sei, als im Rahmen des Berufungsverfahrens durchzuführende amtswegige Erhebungen, in deren Zug der betroffene Gegner kein Rechtsgehör besitze. Die durch die Bestimmung des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO eingeräumte Wahlmöglichkeit zwischen Zustellantrag und Nichtigkeitsklage schließe nicht unbedingt deren Kumulierung bzw gleichzeitige Antragstellung aus. Außerdem habe die Klägerin den Zustellantrag im Laufe des Verfahrens zurückgezogen, wodurch es ihr nicht mehr möglich sei, unter Anwendung des § 7 Abs 1 ZPO zur Nichtigerklärung des Scheidungsverfahrens sowie des Scheidungsurteils zu kommen. Ihr Rechtsschutzinteresse an der gegenständlichen Nichtigkeitsklage könne deshalb nicht zweifelhaft sein.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.
Der Rechtsansicht des Revisionswerbers, dass Nichtigkeit „analog § 477 ZPO“ vorliege, weil die für die Nichtigkeitsklage notwendige Prozessvoraussetzung des § 534 Abs 2 Z 2 ZPO nicht erfüllt sei, kann nicht gefolgt werden. Voraussetzung für die Erhebung der Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs 1 ZPO ist der Eintritt der formellen Rechtskraft. Darunter ist nach ständiger Rechtsprechung nur die wirkliche, nicht aber bloße „Scheinrechtskraft“ zu verstehen. Die mit der Nichtigkeitsklage angefochtene Entscheidung muss also ordnungsgemäß zugestellt worden sein (vgl Kodek in Rechberger ZPO § 529 Rz 1 mwN). Ähnlich dem der Entscheidung 7 Ob 619/95 = SZ 68/223 (JBl 1996, 734 = ÖJZ‑LSK 1996/111) zugrunde liegenden Sachverhalt lag im vorliegenden Fall die zu beweisende Behauptung der Nichtigkeitsklägerin war, schon vor Bestellung ihres Sachwalters prozessunfähig gewesen zu sein. Hängt aber die Frage des Eintritts der Rechtskraft oder Scheinrechtskraft von streitigen Tatsachen - Prozessunfähigkeit des Nichtigkeitsklägers im Zeitpunkt des Vorverfahrens - ab, dann ist nach der Ansicht des erkennenden Senates (SZ 68/223) eine Nichtigkeitsklage zulässig. Dagegen sprach allerdings die Entscheidung 6 Ob 1/99m aus, dass es bei behaupteter Prozessunfähigkeit jedenfalls der Zustellung an die Partei oder ihren gesetzlichen Vertreter vor Erhebung der auf § 529 Abs 1 Z 2 ZPO gestützten Nichtigkeitsklage bedürfe, weil sonst beim Fristbeginn unter dem Gesichtspunkt des § 534 Abs 2 Z 2 ZPO contra legem nicht mehr auf die Zustellung abzustellen wäre, sondern notwendigerweise auf andere Kriterien, allenfalls, etwa nach Z 1 leg cit auf die Kenntnis der Partei. Welcher Auffassung der Vorzug zu geben ist, muss hier nicht geprüft werden. Der zuletzt genannten Entscheidung lag nicht - wie hier - der Sachverhalt zugrunde, dass die Entscheidung im Vorprozess (erst) während des Verfahrens über die Nichtigkeitsklage durch Zustellung des Urteils an den (erst später bestellten) gesetzlichen Vertreter und Unterlassung der Erhebung einer Nichtigkeitsberufung formell rechtskräftig wurde. Auch eine nach Klagseinbringung erfolgte Zustellung der angefochtenen Entscheidung an den gesetzlichen Vertreter (sowie die Unterlassung der Erhebung einer Nichtigkeitsberufung) genügt nämlich dem Kriterium des § 534 Abs 2 Z 2 ZPO dann, wenn sie dadurch die Prozessvoraussetzung der formellen Rechtskraft noch vor der Entscheidung über die Nichtigkeitsklage eintritt, wird noch durch die nachträgliche Heilung des formalen Mangels keiner Partei ein Schaden zugefügt. Der gegenteiligen Ansicht läge ein überspitzter Formalismus zugrunde, dem kein Schutzzweck zuzuordnen wäre.
Die Zulässigkeit einer Kumulierung von Zustellantrag und Nichtigkeitsklage ist nicht mehr streitentscheidend, weil der Zustellantrag hier noch vor der Entscheidung über die Nichtigkeitsklage zurückgezogen wurde.
Der geltend gemachte Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor, da die Feststellungen des Berufungsgerichtes jedenfalls auf beweismäßigen Grundlagen basieren. Auch der gerügte Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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