Normen
ZPO §104
ZPO §106
ZPO §477
ZPO §529 Abs1 Z2
ZPO §538
ZPO §562
ZPO §104
ZPO §106
ZPO §477
ZPO §529 Abs1 Z2
ZPO §538
ZPO §562
Spruch:
Spruchrepertorium Nr. 29.
Eine Nichtigkeitsklage gemäß § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO. ist unzulässig, wenn diese lediglich darauf gestützt wird, daß die Zustellung der Aufkündigung im Bestandverfahren, des Zahlungsbefehles im Mahnverfahren oder des Zahlungsauftrages im Mandats- und Wechselverfahren nicht ordnungsgemäß im Sinne der Zivilprozeßordnung erfolgt ist.
Entscheidung vom 11. April 1951, 1 Ob 238/51.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die beiden beklagten Parteien brachten zu . K ./50 des Bezirksgerichtes Innere Stadt gegen die klagende Partei eine Kündigung ein. Da bei der Zustellung der Aufkündigung am 17. April 1950 der Kläger in seiner Wohnung nicht angetroffen wurde, hat der Postzusteller Georg Sch. die schriftliche Aufforderung zur Entgegennahme der Zustellung für 18. April 1950 zurückgelassen, indem er diese Aufforderung in den Briefkasten einwarf. Dieser Briefkasten ist für beide Streitteile gemeinsam, da beide Parteien dieselbe Wohnung bewohnen. An der gemeinsamen Wohnungstür befindet sich ein Spalt für die Post. Dahinter ist an der Innenseite der Tür ein Postkasten angebracht, der offen ist. Die eingeworfene Post verbleibt entweder in dem Kasten oder fällt auf einen darunter stehenden Tisch. Alle Angehörigen des Klägers und der Erstbeklagte sowie die Bedienerinnen haben die Möglichkeit, die eingeworfene Post zu entnehmen.
Am 18. April 1950, als der Postzusteller Josef P. die Zustellung der Aufkündigung versuchte, war der Kläger wieder nicht anwesend.
Gemäß § 104 ZPO. hat dieser Postzusteller den Gerichtsbrief beim Postamt hinterlegt und die Anzeige von der Hinterlegung in den erwähnten Briefkasten eingeworfen.
Da gegen die Aufkündigung Einwendungen nicht erhoben wurden, hat das Erstgericht auf Antrag der beklagten Parteien die zwangsweise Räumung bewilligt und diese für 10. Oktober 1950 anberaumt, von welcher Verfügung der Kläger am 18. September 1950 verständigt wurde.
Dem von der klagenden Partei am 23. September 1950 überreichten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Einwendungen wurde nicht stattgegeben, da der vorschriftsmäßige Zustellvorgang eingehalten worden sei. Ein Rekurs gegen diese Entscheidung wurde nicht erhoben.
Zu . C ./50 des Bezirksgerichtes Innere Stadt hat der Kläger unmittelbar nach Überreichung des Antrages auf Wiedereinsetzung eine auf § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO. gestützte Nichtigkeitsklage überreicht, in der er behauptet, daß er in dem Verfahren wegen Aufkündigung überhaupt nicht vertreten gewesen sei, zumal weder die Aufforderung nach § 106 ZPO. noch die Anzeige nach § 104 ZPO. ihm zugekommen sei.
Das Erstgericht hat in Stattgebung der Nichtigkeitsklage die Aufkündigung .. K .../50 vom 13. April 1950 für rechtsunwirksam erklärt. Wenn auch, so führte das Erstgericht aus, die Zustellung der Aufkündigung vorschriftsmäßig vorgenommen sei, so sei, wie auf Grund der Aussage der Zeugin Marie G. feststehe, die Aufforderung nach § 106 ZPO. und die Anzeige nach § 104 ZPO. dem Kläger nicht zugekommen. Da der Kläger somit keine Kenntnis von der Aufkündigung erlangt habe, sei die Kündigung als nichtig aufzuheben gewesen.
Das Berufungsgericht hat der Berufung der beklagten Parteien Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage als zur Bestimmung einer Tatsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurückgewiesen. In rechtlicher Beziehung führte das Berufungsgericht folgendes aus:
Eine Nichtigkeitsklage nach § 529 ZPO. sei gegen eine rechtskräftige Entscheidung vorgesehen, durch die eine Sache erledigt wurde. Sie bezwecke die Beseitigung einer Nichtigkeit, von der die Grundlagen der Entscheidung betroffen wurden. Die Bewilligung einer Aufkündigung sei aber eine ohne Anhören des Gekundigten getroffene Entscheidung des Gerichtes, bei der der Kläger somit gar nicht vertreten sein konnte. In der gegenständlichen Klage werde aber keine die Grundlagen erschütternde Nichtigkeit behauptet, sondern eine Nichtigkeit, die nach Bewilligung der Aufkündigung und deren vorschriftsmäßiger Zustellung eingetreten ist.
Da aber im gegenständlichen Falle eine vorschriftsmäßige Zustellung vorliege, eine Vertretung bei Erlassung der Aufkündigung nicht vorgesehen sei und schließlich nicht die Aufkündigung, sondern lediglich der Zustellvorgang nichtig sein könne, sei die Nichtigkeitsklage nicht auf einen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt worden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Begründung
Es ist richtig, daß der überwiegende Teil der Lehre, so Neumann, S. 1408, Sperl, S. 699 und 704, Petschek, ZBl. 1926, Bemerkung zur Entscheidung Nr. 14 b, und die Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, daß auch ein über eine Aufkündigung ergangener Beschluß gemäß § 562 ZPO., ebenso wie ein Zahlungsbefehl im Mahnverfahren und ein Zahlungsauftrag im Mandats- oder Wechselverfahren, im Falle der formellen Rechtskraft als Entscheidung im Sinne des § 529 ZPO. anzusehen ist.
In der Rechtsprechung wurde jedoch die Frage, ob jene Partei, der durch einen gesetzwidrigen Vorgang in der Zustellung die Möglichkeit, eine Prozeßhandlung, nämlich die Erhebung von Einwendungen gegen eine Aufkündigung oder einen Zahlungsauftrag, bzw. eines Widerspruches gegen einen Zahlungsbefehl im Mahnverfahren vorzunehmen, entzogen wurde, als im Sinne des § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO. im Verfahren nicht vertreten anzusehen ist, nicht einheitlich beantwortet.
In den Entscheidungen Amtl. Sammlung 709, 834, GlUNF. 3833, 3980; ZBl. 1928/300, GH. 1929/179; ZBl. 1929/321; ZBl. 1930/118; GH. 1930/127; ZBl. 1931/120; ZBl. 1932/124; SZ. XVII/99 wurde der Standpunkt vertreten, daß bei Erlassung eines Zahlungsbefehles, eines Zahlungsauftrages im Mandats- bzw. Wechselverfahren und einer Kündigung im Bestandverfahren im Falle einer Unterlassung oder Ordnungswidrigkeit der Zustellung dieser Entscheidung der Gegner die Nichtigkeitsklage gemäß § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO. erheben könne, da auch durch die unterlassene und nicht ordnungsgemäße Zustellung der Gegner als an dem Verfahren nicht beteiligt angesehen werden müsse.
Zur Erhärtung dieses Rechtsstandpunktes wurde auch darauf verwiesen, daß die Zustellung derartiger Entscheidungen einen Bestandteil des Verfahrens, somit die Erlassung eines bedingten Zahlungsbefehles im Mahnverfahren, eines Zahlungsauftrages im Mandats- und Wechselverfahren, eines Beschlusses gemäß § 562 ZPO. im Bestandverfahren und deren Zustellung eine untrennbare Einheit bilden. Eine ordnungswidrige Zustellung derartiger Entscheidungen habe daher, so wird in den obigen Entscheidungen ausgeführt, die Nichtigkeit der Zustellung und damit die Nichtigkeit der Erlassung der Entscheidung selbst zur Folge.
Mit Recht wurde diese Rechtsmeinung in der Lehre (Petschek, "Zivilprozeßrechtliche Streitfragen", S. 99, Pollak, "System des österr. Zivilprozeßrechtes", S. 104, 619), der sich auch ein Teil der Rechtsprechung (GlUNF. 4712, 5166, 7701, 7679, SZ. III/68, VII/26; ZBl. 1925/122, 1926/14 b, 1930/241) angeschlossen hat, bekämpft.
Die Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs. 1 ZPO. ist gegen eine rechtskräftige Entscheidung gegeben, durch die eine Rechtssache erledigt wurde, und sie bezweckt die Beseitigung einer Nichtigkeit, von der die Grundlagen der Entscheidung selbst betroffen wurden (Materialien zur ZPO. Band I, S. 367).
Wird von diesem Grundsatz ausgegangen, so muß die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage, die unter Hinweis auf Z. 2 des § 529 Abs. 1 ZPO. darauf gestützt wird, daß die Zustellung einer Aufkündigung im Bestandverfahren wie auch eines Zahlungsbefehles im Mahnverfahren oder eines Zahlungsauftrages im Mandats- und Wechselverfahren nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, verneint werden.
Was zunächst die Frage anlangt, ob mit Rücksicht auf die nicht ordnungsgemäße Zustellung einer Aufkündigung sowie auch eines Zahlungsbefehles oder Zahlungsauftrages der Gegner als im Verfahren nicht vertreten anzusehen ist, muß darauf verwiesen werden, daß bei Erlassung einer Aufkündigung im Bestandverfahren wie auch eines Zahlungsbefehles im Mahnverfahren und eines Zahlungsauftrages im Mandats- und Wechselverfahren eine Beteiligung des Gegners nicht vorgesehen ist, so daß davon, daß der Gegner im Verfahren nicht vertreten war, überhaupt nicht gesprochen werden kann.
Von den Nichtigkeitsgrunden des § 477 ZPO. kommt für die Stützung der Nichtigkeitsklage nur einer der zwei im § 529 Abs. 1 bezeichneten Nichtigkeitsgrunde in Betracht. Wie sich aus der Bestimmung des § 477 ZPO. im Zusammenhalt mit § 529 Abs. 1 ZPO. ergibt, betreffen diese Nichtigkeitsgrunde nur das Verfahren selbst, welches der erlassenen Entscheidung vorausgeht.
Aus diesem Umstand folgt, daß immer nur das Verfahren, welches die Grundlage der Entscheidung bildet und somit der Entscheidung vorausgeht, nichtig sein kann, nicht aber eine nicht ordnungsgemäße Zustellung dieser Entscheidung selbst, die ja nicht das Verfahren betrifft, vielmehr der Entscheidung nachfolgt.
Von einer Nichtigkeit des Verfahrens bei Erlassung einer Aufkündigung im Bestandverfahren, eines Zahlungsbefehls im Mahnverfahren und eines Zahlungsauftrages im Mandats- und Wechselverfahren kann daher nicht gesprochen werden, wenn auch die Zustellung nicht ordnungsgemäß im Sinne der Zivilprozeßordnung erfolgt ist, da durch diese ordnungswidrige Zustellung eine die Grundlagen der Entscheidung berührende Nichtigkeit nicht vorliegt und im übrigen diese Zustellung nach Erlassung der Entscheidung vorgenommen wurde.
Die Erlassung eines Zahlungsbefehles, eines Zahlungsauftrages oder einer Aufkündigung kann somit nie als nichtig bezeichnet werden, wenn auch die Zustellung dieser Entscheidung an den Gegner nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde.
Denn entspricht die Zustellung einer derartigen Entscheidung nicht den Zustellvorschriften der Zivilprozeßordnung, so ist nicht die Zustellung nichtig, das heißt, sie ist nicht durch einen rechtsgestaltenden Akt des Richters umzustoßen, sondern es ist eine derartige mangelhafte Zustellung vom Gerichte einfach zu wiederholen.
Wenn in diesem Zusammenhang der Standpunkt vertreten wurde, daß durch die nicht ordnungsgemäße Zustellung eine Nichtigkeit der Zustellung selbst eingetreten ist und damit auch die zuzustellende Entscheidung von der Nichtigkeit erfaßt wird, da die Zustellung eine untrennbare Einheit mit der Entscheidung selbst bildet (so Entsch. d. OGH. vom 21. Februar 1951, 3 Ob 73/51), kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden.
Mit Erlassung einer Aufkündigung, wie im gegenständlichen Falle, oder eines Zahlungsbefehles bzw. eines Zahlungsauftrages werden diese Entscheidungen wirksam; die Wirksamkeit dieser Verfügungen tritt auch ohne eine Zustellung ein. Die Zustellung selbst ist nur für die Rechtskraft erforderlich. Wenn daher die Zustellung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, so hat dieser Umstand mit der Wirksamkeit der erlassenen Entscheidung, also mit dem Beschluß auf Erlassung einer Aufkündigung im Bestandverfahren, eines Zahlungsbefehles im Mahnverfahren und eines Zahlungsauftrages im Mandats- und Wechselverfahren, nichts zu tun. Es kann daher der Standpunkt, der von einer untrennbaren Einheit der Erlassung der gerichtlichen Entscheidung und der Zustellung derselben spricht, nicht aufrechterhalten werden, da der Begriff der Wirksamkeit einer gerichtlichen Entscheidung und der Begriff der Rechtskraft dieser Entscheidung nicht zusammenfällt.
Der Oberste Gerichtshof steht daher, wie er bereits in den Entscheidungen vom 12. Jänner 1949, 3 Ob 12/49 (EvBl. Nr. 172/49), und vom 9. November 1949, 1 Ob 515/49, zum Ausdruck gebracht hat, auf dem Standpunkt, daß eine Nichtigkeitsklage gemäß § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO. dann unzulässig ist, wenn diese lediglich darauf gestützt wird, daß die Zustellung einer Aufkündigung im Bestandverfahren wie auch eines Zahlungsbefehles im Mahnverfahren und eines Zahlungsauftrages im Mandats- und Wechselverfahren nicht ordnungsgemäß erfolgt ist.
Wird diese Rechtsmeinung auf den gegenständlichen Fall angewendet, hat das Berufungsgericht mit Recht ausgesprochen, daß der Kläger die Nichtigkeitsklage nicht auf einen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt hat. Die Aufhebung des erstrichterlichen Urteiles und die Zurückweisung der Klage gemäß § 538 ZPO. war daher gerechtfertigt (SZ. XX/19).
Aus diesen Erwägungen war daher dem Rekurs der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung grundet sich auf §§ 40, 50 ZPO.
Unter einem hat der erste Senat die Eintragung voranstehenden
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