OGH 1Ob162/24s

OGH1Ob162/24s24.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 4.710 EUR sowie Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. Mai 2024, GZ 2 R 23/23x‑23, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00162.24S.1024.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 597,52 EUR (darin enthalten 95,40 EUR deutsche USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin erwarb am 5. 9. 2014 von einem Dritten einen (gebrauchten) Audi A3 mit einem Dieselmotor. Sie begehrt den Ersatz von 30 % des von ihr bezahlten Kaufpreises sowie die Feststellung, dass die Beklagte für künftige Schäden aus dem Erwerb des Fahrzeugs hafte.

[2] Die Klägerin leitet ihre Ansprüche daraus ab, dass der von der Beklagten entwickelte Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung aufgewiesen habe, die durch ein Software-Update nicht behoben worden sei, weil auch danach ein unzulässiges Thermofenster bestanden habe. Die Beklagte hafte ua wegen eines (zumindest fahrlässigen) Verstoßes gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG sowie wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und arglistiger Täuschung über das Bestehen der Abschalteinrichtung nach den §§ 1295 Abs 2 und 874 ABGB.

[3] Die Beklagte wandte Verjährung ein und entgegnete, dass eine allfällige unzulässige Abschalteinrichtung durch das Software‑Update beseitigt worden sei. Sollte im verbliebenen Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung liegen, träfe sie an einem dadurch erfolgten Verstoß gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG jedenfalls kein Verschulden. Keinesfalls habe sie die Klägerin über das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht.

[4] Im ersten Rechtsgang sprach das Erstgericht mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren nicht verjährt sei.

[5] Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung zur Verfahrensergänzung auf. Die dreijährige Verjährungsfrist sei bei Klageeinbringung bereits abgelaufen gewesen. Für durch behauptete gerichtlich strafbare Handlungen verursachte Schäden komme zwar eine 30‑jährige Verjährungsfrist zur Anwendung. Zu einem strafbaren Verhalten von Organen und Repräsentanten der Beklagten fehlten jedoch Feststellungen, weshalb das Verfahren insoweit zu ergänzen sei.

[6] Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht die Klage ab. Entsprechend der Rechtsansicht des Berufungsgerichts sei die dreijährige Verjährungsfrist bei Klageeinbringung bereits abgelaufen gewesen. Da ein strafbares Verhalten von der Beklagten zuzurechnenden Personen nicht erwiesen werden habe können, sei die 30‑jährige Verjährungsfrist nicht anzuwenden.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nachträglich zu.

[8] Auf die Frage der Verjährung komme es – entgegen der im ersten Rechtsgang vertretenen Ansicht – nicht an:

[9] Für einen Verstoß gegen die VO 715/2007/EG hafte nur der Fahrzeughersteller, also nach der RL 2007/46/EG jene Person oder Stelle, die gegenüber der Genehmigungsbehörde für alle Belange des Typengenehmigungsverfahrens und für die Sicherstellung der Übereinstimmung der Produktion verantwortlich sei. Da der von der Klägerin vorgelegte Datenauszug zu ihrem Fahrzeug die Beklagte nicht als Herstellerin in diesem Sinn ausweise, könne sie nicht wegen einer solchen Schutzgesetzverletzung in Anspruch genommen werden. Eine Haftung der Beklagten nach § 1295 Abs 2 und § 874 ABGB wegen vorsätzlicher (sittenwidriger) Schädigung scheitere an den dazu getroffenen Negativfeststellungen.

[10] Die Revision ließ das Berufungsgericht nachträglich zur Frage zu, ob auch dann von einer Eigenschaft der Beklagten als Fahrzeugherstellerin auszugehen sei, wenn eine solche zwar nicht bestritten worden sei, sich das Gegenteil aber aus einer unstrittigen Urkunde ergebe.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist mangels Darlegung einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

[12] 1. Die Klägerin bekämpft nur die Abweisung des Zahlungsbegehrens. Die abweisende Entscheidung über das Feststellungsbegehren erwuchs somit in Rechtskraft.

[13] 2. Zum Verstoß gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG :

[14] 2.1. Nach ständiger Judikatur kann der Käufer eines Fahrzeugs nur jene Person für einen (auch bloß fahrlässigen) Verstoß gegen diese Bestimmung in Anspruch nehmen, die im Typengenehmigungsverfahren als Hersteller auftrat und die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellte (RS0134616).

[15] 2.2. Dass das Berufungsgericht aufgrund des von der Klägerin selbst vorgelegten Datenauszugs, in dem nicht die Beklagte, sondern eine andere Person als Ausstellerin dieser Bescheinigung aufscheint, davon ausging, dass diese nicht wegen einer (Schutzgesetz-)Verletzung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch genommen werden könne, entspricht jenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, in denen dieser eine solche Haftung ausschloss, wenn die beklagte Partei im Datenauszug zum betreffenden Fahrzeug nicht als dessen Herstellerin ausgewiesen war (etwa 7 Ob 169/23p; 10 Ob 31/23s; 4 Ob 204/23p ua).

[16] 2.3. Die Revisionswerberin argumentiert, dass die Beklagte ihre Eigenschaft als Fahrzeugherstellerin zugestanden habe und dies im Widerspruch zur vom Berufungsgericht getroffenen „Feststellung“ stehe. Dem ist zu entgegnen, dass zugestandene Tatsachen zwar grundsätzlich der Entscheidung zugrunde zu legen sind (RS0040110; zum Zugeständnis der Herstellereigenschaft nach der RL 2007/46/EG vgl etwa 10 Ob 46/23x; 10 Ob 52/23d; 8 Ob 1/24s). Ein „Geständnis“ ist aber unbeachtlich, wenn sich dessen Unrichtigkeit eindeutig aus dem Akteninhalt (RS0107489) oder aus den Beweisergebnissen (RS0040085; insbesondere einer unstrittigen Urkunde: 1 Ob 587/93) ergibt. Der Richter darf nämlich nicht sehenden Auges auf einer falschen Grundlage entscheiden (10 Ob 21/03s; 1 Ob 121/17a).

[17] 2.4. Da die Beklagte nach dem von der Klägerin vorgelegten Datenauszug eindeutig nicht Herstellerin des Fahrzeugs bzw Ausstellerin der Übereinstimmungsbestätigung war, wäre ein – von der Klägerin behauptetes – Zugeständnis des Gegenteils daher nicht bindend. Ob ein solches im vorliegenden Fall überhaupt erfolgte, kann daher dahingestellt bleiben. Soweit die Klägerin in der Verneinung der Herstellereigenschaft eine unzulässige Überraschungsentscheidung und damit einen Mangel des Berufungsverfahrens sieht, führt sie nicht aus, welches Vorbringen sie im Fall der Erörterung in Bezug auf diese Anspruchsgrundlage erstattet hätte (RS0116273 [T1]; RS0037300 [T48]).

[18] 2.5. War die Beklagte nicht Fahrzeugherstellerin iSd RL 2007/46/EG , begegnet es aber keinen Bedenken, dass die zweite Instanz eine Haftung wegen einer Verletzung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verneinte.

[19] 3. Auf eine Haftung der Beklagten nach den §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB, die sie auch als bloße Motorenherstellerin treffen könnte (9 Ob 18/24y mwN), kommt die Revision nicht mehr konkret zurück (RS0043338 [insb T15, T17]).

[20] 4. Somit muss auch auf die Frage, ob die Klageansprüche allenfalls verjährt wären, nicht eingegangen werden (vgl dazu aber 4 Ob 29/24d ua).

[21] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41,  50 ZPO. Die Beklagte wies auf die Unzulässigkeit der Revision hin.

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