OGH 12Os87/15h

OGH12Os87/15h24.7.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Juli 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Abdulsamet Y***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 31 HR 6/15z des Landesgerichts Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 3. Juli 2015, AZ 11 Bs 170/15k, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00087.15H.0724.000

 

Spruch:

Abdulsamet Y***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Landesgericht Innsbruck verhängte mit Beschluss vom 22. Mai 2015 über Abdulsamet Y***** die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und 3 lit a und b StPO (ON 123) und setzte diese mit Beschluss vom 3. Juni 2015 (ON 165) fort. Mit Beschluss vom 19. Juni 2015 wies das Landesgericht Innsbruck einen Enthaftungsantrag des Beschuldigten ab und beschloss die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO (ON 197). Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Innsbruck der Beschwerde des Beschuldigten gegen den letztgenannten Beschluss nicht Folge und ordnete die Haftfortsetzung aus dem genannten Haftgrund an.

Dabei erachtete der Gerichtshof zweiter Instanz Abdulsamet Y***** dringend verdächtig, er habe im März 2014 und am 1. Mai 2015 „im Rahmen von zwei Schmuggelfahrten von Turin nach I***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren Beschuldigten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung Suchtmittel in einer die Grenzmenge um ein Vielfaches übersteigenden Menge, nämlich Cannabisprodukte im mehrfachen Kilogrammbereich, von Italien nach Österreich eingeführt und davon eine nicht näher feststellbare Menge an verschiedenen Suchtgiftabnehmer verkauft“. In rechtlicher Hinsicht nahm das Oberlandesgericht eine Qualifikation als „das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 und 2 Z 2 SMG“ vor.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten.

Mangels Geltendmachung in der Beschwerde von Amts wegen aufzugreifen ist (§ 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 281 Abs 1 Z 10 StPO), dass der angefochtene Beschluss keine ausreichenden Annahmen zur objektiven und zur subjektiven Tatseite enthält.

Setzt das Oberlandesgericht im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung (§ 87 Abs 1 StPO) die Untersuchungshaft fort, muss es selbst Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht treffen, welche die rechtliche Beurteilung, ob durch die solcherart als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen ‑ objektiv wie subjektiv ‑ eine hafttragende strafbare Handlung begründet wird, ermöglichen (RIS‑Justiz RS0120817 [T7]). Diesem Erfordernis wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.

Mit der Bezeichnung „Suchtmittel in einer die Grenzmenge um ein Vielfaches übersteigenden Menge, nämlich Cannabisprodukte im mehrfachen Kilogrammbereich“ (BS 2) bzw „Schmuggelfahrten mit erheblichen Suchtgiftmengen (zumindest jeweils 5 Kilogramm)“ (BS 3) werden nämlich keine ausreichenden Annahmen zum Reinheitsgehalt der gegenständlichen Menge an Suchtgift getroffen. Aufgrund des Fehlens von Annahmen zum Wirkstoffgehalt kann nicht beurteilt werden, ob sich die dringende Verdachtslage auf eine die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigende Menge von mehr als 20 Gramm Delta‑9‑THC oder 40 Gramm THCA bezog (vgl RIS‑Justiz RS0111350). Indem der bekämpfte Beschluss sich zum Vorsatz auf die Annahme beschränkt, dass der Beschuldigte „im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren Beschuldigten“ handelte, werden keine ausreichenden Annahmen zur subjektiven Tatseite getroffen. Weiters sei darauf hingewiesen, dass die Einfuhr oder der Verkauf zweier die Grenzmenge (§ 28b SMG) nicht für sich allein, sondern erst in Summe erreichender Teilmengen nach ständiger Judikatur (RIS‑Justiz RS0112225) nur dann (nicht bloß § 27 Abs 1 Z 1 fünfter und achter Fall SMG, sondern) § 28a Abs 1 zweiter und fünfter Fall SMG zu subsumieren ist, wenn die kontinuierliche Begehung und der daran geknüpfte Additionseffekt von vornherein vom Willen des Beschuldigten (§ 5 Abs 1 StGB) umfasst waren. Auch diesbezüglich ist der angefochtenen Entscheidung nichts zu entnehmen.

Die Annahme der Begehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung bleibt (mit dem bloßen Hinweis auf „Art und Anzahl der Schmuggelfahrten“; BS 3) ohne Sachverhaltsbezug (vgl RIS-Justiz RS0119090).

Bleibt anzumerken, dass zwischen § 28a Abs 1 zweiter Fall SMG (Einfuhr) und § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (Überlassen) echte Konkurrenz besteht (RIS‑Justiz RS0111410). Die Annahme bloß eines Verbrechens nach „§ 28a Abs 1 und Abs 2 Z 2 SMG“ bleibt aber auch in Hinblick auf die Annahme, dass die Grenzmenge um ein Vielfaches überschritten wurde, nicht nachvollziehbar (vgl RIS‑Justiz RS0128234, RS0112225).

In seiner Grundrechtsbeschwerde bringt der Beschuldigte vor, das Oberlandesgericht hätte ihm die freiwillige Unterwerfung und eine gesundheitsbezogene Maßnahme als gelinderes Mittel willkürlich verwehrt. Damit ist der Beschwerdeführer im Recht. Das Beschwerdegericht führt nämlich mit der Begründung, wonach bei der vorliegenden Bestätigung einer stationären Therapieplatzzusage die Kostenübernahme sowie der Abschluss des körperlichen Entzugs ungeklärt blieben, keine taugliche Begründung für die Annahme an, dass der Haftzweck nicht durch gelindere Mittel erreicht werden könnte (§ 173 Abs 4 und Abs 5 Z 9 StPO). Insbesondere hat der Gerichtshof zweiter Instanz ‑ worauf die Beschwerde hinweist ‑ bei der Frage der Kostentragung die Bestimmung des § 41 Abs 1 SMG nicht beachtet.

Die angeführten Defizite der angefochtenen Entscheidung erfordern die unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen, nicht jedoch die Aufhebung des Beschlusses (§ 7 Abs 1 GRBG; RIS‑Justiz RS0119858).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.

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