AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:L518.2174728.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Kindesmutter XXXX , alle StA. ASERBAIDSCHAN, alle vertreten durch RA Mag. Kurt JELINEK, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.09.2017, Zl. XXXX , Zl. XXXX und Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.10.2021 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe :
I. Verfahrensgang
I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als „bP1“ bis „bP3“ bezeichnet), sind Staatsangehörige der Republik Aserbaidschan und brachten nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 06.08.2016 bei der belangten Behörde (in weiterer Folge „bB“) Anträge auf internationalen Schutz ein.
Die männliche bP1 und die weibliche bP2 sind Ehegatten und Eltern der minderjährigen bP 3.
Durchgeführte Eurodac - Abfragen ergaben keinen Treffer. Aufgrund einer Abfrage in der Visa Datenbank konnte das Vorliegen ungarischer Schengen Visa C, gültig von XXXX .2016 festgestellt werden. Hierauf führte die bB auf die Dublin III VO gestützte Konsultationen mit Ungarn. Nach Zustimmung durch Ungarn wurden die Anträge der bP gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen. Nach Ablauf der Überstellungsfrist wurden die Entscheidungen durch das BVwG gemäß § 21 Abs. 3 AsylG behoben.
I.2.1. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte die bP 1 im Wesentlichen Folgendes vor:
11. Warum haben Sie ihr Land verlassen (Fluchtgrund):
(Die Befragung hat sich gem. § 19 Absatz 1 AsylG 2005 nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen, ist aber durch den AW in eigenen Worten abschließend zu beantworten. In einer Darstellung von ca ½ Seite sollten die 6W (Wer, Wann, Was, Wo, Wie, Wieso) abgedeckt sein)
Ich habe viele Schulden und ich hab Angst, getötet zu werden.
11.1. Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?
Sie könnten mich töten.
I.2.2. Vor der belangten Behörde brachte die bP 1 zum Fluchtgrund im Wesentlichen Folgendes vor:
Der Leiter der Amtshandlung weist auf folgende Punkte hin:
Sie sind verpflichtet, im Asylverfahren die Wahrheit zu sagen, nichts zu verschweigen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte selbständig und über Nachfrage wahrheitsgemäß dazulegen.
Sie werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wahrheitswidrige Aussagen eine strafrechtliche Verfolgung gem. § 119 FPG oder eine verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung gem. § 120 FPG nach sich ziehen kann. Die Vorlage von falschen oder verfälschten Urkunden würde jedenfalls eine strafrechtliche Verfolgung gem. § 223 StGB nach sich ziehen. Darüber hinaus kann eine falsche Aussage in der Glaubwürdigkeitsprüfung zu Ihrem Nachteil gewertet werden. (Die Übertretung des § 119 FPG ist mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren bedroht, die Übertretung nach § 223 StGB ist mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bedroht.)
Sie haben das Recht, einen Rechtsberater und eine Rückkehrberatung in Anspruch zu nehmen.
Sie werden des Weiteren darauf hingewiesen, dass Sie der Behörde, ihren jeweiligen Aufenthaltsort und Ihre Anschrift bekanntzugeben haben. Bei einer Änderung Ihres Wohnsitzes (Übersiedelung) haben Sie sich binnen 3 Tagen beim örtlich zuständigen Meldeamt umzumelden. Die Unterlassung der Meldung stellt eine Verwaltungsübertretung gem. § 22 Meldegesetz dar.
Es wird ihnen weiter mitgeteilt, dass der anwesende Dolmetscher gemäß § 52 Abs 4 AVG bestellt und beeidet wurde.
LA: Diese Einvernahme wird in Russisch durchgeführt. Sie gaben an, Russisch zu sprechen. Sie werden darauf aufmerksam gemacht, dass Sie im Falle von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit beim Dolmetscher rückfragen können. Ist das in Ihrem Sinne oder haben Sie irgendwelche begründbare Bedenken gegen der anwesenden Dolmetscherin oder den Sie einvernehmenden Beamten des Bundesamtes?
VP: Ich bin einverstanden und habe keinerlei Bedenken bezüglich des LA und der Dolmetscherin.
LA: Verstehen Sie diese Dolmetscherin einwandfrei?
VP: Ja.
LA: Frage an die Dolmetscherin: Wie verstehen Sie den Asylwerber?
DM: Ich verstehe ihn gut.
LA: Besitzen Sie Dokumente, die Ihre Person bestätigen können, oder können Sie solche beschaffen?
VP: Ja, ich lege die Geburtsurkunde meines Sohnes XXXX , meine Heiratsurkunde und eine Kopie des Impfpasses meines Sohnes vor, sonst habe ich nichts vorzulegen.
LA: Haben Sie außerdem Dokumente vorzulegen?
VP: Nein.
LA: Wo befindet sich Ihr Reisepass?
VP: Wir mussten unsere Pässe abgeben, als wir in Moskau waren. Es wurde uns gesagt, dass wir unsere Pässe nicht mehr brauchen. Wir wurden mit einem Lastwagen über die Grenze nach Polen gebracht. Wir waren auf der Ladefläche.
Anmerkung: Die vorgelegten Dokumente wurden kopiert, die Originale dem Asylwerber zurückgestellt.
LA: Wann haben Sie ein Visum bekommen?
VP: In BAKU wurde uns ein Visum im Juli 2016 ausgestellt. (Ungarische Botschaft).
LA: War das ein „SCHENGEN – Visum“?
VP: Ich weiß es nicht, ich kenne mich mit Sichtvermerken nicht aus.
Anmerkung:
Im Zuge der Einvernahme wurde eine Abfrage der VISA – Datenbank getätigt. Dem Abfrageergebnis entsprechend wurde XXXX .2016 sowohl für den Asylwerber, als auch für seine Gattin ein Schengen – Visum „C“ – gültig von XXXX „T O U R I S M U S“ ausgestellt. Der Asylwerber bestätigt, als er mit dem Abfrageergebnis konfrontiert wurde die Richtigkeit dieses Ergebnisses.
LA: Bei dieser Einvernahme handelt es sich um eine Fortsetzung der bis jetzt durchgeführten Befragungen. Es geht jetzt vorwiegend um die Darstellung Ihres Fluchtgrundes. Halten Sie Ihre bei früheren Einvernahmen getätigten Aussagen aufrecht?
VP: Ja.
Anmerkung: Am Kasten steht ein Krug mit Wasser, wenn Sie etwas trinken möchten, sagen Sie es bitte.
LA: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der gegenständlichen Einvernahme zu folgen?
VP: Ja.
LA: Wie geht es Ihnen? Leiden oder litten Sie an irgendwelchen gesundheitlichen Problemen, gibt es bestehende Krankheiten oder benötigen Sie aktuell bestimmte medizinische Betreuung oder Medikamente?
VP: Mir geht es gut. Ich bin gesund und benötige keine Medikamente.
LA: Wie geht es Ihren Angehörigen(Gattin und Sohn)?
VP: Ihnen geht es auch gut.
LA: Nehmen Sie Drogen oder Drogenersatzstoffe?
VP: Nein.
LA: Werden Sie anwaltlich vertreten?
VP: Nein.
LA: Ist Ihnen bewusst, dass es bei der gegenständlichen Einvernahme um die Behandlung Ihres Antrages auf internationalen Schutz geht?
VP: Ja.
LA: Ihre Angaben im Asylverfahren werden vertraulich behandelt und keinesfalls an die Behörden ihres Heimatlandes oder an andere Personen ohne Ihre Zustimmung weitergeleitet. Ist ihnen diese Vertraulichkeit bewusst?
VP: Ja.
LA: Haben Sie im Verfahren bis jetzt, also in der Niederschrift mit der Polizei bei der Erstbefragung immer der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht?
VP: Ja.
LA: Wurde Ihnen diese Einvernahme richtig rückübersetzt und wurde alles korrekt protokolliert?
VP: Ja.
LA: Wo in Aserbaidschan sind Sie geboren und wo haben Sie sich aufgehalten?
VP: Ich wurde in XXXX geboren, das liegt etwa 280 km südlich der Hauptstadt BAKU. In XXXX habe ich mich mit meiner Familie bis zu meiner Ausreise aufgehalten. Nur von 2000 bis 2001 war ich in Russland. Ich war dort beruflich. Meine Gattin wurde auch in XXXX geboren. Mein Sohn wurde in BAKU geboren.
Anmerkung: Der LA lässt sich den Geburtsort vom AW auf einer Google – Maps – Karte zeigen.
LA: Hatte Ihr Sohn einen eigenen Reisepass?
VP: Nein.
LA: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie?
VP: Aserbaidschan.
LA: Welche Staatsangehörigkeit haben Ihre Eltern?
VP: Aserbaidschan.
LA: Von wo sind Sie aus Aserbaidschan ausgereist?
VP: Wir reisten am XXXX von XXXX aus.
LA: Wie ist ihr Familienstand?
VP: Verheiratet.
LA: Wann wurde Ihre Ehe geschlossen, gibt es Dokumente?
VP: Am XXXX .2001. Das war die amtliche Eheschließung. Die traditionelle Feier fand am 09.02.2002 statt.
Anmerkung:
Der AW legte am Beginn seiner EV seine Heiratsurkunde vor.
Ehefrau: XXXX
Sohn: XXXX
Anmerkung:
Für die genannten Familienmitglieder werden parallel Asylverfahren geführt.
LA: Sind Sie damit einverstanden, dass für Ihren minderjährigen Sohn XXXX sein Asylverfahren mit Ihrem mitgeführt wird?
VP: Ja.
LA: Hat Ihr minderjähriger Sohn XXXX eigene, von Ihren abweichende Ausreisegründe, oder bezieht sich Ihr Ausreisegrund auf Ihren Sohn?
VP: Er hat keine eigenen Ausreisegründe und ich möchte, dass für ihn sein Asylverfahren mit meinem mitgeführt wird.
LA: Geben Sie Ihre Familienangehörigen in Aserbaidschan bekannt:
VP:
….
LA: Sind Sie sonst irgendwem gegenüber sorge- bzw. unterhaltspflichtig?
VP: Nein.
LA: Von was bestritten Sie die letzten Jahre Ihren Lebensunterhalt?
VP: Ich hatte ein eigenes Geschäft. Ich züchtete Geflügel und habe es 2015 verkauft. Danach arbeitete ich als Händler für Geflügel.
LA: Gibt es Angehörige in Österreich?
VP: Nein. In Österreich befinden sich nur meine Gattin und mein Sohn, welche gemeinsam mit mir hergekommen sind.
LA: Warum kommen Sie gerade nach Österreich?
VP: Ich habe im Internet nachgeschaut und habe festgestellt, dass Österreich ein Rechtsstaat ist und die Menschenrechte akzeptiert werden.
LA: Zu wem in Ihrer Familie besteht Kontakt?
VP: Ich habe dreimal mit meinen Eltern und mit meiner Schwiegermutter telefoniert. Wir nutzten „Whats Up“.
LA: Wie halten Sie diesen Kontakt?
VP: Soziale Medien.
LA: Wann war der letzte Kontakt?
VP: Vor zwei Monaten.
LA: Wann traten Sie Ihre Reise an und von wo aus traten Sie die Reise an?
VP: Am XXXX 2016 von XXXX aus. Wir reisten nach BAKU. Von BAKU nach MOSKAU, Russland. Von dort reisten wir weiter über die Ukraine nach Ungarn oder die Slowakei nach Österreich, genauer nach Salzburg, wo wir dann die Asylanträge stellten.
LA: Wer arrangierte Ihre Ausreise aus Aserbaidschan?
VP: In Moskau wendete ich mich an einen Schlepper. Dieser organisierte meine Reise bis nach Österreich.
LA: Wie viel haben Sie für die Reise bezahlt?
VP: $ 5.000.-
LA: Woher hatten Sie dieses Geld?
VP: Wir bekamen das Geld von meiner Schwiegermutter.
LA: Warum gaben Sie bei Ihrer EB den Betrag von $ 8.000.- an?
VP: Man wollte für die Visa $ 7.500.- Ich habe dann jemanden gefunden, wer uns für $ 5.000.- nach Österreich brachte.
LA: Bedeutet das, dass Sie niemals Gebrauch Ihres Visums machten?
VP: Ja, das ist so.
LA: Wer motivierte Sie zu Ihrer Reise nach Österreich?
VP: Ich selber.
LA: Welcher Religion gehören Sie an?
VP: Islam – Schiit.
LA: Wurden Sie aus Gründen ihrer Religion verfolgt?
VP: Nein.
LA: Gab es in Aserbaidschan jemals eine Verfolgung Ihrer Person aufgrund Ihrer Nationalität?
VP: Nein.
LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?
VP: Talyschen. Der AW beschreibt seine Volksgruppe und gibt an, dass diese schiitischen Glaubens ist und an der Grenze zum Iran beheimatet ist.
LA: Gab es in Aserbaidschan jemals eine Verfolgung Ihrer Person aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?
VP: Nein.
LA: Gab es in Aserbaidschan jemals eine Verfolgung Ihrer Person aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?
VP: Nein.
Nach den allgemeinen Fragen zu Ihrer Reise und Ihren persönlichen Umständen werde ich Sie nun zu Ihrem Fluchtgrund befragen.
LA: Was waren alle Ihre konkreten, die genauen und zeitlich aktuellen Gründe, dass Sie Aserbaidschan verlassen mussten und Sie nicht zurück nach Aserbaidschan können, erzählen Sie bitte?
VP:
Beginn der freien Erzählung:
Mein Leben und das Leben meiner Familienmitglieder sind in Aserbaidschan in Gefahr. Der Grund ist, dass ich Probleme mit der Mafia hatte. Ich wurde zweimal geschlagen und ich wurde telefonisch bedroht. Sie haben zu mir gesagt, dass sie mein Kind entführen möchten oder etwas mit meiner Frau anstellen wollen. Am 01.06.2016 ging meine Frau mit meinem Sohn in einen Park. Man hat versucht, meine Frau und mein Kind mit einem Auto zu überfahren. Ich weiß nicht, ob es Absicht war, sie zu töten oder nur gemacht wurde, um uns einzuschüchtern. Wir hatten schlimme Angst um das Leben unseres Kindes. Deswegen habe ich organisiert, dass mein Kind und meine Frau jedes Mal in die Schule gebracht und von dort wieder abgeholt wurden, um es zu schützen. Am 01.06.2016 habe ich schon entschieden, dass ich meine Familie durch eine Flucht aus Aserbaidschan retten möchte. Das sind meine Fluchtgründe.
Ende der freien Erzählung.
LA: Beschreiben Sie diese „Mafia“:
VP: Das sind die sogenannten gesetzlichen Diebe. Sie haben eigene Gesetze. Es waren vier bis fünf Männer, welche mich zweimal geschlagen haben.
LA: Warum hat es diese Bande auf Sie abgesehen?
VP: Ich habe 2014, um mein Geschäft zu erweitern, von einer Privatperson Geld ausgeliehen. Die Höhe des Betrages belief sich auf umgerechnet $ 17.000.- Er investierte in mein Geflügelunternehmen diesen Betrag. Ich musste monatlich den Betrag von $ 500.- an meinen Darlehensgeber zahle. Die offene Darlehenssumme blieb unverändert. Zuerst war es mir möglich, diese $ 500.- zu bezahlen. Dann wurde das Geflügel falsch geimpft und ca. 60 bis 70% meines Geflügelbestandes verendeten. Mir wurde auch meine Genehmigung als selbstständiger Betreiber entzogen. Dazu kam auch die Inflation. Ab Dezember 2015 war es mir dann nicht mehr möglich, diese $ 500.- zu bezahlen. Der Darlehensgeber hat die Summe von $ 17.000.- auf $ 30.000.- erhöht. Als Grund gab er die Inflation an. Er wendete sich an diese Bande, von welcher ich bedroht werde.
LA: Warum haben Sie das Geld nicht bei einer Bank geliehen?
VP: Bei der Bank müsste ich etwa 30% Zinsen zahlen, bei dieser Privatperson wurde vereinbart, dass der Darlehensbetrag von $ 17.000.- offen bleibt, ich aber monatlich den Betrag von $ 500.- zahlen muss.
LA: War Ihr „Darlehensgeber“ sozusagen ein Teilhaber Ihres Betriebes?
VP: Ja.
LA: Für was wurden diese $ 17.000.- verwendet?
VP: Ich kaufte Futter für Geflügel, auch erhöhte ich den Viehbestand.
LA: War Ihr Betrieb versichert?
VP: Nein.
LA: Können Sie diese Situation im Nachhinein als unternehmerische Fehlinvestition beschreiben?
VP: Nein, ich vermute, dass die Fehlimpfung meines Geflügelbestandes von meinen Konkurrenten initiiert wurde.
LA: Haben Sie sich mit Ihren Geldgeber nicht konstruktiv und einvernehmlich einigen können?
VP: Ich habe es versucht, er wollte aber nicht mit mir sprechen.
LA: Gibt es schriftliche Unterlagen bezüglich Ihrer Geschäfte?
VP: Nein.
LA: Wurden diese Vereinbarungen ausschließlich mündlich getroffen?
VP: Ja.
LA: Was wäre gewesen, wenn Sie Ihren Betrieb nicht vergrößert hätten, sondern normal weiter gearbeitet hätten?
VP: Das kann man nicht wissen, man steht im Wettbewerb.
LA: Beschränkt sich Ihre Angst ausschließlich auf diese Bande?
VP: Ja.
LA: Haben Sie sich, um Schutz zu erhalten, an die Polizei gewandt?
VP: Die Polizei gesagt, dass „sie schauen“ werden, aber diese Bande hat wahrscheinlich der Polizei auch Geld gegeben, sie sozusagen bestochen. Die Polizei sagte, dass ich diese Summe bezahlen muss.
LA: Kennen Sie die Inflation in Aserbaidschan?
VP: Nicht so gut.
Anmerkung:
Laut einer im Zuge der Einvernahme durchgeführten Recherche betrug die Inflation in Aserbaidschan im Jahr 2014 auf 1,35%, diese stieg bis Dezember 2016 auf 12,4% und liegt aktuell bei etwa 10%. Demzufolge lag die Inflation im Mai 2016 etwa bei 7 % (unbestätigte Information).
LA: Ich bin mit den Fragen zu den Fluchtgründen soweit fertig. Wollen Sie dazu noch etwas sagen? Haben Sie alle Ihre Gründe geltend gemacht? Hatten Sie genug Zeit und Möglichkeit, alle Ihre Gründe geltend zu machen?
VP: Ja. Ich konnte alles schildern.
LA: Sie leben in einer betreuten Unterkunft in XXXX . Stimmt das?
VP: Ja.
LA: Haben Sie außerhalb der Betreuungsstelle bereits soziale Kontakte zur österreichischen Gesellschaft?
VP: Nein.
LA: Betätigen Sie sich bei karitativen Organisationen oder anderen Vereinen?
VP: Nein.
LA: Sprechen Sie Deutsch?
VP: Ein bisschen.
LA: Stellen Sie sich kurz auf Deutsch vor:
VP: Ich komme aus Aserbaidschan. Ich bin ein Jahr in Österreich. Ich nicht arbeiten. Ein Kind, neun Jahre.
LA: Haben Sie in Österreich schon einmal Probleme mit Behörden, Polizei, Gericht oder anderen Institutionen gehabt?
VP: Nein.
LA: Wurden Sie schon einmal strafgerichtlich verfolgt bzw. verurteilt? Hatten Sie Probleme mit Verwaltungsbehörden aufgrund schwerer Verwaltungsstraftaten?
VP: Nein.
LA: Haben Sie sich jemals in oder außerhalb von Aserbaidschan politisch betätigt, gehören Sie irgendeiner politischen Organisation oder Partei an?
VP: Nein.
LA: Hat sich jemand in Ihrer Familie politisch engagiert?
VP: Nein.
LA: Möchten Sie zu den von Ihnen im Zuge der Befragung gemachten Angaben, insbesondere zu ihrer Person, Ihrem Reiseweg oder betreffend vorhandener Dokumente, Fluchtgrund etwas berichtigen, ergänzen oder hinzufügen? Sie werden nochmals darauf hingewiesen, dass Ihre Angaben die Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren sind und dass hervorkommende Widersprüche, Abweichungen von bereits getätigten Angaben oder sonstige Tatsachenabweichungen ihre Glaubwürdigkeit maßgeblich beeinflussen.
VP: Ich konnte alles schildern.
LA: Ich beende somit die Einvernahme.
I.2.3. bP2 – bP3 beriefen sich auf die Gründe der bP1 und auf den gemeinsamen Familienverband.
Vorgelegt vor dem BFA wurde von den bP:
Kopie der Geburtsurkunde der bP 3 Sohnes
Kopie der Heiratsurkunde
Kopie des Impfpasses der P 3
I.3. Die Anträge der bP auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheiden der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Aserbaidschan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen gewährt.
In Bezug auf sämtliche bP wurde ein im Spruch inhaltlich gleichlautender Bescheid erlassen, weshalb sich aus dem Titel des Familienverfahrens gem. § 34 AsylG ebenfalls kein anderslautender Bescheid ergab.
I.3.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der bP in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft und führte hierzu Folgendes aus (Wiedergabe aus dem angefochtenen Bescheid in Bezug auf bP1) :
Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person:
Sie legten keinerlei Identifikationsdokumente vor und behaupten, dass die Reisepässe Ihrer Familie in MOSKAU, Russland von einem Schlepper abgenommen wurden. Durch Ihre korrekte Angabe Ihres Namens und Ihres Geburtsdatums konnten jedoch in der Visa – Datenbank entsprechende Eintragungen gefunden werden. Sowohl Ihnen, als auch Ihrer Frau wurden von der ungarischen Botschaft in der Hauptstadt von Aserbaidschan BAKU Sichtvermerke des Typs „C“, welche vom XXXX .2016 gültig waren, ausgestellt. Aufgrund dieses Abfrageergebnisses konnte festgestellt werden, dass Sie im Besitz eines Reisepasses waren, bzw. sind. Dieser Reisepass hat die Nummer XXXX und wurde Ihnen am XXXX in XXXX ausgestellt. Aus diesem Grund geht das Bundesamt davon aus, dass Ihre Identität feststeht.
Bezüglich Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit wurden Sie im Zuge Ihrer Einvernahme befragt. Sie gaben an, der Volksgruppe der „Talyschen“ anzugehören und schilderten, dass Angehörige der Talyschen muslimisch-schiitischen Glaubens und vorwiegend im Grenzgebiet zum Iran beheimatet wären. Durch Ihre diesbezüglichen Angaben und der Bestätigung durch das Abfrageergebnis der Visa – Datenbank „CIVIS“ konnten Sie glaubhaft machen, dass Sie die Staatsbürgerschaft von Aserbaidschan besitzen, von Ihrer Religion her ein schiitischer Muslim wären und sich in der Stadt XXXX aufgehalten haben.
Die Feststellung Ihrer Einreise erfolgte aufgrund Ihrer diesbezüglichen Angaben bei der Erstbefragung am 07.08.2016, sowie Ihren Schilderungen bei Ihrer Einvernahme am 01.09.2017. Da Sie gemeinsam mit Ihrer Gattin und Ihrem Sohn in Österreich Asylanträge gestellt hatten, wurden Sie im Zuge Ihrer Einvernahme gefragt, ob Sie damit einverstanden sind, dass die Asylverfahren Ihrer Angehörigen gemeinsam mit Ihrem Verfahren geführt werden sollen. Sie erklärten sich einverstanden und gaben zu Protokoll, dass für Ihren Sohn und Ihre Gattin keine eigenen Ausreisegründe vorgebracht werden.
Sie leiden gemäß Ihren Angaben vom 01.09.2017 an keinerlei Krankheiten und sind auch nicht auf die Einnahme bestimmter Medikamente angewiesen. Das Bundesamt geht somit davon aus, dass Sie gesund sind. Auch wurden Sie bezüglich des Gesundheitszustandes Ihrer Angehörigen befragt. Ihre Ehefrau und Ihr Sohn wären auch gesund und nicht auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen.
Die Feststellung Ihrer strafgerichtlichen Unbescholtenheit in Österreich basiert auf einer Abfrage des Strafregisters vom 18.09.2017.
Sie bestätigten bei Ihrer Einvernahme, dass Sie im Bundesgebiet der Republik Österreich, abgesehen von Ihren Familienangehörigen, welche mit Ihnen gemeinsam einreisten, keinerlei nahe Angehörige oder Blutsverwandte haben.
Sowohl Ihre Eltern, als auch Ihre Geschwister halten sich in XXXX , Aserbaidschan auf.
Ihre Aufenthaltsberechtigungskarte weiß gem. §51 AsylG wurde am 02.06.2017 erstellt und Ihnen nachweislich zugestellt.Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:
Sie haben in Bezug auf Ihren Ausreisegrund bei Ihrer Erstbefragung geltend gemacht, dass Sie in Aserbaidschan Schulden hätten und befürchten würden, getötet zu werden. Dieses Vorbringen wird der nachfolgenden Beweiswürdigung zugrunde gelegt, andere Fluchtgründe haben Sie über ausdrückliches Nachfragen nicht geltend gemacht.
Vorab sah sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl veranlasst, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Sie unabhängig Ihres Fluchtvorbringens von potenzieller „vulnerability“ betroffen sind. Dies ist in Zusammenschau mit Ihrem Alter und Ihrem Gesundheitszustand zu verneinen.
Die von Ihnen zu Protokoll gegebenen personsbezogenen Daten sowie Lebensgeschichte bieten keine Hinweise auf das Vorliegen einer individuell besonders herausragenden Stellung Ihrer Person innerhalb der Gesellschaft Aserbaidschans, etwa durch Geburt, sozialer Stellung, religiösen Fachwissens, etc. Das bedeutet in Verbindung mit Ihrem unbedenklichen Gesundheitszustand und Kenntnis der Amts-/Landessprache auf Muttersprachenniveau im Grundsätzlichen, dass eine neuerliche gesellschaftliche Sozialisation Ihrer Person in Aserbaidschan Platz greifen kann. In diesem Zusammenhang wird darauf hinzuweisen sein, dass Sie hier in Österreich über keinerlei sonstiges familiäres Umfeld verfügen und dazu noch mit kulturellen, sprachlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen konfrontiert sind, die Ihnen völlig fremd sein müssen. Wenn man dann noch bedenkt, dass Sie über mehrere Länder bis nach Europa bzw. Österreich reisen konnten - und dies ohne Sprachkenntnisse oder sonst irgendeine verwandtschaftliche Unterstützung - dann wird man wohl davon ausgehen müssen, dass Sie mangels Anzeichen beachtenswerter psychischer/physischer Problemstellungen im Grundsätzlichen nicht einer besonderen Schutzwürdigkeit bedürfen und eine Rückkehr nach Aserbaidschan, d.h. in eine Ihnen soziokulturell und sprachlich vertraute Umgebung, zumutbar ist.
Bei Ihrer Erstbefragung am 07.08.2016 gaben Sie an, dass Sie in Ihrem Herkunftsland Aserbaidschan Schulden hätten und Angst hätten, deshalb getötet zu werden. Sie wären gemeinsam mit Ihrer Ehefrau und Ihren Sohn schleppergestützt bis nach Österreich gereist und hätten am 06.08.2016 nach Ihrer Einreise in XXXX einen Asylantrag gestellt.
Nachdem das Bundesverwaltungsgericht am 18.05.2017 den Bescheid vom 13.12.2016 „behoben“ hat, musste Ihr Asylantrag in Österreich inhaltlich geprüft werden. Aus diesem Grund wurden Sie für den 01.09.2017 zur Einvernahme vor das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geladen.
Bei Ihrer Einvernahme wurde noch bevor Sie zu Ihren eigentlichen Ausreisegründen befragt wurden, auf Ihre persönlichen Umstände eingegangen. Sie legten eine Geburtsurkunde Ihres minderjährigen Sohnes XXXX , Ihre Heiratsurkunde und eine Kopie des Impfpasses Ihres Sohnes vor. Bezüglich Ihrer Reisedokumente wurden Sie auch befragt. Sie gaben an, dass Sie die Reisepässe für Ihre Familie einen Schlepper in MOSKAU, Russland gegeben hätten und dieser Ihnen versichert hätte, dass Sie diese nicht mehr benötigten. Eine Visa – Abfrage brachte das Ergebnis, dass sowohl Ihnen, als auch Ihrer Gattin ein „SCHENGEN – VISUM „C“ von der ungarischen Botschaft in BAKU ausgestellt wurde. Sie bestätigten, dass Ihnen diese Sichtvermerke ausgestellt wurden.
Befragt zu Ihrem Lebenslauf gaben Sie an, dass Sie in XXXX geboren wurden und in der Familie des pensionierten Lehrers XXXX Agar und dessen Ehefrau XXXX aufgewachsen sind. Sie hätten in XXXX Ihre Schule absolviert und hätten dann einen eigenen Geflügelzucht - Betrieb geleitet. Mit den Einkünften Ihrer Firma hätten Sie sich und Ihre Familie versorgen können.
Bei Ihrer „Freien Erzählung“ bekamen Sie ausreichend Zeit, Ihre Ausreisegründe zu schildern. Sie gaben an, dass das Leben Ihrer Familienmitglieder in Aserbaidschan in Gefahr wäre und Sie von einer Bande, Sie bezeichnen diese Bande als „Mafia“, geschlagen und telefonisch bedroht wurden. Angehörige dieser Bande hätten Ihnen gegenüber geäußert, dass beabsichtigt wird, Ihren Sohn zu entführen und Ihrer Frau etwas anzutun. Auch gaben Sie an, dass am XXXX 2016 in einem Park versucht worden wäre, Ihren Sohn mit einem Auto zu überfahren, Sie würden aber nicht wissen, ob diese Aktion „vorsätzlich“ inszeniert wurde. Sie hätten aus Angst um Ihren Sohn diesen jedes Mal mit Ihrem Auto zur Schule gefahren und ihn auch wieder abgeholt.
Genauer befragt, warum es diese Bande auf Sie abgesehen hätte, gaben Sie an, dass Sie im Jahr 2014 vorhatten, Ihren Geflügelzucht-Betrieb zu erweitern. Sie hätten bei einer Privatperson den Betrag von umgerechnet € 17.000.- geliehen und hätten mit diesem Geldgeber vereinbart, monatlich den Betrag von umgerechnet € 500.- zurück zu zahlen. Sie schilderten, dass es Ihnen anfangs möglich war, Ihre monatlichen Zahlungen zu leisten, dann wäre Ihr Viehbestand, das „Geflügel“ falsch geimpft worden. Ihr Geflügelbestand wäre größtenteils verendet, dazu wäre Ihnen seitens des Staates Ihre Gewerbeberechtigung entzogen worden. Auch sprachen Sie an, dass die Inflation dazu beigetragen hätte, dass von dieser Privatperson der Betrag von umgerechnet € 30.000.- eingefordert worden wäre. Diese Privatperson hätte sich an diese Bande gewandt, damit diese von Ihnen den offenen Darlehensbetrag einfordert. Genau von dieser Bande hätten Sie Angst.
Auf die Frage, warum Sie das Geld nicht regulär bei einer Bank geliehen hätten, gaben Sie die Konditionen an. Die Zinsbelastung bei einem Bankkredit hätte sich gem. Ihren Angaben auf 30% der Darlehenssumme belaufen. Aus diesem Grund hätten Sie das Geld von einer Privatperson geliehen und gaben sogar an, dass diese Privatperson ein Teilhaber Ihres Betriebes wurde.
Auch gaben Sie an, dass Sie mit dem aufgenommenen Geld Ihren Betrieb erweiterten, sozusagen den Geflügelbestand vergrößerten und Futtermittel anschafften. Sie hätten Ihren Betrieb jedoch nicht versichert. Die Frage, ob es sich bei dieser Investition nachträglich um eine „Fehlentscheidung“ handeln würde, wurde Ihrerseits verneint. Sie würden vermuten, dass diese „Fehlimpfung Ihres Geflügelbestandes“ von einem Konkurrenten initiiert worden wäre, könnten dies jedoch nicht beweisen. Auch würden Sie vermuten, dass diese Bande die Polizeibehörden bestochen hätten, damit Sie von diesen vertröstet werden. Auf die Frage, ob Sie sich an die Polizei gewendet hätten, gaben Sie nämlich an, dass Ihnen gegenüber nur gesagt wurde, dass der Sache nachgegangen wird, die Polizei sozusagen „schauen wird“.
Schriftliche Unterlagen bezüglich Ihrer Betriebserweiterung würden nicht bestehen, Sie gaben an, dass sämtliche Einzelheiten ausschließlich mündlich vereinbart wurden.
Wenn man sich mit dem Thema „Glaubwürdigkeit“ beschäftigt, muss festgestellt werden, dass Sie Ihr Vorbringen massiv übertrieben darstellten: Sie gaben beispielsweise an, dass sich Ihre Darlehenssumme von umgerechnet € 17.000.- auf € 30.000.- inflationsbedingt erhöht hätte. Die prozentuelle Inflation belief sich jedoch auf maximal 13 %, im Beobachtungszeitraum (2014 bis 2016).
Nicht nachvollziehbar ist auch, warum bei einer Privatperson das Darlehen aufgenommen wurde. Aufgabe der Banken ist es auch in Aserbaidschan, die heimische Wirtschaft zu stärken und somit heimische Betriebe mit geeigneten und leistbaren Konditionen zu unterstützen. Auch scheint Ihre Angabe von 30% Kreditzinsen pro Jahr „aus der Luft gegriffen“. Wenn man dann noch bewertet, dass Ihr Betrieb nicht einmal versichert wurde, ist darauf zu schließen, dass Sie nicht in der Lage sind, ein Unternehmen wie diese Geflügelzucht zu führen. Zusammengefasst ist selbst für einen Laien erkennbar, dass bei der Führung dieses Betriebes massive Fehler (unternehmerische Entscheidungen) begangen wurden.
Zusammengefasst wird festgestellt, dass Ihre geschilderten Bedrohungshandlungen von einer Privatperson und jener von dieser Privatperson beauftragten „Bande“ ausgehen. Zudem schilderten Sie keinerlei Bedrohungshandlung gegen jene in XXXX aufhältigen Familienangehörigen, was darauf schließen lässt, dass sich Ihre Bedrohungshandlungen nicht jener Intensität, wie Ihrerseits beschrieben, ereignet haben.
Unabhängig davon, ob nun sämtliche Einzelheiten der Wahrheit entsprechen oder nicht, beschränkt sich Ihr Vorbringen auf einen Konflikt zwischen Privatpersonen. Ihre befürchtete Bedrohung geht also nicht von offizieller Seite aus. Auch ist die Ursache Ihrer Bedrohung in mehreren unternehmerischen Fehlentscheidungen zu finden und nicht in jenen Gründen, wonach nach der Genfer Flüchtlingskonvention Asyl in Österreich gewährt werden kann.
Asyl kann in Österreich jenen Personen gewährt werden, welche glaubhaft machen können, dass sie von offizieller Seite verfolgt werden. Diese Verfolgung muss ihre Ursache in einem Grund haben, welcher in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführt ist. Politische Verfolgung, Verfolgung aufgrund der Rasse, der Nationalität oder der Religion, sowie eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sind jene Gründe, welche im Zuge des Asylverfahrens glaubhaft gemacht werden müssen, um eine Asylberechtigung zu erhalten. Ihre Bedrohungshandlung geht jedoch von einer Privatperson aus und findet ihre Ursache in „unternehmerischen Fehlentscheidungen“.
Es mangelt somit in Gesamtschau an einem in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Fluchtgrund im Hinblick auf Ihre Person. Zumal jene Gründe, welche gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zur Gewährung von Asyl führen würden und in dieser taxativ – also erschöpfend – aufgezählt sind, von Ihnen nicht vorgebracht wurden, war aus diesem Vorbringen und in Ermangelung einer Deckung mit der GFK bzw. dem AsylG Ihr Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen.
Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:
Sie brachten im Verfahren keine anderen Gefährdungspotenziale vor als jene, die für nicht asylrelevant erachtet wurden. Solche können auch amtswegig im Falle Ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan nicht festgestellt werden. Durch Ihre illegale Einreise nach Österreich zeigen Sie, dass Sie über eine überdurchschnittliche Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit verfügen, welche Ihnen bei Ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan zugutekommen wird.
Es kamen im Verfahren keine konkreten Umstände hervor, dass Sie bei einer Rückkehr nicht wieder am Erwerbsleben teilnehmen könnten. Sie sprechen die Landes- bzw. Amtssprache auf Muttersprachenniveau und verfügen somit über entsprechende Artikulationsmöglichkeiten, die für die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses erleichternd sind, Sie sind auch mental und organisch soweit gesund und können somit einer Beschäftigung nachgehen.
Sie verfügen über eine solide Schulbildung und haben in XXXX Familienangehörige. Ihre Eltern und auch Ihre Geschwister sind dort aufhältig. Aserbaidschan hat über neun Millionen Einwohner und beschränkt sich nicht nur auf BAKU und XXXX . Auch größere Städte wie beispielsweise GANCA oder SUMPAYIT würden sich für Ihre Familie als Wohnalternative eignen. Sie könnten dort auch als Arbeiter oder Angestellter beruflich Fuß fassen und wären in der Lage, Ihr Leben gemeinsam mit Ihrer Familie dort weiterzuführen.
Auch sind Sie, bzw. Ihre Familie nicht vom „eingefrorenen Konflikt“ um „Nagorny Karabach“ betroffen. Sie haben Sich mit Ausnahme eines Russland-Aufenthaltes (2000 – 2001) nur in XXXX aufgehalten und hätten dort mit Ihrer Familie gelebt.
Wörtlich wird der erste Satz des Punktes „Sicherheitslage“ der Länderinformationen zitiert:
„Aserbaidschan ist ein Land mit vergleichsweise guter Sicherheitslage und wenig Kriminalität.“
Auch geht aus den Länderinformationen nichts hervor, dass die Polizei, bzw. Justizbehörden nicht in der Lage wären, Sie und Ihre Familie im Falle einer realen Bedrohung zu schützen. Es existieren Bezirksgerichte, welche zivile Rechtssachen in erster Instanz zu entscheiden haben.
Die Bereitschaft zur Rückkehr ist darüber hinaus eng verbunden mit der Schaffung von Überlebensgrundlagen im Herkunftsstaat. Abgestimmt auf die individuelle Situation der Rückkehrenden sind verschiedene Formen der Unterstützung notwendig bzw. möglich: Schaffung des Zugangs zu Wohn-, Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten; Beschaffung von Arbeitsgeräten; Vermittlung zu den Hilfsorganisationen im Heimatland; finanzielle Unterstützung. Durch den Aufbau eines Netzwerkes von Kontakten zu Hilfsorganisationen in den jeweiligen Rückkehrländern soll der Neubeginn der rückkehrenden, in der Regel entwurzelten Menschen während der Anfangsphase erleichtert werden (vgl. hiezu www.caritas-wien.at/rueckkehrhilfe ). Auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe wurden Sie bereits im Zuge Ihrer Einvernahme aufmerksam gemacht.
Selbst wenn Sie auch nach Ihrer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat für den Wiedereinstieg in das dortige Leben einige Startschwierigkeiten erwarten sollten, entsteht kein Rückkehrhindernis. Ziel des Refoulmentschutzes ist es nämlich nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen zu beschützen, sondern allein einen Schutz vor Lebenssituationen, die von dem im § 50 FPG aufgezählten Normen erfasst werden würden, zu gewähren. Ihr Vorbringen bzw. Ihre Situation ist jedoch nicht in diese Normen zu subsumieren.
Eine Rückkehr nach Aserbaidschan gestaltet sich nach ho. Beurteilung als unproblematisch. Der Flughafen von BAKU wird von WIEN aus über MOSKAU, Russland regelmäßig angeflogen.
In Gesamtbetrachtung muss hier von Seiten des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl demnach davon ausgegangen werden, dass keine Hinderungsgründe einer Rückkehr gegeben sind und auch keine Gründe vorliegen, welche zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen könnten und war daher Ihr Antrag auch in diesem Punkt abzuweisen.
In Bezug auf die weitern bP wurde in sinngemäßer Weise argumentiert.
I.3.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Aserbaidschan traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen
I.3.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar, weshalb Rückehrentscheidung und Abschiebung in Bezug auf Aserbaidschan zulässig sind.
I.4. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die bP 1 ihre Aussagen aufrecht halte. Die bP 1 habe am Verfahren mitgewirkt, wogegen die bB nicht entsprechend ihren Ermittlungspflichten nachgekommen sei. Die bP 1 führte die Verfolgung durch die Mafia wegen Geldschulden ins Treffen. Es wurde aus den Länderinformationen zum Thema Sicherheitsbehörden zitiert. Die bP würden im Falle der Rückkehr keinen Schutz durch die Polizei vor der Mafia erhalten können.
I.5. Für den 04.10.2021 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Gemeinsam mit der Ladung wurden Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat zugestellt. Ebenso wurde – in Ergänzung bzw. Wiederholung zu den bereits bei der belangten Behörde stattgefundenen Belehrungen - ua. hinsichtlich der Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren manuduziert und wurden die bP aufgefordert, Bescheinigungsmittel vorzulegen.
Die bP legten mit Schreiben vom 30.09.2021 diverse Urkunden zur Integration vor.
Der wesentliche Verlauf der Beschwerdeverhandlung wird wie folgt wiedergegeben:
RI beginnt mit der Befragung der P1 und P2.
RI: Wann sind Sie wie aus dem Heimatland ausgereist und in Österreich eingereist? (legal/illegal) (AS 449)
P1: Wir sind aus dem Land am XXXX 2016 weggefahren. In Österreich waren wir dann am XXXX 2016. Nachgefragt gebe ich an, dass wir mit einem Zug nach Moskau gefahren sind. Wir sind dann in einem LKW versteckt auf der Ladefläche nach Österreich gekommen.
RI: Die Erstbehörde hat ermittelt, dass für Sie und Ihre Gattin ein Schengenvisum C ausgestellt wurde, mit Gültigkeit XXXX 2016?
P1: Ja, wir waren bei der ungarischen Botschaft in unserem Land. Wir haben auch das Visum erhalten. Wir sind jedoch über Moskau gekommen und haben dieses Visum nicht in Anspruch genommen, sondern sind über ein anderes Land gekommen.
RI: Gab es bei der Ausreise bzw. der Passausstellung Probleme? Hatten Sie eine Ausreisekontrolle
P1: Wir waren versteckt in einem LKW auf der Ladefläche hinten. Unsere Pässe haben wir noch im Moskau dem Fahrer übergeben. Sonst haben wir unterwegs keine Kontrolle gehabt.
RI: Sie gaben vor dem BFA an, dass Sie im Besitz eines Schengen Visums von Ungarn waren, weshalb sollten Sie nach der Ausreise aus Aserbaidschan die viel beschwerlichere Weiterreise mittels Lkw udgl. unternehmen, wenn Sie von Baku direkt nach Wien fliegen könnten?
P1: Wir wurden in unserem Land verfolgt. Deswegen haben wir die Fahrtrichtung geändert und einen anderen Fluchtweg genommen.
RI: Besitzen oder besaßen Sie jemals einen Reisepass? Wann wurde dieser von welcher Behörde ausgestellt?
P1: Meiner Erinnerung nach haben wir die Pässe im gleichen Jahr bekommen 2016. Ich glaube im Juni, genau weiß ich es nicht mehr. Nachgefragt gebe ich an, dass es Probleme bei der Ausstellung gab. Es gab Unstimmigkeiten wegen des Geldes und dann haben wir alles abgesagt und wir sind über Moskau gekommen.
RI: Wo befinden sich diese?
P1: Ich habe dem Schlepper unsere Pässe übergeben, bevor wir in das Fahrzeug eingestiegen sind. Danach habe ich unsere Pässe nicht mehr zurückerhalten.
RI: Wieviel kostete die Schleppung und woher hatten Sie das Geld?
P1: 5000 US Dollar für die ganze Familie. Ich habe gearbeitet und daher das Geld gehabt. Nachgefragt gebe ich an, dass ich selbst 3000 Dollar hatte. Zweitausend wurden mir geschenkt. Nachgefragt gebe ich an, dass mir das Geld meine Schwiegermutter gab.
RI: Wo haben Sie gelebt? Wo sind Sie geboren und aufgewachsen?
P1: Ich bin in der Stadt XXXX am XXXX geboren. Dort bin ich auch aufgewachsen.
RI: Wo haben Sie dort konkret gelebt?
P1: alte Bezeichnung: XXXX Straße, Neue Bezeichnung: XXXX . Es ist das Haus meines Vaters. Mein Vater ist jetzt verstorben und jetzt leben meine Brüder in diesem Haus.
RI: Haben Sie oder Ihre Familie Eigentum im Heimatland?
P1: Mein Vater hatte noch ein anderes Haus, dass er gekauft hat. Als wir geheiratet haben, sind wir dann in dieses Haus eingezogen. Nachgefragt gebe ich an, dass dort jetzt niemand mehr wohnt. Das Haus ist auch in XXXX .
RI: Haben Sie noch Familie im Heimatland? Wo?
P1: Meine Mutter, mein Bruder mit seiner Familie wohnt in dem Haus. Ich habe noch eine Schwester, sie ist verheiratet, lebt in dieser Stadt aber woanders. Nachgefragt gebe ich an, dass ich nur einen Bruder habe.
RI: Haben Sie noch weitere Familie im Heimatland?
P1: Ja. Ich habe noch zwei Tanten mütterlicherseits, drei Onkel mütterlicherseits und väterlicherseits eine Tante und zwei Onkel. Diese haben jeweils Familien.
RI: Haben Sie zu diesen Familienangehörigen im Heimatland Kontakt?
P1: Manchmal. Hauptsächlich mit meiner Mutter.
RI: Wie oft haben Sie Kontakt zu Ihrer Mutter?
P1: Ich habe zwei Mal oder einmal in der Woche Kontakt mit meiner Mutter.
RI: Wovon lebt Ihre Familie im Heimatland?
P1: Meine Mutter war Lehrerin. Sie bezieht jetzt eine Pension. Mein Bruder arbeitet und hat ein eigenes Geschäft.
RI: Haben Sie noch Freunde oder Bekannte im Heimatland? Haben Sie zu diesen Kontakt?
P1: Ich habe schon Freunde. Ich bin mit diesen nicht so oft in Kontakt. Nachgefragt gebe ich an, dass ich ein bis zwei Mal pro Woche Kontakt habe. Ich habe ein bis zwei Freunde, mit denen ich ein bis zwei Mal in der Woche in Kontakt bin.
RI: Haben Sie noch Verwandte im Heimatland?
P2: Ja. Eine Mutter und eine Schwester. Meine Schwester ist verheiratet und hat drei Kinder.
Die Übersetzung erfolgt teilweise über die P1 bzw. auf Deutsch.
RI: Hat Ihre Familie Eigentum im Heimatland?
P2: Meine Mutter hat ein eigenes Haus. Sie lebt dort alleine.
RI: Von was lebt Ihre Mutter?
P2: Meine Mutter hat nur Pension.
RI: Wie oft haben Sie Kontakt mit Ihrer Mutter?
P2: In der Woche zwei bis drei Mal.
RI: Von was lebt Ihre Schwester?
P2: Ihr Mann arbeitet. Meine Schwester arbeitet als Lehrerin.
RI: Haben Sie vor Ihrer Ausreise gearbeitet?
P2: Ja. Ich war Lehrerin in einer Volksschule.
P1: Ich habe vier Jahre als Elektriker gearbeitet.
RI: Welche Schul- bzw. Berufsausbildung haben Sie im Herkunftsland genossen?
P2: Mein Beruf ist Lehrerin. Erste bis fünfte Klasse. Acht Jahre Grundschule und drei Jahre eine Fachschule mit Abschluss.
P1: Ich habe auch acht Jahre die Grundschule absolviert. Ich war dann Schlosser.
RI: Wovon leben Sie in Österreich, gehen Sie einer Arbeit nach?
P1: Wir bekommen Sozialhilfe vom Staat. Ich habe gearbeitet und vor ca. einem Monat war die Arbeit zu Ende. Ich habe beim Magistrat gearbeitet. Ich habe Gras gemäht in einem Park. Meine Frau arbeitet jetzt.
P2: Ich bin auch beim Magistrat. Ich putze in einem Altersheim.
RI: Haben Sie sich jemals beim AMS um eine Arbeit beworben und einen abschlägigen Bescheid erhalten?
P1: Meine Frau hat es beantragt.
P2 legt vor:
Bescheid des AMS XXXX 2021. Wird in Kopie zum Akt genommen.
RI: Wie setzt sich Ihr Freundeskreis zusammen?
P1: Ich habe nur Bekannte.
P2: Ich habe hier Freundinnen kennengelernt. Nachgefragt gebe ich an, dass ich Freundinnen aus verschiedenen Nationalitäten habe. Wir leben in einem Asylheim. Ich habe auch österreichische Freundinnen. Mir wurde geraten, hier einen Kindergarten zu besuchen, um Sprachpraxis zu bekommen.
RI: Wie und wo haben Sie Ihre österreichischen Freundinnen kennengelernt?
P2: Ich habe eine kosovarische Nachbarin. Sie hat mir eine Adresse gegeben. Ich habe meine österreichischen Freundinnen im Kindergarten kennengelernt. Ich habe bis jetzt Kontakt mit ihnen. Es gibt auch noch eine alte Frau. Dieser alten Dame helfe ich. Ihre zwei Kinder leben in Wien und sie hat niemand, er ihr sonst hilft.
RI: Sind Sie in Österreich ein Mitglied eines Vereines?
P1: Nein.
P2: Nein.
RI: Sind Sie in Österreich bisher straffällig geworden?
P1: Nein.
P2: Nein.
RI: Haben Sie in Österreich jemals einen Deutschkurs besucht bzw. abgeschlossen?
P1: Ich habe A1 besucht und die Prüfung abgelegt. Jetzt habe ich uns für A2 angemeldet. Ich habe auch den Integrationskurs gemacht.
P2: Ich habe auch schon A2 abgelegt und auch den Integrationskurs.
RI: Wenn Sie hypothetisch in Österreich verbleiben dürften, wie würden Sie für Ihren Lebensunterhalt bzw. den Ihrer Familie aufkommen?
P1: Meine Frau möchte den B1 und B2 Kurs absolvieren. Sie möchte in ihrem Beruf weiterarbeiten. Wir planen gemeinsam noch ein Lokal, mit süßen Sachen, selbst backen und Kuchen backen und diese dann verkaufen.
RI: Haben Sie sonstige, bislang nicht zur Sprache gelangte integrationsverfestigende Maßnahmen ergriffen? (Der P wird die Frage erläutert)
P1: Wir haben gearbeitet bzw. wir arbeiten. Wir haben alle Unterlagen und haben auch Kurse besucht. Meine Frau hilft dieser alten Dame.
RI wiederholt die Frage.
P1: Wir haben jede Arbeit in unserem Heim übernommen. Meine Frau hat sich an das AMS gewandt. Wir haben gemacht, was uns gesagt wurde bzw. mit was wir beauftragt wurden.
RI: Welche Integration weist Ihr Sohn auf?
P1: Er besucht die Schule. Er Spielt Tischtennis. Er hat einen guten Platz erreicht.
P3: Ich spiele in der Super Liga, hatte gestern ein Turnier. Ich darf jedoch nur XXXX Turniere besuchen. Ich war gestern in XXXX beim Turnier. Jeden Monat habe ich ein Turnier. Meisterschaft habe ich jede Woche. Ich gehe in die Mittelschule XXXX . Ich gehe in die dritte Klasse. Ich hatte ein gutes Zeugnis.
RI: Was war der Grund warum Sie ihr Heimatland verlassen haben? Bitte schildern Sie den Sachverhalt, der Sie zum Verlassen des Heimatlandes bewogen hat konkret und detailliert.
P1: Ich lebte in XXXX . Ich bin Mitglied der Nationalen Bewegung von XXXX . Diese Partei wurde im Jahr 2007 in den Niederlanden gegründet.
RI: Was war der konkrete Sachverhalt, der Sie veranlasst hat, dass Sie das Heimatland verlassen haben?
P1: Weil ich ein Aktivist war, kämpfte ich immer für die Rechte meines Volkes. Deswegen wurde ich von der Polizei verfolgt. Im Jahr 2015 wurde ich brutal verprügelt.
RI unterbricht den P1 und erklärt, dass er eine andere Fluchtgeschichte vorliegen hat und erläutert diese (AS 459).
P1: Damals habe ich nicht die ganze Wahrheit erzählt. Ich hatte Angst wegen meinem Vater. Zwei Monate danach ist mein Vater verstorben und jetzt sage ich Ihnen die ganze Wahrheit. Dass, was sie mir vorgelesen haben, diese Geschichte stimmt. Es handelt sich dabei jedoch um eine private Geschichte.
RI: Ist der Sachverhalt rund um das geliehene Geld nicht der ausreisekausale Fluchtgrund?
P1: Nein. Dabei handelt es sich nicht um einen ernstzunehmenden Grund.
RI: Was war der wahre Grund, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?
P1: Diese Probleme, die sie gesagt haben, gab es schon auch. Aber mein Hauptgrund hängt mit den Talyschen zusammen.
RI: Können Sie mir plausibel erklären, warum Sie vor dem BFA am 01.09.2017 über konkrete Frage verneint haben, dass Sie wegen Ihrer Volksgruppengruppenzugehörigkeit verfolgt wurden?
P1: Nein, ich habe gesagt, ja. Wie kann es sein, dass dort nein steht.
RI belehrt die P über die Wahrheitspflicht.
P1: Ich wurde ganz kurz damals gefragt, ob ich wegen meiner Nationalität verfolgt wurde. Ich habe ganz kurz gesagt, ja.
RI: Was war der konkrete Sachverhalt, dass Sie als Talysche verfolgt wurden. Wer hat was wann wo und wie gemacht, dass Sie flüchten mussten?
P1: 2015 wurde ich brutal verprügelt. Ich und meine Familie wurden mit dem Tode bedroht. Das letzte Mal war es am 01.06.2016. Da wurden meine Frau und mein Sohn von einem Fahrzeug angefahren. Sie konnten auf die Seite springen und dadurch wurden sie nicht verletzt. Aber ich wurde zuvor gewarnt, dass auch meine Familie umgebracht wird. Weil ich ein Aktivist der Nationalen Bewegung der Talyschen war.
RI: Ihre Familienangehörigen sind auch Talyschen? Und die Ihrer Gattin auch? Haben diese keine Probleme?
P1: Weil ich ein Aktivist war. Ich wollte, dass die Sprache und Kultur meines Volkes bewahrt wird und wir keiner Assimilation unterliegen.
RI: Was genau haben Sie als Aktivist gemacht?
P1: Ich ruf mein Volk dazu auf, die eigenen Rechte zu achten. Und auch Sprachunterricht in der Schule einzuführen.
RI: Wie haben Sie das gemacht?
P1: Ich traf mich mit sechs oder 7 Personen, die keine Angst davor hatte. Ich machte Überzeugungsarbeit.
RI: Ist Ihr Heimatort hauptsächlich von Talyschen bewohnt?
P1: Ja. Um die 90 Prozent.
RI: Mit welchen Leuten haben Sie sich wo getroffen?
P1: In der Stadt XXXX haben wir uns getroffen.
RI: Sie versuchen Talyschen davon zu überzeugen, Ihr eigene Volkszugehörigkeit zu belegen?
P1: Ich versuchte die anderen zu überzeugen, dass sie für ihre Rechte kämpfen, die vom Staat nicht beachtet werden. Weil ich ein Aktivist war, wurde meine Frau deshalb gekündigt , im Jahr 2016.
RI: Seit wann waren Sie Aktivist?
P1: Seit 11 oder 12 Jahren. Bevor ich das Land verlassen habe.
RI: Ihre Frau wurde ganz zum Schluss gekündigt, obwohl sie schon seit 11 oder 12 Jahren Aktivist waren?
P1: Vorher wurde ich zur Polizei bestellt und gewarnt. Einige Male hat die Direktorin zu meiner Frau gesagt, dass sie die Arbeit verlieren werde, weil ich Aktivist bin. Mein Aktivismus hat Einfluss auf Ihre Arbeit.
RI: Können Sie beweisen bzw. belegen, dass Sie Aktivist waren?
P1: Ich habe Beweise. Ich kann einen mündlichen Brief vorlegen. Er hat gesagt, wenn es notwendig wird, werden sie einen Brief schicken.
RI: Sie können nicht untermauern, dass Sie Aktivist waren?
P1: Was brauchen sie, Fotos oder was? Das kann der Vorsitzende der Nationalen Bewegung bestätigen.
RI belehrt die P1 an die Mitwirkungspflicht sowie an die Wahrheitspflicht. Darüber hinaus wird mit der P1 die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Situation für die Angehörigen der Bevölkerungsgruppe der Talyschen erörtert.
P1: Es werden die Aktivisten der Talyschen verfolgt und getötet. Es werden Talyschen in Gefängnissen getötet. 2020 wurde ein Aktivist der Talyschen namens Fakhratin ABASOV im Gefängnis getötet.
RI: Gab es sonst noch einen Fluchtgrund?
P1: nur wegen der Volksgruppenzugehörigkeit.
RV hat keine Fragen.
RI: Wie viel an Schulen ist aus dem aufgenommen Kredit noch offen?
P1: Die Schuld bleibt gleich, 30.000 US Dollar. Das ist mein soziales Problem.
RI: Ihre Familie hat keinerlei Probleme mit der Mafia bzw. mit der Volksgruppenzugehörigkeit?
P1: Meine Familie hat mich abgelehnt und hat gesagt, dass ich nicht mehr zur Familie gehöre, weil mein Vater wurde wegen mir zwei Mal bedroht im Jahr 2017. Er hat dann zwei Mal einen Herzinfarkt erlitten und danach ist er gestorben.
RI: Am Anfang erwähnten Sie, dass Sie Kontakt zu Ihrer Familie im Heimatland haben, jetzt erzählen Sie, dass Sie verstoßen worden sein sollen?
P1: Ich kann mich erinnern, was ich gesagt habe. Ich bin mit meiner Mutter in Kontakt, nicht mit meinen Onkeln.
RI: Haben Sie sich jemals an eine Polizeidienststelle, ggf. eine übergeordnete Polizeidienststelle, die StA, das Gericht, eine NGO oder den Ombudsmann gewandt?
P1: In Aserbaidschan, nein. Weil es überall eine Diktatur ist.
RI: Hat Ihr Sohn eigene Fluchtgründe?
P1: Nein.
P2: Wegen der Probleme meines Mannes droht mir der Tod.
RI: Was würde geschehen, wenn Sie in Ihr Heimatland zurückkehren müssen?
P1: Ich werde getötet und meine Familie wird vernichtet.
P2: Am 01.06.2016 hatte ich so große Angst erlebt. Ich würde lieber hier sterben, als in Aserbaidschan zurückzukehren.
RI: Welche konkrete Angst hatten Sie?
P2: Das erste Mal habe ich eine große Angst erlebt, als mein Mann im Jahr 2015 brutal verprügelt wurde. Das zweite Mal, als ich mit meinem Sohn am 01.06.2016 mit einem Fahrzeug überfahren hätte werden sollen. Ich wurde nicht verletzt.
RI: Welche Sprachen sprichst du und wie unterhaltet Ihr euch in der Familie?
P3: Meine Muttersprache ist Azeri. Ich spreche auch Deutsch, Englisch, Türkisch und ein bisschen Russisch. In der Familie sprechen wir Azeri und ich helfe meiner Mutter beim Deutsch lernen.
RV hat keine Fragen.
Folgende Erkenntnisquellen werden den beschwerdeführenden Partei genannt und deren Inhalt erörtert:
- LIB der Staatendokumentation Aserbaidschan vom 10.12.2020
- Bericht des AA über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 17.11.2020
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Aserbaidschan, Instanzenzug im Privatrecht, Rechtsschutz- und Beschwerdemöglichkeiten
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Aserbaidschan, Situation für angehörige der Bevölkerungsgruppe der Talyschen
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Aserbaidschan, Schutzwilligkeit und –fähigkeit
RI fragt die P um ihre Stellungnahmen zu dieser Beurteilung.
P1: Ich habe es nicht gelesen. Ich kann nicht so gut Deutsch.
P2: Ich habe es gelesen. Ich habe zwar nicht alles verstanden, aber im Großen und Ganzen. Es steht drinnen, dass Aserbaidschan ein gutes Land ist, dass stimmt nicht.
RI fragt den RV um seine Stellungnahme zu dieser Beurteilung.
RV: Keine Stellungnahme.
Vorgelegt in der Verhandlung wurde von den bP:
Ablenungsbescheid des AMS der bP 2
Liste mit Terminen für Integrationsveranstaltungen
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
II.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien
Bei den bP handelt es sich um aserbaidschanische Staatsangehörige, welche sich zum schiitischen Islam bekennen und der Volksgruppe der Talyschen angehören. Sie verfügten im September 2016 über Visa und reisten später illegal und schlepperunterstützt in den Schengenraum ein.
Die bP 1 und 2 sind junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer –wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.
Die Pflege und Obsorge der minderjährigen bP ist durch deren Eltern gesichert.
Vor der Ausreise lebten die bP in XXXX . Ein Bruder der bP 1 lebt in einem eigenen Haus mit der Mutter in XXXX . Die Mutter war Lehrerin und bezieht eine Pension, der Vater ist verstorben. Die Schwester lebt mit ihrer Familie auch in dieser Stadt. Darüber hinaus steht das Haus der bP 1 in XXXX , wo die Familie vor ihrer Ausreise lebte, leer. Auch die Mutter und eine Schwester der bP 2 leben nach wie vor in Aserbaidschan. Die Mutter der bP 2 lebt alleine in ihrem eigenen Haus und bezieht eine Pension, die Schwester lebt mit ihrer Familie gemeinsam und arbeitet als Lehrerin. Die bP haben mit ihren Verwandten in Aserbaidschan mehrmals wöchentlich Kontakt. Sie verfügen darüber hinaus auch noch über ein großes Netzwerk an Onkeln und Tanten und weiteren Verwandten.
Vor der Ausreise arbeitete die bP 2 nach Abschluss der Schule und Fachschule als Lehrerin. Die bP 1 hat nach der Grundschule als Schlosser gearbeitet.
Die bP 1 leidet bei Stress unter erhöhtem Herzschlagen und nimmt dann Baldrian ein. Die bP 2 nahm Baldrian ein und wurde vor ca. 1 Jahr an der Gebärmutter operiert. Aktuell nimmt die bP 2 keine Medikamente. Die bP 3 ist gesund und leidet damit keine der bP an einer schweren Erkrankung. Ein zeitweises erhöhtes Herzschlagen kann auch in Aserbaidschan behandelt werden und hat die bP 1 auch Zugang zum aserbaidschanischen Gesundheitssystem.
Die volljährigen bP haben Zugang zum aserbaidschanischen Arbeitsmarkt und es steht ihnen frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen.
Ebenso haben die bP Zugang zum –wenn auch minder leistungsfähige als das österreichische- Sozialsystem des Herkunftsstaates und könnten dieses in Anspruch zu nehmen.
Für Leistungen aus dem Sozialwesen müssen Rückkehrende sich an den staatlichen Sozialhilfefond der Republik Aserbaidschan wenden: http://sosial.gov.az/ . Weitere Informationen zur konkreten Unterstützung für Rückkehrende und Binnenvertriebene sind auf folgender Webseite verfügbar: http://idp.gov.az/en/content/7/parent/21 (IOM 2019).
Darüber hinaus ist es den bP unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.
II.1.2.
Die bP haben in Österreich keine Verwandten und leben auch sonst mit keiner nahe stehenden Person zusammen, welche nicht zur Kernfamilie zu zählen ist. Sie möchten offensichtlich ihr künftiges Leben in Österreich gestalten und halten sich seit 5 Jahren im Bundesgebiet auf. Sie reisten rechtswidrig und mit Hilfe einer Schlepperorganisation in das Bundesgebiet ein und konnten ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren. Hätten sie diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig und ist im Lichte dieses Umstandes davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.
Sie leben von der Grundversorgung.
Die bP 3 geht in die dritte Klasse der Mittelschule und spielt in der Freizeit sehr gut Tischtennis in einem Verein, wobei sie auch an Turnieren teilnimmt.
Die bP sind nicht selbsterhaltungsfähig .
Die bP waren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen. Zu den aktuellen Deutschkenntnissen ist anzuführen, dass sie Deutschkurse besucht haben und sich die Deutschkenntnisse in der Verhandlung als entsprechend der abgelegten Prüfungen mit A1 (bP 1) und A2 (bP 2) darstellen. bP 1 und 2 haben an Werte- und Orientierungskursen teilgenommen. Es liegt eine Einstellungszusage für die bP 2 (Mithilfe in der Landwirtschaft, ausgestellt von XXXX ) vom Februar 2020 vor. Die bP 2 unterstützt manchmal eine ältere Dame bei Besorgungen.
Genehmigung der Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit in einem Seniorenwohnhaus für die bP 2 (Sept. bis Okt. 2021). Die bP 1 hat für 120 ehrenamtlich für die Gemeinde Artenarbeit von August bis September 2021 erledigt. Die bP haben sich in der Unterbringung des Roten Kreuzes ehrenamtlich betätigt.
Sie sind strafrechtlich unbescholten.
Die Identität der bP steht est.
Bei den volljährigen bP handelt es sich um mobile, junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen. Einerseits stammen die bP aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören die bP keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf ihre individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. So war es den bP auch vor dem Verlassen ihres Herkunftsstaates möglich, dort ihr Leben zu meistern.
Familienangehörige leben nach wie vor in Aserbaidschan und sich sichtlich in der Lage, dort ihr Leben zu meistern.
Die bP verfügen im Rahmen einer Gesamtschau über eine wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich gesicherten Existenzgrundlage.
Es ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht in eine, allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
II.1.3. Die Lage im Herkunftsstaat Aserbaidschan
Das ho. Gericht geht in Übereinstimmung mit der bB davon aus, dass in Aserbaidschan von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der aserbaidschanische Staat grundsätzlich gewillt und befähigt ist, auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritter wirksam zu schützen. In Bezug auf die Lage der Menschenrechte ist davon auszugehen, dass sich diese in manchen Bereichen als problematisch darstellt, die bP hiervon jedoch im Wesentlichen nicht betroffen sind. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Aserbaidschan die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.
In Bezug auf aktuell weltweit herrschende Pandemie basierend auf die Präsenz des Virus COVID 19 setzte die Republik Armenien taugliche Mittel um die unkontrollierte Ausbreitung des Virus zu verhindern und finden Infizierte bei Bedarf Zugang zum armenischen Gesundheitssystem.
Abgestimmt auf das Vorbringen der bP hält das ho. Gericht weiters Folgendes fest:
Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:
1. Politische Lage
Aserbaidschan ist eine Präsidialrepublik. Staatspräsident Ilham Aliyev, der 2003 seinem Vater Heydar Aliyev nachgefolgt ist, dominiert das politische Leben. Die Nationalversammlung (Milli Mejlis) wirkt an der Gesetzgebung mit, spielt aber eine deutlich nachgeordnete Rolle (AA 17.11.2020). Die Verfassung räumt dem Präsidenten weitreichende Vollmachten ein. Er ernennt und entlässt mit Zustimmung der Nationalversammlung den Ministerpräsidenten; ohne Beteiligung der Nationalversammlung ernennt und entlässt er die Minister sowie die Gouverneure und Vize-Gouverneure der regionalen Verwaltungsbezirke (AA 17.11.2020). Das Parlament und die kommunalen Vertreter, obgleich vom Volk nominell gewählt, bleiben machtlose Teilnehmer im politischen Entscheidungsprozess. Dennoch schränken die Eigeninteressen der staatlichen Elite, der Oligarchen, der Regierungsminister und anderer hochrangiger Amtsträger die Entscheidungsfindung des Präsidenten bis zu einem gewissen Grad ein. Parlamentarier sind oft Schützlinge und Verwandte von Oligarchen (BTI 2020).
Die Präsidentschaftswahlen am 11.04.2018 sowie die vorgezogenen Parlamentswahlen am 09.02.2020 entsprachen nach Ansicht der internationalen Wahlbeobachter der ODIHR-Mission und des Auswärtigen Amts nicht den international anerkannten Standards. Während die Regierung regelmäßig auf administrative Ressourcen und die überwiegend staatlich kontrollierten traditionellen und zunehmend auch elektronischen Medien zurückgreift, werden die Versuche der Opposition, sich öffentlich zu versammeln oder sonst öffentlich wahrnehmbar zu äußern, deutlich und systematisch erschwert. Die Verfassung enthält den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 7 Abs. 3), wonach die Nationalversammlung („Milli Mejlis“) die gesetzgebende, der Staatspräsident die vollziehende und die Gerichte die rechtsprechende Gewalt ausüben. Das Einkammerparlament besteht aus 125 nach absolutem Mehrheitswahlrecht gewählten Abgeordneten. Das legislative Vorschlagsrecht haben der Präsident, das Oberste Gericht, das Parlament der autonomen Republik Nachitschewan und der Generalstaatsanwalt. In der Praxis gehen die von der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze oft auf Initiativen des Präsidialamtes zurück. Parteien sind in Aserbaidschan nur rudimentär ausgeprägt. Die Rechtsprechung wird durch den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, Berufungsgerichte, erstinstanzliche Bezirksgerichte und Gerichte mit Sonderzuständigkeiten ausgeübt (AA 17.11.2020).
Bei der Parlamentswahl im Februar 2020 hat die bisherige Regierungspartei nach offiziellen Angaben die absolute Mehrheit geholt. Die Partei des seit 2003 mit harter Hand regierenden Präsidenten Ilham Alijew hat sich bei der vorgezogenen Wahl 65 der 125 Sitze im Parlament gesichert (DW 10.2.2020).
Internationale Wahlbeobachtungsmissionen stellten ernsthafte Unregelmäßigkeiten in allen Phasen des Wahlprozesses fest (vgl. DW 10.2.2020) und kritisierten den Mangel an echtem demokratischen Wettbewerb. Aserbaidschan ist Mitglied des Europarats und Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention. Jedoch unterliegen Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit erheblichen Einschränkungen. Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen ist deutlich erschwert (AA 26.2.2020a).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020a): Aserbaidschan: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschan-portrait/202964 , Zugriff 9.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- DW – Deutsche Welle (10.2.2020): Absolute Mehrheit für Alijews „Neues Aserbaidschan“, https://www.dw.com/de/absolute-mehrheit-f%C3%Bcr-alijews-neues-aserbaidschan/a-52320887 , Zugriff 4.12.2020
2. Sicherheitslage
Die Kriminalitätsrate in Aserbaidschan ist niedrig. Der bewaffnete Konflikt um die Region Bergkarabach sowie die im Südwesten und Westen Aserbaidschans gelegenen, bisher von armenischen Streitkräften besetzten Bezirke Agdam, Füsuli, Dschabrayil, Sangilan, Kubadli, Ladschin und Kalbadschar ist durch den Waffenstillstand aufgrund der Dreiseitigen Erklärung zwischen Aserbaidschan, Armenien und Russland vom 9. November 2020 zunächst beendet. Es wird sich zeigen müssen, inwieweit sich das Abkommen auf die Sicherheitslage auswirkt (EDA 9.12.2020). Es besteht Minengefahr und teilweise auch Gefahr durch Blindgänger. Dies gilt in gleichem Maße für die aserbaidschanisch-armenische Landesgrenze, einschließlich der Grenze zwischen der aserbaidschanischen Autonomen Republik Nachitschewan und Armenien. Die Einreise in die nach wie vor von Aserbaidschan nicht kontrollierten Teile Berg-Karabachs (Gebiete nördlich und westlich von Schuscha, Latschin-Korridor) ohne eine entsprechende aserbaidschanische Erlaubnis stellte nach aserbaidschanischem Recht bisher einen Straftatbestand dar und führte zur Einreiseverweigerung für Aserbaidschan. Diese Gebiete werden derzeit von russischen Truppen kontrolliert. Die sieben Bezirke südlich und westlich von Bergkarabach stehen zwar wieder unter aserbaidschanischer Hoheit, sind aber aus Sicherheitsgründen nicht zu bereisen. Es gibt weder eine gesicherte Verwaltung noch Regelungen für das Betreten dieser Gebiete. Da weiterhin Kriegsrecht gilt, ist bei Zuwiderhandlungen wahrscheinlich mit Anwendung des Militärstrafrechts zu rechnen (AA 3.12.2020). Das Kriegsrecht berechtigt die Regierung im Prinzip, verschiedene Einschränkungen gegen Grundrechte wie Versammlungsfreiheit und Bewegungsfreiheit zu verfügen. Im übrigen ist das Land politisch stabil (EDA 9.12.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (3.12.2020): Aserbaidschan: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschansicherheit/201888#content_0 , Zugriff 9.12.2020
- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (9.12.2020): Reisehinweise für Aserbaidschan, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/aserbaidschan/reisehinweise-fueraserbaidschan.html , Zugriff 9.12.2020
2.1. Regionale Problemzone Berg-Karabach
Die armenische Regierung veröffentlichte am 23.11.2020 eine Liste mit insgesamt 121 Städten und Dörfern, die in die aserbaidschanische Kontrolle übergehen. Die überwiegende Mehrheit der Orte liegt dabei in den sieben aserbaidschanischen Provinzen, die Berg-Karabach umgeben und bislang als Sicherheitspuffer für Berg-Karabach fungierten. Aber auch einzelne Orte in Berg-Karabach, wie z.B. die von aserbaidschanischen Truppen eroberte Stadt Schuscha (armenisch: Schuschi; azer. Şuşa), gehen an Aserbaidschan über. Teils hatte Armenien die Kontrolle über die Orte zuletzt bei Kämpfen verloren, teils kommt es zu einer kampflosen Übergabe. Teile der nun übergebenen Gebiete gelten als vermint. Unterdessen mehren sich Berichte über die Zerstörung historischer und religiöser Kulturgüter durch aserbaidschanische Soldaten in den verlorenen armenischen Gebieten (BAMF 30.11.2020).
Bei den nach dem Waffenstillstand im Bergkarabach-Krieg von 1994 außerhalb der armenisch besetzten Gebiete in Aserbaidschan verbliebenen Armeniern handelt es sich meist um Ehepartner ethnischer Aserbaidschaner bzw. deren Nachkommen. Viele Armenier haben einen aserbaidschanischen Namen angenommen, um ihre Herkunft zu verschleiern (AA 17.11.2020).
Nachdem es in Baku bereits im Juli 2020 in der Folge eines mehrere Tage andauernden Zwischenfalls mit schweren Waffen an der internationalen Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan (außerhalb der „Line of Contact“ in Bergkarabach) zu vehementen Protesten (angeführt von Sympathisanten der nationalistischen oppositionellen Volksfront-Partei) für die militärische Wiedergewinnung des von Armenien besetzten aserbaidschanischen Gebiets Bergkarabach und der sieben umliegenden Bezirke gekommen war, herrschte seit dem 27. September 2020 offener Krieg. Unmittelbar nach den Protesten im Juli verstärkte die Regierung ihr hartes Durchgreifen gegen die Opposition und begann eine regelrechte Verhaftungswelle. Der militärischen Auseinandersetzung seit September 2020 wird auch seitens der Opposition nichts entgegengesetzt, vielmehr bestärkt auch die Opposition die Regierung in ihrem Vorgehen. Der Kurs der Regierung erfährt gesamtgesellschaftlich starke Unterstützung. Abweichende Meinungen zum Krieg in Bergkarabach sind kaum zu identifizieren und setzen sich möglichen (gesellschaftlichen) Repressionen aus. Diese Situation wurde noch durch den aserbaidschanischerseits als „Sieg“ verstandenen Waffenstillstand auf russische Vermittlung verstärkt: Die Vereinbarung sieht die phasenweise Rückgabe der besetzten Gebiete, die Rückkehr der Binnenvertriebenen und den Einsatz einer russischen Überwachungstruppe vor. Die de facto Republik Berg-Karabach wird von keinem Staat anerkannt und ist in jeder Hinsicht von der Republik Armenien abhängig (AA 17.11.2020).
Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es unter Vermittlung Russlands einen Waffenstillstand zu erreichen. Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-Punkte-Erklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise bis 1. Dezember an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Peacekeeping-Mission etabliert welche 1.960 Mann umfasst und die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten. Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in die Region hin. Dem zufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).
Informationen zu Berg-Karabach finden sich auch im Länderinformationsblatt ARMENIEN
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (30.11.2020): Briefing Notes, Armenien/Aserbaidschan, Zugriff 3.12.2020
- IFK – Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (11.2020): Bergkarabach: Neuordnung der regionalen Machtverhältnisse, https://www.bundesheer.at/php_docs/download_file.php?adresse=/pdf_pool/publikationen/ifk_monitor_65_lampalzer_bergkarabach_nov_20_web.pdf , Zugriff 10.12.2020
3. Rechtsschutz / Justizwesen
In politisch relevanten Fällen wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung, den die Verfassung in Art. 63 garantiert, regelmäßig nicht beachtet; Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums enthalten oft Vorverurteilungen. Ungeachtet zahlreicher Gesetze, die sich an westlichen Standards orientieren, bleibt die Rechtsanwendung hinter den Standards des Europarats zurück. Die Rechtsprechung ist zwar formell unabhängig, steht aber faktisch unter dem Einfluss der Regierungsgewalt. Insbesondere in den Verfahren, die von politischer Bedeutung sind (wie z.B. Strafverfahren gegen kritische Journalisten und oppositionelle Menschenrechtsaktivisten), scheinen die Urteile politischen Vorgaben zu folgen. Bei Urteilen zulasten der Regierung sind Umsetzung bzw. Vollstreckung problematisch. In politisch relevanten Fällen wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung, den die Verfassung in Art. 63 garantiert, regelmäßig nicht beachtet; Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums enthalten oft Vorverurteilungen. Die Medien, insbesondere staatlich kontrollierte Druckpresse und Fernsehen, werden gelegentlich für Hetzkampagnen gegen regierungskritische Organisationen oder Individuen missbraucht. Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe diskriminiert, lässt sich grundsätzlich nicht feststellen. Personen, die des Umsturzversuches oder des Terrorismus bezichtigt werden, müssen aber in besonderem Maße mit langjährigen Haftstrafen rechnen. Auf Jugendliche über 16 Jahre wird Erwachsenenstrafrecht angewendet. Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sind nur bei bestimmten Verbrechen, wie z.B. Mord, Vergewaltigung und schwerer Sachbeschädigung, strafmündig. Kinder unter 14 sind strafunmündig. Für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren bestehen im Falle der Verhängung einer Freiheitsstrafe Erziehungsanstalten, in die sie eingewiesen werden können. Jeder Bürger des Landes, der sich durch einen Akt staatlicher Gewalt in diesen Grundrechten verletzt sieht, kann im Wege einer Individualbeschwerde den Rechtsweg zum Verfassungsgericht beschreiten (AA 17.11.2020).
Es gibt keine unabhängige Justiz. Die Gerichte sind korrupt und funktionieren als Strafmechanismus in den Händen der Exekutive. Die Situation hat sich durch eine Welle von Berufsverboten unabhängiger Verteidiger weiter verschlechtert. Die Regierung mischt sich massiv ein und hat das letzte Wort bei Gerichtsentscheidungen in politischen, wirtschaftlichen und anderen sensiblen Fällen. Verteidiger spielen in hohem Maße nur eine formale Rolle und haben nur geringen Einfluss auf Gerichtsentscheidungen. Die Anwaltskammer wird ebenfalls von der Exekutive kontrolliert und häufig als Instrument zur Bestrafung unabhängiger Verteidiger eingesetzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (ECHR) bleibt weitgehend die letzte vertrauenswürdige Chance für Rechtssuchende in Aserbaidschan. In den letzten Jahren hat die Regierung jedoch die Entscheidungen des ECHR verzögert (BTI 2020).
Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, agieren die Richter nicht unabhängig von der Exekutive. Die Justiz bleibt weitgehend korrupt und ineffizient. Viele Urteile sind rechtlich nicht haltbar und stehen weitgehend in keinem Zusammenhang mit den während des Prozesses vorgelegten Beweisen. Die Ergebnisse erschieinen häufig vorgegeben. Die Gerichte verabsäumen es oft, Vorwürfe der Folter und der unmenschlichen Behandlung von Häftlingen in Polizeigewahrsam zu untersuchen. Das Justizministerium kontrolliert den Justizverwaltungsrat. Der Rat ernennt einen Auswahlausschuss (sechs Richter, einen Staatsanwalt, einen Rechtsanwalt, einen Ratsvertreter, einen Vertreter des Justizministeriums und einen Rechtswissenschaftler), der das gerichtliche Auswahlverfahren und die Prüfung administriert und die langfristige juristischen Ausbildung überwacht. Glaubwürdige Berichte zeigen, dass Richter und Staatsanwälte Anweisungen von der Präsidialverwaltung und dem Justizministerium erhalten, insbesondere in politisch sensiblen Fällen. Es gibt glaubwürdige Anschuldigungen, dass Richter routinemäßig Bestechungsgelder annahmen. Am 3.4.2019 unterzeichnete der Präsident ein Dekret über begrenzte Reformen im Justizsektor. Das Dekret forderte eine Erhöhung der Richtergehälter, eine Erhöhung der Zahl der Richterposten (von 600 auf 800), Tonaufnahmen aller Gerichtsverfahren und die Einrichtung spezialisierter Handelsgerichte für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Unternehmertum. Das Dekret ordnete auch eine Erhöhung der Mittel für die kostenlose Prozesskostenhilfe an.
Das Gesetz schreibt die Unschuldsvermutung in Strafsachen vor. Es schreibt auch das Recht der Angeklagten vor, unverzüglich über die Anklagepunkte informiert zu werden, ein faires, zeitgerechtes und öffentliches Verfahren zu erhalten, bei der Verhandlung anwesend zu sein, mit einem Anwalt ihrer Wahl zu kommunizieren (oder einen Anwalt auf öffentliche Kosten stellen zu lassen, wenn sie nicht in der Lage sind, die Kosten zu tragen), angemessene Zeit und Einrichtungen zur Vorbereitung der Verteidigung bereitzustellen, vom Zeitpunkt der Anklageerhebung an in allen Berufungsverfahren unentgeltlich Dolmetscher zu stellen, Zeugen bei der Verhandlung entgegenzutreten und Zeugenaussagen in der Verhandlung zu präsentieren und nicht gezwungen zu werden, auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. Sowohl Angeklagte als auch Staatsanwälte haben das Recht, Berufung einzulegen. Die Behörden haben diese Bestimmungen in vielen Fällen, die weithin als politisch motiviert galten, nicht eingehalten. Obwohl die Verfassung die Gleichberechtigung von Staatsanwälten und Verteidigern vorschreibt, bevorzugen die Richter bei der Beurteilung von Anträgen, mündlichen Erklärungen und Beweisen, die von Verteidigern vorgelegt werden, oft Staatsanwälte, ohne Rücksicht auf die Begründetheit ihrer jeweiligen Argumente. Die Verfassung verbietet die Verwendung von illegal erlangten Beweisen. Trotz der Behauptungen einiger Angeklagter, dass die Polizei und andere Behörden durch Folter oder Missbrauch eine Zeugenaussage erhielten, berichteten Menschenrechtsbeobachter, dass die Gerichte den Missbrauchsvorwürfen nicht nachgingen, und es gab keinen unabhängigen forensischen Ermittler, der die Behauptungen des Missbrauchs untermauern konnte. Es gab keine wörtlichen Abschriften von Gerichtsverfahren.
Das Gesetz sieht vor, dass Personen, die inhaftiert, verhaftet oder einer Straftat beschuldigt werden, ein ordnungsgemäßes Verfahren erhalten, einschließlich der sofortigen Unterrichtung über ihre Rechte und den Grund ihrer Verhaftung. In Fällen, die als politisch motiviert galten, wurde das ordentliche Verfahren nicht eingehalten, und die Angeklagten wurden unter einer Vielzahl von falschen Anklagen verurteilt. Dem Gesetz nach sind Häftlinge innerhalb von 48 Stunden nach der Verhaftung einem Richter vorzuführen. Der Richter kann dann entweder einen Haftbefehl erlassen, der den Häftling in Untersuchungshaft nimmt oder diesen unter Hausarrest stellt, oder die Freilassung des Häftlings anordnen. In der Praxis haben die Behörden jedoch manchmal Personen für länger als 48 Stunden festgehalten. Die anfängliche Haftzeit von 48 Stunden kann unter bestimmten Umständen auf 96 Stunden verlängert werden. Während der Untersuchungshaft oder des Hausarrests muss die Generalstaatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abschließen. Die Untersuchungshaft ist auf drei Monate begrenzt, kann aber von einem Richter auf bis zu 18 Monate verlängert werden, je nach mutmaßlicher Straftat und den Erfordernissen der Untersuchung. Es gab Berichte darüber, dass Häftlinge nicht umgehend über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen informiert wurden. Es gibt ein formales Kautionssystem, aber die Richter nützten es nicht. Das Gesetz sieht den Zugang zu einem Anwalt ab dem Zeitpunkt der Inhaftierung vor, aber es gab Berichte, dass die Behörden den Zugang von Anwälten zu Mandanten sowohl in politisch motivierten als auch in Routinefällen häufig verweigerten. Aserbaidschan verfügt über ein Militärgerichtssystem mit zivilen Richtern. Das Militärgericht behält die ursprüngliche Zuständigkeit für alle Fälle im Zusammenhang mit Krieg oder Militärdienst (USDOS 11.3.2020).
Die Justiz ist korrupt und der Exekutive untergeordnet. Die Richter werden vom Parlament auf Vorschlag des Präsidenten ernannt. Die mangelnde politische Unabhängigkeit der Gerichte zeigt sich besonders deutlich in den vielen erfundenen oder anderweitig fehlerhaften Fällen, die gegen Oppositionelle, Aktivisten und kritische Journalisten vorgebracht werden. Die verfassungsmäßigen Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren werden nicht eingehalten. Willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen sind üblich und die Gefangenen werden oft lange Zeit vor dem Prozess festgehalten. Politische Gefangene haben über einen eingeschränkten Zugang zu Rechtsbeistand, das Fälschen und Vorenthalten von Beweisen und über körperliche Misshandlungen zur Erzwingung von Geständnissen berichtet. Obwohl nominell unabhängig, handelt die aserbaidschanische Anwaltskammer auf Anordnung des Justizministeriums und macht sich an der Schikane von Menschenrechtsanwälten mitschuldig. Die 2018 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen sahen vor, dass nur Mitglieder der Anwaltskammer Mandanten vor Gericht vertreten dürfen. Seither hat die Vereinigung die meisten der aktiven Menschenrechtsanwälte des Landes ausgeschlossen, suspendiert oder bedroht, weil sie vor den Medien über Verletzungen der Rechte ihrer Mandanten gesprochen haben. In fast allen Disziplinarfällen haben die Gerichte die Entscheidungen der Anwaltskammer ohne eine gründliche Bewertung oder öffentliche Rechtfertigung bestätigt. Die Strafverfolgungsbehörden überwachten private Telefon- und Online-Kommunikation, insbesondere von Aktivisten, politischen Persönlichkeiten und ausländischen Staatsangehörigen, ohne gerichtliche Aufsicht. Die Verfolgung von Kritikern und ihren Familien durch die Regierung hat die Privatsphäre der gewöhnlichen Einwohner untergraben, genauso wie die Offenheit privater Diskussionen. Sogar Staatsbeamte wurden für ihre Aktivitäten in den sozialen Medien und die ihrer Familienmitglieder bestraft und Aktivisten wurden, aufgrund von nicht damit zusammenhängenden fabrizierten Anklagen, für kritische Facebook-Posts inhaftiert (FH 4.3.2020).
Der Menschenrechtskommissar des Europarates stellte fest, dass Aserbaidschan unter einem erheblichen Mangel an Anwälten leidet. Laut dem Bericht der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) aus dem Jahr 2018 hatte Aserbaidschan zwischen 2010 und 2016 die geringste Anzahl von Anwälten pro 100.000 Einwohner im Gebiet des Europarates: Im Jahr 2016 kamen neun Anwälte auf 100.000 Einwohner, bei einem Durchschnitt von 162 Anwälten pro 100.000 Einwohner in den Mitgliedstaaten des Europarates. Darüber hinaus besteht die Notwendigkeit, die Unabhängigkeit der Anwaltskammer und ihre Rolle bei der Vertretung und Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder zu stärken. Der Kommissar ist besorgt über die Anwendung von Disziplinarmaßnahmen aus unzulässigen Gründen, wie z.B. wegen der Äußerung kritischer Standpunkte, sowie über das Fehlen klarer Kriterien für die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen, insbesondere die Verhängung von Berufsverboten, und betont, dass Anwälte ethische Standards einhalten und in der Lage sein sollten, ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen beruflich tätig zu werden (CoE – CommDH 11.12.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 4.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- CoE-CommDH – Council of Europe – Commissioner for Human Richts (3.12.2020): Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatović: Report following her visit to Azerbaijan from 8 to 12 July 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021164/CommDH%282019%2927+-+Report+on+Azerbaijan_EN.docx.pdf , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
4. Sicherheitsbehörden
Die Polizei untersteht dem Innenministerium, der innenpolitische Staatliche Sicherheitsdienst dem Präsidenten (AA 17.11.2020).
Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst sind für die Sicherheit im Land verantwortlich und unterstehen direkt dem Präsidenten. Das Innenministerium unterhält die lokalen Polizeikräfte und interne Zivilschutztruppen. Der Staatssicherheitsdienst ist für innere Angelegenheiten zuständig, und der Auslandsnachrichtendienst konzentriert sich auf Fragen des Auslandsnachrichtendienstes und der Spionageabwehr. NGOs berichten, dass beide Dienste Personen festgenommen haben, die ihr Recht auf Grundfreiheiten ausgeübt haben. Zivile Behörden üben eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Die meisten Beamten, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, werden nicht strafrechtlich verfolgt oder bestraft. Straffreiheit bleibt ein Problem. Es gibt mehrere Berichte, dass die Regierung oder ihre Beamten willkürliche oder ungesetzliche Tötungen begingen. Es gibt keine Berichte über Verschwindenlassen durch oder im Namen von Regierungsbehörden (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
5. Folter und unmenschliche Behandlung
Die Behörden weisen in der Regel Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen in der Haft ab und die Praxis wird ungestraft fortgesetzt (HRW 14.1.2020).
Die Anwendung von Folter ist verboten und steht unter Strafe; ein durch Folter erlangter Beweis darf vor Gericht nicht verwendet werden. Es gibt glaubwürdige Berichte über Misshandlung verhafteter Personen im Polizeigewahrsam. Die überwiegende Zahl der berichteten Vorfälle soll sich auf Polizeistationen bzw. in Untersuchungshaft ereignet haben. Es gibt Hinweise, dass religiös-politische Häftlinge in Gefängnissen einem höheren Risiko von Misshandlungen und Folter im Vergleich zu den „weltlichen“ politischen Gefangenen ausgesetzt sind. Beweise für extralegale Tötungen oder Fälle von „Verschwinden lassen“ liegen nicht vor. Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden nicht praktiziert (AA 17.11.2020).
Während die Verfassung und das Strafgesetzbuch solche Praktiken verbieten, und bei Verurteilung Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren vorsehen sind, gibt es glaubwürdige Vorwürfe wegen Folter und anderen Misshandlungen. Die meisten Misshandlungen finden in Polizeigewahrsam statt (USDOS 11.3.2020), wo die Behörden Berichten zufolge missbräuchliche Methoden zum Erwirken von Geständnissen einsetzen (USDOS 13.3.2019, vgl. FH 4.3.2020). Die Gerichte untersuchen Vorwürfe der Folter und der unmenschlichen Behandlung von Häftlingen in Polizeigewahrsam oft nicht. Es gibt auch Berichte über Misshandlungen im Gefängnis (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022698.html , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
6. Korruption
Laut Corruption Perceptions Index von Transparency International belegte Aserbaidschan 2019 den 126. Platz von 180 gelisteten Staaten (TI 1.2020).
Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für Korruption durch Beamte vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht effektiv um und Beamte, die an korrupten Praktiken beteiligt waren, bleiben oft ungestraft. Während die Regierung bei der Bekämpfung der Korruption auf niedriger Ebene einige Fortschritte machte, gibt es weiterhin Berichte über die Korruption von Regierungsbeamten, einschließlich derjenigen auf höchster Ebene. Die Behörden bestrafen weiterhin Personen, die die Korruption der Regierung aufgedeckt hatten. Transparency International und andere Beobachter beschreiben Korruption als weit verbreitet. Es gibt Berichte über Korruption in den Bereichen Exekutive, Legislative und Judikative der Regierung (USDOS 11.3.2020).
Korruption und Bestechung sowie Monopolbildung sind nach wie vor die größten Probleme und betreffen jeden Aspekt des Lebens der aserbaidschanischen Bürger auf allen Ebenen. Auch bei der Bekämpfung der weit verbreiteten Korruption vor den Gerichten wurden keine wesentlichen Verbesserungen erzielt. In den Urteilen der Zivil- und Strafsachen ist Korruption nach wie vor ein erheblicher Mangel, der die Entscheidungsfindung stark beeinträchtigt. In den letzten Jahren hat die Regierung jedoch einige Anstrengungen unternommen, um die Korruption auf der mittleren und unteren Ebene einzudämmen. Oligarchen auf hoher Ebene sind faktisch immun gegen gerichtliche Verfolgung. Die Staatliche Kommission zur Korruptionsbekämpfung und die Abteilung für Korruptionsbekämpfung der Generalstaatsanwaltschaft sind die wichtigsten Regierungsbehörden für die Korruptionsbekämpfung (BTI 2020).
Korruption ist allgegenwärtig. In Ermangelung einer freien Presse und einer unabhängigen Justiz werden Beamte nur dann für korruptes Verhalten zur Rechenschaft gezogen, wenn es den Bedürfnissen einer mächtigeren oder gut vernetzten Person entspricht (FH 4.3.2020)
Aserbaidschan weist das höchste Ausmaß an Korruption auf. Seine »Beamtenoligarchie« bildete bislang eine machtvolle Verbindung zwischen Staat und Wirtschaft. 2019 sagte Präsident Ilham Alijew Schattenwirtschaft und Korruption den Kampf an und ersetzte einige langjährige Regierungsmitglieder. Experten bezweifeln allerdings, dass damit ein politischer Systemwandel in die Wege geleitet wurde (SWP 5.2020).
Quellen:
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 4.12.2020
- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik: Korruption und Korruptionsbekämpfung im Südkaukasus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S08_suedkaukasus.pdf , Zugriff 9.12.2020
- TI – Transparency International (1.2020): Corruption Perceptions Index 2019, https://www.transparency.org/cpi2019?/news/feature/cpi-2019 , Zugriff 9.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ist deutlich erschwert (AA 26.2.2020a).
NGOs müssen, um finanzielle Zuwendungen oder Spenden erhalten zu können, als solche registriert sein, und auch jede einzelne Zuwendung in einem umständlichen Verfahren registrieren. Kritische NGOs, die im Bereich Menschenrechte/Demokratie agieren, erhalten regelmäßig keine Registrierung als NGO und sind somit vom Rechtsverkehr – insbesondere hinsichtlich des Abschlusses von Zuwendungsverträgen – ausgeschlossen. Zuwendungen von westlichen Geldgebern an unabhängige NGOs werden mit schwer erfüllbaren Registrierungsauflagen belegt; der Zuwendungsgeber muss seit Ende 2015 ebenfalls registriert werden. Zudem lehnen einige Geschäftsbanken es ab, Girokonten für NGOs zu führen. Zahlreiche herausgehobene Vertreter regierungskritischer NGOs haben seit August 2014 ihre Tätigkeiten eingestellt oder das Land verlassen. Von Druck auf die Vermieter von Büroflächen wird berichtet, welche Mietverträge mit NGOs, die kritischen Veranstaltungen Raum geben, vorzeitig zu beenden. In Einzelfällen werden Vermieter, die diesem Druck nicht nachgeben, mit faktischem Eigentumsentzug konfrontiert (AA 17.11.2020).
Die Regierung schränkt die Tätigkeit nationaler und internationaler Menschenrechtsgruppen weiterhin stark ein. Die Anwendung restriktiver Gesetze zur Einschränkung von NGO-Aktivitäten und andere Belastungen hält auf dem hohen Niveau der letzten Jahre an. Führende Menschenrechts-NGOs sehen sich einem feindlichen Umfeld für die Untersuchung und Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zu Menschenrechtsfällen gegenüber. Aktivisten berichten auch, dass sich die Behörden weigern, ihre Organisationen oder Zuschüsse zu registrieren. Infolgedessen sind einige Menschenrechtsverteidiger aufgrund verschiedener staatlicher Hindernisse, wie dem Reiseverbot und eingefrorener Bankkonten, außerstande, ihrer beruflichen Verantwortung nachzukommen. Während die Regierung mit einigen internationalen Menschenrechts-NGOs kommuniziert und auf ihre Anfragen reagiert, kritisiert und schüchtert sie bei zahlreichen Gelegenheiten andere Menschenrechts-NGOs und Aktivisten ein. Das Justizministerium verweigert weiterhin aus willkürlichen Gründen die Registrierung oder erlegt Menschenrechts-NGOs beschwerliche administrative Beschränkungen auf (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020a): Aserbaidschan: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschan-portrait/202964 , Zugriff 9.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
8. Ombudsperson
Bürger können sich bei Verstößen, die vom Staat oder von Einzelpersonen begangen werden, an den Ombudsmann für Menschenrechte für Aserbaidschan oder den Ombudsmann für Menschenrechte der Autonomen Republik Nakhichevan wenden. Der Bürgerbeauftragte kann die Annahme von Missbrauchsfällen ablehnen, die älter als ein Jahr sind, anonym oder bereits von der Justiz bearbeitet werden. Menschenrechts-NGOs kritisierten das Büro des Ombudsmannes als mangelnd unabhängig und ineffektiv in Fällen, die als politisch motiviert gelten. Menschenrechtsbüros in der Nationalversammlung und im Justizministerium hören auch Beschwerden an, führen Untersuchungen durch und geben Empfehlungen an die zuständigen Regierungsbehörden, werden aber ebenfalls beschuldigt, Verletzungen in politisch sensiblen Fällen zu ignorieren. Während das Büro des Ombudsmannes berichtet, systematische Besuche von Gefängnissen und Untersuchungen von Beschwerden von Häftlingen durchzuführen, sagen Aktivisten, dass das Büro regelmäßig Beschwerden von Häftlingen in politisch heiklen Fällen abweist (USDOS 11.3.2020).
Strafgefangene haben die Möglichkeit, sich an die Ombudsfrau des Parlaments zu wenden (AA 17.11.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
9. Wehrdienst und Rekrutierungen
Die Verfassung sieht in Art. 76 Abs. 1 die allgemeine Wehrpflicht vor. Artikel 76 Abs. 2 ergänzt, dass ein Wehrersatzdienst denen offen steht, deren Überzeugungen der Leistung eines aktiven Wehrdienstes entgegenstehen. Trotz wiederholter Mahnungen des Europarates wurde bis heute kein entsprechendes Gesetz verabschiedet, mit dem Hinweis auf den fortbestehenden Kriegszustand mit Armenien (AA 17.11.2020). Es gibt glaubwürdige Berichte darüber, dass ein Freikauf vom Militärdienst bzw. Erwirkung einer Versetzung auf „angenehmere“ Verwendungsposten durch Zahlung von Schmiergeldern weit verbreitet ist (AA 17.11.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Männer zwischen 18 und 35 Jahren sind zum Militärdienst verpflichtet. Für den freiwilligen Militärdienst beträgt das Mindestalter 17 Jahre. Die Dauer des Militärdienstes beträgt 18 Monate, für Hochschulabsolventen 12 Monate (CIA 24.11.2020). Männer, die bei medizinischen Einberufungsuntersuchungen als schwul erkannt oder verdächtigt werden, schwul zu sein, werden rektal untersucht und oft als untauglich für den Militärdienst befunden, weil sie demzufolge als psychisch krank eingestuft wurden (USDOS 11.3.2020).
Zeugen Jehovas sehen sich Schikanen sowie einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt, weil sie sich dem Militärdienst entzogen haben (FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (24.11.2020): The World Factbook, Azerbaijan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/aj.html , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
10. Allgemeine Menschenrechtslage
Nach Ansicht unabhängiger Beobachter und Menschenrechtsverteidiger hat sich die Menschenrechtslage speziell im Bereich der politischen Rechte (Meinungs- und Versammlungsfreiheit) nach deutlicher Verschlechterung 2013–2015 nicht wieder verbessert. In den Bereichen wie Frauenrechte und Inklusion von Menschen mit Behinderung zeigt Aserbaidschan allerdings Interesse (AA 17.11.2020).
Zu den Menschenrechtsproblemen gehören unrechtmäßige oder willkürliche Tötung; Folter; willkürliche Inhaftierung; harte und manchmal lebensbedrohliche Haftbedingungen; politische Gefangene; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; allgegenwärtige Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; starke Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Internetfreiheit, einschließlich Gewalt gegen Journalisten, Kriminalisierung von Verleumdung, Belästigung und Inhaftierung von Journalisten aufgrund fragwürdiger Anschuldigungen und Sperrung von Websites; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Zurückschicken von Flüchtlingen in ein Land, in dem sie einer Bedrohung für ihr Leben oder ihrer Freiheit ausgesetzt würden; strenge Einschränkungen der politischen Partizipation; systematische Korruption der Regierung; Festnahme und Folter von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen durch die Polizei; und die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, zu deren Beseitigung die Regierung nur minimale Anstrengungen unternahm. Die Regierung verfolgt oder bestraft die meisten Beamten, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, nicht (USDOS 11.3.2020).
Die aserbaidschanischen Behörden führen weiterhin rigide Kontrollen durch und schränken die Vereinigungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit stark ein. Die Regierung ließ 2019 über 50 Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Oppositionsaktivisten, religiöse Gläubige und andere vermeintliche Kritiker, die unter politisch motivierten Vorwürfen inhaftiert waren, frei. Mindestens 30 weitere blieben jedoch zu Unrecht inhaftiert, während die Behörden regelmäßig ihre Kritiker und andere abweichende Stimmen ins Visier nehmen. Andere Menschenrechtsprobleme blieben bestehen, darunter Folter und Misshandlung in der Haft, Verletzungen der Versammlungsfreiheit, unangemessene Einmischung in die Arbeit von Anwälten und Einschränkungen der Medienfreiheit. Die Behörden versuchen, Exil-Aktivisten zum Schweigen zu bringen, indem sie ihre Angehörigen in Aserbaidschan einschüchtern. Sicherheitsbeamte verhören wiederholt Angehörige von Aktivisten mit Sitz im Ausland, um sie unter Druck zu setzen, ihre Verwandten zu denunzieren, und drohen ihnen mit Gefängnis, wenn ihre Verwandten ihren Aktivismus fortsetzen (HRW 14.1.2020).
Das Wiedererwachen des zivilen Aktivismus, insbesondere bei der jüngeren Generation, inspiriert durch den arabischen Frühling und die Popularisierung der sozialen Netzwerke, hat in Aserbaidschan zu einer weiteren Unterdrückung der Bürgerrechte und Freiheiten geführt. Die Regierung hat ein umfassendes Vorgehen gegen politische Dissidenten, die Zivilgesellschaft, Menschenrechtsaktivisten, die Medien, internationale NGOs und Jugendorganisationen eingeleitet (BTI 2020).
In Aserbaidschan herrscht ein im regionalen Vergleich bemerkenswertes Maß an Religionsfreiheit und religiöser Toleranz. Aserbaidschan ist Mitglied des Europarats und Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention. Jedoch unterliegen Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit erheblichen Einschränkungen. Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen ist deutlich erschwert (AA 26.2.2020a).
In der autoritären Regierung Aserbaidschans bleibt die Macht stark in den Händen von Ilham Aliyev konzentriert, der seit 2003 Präsident ist. Die Korruption ist weit verbreitet und nach Jahren der Verfolgung ist die formelle politische Opposition geschwächt. Die Behörden haben in den letzten Jahren die bürgerlichen Freiheiten umfassend unterdrückt, sodass nur wenig Raum für unabhängige Meinungsäußerung oder Aktivismus bleibt. Das autoritäre System in Aserbaidschan schließt die Öffentlichkeit von jeder echten und autonomen politischen Beteiligung aus. Das politische System erlaubt es Frauen oder Minderheitengruppen nicht, sich unabhängig zu organisieren oder für ihre jeweiligen Interessen einzutreten. Es gibt keine sinnvollen Mechanismen zur Förderung einer stärkeren Repräsentation von Frauen und ethnischen oder religiösen Minderheiten. Eine Reihe von Moscheen wurden in den letzten Jahren geschlossen, angeblich wegen Registrierungs- oder Sicherheitsverletzungen. Die Zeugen Jehovas sehen sich Schikanen sowie einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt, weil sie sich dem Militärdienst entzogen haben. Die Eigentumsrechte werden durch von der Regierung unterstützte Entwicklungsprojekte beeinträchtigt, die oft Zwangsräumungen, unrechtmäßige Enteignungen und Abrisse mit kurzzeitiger oder gar keiner Ankündigung nach sich ziehen (FH 4.3.2020).
Seit dem letzten Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Aserbaidschan im Februar 2019 hat sich die Menschenrechtssituation in Aserbaidschan insgesamt nicht verbessert. Ernste Besorgnis besteht nach wie vor über allgegenwärtige Verletzungen der grundlegenden Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, und die staatliche Verfolgung von Regierungskritikern und vermeintlichen Kritikern hält an. Auch das harte Vorgehen gegen die unabhängige Anwaltschaft geht weiter, und Menschenrechtsanwälte unterliegen Disziplinarmaßnahmen, einschließlich des Ausschlusses aus der Anwaltskammer, wenn sie sich in den Fällen ihrer Mandanten zu Verletzungen äußern. Sowohl bei der Gesetzgebung als auch bei der Umsetzung bestehen nach wie vor Probleme, die Einhaltung nationaler und internationaler Menschenrechtsstandards und -verpflichtungen zu gewährleisten (IPHR 2.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020a): Aserbaidschan: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschan-portrait/202964 , Zugriff 9.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 4.12.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022698.html , Zugriff 3.12.2020
- IPHR – International Partnership for Human Rights (2.2020): Key concerns and recommendations on the protection of fundamental rights in Azerbaijan, https://www.iphronline.org/wp-content/uploads/2020/02/final-Key-Human-Rights-Concenrs-in-Azerbaijan.pdf , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
11. Meinungs- und Pressefreiheit
Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2020 der Organisation Reporter ohne Grenzen befindet sich Aserbaidschan auf Rang 168 von 180 Ländern (RSF o. D.).
Die Meinungs- und Pressefreiheit sind zahlreichen Beschränkungen unterworfen. Die Medien, insbesondere staatlich kontrollierte Druckpresse und Fernsehen, werden gelegentlich für Hetzkampagnen gegen regierungskritische Organisationen oder Individuen missbraucht. Nicht nur die offiziellen, sondern auch die meisten privaten Medien berichten tendenziell positiv über die Regierung und den Präsidenten und üben sich in Selbstzensur. Eine unmittelbare Zensur findet nicht statt. Journalisten und Herausgeber setzen sich jedoch im Falle kritischer Berichterstattung der Gefahr aus, aufgrund ihrer Tätigkeit Nachteile bis zu Gefängnishaft zu erleiden. Im Zuge der Covid-19-Krise beschloss das Parlament am 18. März 2020 eine Ergänzung des „Gesetzes über Information, Informierung und Informationssicherheit“. Wegen seiner zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe und seiner nicht auf das Ende der Covid-19-Krise beschränkten Gültigkeit ist es geeignet, Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung im Land weiter zu beschränken. Seit Herbst 2016 gibt es in Aserbaidschan keine offiziell zugelassenen offen regierungskritischen Presse-, Fernseh- oder Funkmedien mehr. Der ansonsten freie Zugang zum Internet wurde durch die Sperrung von fünf prominenten regierungskritischen Websites im Februar 2017 eingeschränkt, über Umwege sind die Seiten aber weiter erreichbar. Darüber hinaus ist der Zugang zu Internetseiten im Wesentlichen frei und auch zu kritischen oder armenischen Websites problemlos möglich (AA 17.11.2020).
Während das Gesetz die Meinungsfreiheit, auch für die Presse, vorsieht und insbesondere die Pressezensur verbietet, verletzt die Regierung diese Rechte. Die Regierung beschränkt die Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit der Medien. Journalisten werden eingeschüchtert und manchmal geschlagen und inhaftiert. Im Laufe des Jahres 2019 setzten die Behörden die Medien, Journalisten im Land und im Exil sowie deren Angehörige weiterhin unter Druck. Ausländische Medien, darunter Voice of America, Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) und BBC, bleiben von der Ausstrahlung auf UKW-Frequenzen ausgeschlossen, obwohl der russische Dienst Sputnik Nachrichten über ein lokales Rundfunknetz ausstrahlt. Journalisten von unabhängigen Medien sind Schikanen und Cyberangriffen ausgesetzt. Die Angriffe richteten sich hauptsächlich gegen Journalisten von Radio Liberty, Azadliq und anderen Zeitungen, Meydan TV und Obyektiv Television. Aktivisten behaupten, dass die Straffreiheit bei Übergriffen auf Journalisten nach wie vor ein Problem sei. Die Behörden untersuchen die meisten Angriffe auf Journalisten nicht effektiv, und solche Fälle bleiben oft ungelöst. Die meisten Medien praktizieren Selbstzensur und vermeiden aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Regierung politisch sensible Themen. Die Behörden blockieren weiterhin unabhängige Medien-Webseiten, deren Ansichten sich von der Regierungsauffassung unterscheiden. Menschenrechtsverteidiger berichteten, dass Personen regelmäßig auf Polizeistationen im ganzen Land vorgeladen und gezwungen werden, regierungskritische Beiträge in sozialen Medien zu löschen. Einige Aktivisten und Journalisten vermuten, dass die Regierung hinter dem Hacking mehrerer Social Media Accounts steckt. Die Regierung verlangt von Internet-Dienstleistern eine Lizenz und formelle Vereinbarungen mit dem Ministerium für Verkehr, Kommunikation und Hochtechnologien. Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für die Verurteilung bei Verleumdungen (vgl. HRW 14.1.2020) und Beleidigungen im Internet vor. Es gibt starke Hinweise darauf, dass die Regierung die Internet-Kommunikation von Aktivisten der Zivilgesellschaft überwacht (USDOS 11.3.2020).
Die Fernsehsender des Landes werden vollständig von der Regierung kontrolliert. Unabhängige Stimmen haben keinen Zugang zum Fernsehen (BTI 2020).
Verfassungsrechtliche Garantien für die Pressefreiheit werden routinemäßig und systematisch verletzt, da die Regierung daran arbeitet, die Informationslandschaft fest im Griff zu behalten. Verleumdung bleibt eine Straftat. Journalisten und ihre Angehörigen werden von Behörden mit Belästigungen, Drohungen, Gewalt und Einschüchterungen konfrontiert. Viele werden aufgrund gefälschter Anklagen festgenommen oder inhaftiert, während andere mit Reiseverboten konfrontiert sind. Durch die 2017 verabschiedeten Gesetzesänderungen wurde die Kontrolle der Regierung über die Online-Medien ausgeweitet, so dass Websites ohne Gerichtsbeschluss blockiert werden können, wenn sie Inhalte enthalten, die eine Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft darstellen. Unabhängige Nachrichtenseiten werden regelmäßig blockiert oder im Rahmen von Cyberangriffen attackiert (FH 4.3.2020).
Der Menschenrechtskommissar des Europarates stellte fest, dass Journalisten und Aktivisten von sozialen Medien, die eine abweichende Meinung oder Kritik an den Behörden geäußert hatten, wegen verschiedener Vorwürfe wie Ungehorsam gegenüber der Polizei, Rowdytum, Erpressung, Steuerhinterziehung, Aufstachelung zu ethnischem und religiösem Hass oder Verrat sowie wegen Drogenbesitzes oder illegalen Waffenbesitzes inhaftiert sind. Der Kommissar ist besorgt darüber, dass es keine offiziellen Informationen über die Gesamtzahl der gesperrten Websites gibt. Den Gesprächspartnern des Kommissars zufolge sind derzeit mehr als 60 Internetseiten blockiert, vor allem unabhängige Online-Nachrichten-Dienste, welche die Regierung kritisieren oder Internetseiten, die Korruption aufdecken (CoE – CommDH 11.12.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- CoE-CommDH – Council of Europe – Commissioner for Human Richts (11.12.2019): Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatović: Report following her visit to Azerbaijan from 8 to 12 July 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021164/CommDH%282019%2927+-+Report+on+Azerbaijan_EN.docx.pdf , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022698.html , Zugriff 3.12.2020
- RSF – Reporter ohne Grenzen (ohne Datum): Rangliste der Pressefreiheit 2020, https://www.rog.at/wp-content/uploads/2020/04/Rangliste-der-Pressefreiheit-2020-RSF.pdf , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
12. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
12.1. Versammlungsfreiheit
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit sind zahlreichen Beschränkungen unterworfen. Dies gilt besonders für die Versammlungsfreiheit, obwohl Art. 49 der Verfassung dieses Grundrecht garantiert und vorsieht, dass jeder sich nach rechtzeitiger Anmeldung friedlich und ohne Waffen versammeln kann. In der Praxis werden Versammlungen in der Innenstadt von Baku nicht gestattet. Sofern regierungskritische Kundgebungen unangemeldet oder trotz behördlichen Verbots durchgeführt werden, löst die Polizei Menschenansammlungen notfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwangs auf. Regelmäßig werden die Teilnehmer an solchen Aktionen festgenommen, aber meistens nach wenigen Stunden (oder zuweilen Tagen) wieder auf freien Fuß gesetzt. Es kann auch mit „vorbeugenden“ administrativen Arresten vor angekündigten Demonstrationen gerechnet werden. Für Versammlungen in geschlossenen/privaten Räumen sieht das Gesetz keine Beschränkungen vor. Die Anmietung von Konferenzräumen ist jedoch für kritische Zivilgesellschaftsvertreter oder Oppositionelle insbesondere in den Gebieten außerhalb der Hauptstadt so gut wie unmöglich (AA 17.11.2020).
Die Regierung schränkt die Versammlungsfreiheit stark ein. Die Behörden reagierten manchmal auf friedliche Proteste und Versammlungen, indem sie Gewalt anwenden und Demonstranten festnehmen. Während die Verfassung vorsieht, dass sich Gruppen nach vorheriger Verständigung der zuständigen Regierungsstelle friedlich versammeln können, interpretiert die Regierung diese Bestimmung weiterhin als Voraussetzung für eine vorherige Genehmigung. Die lokalen Behörden verlangen, dass alle Kundgebungen vorab genehmigt und an den vorgesehenen Orten durchgeführt werden müssen. Die meisten politischen Parteien und NGOs kritisieren die Anforderungen als inakzeptabel und bezeichnen sie als verfassungswidrig (USDOS 11.3.2020).
Das Gesetz schränkt die Versammlungsfreiheit, die vom Schutz der "öffentlichen Ordnung und Moral" abhängig ist, stark ein. Aktivisten haben sich darüber beschwert, dass die Hindernisse für öffentliche Versammlungen in der Praxis zusätzliche, außergesetzliche Maßnahmen umfassen. Ungenehmigte Versammlungen können eine harte Reaktion der Polizei und Geldstrafen für die Teilnehmer nach sich ziehen. Die Regierung hat die Erteilung von Genehmigungen für Kundgebungen in Baku im Frühjahr 2019 weitgehend eingestellt. Selbst wenn die Genehmigungen erteilt werden, beschränkt die Regierung Demonstrationen in der Regel auf relativ isolierte Orte, wo sie die Teilnehmer mithilfe von Gesichtserkennungstechnologie und Handydaten verfolgen kann (FH 4.3.2020).
Aserbaidschan verhängt ein pauschales Verbot von Protesten in den zentralen Gebieten Bakus und bietet stattdessen den Demonstranten einen abgelegenen Ort am Stadtrand für Kundgebungen an. Im Jahr 2019 war die Zahl der Personen, die wegen angeblicher Verstöße gegen die restriktiven Vorschriften des Landes über öffentliche Versammlungen mit Bußgeldern oder kurzen Gefängnisstrafen belegt wurden, um ein Vielfaches höher als im gesamten Jahr 2018. Die Polizei machte auch Hausbesuche, um Menschen zu warnen, die in sozialen Medien angegeben hatten, dass sie an Kundgebungen teilnehmen würden. Tage vor einem der Proteste nahm die Polizei die meisten der Protestveranstalter fest (HRW 14.1.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022698.html , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
12.2. Vereinigungsfreiheit
Die Verfassung sieht die Vereinigungsfreiheit vor, aber das Gesetz schränkt dieses Recht teilweise ein. Unter Berufung auf diese geänderten Gesetze führen die Behörden zahlreiche strafrechtliche Ermittlungen gegen die Aktivitäten unabhängiger Organisationen durch, sperren Bankkonten und schikanieren lokale Mitarbeiter, einschließlich Inhaftierung und Verhängung von Reiseverboten für einige Führungskräfte von NGOs. Infolgedessen ist eine Reihe von NGOs nicht in der Lage zu arbeiten. Eine Reihe von Rechtsvorschriften ermöglicht es der Regierung, die Aktivitäten von politischen Parteien, religiösen Gruppen, Unternehmen und NGOs zu regeln, einschließlich der Verpflichtung, dass NGOs sich beim Justizministerium registrieren müssen, wenn sie den Status einer "Rechtspersönlichkeit" anstreben. Obwohl das Gesetz die Regierung verpflichtet, innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt (oder innerhalb von weiteren 30 Tagen, wenn weitere Untersuchungen erforderlich sind) von Anträgen auf Registrierung von NGOs zu reagieren, führen vage, umständliche und undurchsichtige Registrierungsverfahren weiterhin zu langen Verzögerungen. Andere Gesetze schränken die Vereinigungsfreiheit ein, z.B. indem sie von stellvertretenden Leitern von NGO-Niederlassungen verlangen, dass sie aserbaidschanische Bürger sind, wenn der Leiter der Niederlassung ein Ausländer ist. Gesetze, die sich auf Zuschüsse und Spenden auswirken, untersagten NGOs de facto die Entgegennahme von Geldspenden und machten es ihnen nahezu unmöglich, anonyme Spenden zu erhalten oder um Beiträge von Öffentlichkeit zu werben (USDOS 11.3.2020).
Obwohl das Gesetz die Gründung von Gewerkschaften und das Streikrecht erlaubt, bleibt die Mehrheit der Gewerkschaften eng mit der Regierung verbunden, und die meisten Großindustrien werden von staatlichen Unternehmen dominiert (FH 4.3.2020).
Quellen:
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
12.3. Opposition
Die Betätigungsmöglichkeiten der politischen Opposition sind eingeschränkt. Mitglieder und Sympathisanten regierungskritischer Oppositionsparteien und -bewegungen (insbesondere Volksfront, „Musavat“, REAL, Jugendbewegung NIDA) können im Alltag Benachteiligungen ausgesetzt werden. Diese richten sich insbesondere gegen Funktionäre bzw. politisch aktive Parteimitglieder. Während die Regierung regelmäßig auf administrative Ressourcen und die überwiegend staatlich kontrollierten traditionellen und zunehmend auch elektronischen Medien zurückgreift, werden die Versuche der Opposition, sich öffentlich zu versammeln oder sonst öffentlich wahrnehmbar zu äußern, deutlich und systematisch erschwert. Oppositionelle Aktivisten setzen sich einem Risiko aus, aufgrund ihres politischen Engagements Nachteile einschließlich gewaltsamer Übergriffe, willkürlicher Verhaftungen und deutlicher Beeinträchtigungen ihrer wirtschaftlichen Existenz zu erleiden. Die Anmietung von Konferenzräumen ist für kritische Zivilgesellschaftsvertreter oder Oppositionelle insbesondere in den Gebieten außerhalb der Hauptstadt so gut wie unmöglich (AA 17.11.2020).
Während es viele politische Parteien gibt, dominierte die regierende Yeni Azerbaijan Party das politische System. Inländische Beobachter berichten, dass die Mitgliedschaft in der regierenden Partei Vorteile mit sich brächte, wie z.B. die Bevorzugung bei öffentlichen Ämtern. Seit 2010 gehören der Nationalversammlung keine Vertreter der wichtigsten Oppositionsparteien des Landes mehr an. Oppositionsmitglieder sind wahrscheinlicher als andere Bürger offiziellen Schikanen, willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen ausgesetzt. Mitglieder oppositioneller politischer Parteien werden weiterhin verhaftet und zu Verwaltungshaft verurteilt, nachdem sie in den sozialen Medien die Regierung kritisiert oder an friedlichen Kundgebungen teilgenommen haben. Die Oppositionsparteien haben nach wie vor Schwierigkeiten bei der Anmietung von Büroräumen, angeblich, weil Immobilienbesitzer offizielle Vergeltungsmaßnahmen befürchten. Regionale Mitglieder der Oppositionspartei müssen oft den Zweck ihrer Versammlungen verbergen und sie in Teehäusern und anderen abgelegenen Orten abhalten. Die Oppositionsparteien sehen sich auch mit Finanzierungshindernissen konfrontiert. So haben die Behörden beispielsweise ihre finanziellen Ressourcen weiter begrenzt, indem sie diejenigen bestrafen, die materielle Unterstützung leisten, die Entlassung von Oppositionsmitgliedern erwirken und wirtschaftlichen Druck auf ihre Familienmitglieder ausüben (USDOS 11.3.2020).
Es gibt zwei große registrierte Oppositionsparteien, nämlich Musavat und die Volksfront. Beide haben sich zu liberal-demokratischen Prinzipien bekannt, aber nie eine klar definierte systematische Förderung dieser Werte verfolgt. Ähnlich wie die herrschende Partei sind sie anfällig für personenbezogene Politik. Der Eintritt westlich gebildeter Jugendlicher in das öffentliche Leben in den letzten Jahren und das Aufkommen einer jungen gesellschaftlichen Mittelschicht und starker mittelständischer Berufstätiger, die am aktiven öffentlichen Leben interessiert sind, haben jedoch den Weg für die Entstehung neuer pro-westlicher politischer Gruppen wie der Republikanischen Alternative (REAL) und der Bürgerbewegung NIDA geebnet. Der Opposition wird der Zugang zu Fernseh- und Rundfunknetzen in Aserbaidschan verweigert. Die Regierung übt Druck auf Hotels und andere Veranstaltungsorte im Land aus, den Oppositionsparteien und unabhängigen NGOs keinen Raum für ihre Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen (BTI 2020).
Das politische Umfeld in Aserbaidschan ist weder pluralistisch noch wettbewerbsfähig. Die Fähigkeit der Oppositionsparteien zu operieren und mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten, ist durch die Dominanz der YAP-Partei begrenzt. Eine Reihe von Gesetzen schränken die Bemühungen der Kandidaten ein, Kundgebungen zu organisieren und durchzuführen. Die politische Opposition hat praktisch keinen Zugang zur Berichterstattung im Fernsehen, das nach wie vor die beliebteste Nachrichtenquelle ist. Eine repressive Medienpolitik und die politischen Rahmenbedingungen machen es den Oppositionsparteien praktisch unmöglich, durch Wahlen an die Macht zu kommen. Oppositionspolitiker und Parteifunktionäre sind willkürlichen Verhaftungen unter zweifelhaften Vorwürfen sowie physischer Gewalt und anderen Formen der Einschüchterung ausgesetzt (FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 4.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
13. Haftbedingungen
Die Haftbedingungen in den Gefängnissen des Landes werden durch Europarat und OSZE beobachtet. Die Bedingungen haben sich in zahlreichen Gefängnissen durch Renovierungen und Neubauten, wie etwa in Sheki, weiter verbessert. Es gibt jedoch beträchtliche Niveauunterschiede. Mindestens drei Haftanstalten sind EMRK-konform. Zurzeit werden weitere neue Haftanstalten gebaut, die ebenfalls EMRK-Standards erfüllen sollen. Tuberkulose ist ein Problem, weshalb Häftlinge zu Haftbeginn entsprechend untersucht werden, um eine Ausbreitung in der Anstalt zu unterbinden. Strafgefangene haben die Möglichkeit, sich an die Ombudsfrau des Parlaments zu wenden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Haftbedingungen für politische Straftäter härter sind als die für andere Straftäter. (AA 17.11.2020).
Nach Angaben einer angesehenen Gefängnisüberwachungsorganisation sind die Haftbedingungen mitunter hart und potenziell lebensbedrohlich aufgrund von Überbelegung, unzureichender Ernährung, mangelhafter Heizung, Belüftung und sanitärer Versorgung sowie schlechter medizinischer Versorgung. Weibliche Häftlinge leben in der Regel unter besseren Bedingungen als männliche Häftlinge, werden häufiger überwacht und haben besseren Zugang zu Ausbildung und anderen Aktivitäten, aber Frauengefängnisse leiden unter vielen gleichen Problemen wie Männergefängnisse. Verurteilte jugendliche Straftäter können in speziellen Hafteinrichtungen für Jugendliche bis zum Alter von 20 Jahren festgehalten werden. Während die Regierung weiterhin neue Anlagen baut, entsprechen einige der noch genutzten Anlagen aus der Sowjetzeit nicht den internationalen Standards. Menschenrechtsverteidiger berichten, dass Wachen manchmal Gefangene mit Schlägen oder durch Isolationshaft bestrafen. Ehemalige Häftlinge und Familienmitglieder von inhaftierten Aktivisten berichten, dass Häftlinge oft Bestechungsgelder zahlen müssen, um Familienmitglieder treffen zu können, fernzusehen, Toiletten oder Duschräume zu benutzen oder Lebensmittel von außerhalb der Haftanstalt zu erhalten. Während die meisten Häftlinge berichten, dass sie ohne Zensur Beschwerden an die Justizbehörden und das Büro der Ombudsperson richten können, lesen die Gefängnisbehörden regelmäßig die Korrespondenz der Häftlinge, überwachen die Treffen zwischen Anwälten und Mandanten und hindern einige Anwälte daran, Dokumente in und aus den Haftanstalten zu nehmen. Die Behörden schränken die Besuche von Anwälten und Familienangehörigen ein, insbesondere von Gefangenen, die aus politischen Gründen inhaftiert sind. Es gibt auch Berichte über Misshandlungen im Gefängnis (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.202014. Todesstrafe
Die Todesstrafe wurde mit Gesetz vom 28.10.1998 abgeschafft (AA 17.11.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 4.12.202015. Religionsfreiheit
Die Verfassung garantiert die Religions- und Bekenntnisfreiheit (Art. 48 Abs. 2) und knüpft damit an eine historisch gewachsene Tradition der Toleranz in Religionsfragen an. So leben im heutigen Aserbaidschan zahlreiche Religionen in Eintracht miteinander. Laut Religionsgesetz ist für alle die Religionsgemeinschaften betreffenden Fragen ein Staatskomitee zuständig, das weitreichende Vollmachten hat: So muss jede Religionsgemeinschaft sich beim Staatskomitee registrieren lassen. Muslimische Gemeinden müssen zudem dem staatlich kontrollierten Muftiyat beitreten. Das Staatskomitee kontrolliert auch Einfuhr, Druck und Verbreitung religiöser Literatur. Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft ohne Registrierung ist illegal. Religionswechsel, auch vom Islam zum Christentum oder von einer islamischen Konfession zu einer anderen, wird akzeptiert und führt zu keinerlei Benachteiligungen. Offene Missionstätigkeit wird allerdings nicht geduldet. Nicht registrierte islamische, in der Praxis vor allem islamistische Gruppierungen, werden besonders streng observiert und in ihren Betätigungsmöglichkeiten eingeschränkt (AA 17.11.2020).
Aserbaidschan ist ein säkularer Staat, der in seiner Verfassung die Trennung von Staat und Religion festschreibt. Obwohl die Verfassung die Gewissensfreiheit schützt und das Recht vorsieht, "sich einzeln oder zusammen mit anderen zu einer Religion zu bekennen oder sich zu keiner Religion zu bekennen und Überzeugungen bezüglich der Religion auszudrücken und zu verbreiten", hat die Regierung diese Rechte in der Praxis durch das Gesetz über Religionsfreiheit von 2009, das Verwaltungsgesetzbuch und das Strafgesetzbuch eingeschränkt. Während der Staat die Diskriminierung aufgrund der Religion formell verbietet, haben muslimische Frauen, die den Hijab tragen, über Diskriminierung bei der Arbeitssuche berichtet und behauptet, dass die Regierung ein inoffizielles Verbot des Hijab in der Regierung und in Schulen aufrechterhält.
Die Religionsgemeinschaften beschrieben für 2019 weitgehend verbesserte Bedingungen für Religionsfreiheit und bessere Beziehungen zur Regierung. Ungeachtet des Rückgangs der staatlichen Schikanen bleiben die Religionsgemeinschaften jedoch sowohl unter den Beschränkungen der bestehenden Gesetze, die die religiöse Betätigung regeln, als auch unter der Drohung, dass Regierungsbeamte und Strafverfolgungsbehörden zu früheren missbräuchlichen Praktiken zurückkehren könnten. Einige Gruppen von Baptisten, Zeugen Jehovas und Lutheranern könnten sich weiterhin nicht registrieren lassen, und sie bezeichnen das Registrierungsverfahren als beschwerlich und willkürlich; insbesondere die Forderung, dass jede Religionsgemeinschaft mindestens 50 Gründungsmitglieder haben müsse, erweist sich für kleine Gemeinden außerhalb der Hauptstadt als außerordentlich schwierig zu erfüllen. Ausländern ist es nach wie vor untersagt, sich ohne Sondergenehmigung an "religiöser Propaganda" zu beteiligen - was als Proselytisierung oder missionarische Tätigkeit verstanden wurde. Eine Bestimmung des Religionsgesetzes, die die religiösen Aktivitäten einer Gemeinschaft auf ihren legalen, registrierten Wohnsitz beschränkt, setzt einige Gemeinschaften weiterhin Bedrohungen durch die Polizei aus. Die Regierung verlangt weiterhin, dass alle religiöse Literatur und verwandte Materialien die Genehmigung der SCWRA (State Committee for Work with Religious Associations) erhalten und mit einem holografischen Aufkleber versehen werden müssen, und sie beschränkt den Verkauf religiöser Literatur auf bestimmte vorab genehmigte Verkaufsstellen (USCIRF 4.2020).
Religiöse Organisationen und Mitglieder des Klerus sind von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen. Aserbaidschaner mit unterschiedlichem religiösem Hintergrund genießen Gleichberechtigung und Toleranz, obwohl einige von der Regierung als nicht-traditionell bezeichnete religiöse Gruppen, wie Evangelikale und einige muslimische Gruppen, oft mit staatlichen Einschränkungen konfrontiert sind (BTI 2020).
Die Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Religion und die Gleichstellung aller Religionen vor. Sie schützt auch das Recht des Einzelnen, seine religiösen Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen und religiöse Rituale zu praktizieren, sofern diese nicht gegen die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Moral verstoßen. Das Gesetz verbietet der Regierung, sich in religiöse Aktivitäten einzumischen, aber es besagt auch, dass die Regierung und die Bürger die Verantwortung haben, "religiösen Extremismus" und "Radikalismus" zu bekämpfen. Das Gesetz bestimmt, dass die Regierung religiöse Organisationen auflösen kann, wenn sie rassische, nationale, religiöse oder soziale Feindseligkeiten verursachen, in einer Weise missionieren, die die Menschenwürde "beeinträchtigt" oder die weltliche Erziehung behindern.
Die Gerichte verhängen Geldstrafen für den unerlaubten Verkauf oder die unerlaubte Verteilung von religiösem Material. Ein hochrangiger Regierungsbeamter erklärte im Mai 2019, dass, obwohl das Gesetz das Problem des Hijab am Arbeitsplatz nicht explizit anspreche, es ein inoffizielles Verbot gebe, den Hijab am Arbeitsplatz zu tragen. Die Regierung sponsert im ganzen Land Veranstaltungen zur Förderung der religiösen Toleranz und zur Bekämpfung dessen, was sie als religiösen Extremismus betrachtet, darunter das Gipfeltreffen der Weltreligionsführer im November 2019 in Baku.
Vertreter der Zivilgesellschaft erklären, dass die Bürger weiterhin "traditionelle" religiöse Minderheitengruppen (d.h. diejenigen, die historisch im Land präsent sind), darunter Juden, russisch-orthodoxe und Katholiken, tolerieren; als "nicht-traditionell" angesehene Gruppen werden jedoch oft mit Misstrauen und Argwohn betrachtet. Lokale Menschenrechtsgruppen und andere geben an, dass die Regierung weiterhin religiöse Aktivisten physisch misshandelt, verhaftet und inhaftiert. Die Behörden halten zahlreiche Personen wegen der Durchführung unbefugter religiöser Versammlungen kurzzeitig fest, verhängen Geldstrafen oder mahnen die Betroffenen ab. Nicht registrierte muslimische und nichtmuslimische religiöse Gruppen, die von der Regierung als "nicht-traditionell" betrachtet werden, werden zeitweise wegen der Ausübung religiöser Aktivitäten schikaniert und mit Geldstrafen belegt. Regionale Zweige der Baptisten und Zeugen Jehowas berichten, dass sie nicht in der Lage seien, eine legale Registrierung zu erlangen. Einige protestantische und einheimische Kirchenführer berichten, dass ihre Unfähigkeit, eine legale Registrierung zu erhalten, sie zwinge, ihre Aktivitäten diskret auszuüben. Die SCWRA (State Committee for Work with Religious Associations) verwaltet den Registrierungsprozess und kann bei den Gerichten Berufung einlegen, um die Aktivitäten einer religiösen Gruppe auszusetzen. Die Registrierung einer Religionsgemeinschaft ist an den physischen Ort gebunden, an dem sich die Gemeinschaft befindet, wie in ihrem Antrag angegeben. Ein späterer Umzug oder eine Ausweitung auf andere Standorte erfordert eine erneute Registrierung. Die Registrierung ermöglicht es einer religiösen Organisation, Versammlungen abzuhalten, ein Bankkonto zu unterhalten, Eigentum zu mieten, als juristische Person zu handeln und Gelder von der Regierung zu erhalten. Laut Gesetz muss die Regierung innerhalb von 30 Tagen über einen Registrierungsantrag entscheiden, aber es gibt keine festgelegten Konsequenzen, wenn die Regierung nicht innerhalb der Frist handelt. Die Behörden können die Registrierung einer religiösen Organisation ablehnen, wenn deren Handlungen, Ziele oder religiöse Doktrin der Verfassung oder anderen Gesetzen widersprechen. Die Behörden können die Registrierung auch ablehnen, wenn die Satzung und andere Gründungsdokumente einer Organisation dem Gesetz widersprechen oder wenn die vorgelegten Informationen falsch sind. Religiöse Gruppen können gegen die Verweigerung der Registrierung bei den Gerichten Berufung einlegen. Die Regierung kontrollierte weiterhin die Einfuhr, den Vertrieb und den Verkauf von religiösem Material. Die Gerichte verhängten Geldstrafen für den unerlaubten Verkauf oder die unerlaubte Verteilung von religiösem Material (USDOS 10.6.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020 Annual Report; USCIRF - Recommended for Special Watch List: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028953/Azerbaijan.pdf , Zugriff 9.12.2020
- USDOS – US Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031205.html , Zugriff 9.12.2020
15.1. Religiöse Gruppen
Etwa 96% der aserbaidschanischen Bevölkerung sind Muslime. Obwohl es keine neueren Statistiken gibt, ist die Regierung Aserbaidschans im Allgemeinen der Ansicht, dass 65 Prozent der muslimischen Bevölkerung sich als schiitische Muslime und 35 Prozent als sunnitische Muslime identifizieren. Die restlichen 4 Prozent der Bevölkerung bestehen aus Angehörigen der Russisch-Orthodoxen Kirche, Georgisch-Orthodoxen Kirche, der Armenisch-Apostolische Kirche, Siebenten-Tags-Adventisten, der Molokan-Kirche, der Römisch-Katholischen Kirche, anderen Christen, einschließlich evangelikaler Kirchen und der Zeugen Jehovas, Juden und Baha'i (USCIRF 4.2020; vgl. USDOS 10.6.2020).
Christen leben hauptsächlich in Baku und anderen städtischen Gebieten. In Baku leben etwa 15.000 bis 20.000 Juden mit kleineren Gemeinschaften im ganzen Land (USDOS 10.6.2020).
Quellen:
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020 Annual Report; USCIRF - Recommended for Special Watch List: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028953/Azerbaijan.pdf , Zugriff 9.12.2020
- USDOS – US Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031205.html , Zugriff 9.12.2020
16. Ethnische Minderheiten
In Aserbaidschan leben neben der Titularnation der Aserbaidschaner schätzungsweise 1,3% Russen, 2,0% Lesginer, 1,3% Armenier, 1,3% Talyschen sowie Kurden, Georgier, Awaren usw. (AA 17.11.2020; vgl. CIA 24.11.2020). Die Lebensbedingungen dieser Minderheiten unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen der Aserbaidschaner. Die Sprachen Lesginisch, Georgisch, Awarisch und Talysch werden in den Schulen im traditionellen Siedlungsgebiet dieser Volksgruppen unterrichtet. Die russische Sprache gilt gerade in Baku weiterhin als die Sprache der Bildungs- und Verwaltungselite (AA 17.11.2020).
Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Angehörigen von Minderheiten am politischen Prozess einschränken. Einige Gruppen, darunter Talysh im Süden und Lesginen im Norden, berichten, dass die Regierung keine offiziellen Lehrbücher in ihrer lokalen Muttersprache zur Verfügung stellt (USDOS 11.3.2020).
Ethnische Diskriminierung scheint in Aserbaidschan kein großes Problem zu sein. Ebenso scheint die ethnische Herkunft kein beschäftigungshemmender Faktor zu sein. Regionale Herkunft spielt in Aserbaidschan eine wichtigere Rolle: Aserbaidschaner aus Armenien und der Exklave Nakhichevan haben generell einen privilegierten Zugang zu öffentlichen Ämtern und Arbeitsplätzen (BTI 2020). Angehörige ethnischer Minderheiten beschwerten sich jedoch über Diskriminierung in Bereichen wie Bildung, Beschäftigung und Wohnen (FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (24.11.2020): The World Factbook, Azerbaijan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/aj.html , Zugriff 4.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020Relevante Bevölkerungsgruppen
16.1. Frauen
Artikel 25 Abs. 2 der Verfassung garantiert die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Im Großraum Baku entspricht dieser Grundsatz weitestgehend der Praxis, während auf dem Land traditionelle Vorstellungen der Geschlechterverhältnisse noch verbreitet sind. Insgesamt betrachtet nimmt die Repräsentanz von Frauen in Regierung und Parlament leicht zu (23 von 125 Parlamentariern sind weiblich); und sie sind im Bildungs- und Gesundheitssektor stark vertreten. Nach offiziellen Angaben machen Frauen 15% der Unternehmerschaft aus, Tendenz unter Nachwuchskräften steigend (AA 17.11.2020).
Vergewaltigung ist illegal und wird mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft (USDOS 11.3.2020). Eheliche Vergewaltigung ist ebenfalls illegal, aber Frauen können im Fall von Vergewaltigungen innerhalb der Ehe nicht darauf vertrauen, dass Sicherheitsorgane sie schützen und Ermittlungen aufnehmen (AA 17.11.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Das Gesetz schafft einen Rahmen für die Untersuchung von Beschwerden über häusliche Gewalt, definiert ein Verfahren zur Erlassung von einstweiligen Verfügungen und fordert die Einrichtung eines Schutz- und Rehabilitationszentrums für Opfer. Aktivisten berichteten, dass die Polizei häusliche Gewalt weiterhin als familiäres Problem ansieht und nicht effektiv zum Schutz der Opfer eingreift. Der Staatliche Ausschuss für Familie, Frauen und Kinder (SCFWCA) setzt seine Aktivitäten gegen häusliche Gewalt fort, indem er Aufklärungskampagnen durchführt und sich für die Verbesserung der sozioökonomischen Situation von Opfern häuslicher Gewalt einsetzt. Die Regierung bietet Frauen, die Opfer von Körperverletzungen wurden, begrenzten Schutz. Die Regierung und eine unabhängige NGO betreiben jeweils eine Unterkunft, die Opfern von Menschenhandel und häuslicher Gewalt Hilfe und Beratung bietet. Die Regierung setzt das Verbot der sexuellen Belästigung nur selten durch oder setzt selten rechtliche Schritte gegen Personen, die dieser beschuldigt werden. Obwohl Frauen nominell dieselben gesetzlichen Rechte wie Männer genießen, stellt die gesellschaftliche und geschlechtsspezifische Diskriminierung ein Problem dar (USDOS 11.3.2020; vgl. BTI 2020). Aus kulturellen Gründen sind Frauen von Führungspositionen ausgeschlossen. Frauenberufe sind traditionell unterbezahlt, und geschlechtsspezifische Ausgrenzung ist offensichtlich (BTI 2020). Nach Angaben des Statistischen Staatsausschusses gibt es eine Diskriminierung von Frauen in der Beschäftigung, einschließlich großer Lohnunterschiede und höherer Arbeitslosenquoten. Das Gesetz schließt Frauen von bestimmten Berufen aus, wie z.B. der Arbeit unter Tage in Bergwerken. Frauen waren in hochrangigen Berufen, einschließlich Spitzenpositionen in Unternehmen, unterrepräsentiert. Traditionelle Praktiken schränkten den Zugang von Frauen zu wirtschaftlichen Möglichkeiten in ländlichen Gebieten ein (USDOS 11.3.2020).
Es gibt Hinweise auf geschlechtsspezifische Abtreibungen, besonders in ländlichen Regionen. Auf 100 neugeborene Mädchen kommen 114 neugeborene Buben (USDOS 11.3.2020).
Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Frauen und Angehörigen von Minderheiten am politischen Prozess einschränken. Frauen in politischen Oppositionsparteien sehen sich oft zusätzlichem Druck und Schikanen ausgesetzt (USDOS 11.3.2020).
Frauen werden bei der Beschäftigung diskriminiert, was sowohl eine faktische Voreingenommenheit als auch den formellen Ausschluss von bestimmten Arten von Arbeit im Rahmen des Arbeitsgesetzes einschließt. Das Gesetz gewährt Frauen und Männern im Allgemeinen die gleichen Rechte in Fragen des persönlichen Status, wie z.B. bei Heirat, Scheidung und Sorgerecht für Kinder. Häusliche Gewalt ist ein bemerkenswertes Problem und der damit verbundene Rechtsschutz ist unzureichend. Konservative gesellschaftliche Normen tragen zu der weit verbreiteten Ansicht bei, dass häusliche Gewalt eine Privatangelegenheit ist. Seit 2011 ist der Hijab in aserbaidschanischen Schulen formell verboten und Frauen, die sich dafür entscheiden, ihn zu tragen, haben sich zunehmend über die Diskriminierung durch private und öffentliche Arbeitgeber beschwert (FH 4.3.2020).
Die Regierung von Aserbaidschan erfüllt die Mindeststandards für die Bekämpfung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt aber erhebliche Anstrengungen, um dies zu erreichen. Zu diesen Bemühungen gehören die Verurteilung von mehr Menschenhändlern und Richtlinien für Richter, um strengere Strafen für Menschenhändler zu verhängen.
Die Regierung richtete Zuschüsse für die Zivilgesellschaft ein, erhöhte die Gesamtfinanzierung für den Opferschutz beträchtlich und erkannte NGO-Führer für ihre Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenhandels an (USDOS 25.6.2020).
Die Gesetze Aserbaidschans enthalten diskriminierende Normen trotz des Grundsatzes der Beschäftigungsgleichheit unabhängig vom Geschlecht. Der Staat ist nach wie vor der Ansicht, dass Frauen nicht in "männlichen" Bereichen arbeiten können. Frauen arbeiten hauptsächlich in Niedriglohnsektoren. Es besteht auch ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle im Zusammenhang mit gering bezahlten Arbeitsplätzen und der Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen (CESCR 8.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 3.12.2020
- CESCR - UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights (8.2019): Alternative information for review by UN CESCR on the implementation by Azerbaijan of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CESCR/Shared%20Documents/AZE/INT_CESCR_ICO_AZE_36987_E.docx , Zugriff 3.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
- USDOS – US Department of State (25.6.2020): 2020 Trafficking in Persons Report: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2036215.html , Zugriff 9.12.2020
16.2. Kinder
Es gibt keine Kenntnis über spezifische Menschenrechtsverletzungen an Kindern in Aserbaidschan. Hinweise auf systematisch begangenen Kinderhandel oder sexuelle Ausbeutung von Kindern bzw. Kinderarbeit liegen dem deutschen Auswärtigen Amt nicht vor. Es gibt keine Kindersoldaten. In ländlichen Gebieten können illegale Zwangsverheiratungen von jungen Mädchen (13–15 Jahre) nicht ausgeschlossen werden. Das Ehegesetz setzt das Mindestalter für Eheschließungen auf 18 Jahre fest, gestattet aber Ausnahmen für 17-Jährige mit Sondergenehmigung lokaler Behörden (USDOS 11.3.2020) und schreibt eine medizinische Voruntersuchung vor (AA 17.11.2020).
Kinder erhalten die Staatsbürgerschaft durch Geburt im Land oder von ihren Eltern. Die Registrierung der Geburt bei Geburten in Krankenhäusern oder Kliniken ist Routine. Einige zu Hause geborene Kinder werden nicht registriert. Während die Bildung bis zum Alter von 17 Jahren obligatorisch, kostenlos und universell ist, legen große Familien in verarmten ländlichen Gebieten manchmal eine höhere Priorität auf die Ausbildung von Jungen und lassen Mädchen zu Hause arbeiten. Es gibt Strafen für sexuelle Gewalt gegen Kinder und Kinderarbeit, und das Gesetz sieht Strafen für häusliche und andere Gewalt speziell gegen Kinder vor. Das Gesetz sieht vor, dass ein Mädchen im Alter von 17 oder 18 Jahren mit Erlaubnis der örtlichen Behörden heiraten darf. Das Gesetz besagt weiterhin, dass ein Junge im Alter von 18 Jahren heiraten darf (vgl. AA 17.11.2020). Die Zwangsheirat mit einem minderjährigen Kind ist ebenso strafbar wie die Rekrutierung von Minderjährigen für die Prostitution. Pornografie ist gesetzlich verboten. Das Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr beträgt 16 Jahre. Staatliche Investitionen lindern weitgehend das Problem vieler intern vertriebener Kinder, die unter schlechten Bedingungen leben und keine Schule besuchen können. Die Strafverfolgungsbehörden verfolgen Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder (USDOS 11.3.2020).
In den meisten Fällen erlaubt das Gesetz Kindern ab 15 Jahren mit einem schriftlichen Arbeitsvertrag zu arbeiten; Kinder ab 14 Jahren können in Familienbetrieben oder mit elterlicher Zustimmung in Tagesarbeitsplätzen nach der Schule arbeiten, die keine Gefahr für ihre Gesundheit darstellen. Kinder unter 16 Jahren dürfen nicht mehr als 24 Stunden pro Woche arbeiten; Kinder von 16 oder 17 Jahren dürfen nicht mehr als 36 Stunden pro Woche arbeiten. Das Gesetz verbietet die Beschäftigung von Kindern unter 18 Jahren unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen und benennt bestimmte Arbeiten und Branchen, in denen Kinderarbeit verboten ist, einschließlich der Arbeit mit giftigen Stoffen und unter Tage, in der Nacht, in Bergwerken und in Nachtclubs, Bars, Casinos oder anderen Unternehmen, die Alkohol verkaufen. Die Regierung setzt die Gesetze, die Kinderarbeit verbieten und ein Mindestalter für die Beschäftigung festlegen, nicht wirksam durch (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung setzt einige Schritte zur Bekämpfung von Zwangsarbeit und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, u.a. durch die Verfolgung von Menschenhändlern und die Bereitstellung von Dienstleistungen für die Opfer, aber das Problem besteht weiterhin, insbesondere bei Roma-Kindern und ausländischen Hausangestellten (FH 4.3.2020).
Im Jahr 2019 machte Aserbaidschan nur minimale Fortschritte bei den Bemühungen um die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Die Regierung führte eine Reihe von Maßnahmen ein, um den Zugang behinderter Schüler zur Bildung zu verbessern, darunter die Modernisierung der Schulinfrastruktur, die Sensibilisierung der Eltern für integrative Dienstleistungen und die Schulung von Schulleitern und Lehrern in integrativen Methoden. Darüber hinaus führte die Regierung in drei Städten und fünf Distrikten Untersuchungen zur Kinderarbeit durch. Trotz neuer Initiativen zur Bekämpfung der Kinderarbeit erhält Aserbaidschan jedoch eine Einschätzung der minimalen Fortschritte, da es weiterhin einen Rückschritt in der Gesetzgebung vollzog, der die Fortschritte bei der Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit verzögerte. Im Jahr 2017 verlängerte die Regierung ein Moratorium für Arbeitsinspektionen, einschließlich Baustelleninspektionen, bis 2021. Zwar können die Inspektoren auf Beschwerden reagieren, doch kann das Fehlen proaktiver oder vor-Ort-Inspektionsmechanismen dazu führen, dass potenzielle Verstöße gegen Kinderarbeitsgesetze an den Arbeitsplätzen unentdeckt bleiben. Der Rechtsschutz gilt nur für Arbeitnehmer mit schriftlichen Arbeitsverträgen, so dass selbstständig erwerbstätige Kinder und Kinder, die außerhalb eines formellen Arbeitsverhältnisses arbeiten, anfällig für Ausbeutung sind. Darüber hinaus fehlt es den Koordinierungsstellen, einschließlich des Staatlichen Ausschusses für Familie, Frauen und Kinderangelegenheiten, an der Kapazität und klaren rechtlichen Befugnissen, um ihre Mandate wirksam auszuführen (USDOL 30.9.2020).
Es gibt kein Verbot der körperlichen Züchtigung in alternativen Betreuungseinrichtungen. Es gelten die Schutzbestimmungen des Gesetzes über die Rechte des Kindes von 1998, aber weder diese noch das Gesetz über sozialen Schutz von Kindern ohne Eltern 1999 verbieten ausdrücklich jede körperliche Bestrafung. Es gibt kein Verbot der körperlichen Züchtigung in frühkindlichen Betreuungseinrichtungen und in der Tagesbetreuung für ältere Kinder. Es gelten zwar die erwähnten Schutzbestimmungen des Gesetzes über die Rechte des Kindes von 1998 und Artikel 27 legt zusätzlich fest, dass "internen Vorschriften von Schulen, vorschulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen auf den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des gegenseitigen Respekts beruhen sollten", diese aber verbieten nicht ausdrücklich körperliche Züchtigung. Im Gesetz über die Rechte des Kindes von 1998 heißt es im Artikel 12 dass "die grausame Behandlung von Kindern durch Eltern und andere Personen, die Anwendung von geistiger oder körperlicher Misshandlung von Kindern und die Verletzung von Kinderrechten" eine Ursache für den Entzug der elterlichen Rechte ist, und dass die Verletzung der Rechte der Kinder auch das Versäumnis der Eltern einschließt den "Verpflichtungen zur Ausbildung und Erziehung des Kindes" nachzukommen. Keine dieser Bestimmungen wird jedoch interpretiert als Verbot jeglicher körperlicher Züchtigung bei der Kindererziehung. Bestimmungen gegen Gewalt und Missbrauch im Strafgesetzbuch 1999, im Gesetz zur Verhütung häuslicher Gewalt 2010 und in der Verfassung 2002 werden nicht dahingehend interpretiert, dass jede körperliche Bestrafung verboten ist (GIEACPC 7.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- GIEACPC - Global Initiative to End All Corporal Punishment of Children (7.2020): Corporal punishment of children in Azerbaijan, http://www.endcorporalpunishment.org/wp-content/uploads/country-reports/Azerbaijan.pdf , Zugriff 4.12.2020
- USDOL – US Department of Labor (30.9.2020): 2019 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2040501.html , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
17. Bewegungsfreiheit
Aserbaidschanische Staatsangehörige sind bei der Ausreise strengen Kontrollen unterworfen. Wenn sie nach Ansicht der Grenzpolizei nicht über das erforderliche Visum zur Einreise in den Zielstaat verfügen, wird die Ausreise verweigert. Eine Ausreisesperre wird häufig in Untersuchungsverfahren verhängt, insbesondere bei Steuervergehen (AA 17.11.2020).
Das Gesetz sieht Inlandsreisen, Auslandsreisen, Auswanderung und die Rückkehr vor. Die Regierung respektiert im Allgemeinen viele dieser Rechte (USDOS 11.3.2020) Sie setzt aber ihre Praxis fort, die Freizügigkeit insbesondere bei Auslandsreisen für Oppositionelle, Aktivisten und Journalisten zu beschränken (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die Regierung arbeitet mit dem Büro des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen, Asylsuchenden, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Unterstützung zu gewähren. Das Gesetz verpflichtet Männer im wehrdienstfähigen Alter, sich vor einer Auslandsreise bei den Militärbehörden zu registrieren. Die Behörden legen für Militärpersonal mit Zugang zu nationalen Sicherheitsinformationen einige Reisebeschränkungen auf. Bürger, die wegen Straftaten angeklagt oder verurteilt wurden, aber Bewährungsstrafen erhielten, dürfen nicht ins Ausland reisen, bis die Bedingungen ihrer Bewährungsstrafen erfüllt sind. Personen mit armenisch klingenden Namen werden an den Grenzübergängen oft zusätzlichen Kontrollen unterzogen und gelegentlich wird ihnen die Einreise ins Land verweigert (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html , Zugriff 3.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
18. IDPs und Flüchtlinge
In Aserbaidschan leben mehrere hunderttausend Binnenvertriebene aus Berg-Karabach und den umliegenden, seit 1993 von Armenien besetzten aserbaidschanischen Gebieten (AA 26.2.2020a). Binnenvertriebene haben Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, aber ihre Arbeitslosenquote liegt über dem nationalen Durchschnitt. Einige internationale Beobachter erklären, dass die Regierung die Integration von Binnenvertriebenen in die Gesellschaft nicht ausreichend fördert. Das Gesetz sieht die Gewährung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus vor und die Regierung hat ein System zum Schutz einiger Flüchtlinge durch die Abteilung zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus beim Staatlichen Migrationsdienst eingerichtet, der für alle Flüchtlingsfragen zuständig ist. Obwohl UNHCR einige Verbesserungen feststellt, entspricht das System zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus des Landes nicht den internationalen Standards. Internationale NGOs berichten, dass dieses weiterhin ineffizient und intransparent ist. Die geschätzten 1.120 Flüchtlinge im Land haben keinen Zugang zu sozialen Diensten. Viele Binnenvertriebenen- und Flüchtlingskinder schreiben sich in zahlreichen Regionen des Landes in normale Schulen ein. Die Regierung hat Asylsuchenden im Laufe des Jahres 2019 keinen vorübergehenden Schutz gewährt. Das Gesetz sieht das Recht vor, den Status eines Staatenlosen zu beantragen, doch können einige Personen, die für den Antrag erforderlichen Unterlagen nicht erhalten und bleiben daher formell nicht anerkannt. Das Staatsbürgerschaftsgesetz macht es Ausländern und Staatenlosen schwer, die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Staatenlose genießen größtenteils Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes. Das Gesetz erlaubt Staatenlosen den Zugang zu Grundrechten wie zu Gesundheitsversorgung und Beschäftigung. Dennoch behindert ihr mangelnder Rechtsstatus manchmal den Zugang zu diesen Rechten (USDOS 11.3.2020).
Laut offizieller Statistiken, die das Staatliche Komitee für die Angelegenheiten von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen dem UNHCR zur Verfügung gestellt hat, gab es Ende 2018 620.422 registrierte Binnenvertriebene im Land. Das Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) schätzt seinerseits die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Aserbaidschan auf rund 344.000 Personen. Die Schätzung des IDMC basiert auf einer Analyse der Daten, die das Staatliche Komitee für die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen der Regierung zur Verfügung gestellt hat. Nach dessen Angaben gab es im Dezember 2018 rund 644.000 IDPs in Aserbaidschan. Die Zahl ist in zwei Gruppen unterteilt: 344.000 Menschen, die Langzeit-Vertriebene sind und noch immer keinen Zugang zu Wohnraum, Beschäftigung, Bildung und Gesundheitsversorgung haben, und 300.000, die in provisorische Unterkünfte umgesiedelt wurden. Nach Angaben des IDMC hat diese zweite Gruppe eine Teillösung für die Vertreibung erreicht, da sie umgesiedelt wurden und Unterstützung von der Regierung erhalten. Obwohl viele der IDPs in den 25 Jahren seit ihrer Vertreibung effektiv integriert wurden, besteht die Regierung darauf, dass alle oder die große Mehrheit (einschließlich der Kinder, die nach der Vertreibung geboren wurden) weiterhin als IDPs eingestuft werden sollten. Der Menschenrechtskommissar des Europarats stellte fest, dass in Aserbaidschan die Neigung besteht, den Status der Vertriebenen beizubehalten und deren Situation weiterhin als vorübergehend zu betrachten, da die Behörden die Rückkehr in ihre ursprüngliche Heimat als vorgeschriebene dauerhafte Lösung betrachten. Der Kommissar begrüßt die Bemühungen der aserbaidschanischen Behörden, die Lebensbedingungen der Binnenvertriebenen zu verbessern, insbesondere in den Bereichen Wohnen und Beschäftigung. Infolgedessen ist die Armutsquote der Vertriebenen nach Angaben der Behörden von 75% auf 12% gesunken. In Aserbaidschan haben die IDPs zwar das Recht, an den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen teilzunehmen, doch ist ihr Recht auf Teilnahme an den Kommunalwahlen eingeschränkt. Sie können in der Gemeinde, in der sie leben, weder wählen noch kandidieren (CoE – CommDH 11.12.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020a): Aserbaidschan: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschan-portrait/202964 , Zugriff 9.12.2020
- CoE-CommDH – Council of Europe – Commissioner for Human Richts (11.12.2019): Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatović: Report following her visit to Azerbaijan from 8 to 12 July 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021164/CommDH%282019%2927+-+Report+on+Azerbaijan_EN.docx.pdf , Zugriff 4.12.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html , Zugriff 9.12.2020
19. Grundversorgung und Wirtschaft
Die Armut ist in den letzten Jahren durch die stark angestiegenen Einkommen der Bevölkerung erheblich zurückgegangen. Nach Angaben der Weltbank lebten 2016 5,6% der Bevölkerung unter dem Existenzminimum, 2003 waren es noch 44,7%. Die langfristigen ökonomischen Folgen der Covid-19-Pandemie sind noch nicht absehbar. Das offizielle Existenzminimum liegt nach offiziellen Berechnungen derzeit bei 238 AZN (ca. 120 EUR) pro Kopf und Monat. Für Angestellte betrug das monatliche Durchschnittseinkommen 2019 724 AZN (ca. 360 EUR). Die Durchschnittsrente liegt 2020 nach offiziellen Angaben nach einer 2019 erfolgten Erhöhung der Mindestrente bei 290 AZN (ca. 145 EUR). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Einkommensschwache Familien erhalten Sozialleistungen (AA 17.11.2020).
Die Inflation für 2019 wird mit 2,61% beziffert. Die Arbeitslosenquote beträgt 5,5% (länderdaten.info o.D.).
Offizielle Statistiken für 2017 und 2018 weisen eine Arbeitslosenquote von rund 5 % aus. Unabhängige Quellen schätzen jedoch, dass etwa 25 % der Bevölkerung arbeitslos sind. Dem Staat mangelt es an einer aktiven Beschäftigungspolitik und einem funktionierenden System von Arbeitsämtern. Es gibt auch keine staatliche Unterstützung für die große Mehrheit der Arbeitslosen. Im Juni 2017 unterzeichnete Präsident Alijew das Gesetz über die Arbeitslosenversicherung, das am 1. Januar 2018 in Kraft trat. Demnach wird Arbeitnehmern Arbeitslosengeld angeboten, wenn sie ihren Arbeitsplatz aufgrund von Personalabbau oder der Auflösung ihres Arbeitsplatzes verlieren. Außerdem werden 0,5% des Monatslohns eines Arbeitnehmers als Versicherungsprämie an eine Arbeitslosenversicherungskasse überwiesen. Es gibt einen Unterschied in der Erwerbsquote zwischen ländlichen und städtischen Gebieten. Im Allgemeinen ist die Arbeitslosigkeit in den Städten höher. Darüber hinaus gibt es ein Lohngefälle zwischen städtischen und ländlichen Gebieten (BTI 2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 3.12.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (24.11.2020): The World Factbook, Azerbaijan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/aj.html , Zugriff 4.12.2020
- laenderdaten.info (ohne Datum): Aserbaidschan, https://www.laenderdaten.info/Asien/Aserbaidschan/index.php , Zugriff 4.12.2020
19.1. Sozialbeihilfen
Einkommensschwache Familien erhalten Sozialleistungen. Staatliche Unterstützungsleistungen erhalten zudem die über 600.000 (Binnen-)Vertriebenen, die im Zuge des Bergkarabach-Konflikts aus ihren bisherigen Wohnorten in den besetzten Gebieten vertrieben wurden oder geflohen sind (AA 17.11.2020).
In der nationalen Gesetzgebung gibt es Bestimmungen für Pensionen, Krankengeld, Invalidität, Arbeitslosigkeit und Mutterschaftsurlaub; das Wohlfahrtssystem in Aserbaidschan leidet jedoch an einer erheblichen Unterfinanzierung. Löhne, Renten und Krankengeld sind niedrig und decken die Lebenshaltungskosten nicht ab. Die Gesundheitsversorgung ist vor allem für die ärmeren Bevölkerungsschichten unzureichend. Der Mindestlohn ist in den letzten Jahren gestiegen (BTI 2020).
In folgenden Bereichen können unter anderem Sozialhilfen bzw. Renten gewährt werden: Alters- und Arbeitsunfähigkeit, Hinterbliebenenrenten, Krankheit und Mutterschaft; weiters Zuschüsse für Arbeiter für medizinische Leistungen, bei Verletzungen während der Arbeit und zeitlich begrenzte oder dauerhafte Invaliditätsleistungen, Arbeitslosigkeits- und Familienzuschüsse (SSA 3.2019).
Die Höhe der Sozialleistungen wird, in Abhängigkeit vom Status und der Situation der AntragsstellerIn, von der zuständigen staatlichen Behörde bestimmt, und unterliegt mindestens einmal pro Jahr einer Indexierung. Leistungen werden, je nach Situation, monatlich oder einmalig gezahlt. Der/Die Rückkehrende muss sich an den staatlichen Sozialhilfefond der Republik Aserbaidschan (http://sosial.gov.az/ ) wenden (IOM 2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_AZE.pdf , Zugriff 4.12.2020
- IOM – Internationale Organisation für Migration (2019): Länderinformationsblatt Aserbaidschan 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS%202019%20Aserbaidschan%20DE.pdf , Zugriff 10.12.2020
- SSA – Social Security Administration (US) (3.2019): SSPTW: Asia and the Pacific 2018 –
Azerbaijan, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/asia/azerbaijan.pdf , Zugriff 4.12.2020
20. Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgung in Aserbaidschan ist prekär und insbesondere außerhalb der Hauptstadt nicht gewährleistet (EDA 10.11.2020) bzw. unzureichend (AA 3.12.2020b). Private Krankenhäuser sind in der Regel besser ausgerüstet als die staatlichen. Sie verlangen jedoch einen Kostenvorschuss oder eine finanzielle Garantie, bevor sie Patienten behandeln (EDA 10.11.2020).
Die medizinische Versorgung entspricht nicht überall westeuropäischem Standard. Die rasche und zuverlässige Versorgung von Verletzten oder schwer Erkrankten (Transport, Erste-Hilfe) ist nicht immer garantiert (AA 3.12.2020b).
Laut offiziellen Angaben beträgt die Zahl der neu errichteten und renovierten medizinischen Einrichtungen Ende 2016 etwa 500. Nach wie vor befinden sich aber die größten staatlichen Krankenhäuser und Spezialkliniken wie Kinderkrankenhäuser, Herzkliniken und psychiatrische Einrichtungen in Baku. Problematisch ist nach wie vor der relativ geringe Ausbildungsstand der lokalen Ärzte. Anfang 2020 wurde eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt, die auf eine Verbesserung der medizinischen Versorgung insgesamt abzielt. Ihre (schrittweise) verbindliche Einführung wurde wegen der Covid-19-Pandemie auf 2021 verschoben.
Theoretisch gibt es eine alle notwendigen Behandlungen umfassende kostenlose medizinische Versorgung. Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt (was den Krankentransport und die Aufnahme in ein staatliches Krankenhaus einschließt); mittellose Patienten werden minimal versorgt, dann aber nach einigen Tagen „auf eigenen Wunsch“ entlassen, wenn sie die Behandlungskosten und „Zuzahlungen“ an die Ärzte und das Pflegepersonal nicht aufbringen können. In diesem Fall erfolgt dann die weitere Behandlung ambulant oder nach Kostenübernahme durch Dritte. Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung bildete sich in den vergangenen Jahren ein florierender privater medizinischer Sektor heraus, der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischem Standard bietet und mit privaten Krankenversicherungen kooperiert. Die einschlägigen auf dem europäischen Markt registrierten Medikamente sind i.d.R. erhältlich. Seit der Einführung der administrativen Preisobergrenzen wird regelmäßig von Engpässen bei einigen Medikamenten berichtet. Kostengünstigere Ersatzmedikation wird aus Russland, der Türkei oder Pakistan eingeführt, soll aber teilweise von minderwertiger Qualität sein (AA 17.11.2020).
Die staatliche Pflicht-Krankenversicherung (MHI) wurde als Pilotprojekt in Mingachevir, Yevlakh und Aghash eingeführt und bietet 1829 medizinische Dienstleistungen im Rahmen des vorhandenen Leistungspakets an. Gemäß Gesetz sind medizinischen Dienstleistungen in staatlichen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen kostenfrei. Die meisten medizinischen Einrichtungen, zu denen öffentliche Krankenhäuser sowie Polikliniken gehören, werden staatlich geführt. Die Polikliniken bieten ausschließlich ambulante Behandlungen an, während Krankenhäuser und Fachkliniken sowohl ambulante als auch stationäre Dienste anbieten. Private medizinische Einrichtungen werden vom Gesundheitsministerium zugelassen, sind ansonsten aber unabhängig. Medikamente für die stationäre Behandlung ist kostenfrei, Patienten/-innen, die ambulant behandelt werden, müssen die Medikamente selbst bezahlen. Dies gilt nicht für Personen mit mit Krebserkrankungen, sowie psychischen Erkrankungen. Medikamente sind in Aserbaidschan verhältnismäßig teuer, da Apotheken generell unter privater Leitung stehen. Die Erhältlichkeit von Medikamenten ist jedoch meist gewährleistet (IOM 2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- AA – Auswärtiges Amt (3.12.2020b): Aserbaidschan: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschansicherheit/201888#content_4 , Zugriff 9.12.2020
- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.11.2020): Reisehinweise für Aserbaidschan, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/aserbaidschan/reisehinweise-fueraserbaidschan.html , Zugriff 9.12.2020
- IOM – Internationale Organisation für Migration (2019): Länderinformationsblatt Aserbaidschan 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS%202019%20Aserbaidschan%20DE.pdf , Zugriff 10.12.2020
21. Rückkehr
Es gibt keine staatlichen oder sonstigen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer. Nach Kenntnis des deutschen Auswärtigen Amts müssen rückgeführte und freiwillig zurückreisende aserbaidschanische Staatsangehörige wegen ihrer Asylanträge im Ausland bei ihrer Rückkehr nicht mit staatlichen Zwangsmaßnahmen rechnen (AA 17.11.2020).
Auf der nationalen Ebene gibt es keine Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrende. Dienstleister sind bei der Wohnungssuche und der Suche nach einem Job behilflich. Für Leistungen aus dem Sozialwesen müssen Rückkehrende sich an den staatlichen Sozialhilfefond der Republik Aserbaidschan wenden: http://sosial.gov.az/ . Weitere Informationen zur konkreten Unterstützung für Rückkehrende und Binnenvertriebene sind auf folgender Webseite verfügbar: http://idp.gov.az/en/content/7/parent/21 (IOM 2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
- IOM – Internationale Organisation für Migration (2019): Länderinformationsblatt Aserbaidschan 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS%202019%20Aserbaidschan%20DE.pdf , Zugriff 10.12.2020
22. Dokumente
Das Urkundenwesen hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Die Ausstellung von unechten Pässen, Personalausweisen oder Personenstandsurkunden kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, ist jedoch durch die zentrale Registrierung der Daten über die ASAN-Bürgerzentren deutlich erschwert. Auch falsche Parteiausweise sind im Umlauf. Funktionäre der Oppositionsparteien sollen in Einzelfällen gegen Entgelt bereit sein, über das politische Engagement von Personen Gefälligkeitsbescheinigungen auszustellen (AA 17.11.2020).
In der Vergangenheit haben die aserbaidschanischen Behörden sich geweigert, in Deutschland lebenden Personen mit armenischen Namen die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit zuzuerkennen, selbst wenn dies durch alte (sowjetische) Dokumente belegt werden konnte. Auch jetzt ist es für Personen mit armenischer Volkszugehörigkeit schwierig, aserbaidschanische Dokumente zu erhalten. Oftmals werden Anfragen seitens der Behörden ignoriert oder an andere Stellen verwiesen (AA 17.11.2020)
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 3.12.2020
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ASERBAIDSCHAN Situation für Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Talyschen Anfragende Stelle: BVwG vom 02.08.2021 |
Wie stellt sich die Lage gegenwärtig für Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Talyschen in Aserbaidschan dar? Gibt es Berichte über Verfolgung / Diskriminierung von Angehörigen dieser Volksgruppe von staatlicher Seite oder Privatpersonen?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Es konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Internetrecherche in deutscher und englischer Sprache mit den zur Verfügung stehenden öffentlichen Internetquellen nachfolgende allgemeinere Informationen zu dieser Frage gefunden werden, weshalb diese an den Verbindungsbeamten (VB) des BM.I weitergeleitet wurde.
Eine Beschreibung der verwendeten Quelle kann, sofern diese nicht schon vor der Information angeführt ist, unter www.staatendokumentation.at sowie auch in der dort archivierten Methodologie der Staatendokumentation eingesehen werden.
Zusammenfassung:
Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass es keine offensichtliche diskriminierende Politik gegenüber den Angehörigen der Minderheit der Talyschen in Aserbaidschan insgesamt gibt, dass aber Aktivisten, die sich für die Rechte der Minderheiten im Land einsetzen, mitunter mit ernsten Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
Einzelquellen:
Der Vertrauensanwalt (VA) in Aserbaidschan gibt zu dieser Frage an, dass bei der Analyse der Situation ethnischer Minderheiten in Aserbaidschan, insbesondere in Bezug auf die Talyschen, sich feststellen lässt, dass es zwar keine offensichtliche diskriminierende Politik gegenüber den Talyschen in Aserbaidschan insgesamt gibt, dass aber Menschenrechtsaktivisten, die sich für die Rechte der Minderheiten im Land einsetzen, mit ernsten Problemen zu kämpfen haben. Ich (VA) glaube, dass man mit Sicherheit sagen kann, dass die Talyschen in ihrem täglichen Leben nicht anders behandelt werden als die Mehrheit. Sie sind auch in den verschiedenen Strukturen des Staatsapparats ohne jegliche Diskriminierung vertreten und genießen die gleichen Rechte und Freiheiten wie andere. Es sollte auch erwähnt werden, dass es keine Berichte über Repressionen oder Drohungen gegen die Talyschen durch verschiedene nationale und andere Gruppen im Land gibt. Es ist jedoch anzumerken, dass staatliche Behörden, die intolerant gegenüber jeglichen regierungsfeindlichen Handlungen in Bezug auf Menschenrechte und Freiheiten sind, auch gegenüber Menschenrechtsaktivismus im Bereich der Rechte ethnischer Minderheiten ziemlich intolerant sind, und Menschenrechtsaktivisten mit ethnischem Minderheitenhintergrund sind in diesem Zusammenhang besonders gefährdet. In Anbetracht der aktuellen Situation kann gesagt werden, dass es in den letzten zwei Jahren mehrere Berichte über die Verfolgung von Talyschen-Aktivisten in Aserbaidschan gegeben hat. Am 8. Juni 2020 gab Amnesty International eine Erklärung ab und stellte fest, dass sie besorgt darüber sind, dass der Aktivist für die Rechte der Talyschen-Minderheit, Fakhraddin Abbasov, und der Blogger für ethnische Talyschen, Elvin Isayev, wegen ihres Aktivismus und ihrer Kritik an den aserbaidschanischen Behörden inhaftiert worden sind. Amnesty International stellte fest, dass "sie Opfer einer politisch motivierten Verfolgung sind und der Gefahr von Folter oder anderer Misshandlung ausgesetzt sind. Sie sollten unverzüglich freigelassen werden."
Berichte zu Bloggern bzw. Aktivisten und den Inhalten der Kritik können der Originalantwort des VA entnommen werden.
When analyzing the existing situation of ethnic minorities in Azerbaijan, especially in relation to the Talysh, it can be said that despite there is no apparent discriminatory policies against Talysh in Azerbaijan as a whole, there are serious problems concerning to human rights activists who raising the minority rights in the country.
I believe it is safe to say that in their daily lives, the Talysh are not treated differently from the majority. They are also represented in various structures of the state apparatus without any discrimination and enjoy the same rights and freedoms as others. It also should be noted that there are no reports of repression or threats against the Talysh by various national and other groups in the country.
However, it is worth noting that state authorities that are intolerant to any anti-government action in respect to human rights and freedoms is quite intolerant toward human rights activism in the field of rights of ethnic minorities as well, and human rights activists with ethnic minority background are more vulnerable in this context.
Considering the current situation, it can be said that there has been several reports on persecution of Talysh activists in Azerbaijan during last 2 years. On June 8, 2020, Amnesty International issued a statement and notes that it is concerned that Talysh minority rights activist, Fakhraddin Abbasov, and ethnic Talysh blogger, Elvin Isayev, have been incarcerated because of their activism and criticism of the Azerbaijani authorities. Amnesty International noted that “they are victims of politically motivated prosecution and are at risk of torture or other ill-treatment. They should be released immediately."
The case of Fakhraddin Abbasov (convicted and died in prison)
The case of Fakhraddin Abbasov is seriously alarming. On February 28, 2019, the Azerbaijani State Security Service (SSS) has reported that Fakraddin Abbasov was detained at the Baku International Airport. According to the SSS, the Sabail District Court of Baku had ruled to arrest Abbasov back on July 14, 2018. He is accused of public appeals against the state and incitement of hostility. He was arrested in 2018 in Russia at the request of the Azerbaijani authorities extradited to Azerbaijan in February 2019. On 14 February 2020, Fakhraddin Abbasov was convicted under the charges of Article 281.2 (public incitement against the state) and Article 283.1 (incitement to national, racial hatred and hostility, humiliation of national dignity) and Article 274 (treason) of the Criminal Code.
According to the report of the Ministry of Justice, Fakhraddin Abbasov has committd suicide on 10 November 2020 at Gobustan prison. However, there are serious questions that F.Abbasov has died in suspicious circumstances. The message of the Public Council of Talysh of Azerbaijan (PCTA), spread late in the evening on November 9, 2020, that Abbasov committed suicide in Gobustan prison. 3 On 13 November 2020, the Penitentiary Service of the Republic of Azerbaijan gave a quite dubious explanation that Fakhraddin Abbasov attempted suicide because of the successful counter-offensive operations of Azerbaijani Army and the liberation of Shusha city.
Before his death, on 13 October 2020, Fakhraddin Abbasov published a statement 5 in which he warned that his life was in danger and noted that “After I was transferred to the Gobustan prison, representatives from the investigating authority came to “talk to me". They told me that they were going to create the kind of unbearable conditions for me that I would be pushed to commit suicide. And even if I do not commit suicide, they would make it look like I did it!".
Case of Talysh Blogger – Aslan Gurbanov (criminal persecution)
According to media reports, a Talysh blogger (Aslan Gurbanov) arrested by the State Security Service in July 2020 has been sentenced to seven years in prison by a Baku court for ‘inciting national hatred’, among other charges. Aslan Gurbanov was found guilty on 15 April of public incitement against the state and incitement of national, racial, social, religious hatred and enmity through the media. The blogger was accused of carrying out anti-government propaganda on social media platforms such as Facebook and Instagram, disseminating discriminatory materials, and violating the rights of the Talysh by publishing materials that ‘falsely claimed’ that Talysh people were discriminated against.
Talysh blogger – Elvin Irshadov (administrative detention)
On 15 July 2021, Talysh blogger and activist Elvin Irshadov was reportedly taken to the XXXX City Police Department. It is believed that Irshadov has been detained because of what he posted on his personal Facebook account. A new quarantine rule restricting the reopening some mosques was introduced by the Cabinet of Ministers this week. Irshadov’s Facebook post was viewed as criticizing this new restriction. Elvin Irshadov was previously sentenced to administrative detention after sharing a video about the Talysh khanate on 18 May 2020. His posts on social networks criticize pan-Turkism and racism and promote Talysh culture.
Before the recent cases, two prominent members of the ethnic Talysh minority, Dr. Novruzali Mammadov (editor-in-chief of Tolishi sado, meaning Talishi voice) and his colleague Elman Guliyev, were sentenced to 10-year and 6-year imprisonment, respectively, for allegedly spying for neighboring Iran. Mammadov, who according to an Amnesty International official was tried only because of “promotion of the Talysh culture and language in Azerbaijan," died in a prison hospital of a heart attack on August 17, 2009.
Another Talysh activist, Hilal Mamadov, a representative of the Talysh community in Azerbaijan, was editor of a Talysh-language newspaper, Talysho syado (which translates as Talysh Voice), which was closed down by the government. Mamadov also researches Talysh culture. He uses social networks to distribute information about the history, language, and culture of the Talysh people. In 2012, Mamadov was presented with official accusations, in accordance with Article 234 of the Criminal Codex, for possession of 33 grams of heroin allegedly uncovered at his home. On July 4, new accusations were brought against him for treason and stirring up ethnic conflict. On March 17, 2016, he was pardoned by a decree of the president of Azerbaijan.
Talysh activists criticize the policy of the Azerbaijani government, notably the policies concerning education and cultural autonomy against Talysh people.
Thus, Azerbaijan is party to the Council of Europe’s Framework Convention on the National Minorities, but Azerbaijani law provides not more than two hours per week of Talysh language lessons. There is also a shortage of teachers and teaching materials. Moreover, the only Talysh newspaper prints a limited number of copies and is under government control. While the state-run media company broadcasts a 15-minute radio programme in Talysh twice a week, most are unaware of this.
Critics state that school textbooks for studying Talysh were issued only once, in 2005. In XXXX , the state university doesn’t have departments for training Talysh language teachers. That being said, I can’t say that in hiring there is some sort of discrimination towards Talysh.
In its fifth report adopted 17 March 2016, ECRI - a human rights body of the Council of Europe, composed of independent experts, which monitors problems of racism, xenophobia, antisemitism notes that there are big concerns that hate speech provisions have been misused against the Talysh minority. Hate speech is also targeted at LGBT persons.
VB des BM.I für Georgien und Aserbaidschan (30.7.2021): Auskunft des VA Aserbaidschan per email
USDOS, das US amerikanische Außenministerium gibt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage 2020 an, dass einige Gruppen, darunter die Talyschen im Süden und Lesginen im Norden, berichteten, dass die Regierung keine offiziellen Schulbücher in den lokalen Muttersprachen zur Verfügung stellt. Es gab weiterhin Berichte über willkürliche oder unrechtmäßige Tötungen in Polizeigewahrsam. So starb beispielsweise am 9. November der talyschische Historiker und Aktivist Fakhraddin Abbasov Berichten zufolge im Gobustan-Gefängnis unter verdächtigen Umständen. Die Gefängnisbehörden erklärten, er habe Selbstmord begangen.
Some groups, including Talysh in the south and Lezghi in the north, reported the government did not provide official textbooks in their local native languages. […]
Reports of arbitrary or unlawful killings in police custody continued. For example, on November 9, Talysh historian and activist Fakhraddin Abbasov reportedly died in Gobustan prison under suspicious circumstances. Prison authorities stated he committed suicide.
USDOS – US Department of State (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048140.html , Zugriff 30.6.2021
Das [deutsche] Auswärtige Amt gibt in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan an:
Aserbaidschan hat nach offiziellen Angaben von Ende 2019 aktuell 10,06 Mio. Einwohner. In Aserbaidschan leben neben der Titularnation der Aserbaidschaner weitere ethnische Gruppen (schätzungsweise 1,3 % Russen, 2,0 % Lesginer, 1,3 % Armenier, 1,3 % Talyschen sowie Kurden, Georgier, Awaren usw.). Die Lebensbedingungen dieser Minderheiten unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen der Aserbaidschaner. Die Sprachen Lesginisch, Georgisch, Awarisch und Talysch werden in den Schulen im traditionellen Siedlungsgebiet dieser Volksgruppen unterrichtet. […]
In den neunziger Jahren aufgetretene Probleme mit der lesginischen und talyschischen Minderheit sind nicht mehr akut. Bestrebungen dieser Volksgruppen nach Unabhängigkeit wurden damals von staatlicher Seite bekämpft. Der Herausgeber der talyschsprachigen Zeitung „Talyschi Sado“, Hilal Mammadov, wurde mit dem Begnadigungserlass des Präsidenten am 18. März 2016 nach vier Jahren Gefängnis freigelassen.
AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 29.6.2021
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ASERBAIDSCHAN Schutzwilligkeit und -fähigkeit Anfragende Stelle: BVwG vom 02.08.2021 |
Ist der aserbaidschanische Staat generell in der Lage und Willens, bei allfälligen Übergriffen durch Privatpersonen und speziell bei Angehörigen der Volksgruppe der Talyschen Schutz zu bieten?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Fragestellungen zur Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit eines Staates können von der Staatendokumentation nur allgemein beantwortet werden, da eine abschließende Beurteilung unsererseits im Sinne von Schutzfähigkeit ja/nein wohl in erster Linie eine Beurteilung im Einzelfall wäre, die wir nicht vornehmen können und sollen. Derartiges würde außerdem auch den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards widersprechen.
Im Folgenden werden daher allgemeine Informationen zum Rechtsschutz und zur Justiz zur Verfügung gestellt.
Ergänzend dazu wurde die Frage an den Verbindungsbeamten (VB) des BM.I für Georgien übermittelt.
Eine Beschreibung der verwendeten Quellen kann, sofern diese nicht schon vor der Information angeführt ist, unter dem Link www.staatendokumentation.at sowie auch in der dort archivierten Methodologie der Staatendokumentation eingesehen werden.
Zusammenfassung:
Gemäß den nachfolgend zitierten Quellen kann von rechtsstaatlichen Defiziten allgemein gesprochen werden. Laut VA (Vertrauensanwalt) ist es jedoch mangels Berichten schwierig eine mögliche Bewertung der Haltung der Regierung im Hinblick auf die Talyschen abzugeben. Es kann jedoch, laut VA, mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Regierung solche individuellen Angriffe gegen ethnische Minderheiten verfolgen und diese schützen würde.
Einzelquellen:
Der Vertrauensanwalt Aserbaidschans gibt zu dieser Frage an, dass, da es keine Berichte über ethnisch motivierte Angriffe von Einzelpersonen gegen die Talyschen gibt, es schwierig ist, glaubwürdige Berichte vorzulegen, um die Position der Regierung in dieser Hinsicht zu bewerten. Es kann jedoch mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Regierung solche individuellen Angriffe gegen ethnische Minderheiten verfolgen und diese schützen würde, um Risiken zu beseitigen und Hass und Zwietracht zwischen den Völkern zu verhindern. Es kann gesagt werden, dass die aserbaidschanische Regierung keine Gewalt toleriert, dass sie nicht hinter solchen Aktionen steht und dass solche Gewalt nur auf individuellen "Motivationen" beruht.
As there are no reports of ethnic-based attacks by individuals against Talysh people, it is difficult to give any credible reports for any possible assessment of the government’s position in this regard.
However, it is safe to conclude that government would persecute and provide protection in case of such individual attacks against ethnic minorities in order to remove the risks to prevent hatred and strife among nations. It can be said that the Azerbaijani government is not tolerant of any sort of violence, which it is not behind such action and such violence is based only on individual “motivations".
VB des BM.I für Georgien und Aserbaidan (30.7.2021): Auskunft des VA Aserbaidschan per email
USDOS, das US amerikanische Außenministerium gibt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2020 an, dass zwar die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, jedoch waren die Richter funktionell nicht unabhängig von der Exekutive. Obwohl die Regierung im Jahr 2019 eine Reihe von Justizreformen durchführte, förderten die Reformen nicht die Unabhängigkeit der Justiz. Die Judikative blieb weitgehend korrupt und ineffizient. Viele Urteile waren rechtlich nicht haltbar und standen in keinem Zusammenhang mit den während des Prozesses vorgelegten Beweisen, wobei die Ergebnisse häufig vorherbestimmt schienen. Glaubwürdige Berichte deuteten darauf hin, dass Richter und Staatsanwälte Anweisungen von der Präsidialverwaltung und dem Justizministerium entgegennahmen, insbesondere in politisch heiklen Fällen. Es gab auch glaubwürdige Behauptungen, dass Richter routinemäßig Bestechungsgelder annahmen. Das Gesetz schreibt öffentliche Gerichtsverhandlungen vor, außer in Fällen, die Staats-, Geschäfts- oder Berufsgeheimnisse oder vertrauliche, persönliche oder familiäre Angelegenheiten betreffen. Das Gesetz schreibt die Unschuldsvermutung in Strafsachen vor. Es schreibt auch das Recht des Angeklagten vor, unverzüglich über die Anklage informiert zu werden; auf ein faires, zeitnahes und öffentliches Verfahren; bei der Verhandlung anwesend zu sein; mit einem Anwalt seiner Wahl zu sprechen (oder einen auf öffentliche Kosten zur Verfügung gestellt zu bekommen, wenn er nicht in der Lage ist, zu zahlen); angemessene Zeit und Einrichtungen zur Vorbereitung einer Verteidigung zur Verfügung zu haben; einen freien Dolmetscher zu bekommen, wenn nötig, vom Zeitpunkt der Anklage bis zu allen Berufungen; sich Zeugen zu stellen und Zeugenaussagen in der Verhandlung zu präsentieren; und nicht gezwungen zu werden, auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. Sowohl Angeklagte als auch Staatsanwälte haben das Recht auf Berufung. Die Behörden hielten sich in vielen Fällen, die weithin als politisch motiviert angesehen wurden, nicht an diese Bestimmungen. Informationen über Prozesszeiten und -orte waren im Allgemeinen verfügbar. Obwohl die Verfassung die Gleichstellung von Staatsanwälten und Verteidigern vorschreibt, bevorzugten die Richter bei der Beurteilung von Anträgen, mündlichen Erklärungen und Beweisen, die von den Verteidigern vorgelegt wurden, oft die Staatsanwälte, ohne Rücksicht auf die Begründetheit der jeweiligen Argumente. Mitgliedern von Oppositionsparteien und Aktivisten der Zivilgesellschaft wurde immer wieder tagelang ein Anwalt ihrer Wahl verweigert, während von der Regierung bestellte Anwälte sie vertraten, jedoch nicht in ihrem Interesse. Die Richter behielten sich auch das Recht vor, Verteidiger in Zivilprozessen aus "gutem Grund" zu entfernen. In Strafverfahren können Richter Verteidiger wegen eines Interessenkonflikts oder auf Antrag des Angeklagten auf einen Wechsel des Anwalts abberufen. Obwohl die Verfassung die Verwendung von illegal erlangten Beweisen verbietet, behaupteten einige Angeklagte, dass die Polizei und andere Behörden Zeugenaussagen durch Folter oder Missbrauch erlangt haben. Die Ermittlungen konzentrierten sich oft darauf, Geständnisse zu erlangen, anstatt physische Beweise gegen Verdächtige zu sammeln. Schwere Straftaten, die vor Gericht gebracht wurden, endeten häufig mit einer Verurteilung, da die Richter im Allgemeinen nur ein minimales Maß an Beweisen verlangten und eng mit den Staatsanwälten zusammenarbeiteten. Menschenrechtsanwälte berichteten, dass die Gerichte manchmal keine Dolmetscher zur Verfügung stellten, obwohl ein Angeklagter ein verfassungsmäßiges Recht auf einen Dolmetscher hat. Angeklagte haben Anspruch auf Vertragsdolmetscher bei Anhörungen, wobei die Kosten vom Staatshaushalt getragen werden. Es gab keine wortgetreuen Abschriften von Gerichtsverhandlungen. Obwohl einige der neueren Gerichte in Baku Tonaufnahmen von einigen Verfahren anfertigten, zeichneten die Gerichte im Allgemeinen die meisten Zeugenaussagen, mündlichen Argumente und Gerichtsentscheidungen nicht auf. Stattdessen entschied der Protokollführer des Gerichts im Allgemeinen über den Inhalt der Notizen, die tendenziell spärlich waren. Bürger haben das Recht, Klagen einzureichen, um Schadenersatz für Menschenrechtsverletzungen oder deren Beendigung zu fordern. Alle Bürger haben das Recht, innerhalb von sechs Monaten nach Ausschöpfung aller innerstaatlichen rechtlichen Möglichkeiten, einschließlich einer Berufung und Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, den EGMR anzurufen.
Although the constitution provides for an independent judiciary, judges were not functionally independent of the executive branch. While the government made a number of judicial reforms in 2019, the reforms did not foster judicial independence. The judiciary remained largely corrupt and inefficient. Many verdicts were legally unsupportable and largely unrelated to the evidence presented during a trial, with outcomes frequently appearing predetermined. […]
Credible reports indicated that judges and prosecutors took instructions from the Presidential Administration and the Ministry of Justice, particularly in politically sensitive cases. There were also credible allegations that judges routinely accepted bribes.
The law requires public trials except in cases involving state, commercial, or professional secrets or confidential, personal, or family matters. The law mandates the presumption of innocence in criminal cases. It also mandates the right of defendants to be informed promptly of charges; to a fair, timely, and public trial; to be present at the trial; to communicate with an attorney of choice (or have one provided at public expense if unable to pay); to provide adequate time and facilities to prepare a defense; to free interpretation as necessary from the moment charged through all appeals; to confront witnesses and present witnesses’ evidence at trial; and not to be compelled to testify or confess guilt. Both defendants and prosecutors have the right to appeal. Authorities did not respect these provisions in many cases that were widely considered to be politically motivated. Information regarding trial times and locations was generally available. Due to COVID-19 restrictions for most of the year, courts allowed only a small number of individuals to attend hearings, limiting public access to trials.
Although the constitution prescribes equal status for prosecutors and defense attorneys, judges often favored prosecutors when assessing motions, oral statements, and evidence submitted by defense counsel, without regard to the merits of their respective arguments. Members of opposition parties and civil society activists were consistently denied counsel of their choice for days, while government-appointed lawyers represented them, but not in their interest. […] Judges also reserved the right to remove defense lawyers in civil cases for “good cause." In criminal proceedings, judges may remove defense lawyers because of a conflict of interest or upon a defendant’s request for a change of counsel.[…]
Although the constitution prohibits the use of illegally obtained evidence, some defendants claimed that police and other authorities obtained testimony through torture or abuse. Human rights monitors also reported courts did not investigate allegations of abuse, and there was no independent forensic investigator to substantiate assertions of abuse. Investigations often focused on obtaining confessions rather than gathering physical evidence against suspects. Serious crimes brought before the courts frequently ended in conviction, since judges generally sought only a minimal level of proof and collaborated closely with prosecutors.
Human rights advocates reported courts sometimes failed to provide interpreters despite the constitutional right of an accused person to interpretation. Defendants are entitled to contract interpreters during hearings, with expenses covered by the state budget.
There were no verbatim transcripts of judicial proceedings. Although some of the newer courts in Baku made audio recordings of some proceedings, courts generally did not record most court testimonies, oral arguments, and judicial decisions. Instead, the court recording officer generally decided the content of notes, which tended to be sparse. A provision of an April 2019 presidential decree addressed the problem but had not been implemented by year’s end. […]
Citizens have the right to file lawsuits seeking damages for, or cessation of, human rights violations. All citizens have the right to appeal to the ECHR within six months of exhausting all domestic legal options, including an appeal to and ruling by the Supreme Court.
USDOS – US Department of State (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048140.html , Zugriff 29.6.2021
FH, Freedom House, gibt im Jahresbericht zu den politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 an, dass die Judikative korrupt und der Exekutive untergeordnet ist. Die Richter werden vom Parlament auf Vorschlag des Präsidenten ernannt. Die fehlende politische Unabhängigkeit der Gerichte zeigt sich vor allem in den vielen erfundenen oder anderweitig fehlerhaften Verfahren gegen Oppositionelle, Aktivisten und kritische Journalisten. Die verfassungsmäßigen Garantien für ein ordentliches Verfahren werden nicht eingehalten. Willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen sind weit verbreitet, und die Gefangenen werden oft über lange Zeiträume vor dem Prozess festgehalten. Politische Gefangene haben von eingeschränktem Zugang zu Rechtsbeistand, Fälschung und Vorenthaltung von Beweisen und körperlicher Misshandlung zur Erlangung von Geständnissen berichtet. Obwohl sie nominell unabhängig ist, handelt die aserbaidschanische Anwaltskammer auf Anweisung des Justizministeriums und ist an der Schikanierung von Menschenrechtsanwälten beteiligt. Gesetzliche Änderungen, die 2018 in Kraft traten, legten fest, dass nur Mitglieder der Anwaltskammer Mandanten vor Gericht vertreten dürfen. Seitdem hat die Vereinigung die meisten aktiven Menschenrechtsanwälte des Landes ausgeschlossen, suspendiert oder bedroht, weil sie in den Medien über die Verletzung der Rechte ihrer Mandanten gesprochen haben. In fast allen Disziplinarfällen haben die Gerichte die Entscheidungen der Anwaltskammer ohne gründliche Prüfung oder öffentliche Rechtfertigung bestätigt. Internationale Beobachter sind konsistent zum Schluss gekommen, dass sowohl Folter als auch Straflosigkeit für die Täter im aserbaidschanischen Strafjustizsystem endemisch sind.
The judiciary is corrupt and subservient to the executive. Judges are appointed by the parliament on the proposal of the president. The courts’ lack of political independence is especially evident in the many trumped-up or otherwise flawed cases brought against opposition figures, activists, and critical journalists.
Constitutional guarantees of due process are not upheld. Arbitrary arrest and detention are common, and detainees are often held for long periods before trial. Political detainees have reported restricted access to legal counsel, fabrication and withholding of evidence, and physical abuse to extract confessions.
Although nominally independent, the Azerbaijani Bar Association acts on the orders of the Ministry of Justice and is complicit in the harassment of human rights lawyers. Legal amendments that took effect in 2018 stipulated that only Bar Association members could represent clients in court. Since then, the association has disbarred, suspended, or threatened most of the country’s active human rights lawyers for speaking to the media about violations of their clients’ rights. In nearly all disciplinary cases, the courts have upheld the Bar Association’s decisions without a thorough assessment or public justification.[…]
International observers have consistently concluded that both torture and impunity for the perpetrators of such abuse are endemic in the Azerbaijani criminal justice system. Police regularly administer beatings during arrest or while breaking up protests. In April 2020, five Ganga-case defendants accused the authorities of torturing them and forcing them to sign documents implicating themselves in criminal activity in an ECtHR filing.
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048580.html , Zugriff 30.6.2021
Das [deutsche] Auswärtige Amt gibt in seinem Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Aserbaidschan an:
Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe diskriminiert, lässt sich grundsätzlich nicht feststellen. […]
In politisch relevanten Fällen wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung, den die Verfassung in Art. 63 garantiert, regelmäßig nicht beachtet; Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums enthalten oft Vorverurteilungen.
AA – Auswärtiges Amt (17.11.2020): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041770/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Aserbaidschan_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf , Zugriff 29.6.2020
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ASERBAIDSCHAN Instanzenzug im Privatrecht; Rechtsschutz- und Beschwerdemöglichkeiten Anfragende Stelle: BVwG vom 02.08.2021 |
Speziell im Fall von zivilen Streitigkeiten zwischen Privatpersonen wegen Schulden: Welche zivilrechtlichen Rechtsschutzeinrichungen bestehen in diesem Fall (Instanzenzug, Beschwerdemöglichkeiten)?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Aufgrund der rechtsspezifischen Art der Frage wurde die Anfrage nach ergebnisloser zeitlich begrenzter Eigenrecherche an den Verbindungsbeamten (VB) des BM.I mit dem Ersuchen um Recherche weitergeleitet.
Eine Beschreibung der verwendeten Quelle kann, sofern diese nicht schon vor der Information angeführt ist, unter www.staatendokumentation.at sowie auch in der dort archivierten Methodologie der Staatendokumentation eingesehen werden.
Zusammenfassung:
siehe Einzelquellen.
Einzelquellen:
Der Vertrauensanwalt (VA) in Aserbaidschan gibt dazu an, dass das derzeitige Gerichtssystem Aserbaidschans durch die am 12. Dezember 1995 verabschiedete aserbaidschanische Verfassung und das am 10. Juni 1997 verabschiedete Gesetz über Gerichte und Richter geschaffen wurde.
Nach der Zivilprozessordnung von 1999 sind die örtlichen Handelsgerichte für wirtschaftliche Streitigkeiten zwischen juristischen Personen und Einzelunternehmern zuständig. Für andere zivilrechtliche Ansprüche, einschließlich Schulden zwischen Privatpersonen, sind die jeweiligen Stadt-/Bezirksgerichte zuständig. Nach der Zivilprozessordnung haben alle natürlichen und juristischen Personen das Recht, zum Schutz ihrer Rechte und Freiheiten sowie zum Schutz rechtlich geschützter Interessen nach einem gesetzlich festgelegten Verfahren ein Gericht anzurufen (Artikel 4.1). Gemäß Artikel 5.1 der Zivilprozessordnung wird ein Verfahren vor Gericht auf Antrag der natürlichen oder juristischen Person zum Schutz oder zur Bestätigung ihrer gesetzlich geschützten Rechte und Interessen eingeleitet.
Die Zivilprozessordnung (Artikel 284-1) sieht auch ein vereinfachtes Verfahren für Bagatellsachen mit einem Streitwert von weniger als 2.000 AZN in Zivilsachen und für wirtschaftliche Streitigkeiten mit einem Streitwert von weniger als 10.000 AZN vor. Im Rahmen dieses vereinfachten Verfahrens wird der Fall auf Grundlage der von den Parteien eingereichten Unterlagen ohne gerichtliche Prüfung und ohne Vorladung der Parteien zur Anhörung ihrer Erklärungen geprüft, und es wird innerhalb von 30 Arbeitstagen nach Einreichung des Antrags beim Gericht ein Beschluss über die Beilegung des Falls gefasst (Artikel 284-5.3).
Die Urteile der jeweiligen ersten Instanz unterliegen der Überprüfung durch die Berufungsgerichte. Gemäß Artikel 357 der Zivilprozessordnung können Parteien, Dritte, Antragsteller, Antragsteller in besonderen Verfahren und interessierte Personen gegen die von den Gerichten erster Instanz der Republik Aserbaidschan erlassenen Beschlüsse und Verfügungen, die nicht wirksam geworden sind, Berufung einlegen.
Gegen den Beschluss des erstinstanzlichen Gerichts kann bei den folgenden Gerichten Berufung eingelegt werden (Artikel 358):
zu den Beschlüssen der Bezirksgerichte (Stadtgerichte) - bei den Kammern für Zivilsachen der Berufungsgerichte über die Zuständigkeit;
zu den Beschlüssen der verwaltungswirtschaftlichen Gerichte - an die verwaltungswirtschaftlichen Kammern der Berufungsgerichte über die Zuständigkeit oder an die verwaltungswirtschaftliche Kammer des Obersten Gerichts der Autonomen Republik Nachitschewan;
zu den Beschlüssen der Bezirks-(Stadt-)Gerichte der Autonomen Republik Nachitschewan an die Zivilkammer des Obersten Gerichts der Autonomen Republik Nachitschewan.
Die Berufung kann innerhalb einer Frist von einem Monat ab dem Datum der offiziellen Verkündung des Gerichtsbeschlusses eingelegt werden.
Die Urteile der Berufungsgerichte unterliegen auch der erneuten Prüfung durch den Obersten Gerichtshof der Republik Aserbaidschan. Eine Kassationsbeschwerde kann gegen die Beschlüsse der zivilen und verwaltungsökonomischen Kammern der Berufungsgerichte und der zivilen und verwaltungsökonomischen Kammern des Obersten Gerichts der Autonomen Republik Nachitschewan, die Verfügungen über die Verweisung der Rechtssache an das Gericht oder die Zurückweisung des Antrags wegen gerichtlicher Zuständigkeit, die Prüfung der Unmöglichkeit der Berufung, die Rücknahme der Kassationsbeschwerde sowie die Verfügungen über die Beendigung des Verfahrens eingelegt werden (Artikel 402 der Zivilprozessordnung).
The present court system of Azerbaijan was established by the Azerbaijani Constitution adopted on December 12, 1995, and the Law on Courts and Judges adopted on June 10, 1997.
Under the 1999 Civil Procedure Code, the local commercial courts have jurisdiction to hear economic disputes involving legal entities and individual entrepreneurs. Other civil claims, including debts between individuals, are being heard by the respective city/district courts. According to the Civil Procedure Code, all physical persons and legal entities shall, in accordance with procedure stipulated by law, be entitled to exercise the right to appeal to court for protection of their rights and freedoms, as well as for protection of legally protected interests (Article 4.1). In pursuant to Article 5.1 of the Civil Procedure Code, case shall be commenced in court upon petition of the physical person or legal entity for protection or endorsement of his legally protected rights and interests.
The Civil Procedure Code (Article 284-1) also provides a simplified proceeding on the cases related to small claims whose price is less than AZN 2,000 on civil cases and cases on economic disputes whose price is less than AZN 10,000. Under such simplified procedure, the case shall be considered on the basis of the documents submitted by the parties, without a judicial review and summoning of the parties for hearing their explanations and a resolution on the settlement of the case shall be issued, within a period of 30 (thirty) working days from the date of submission of the application to the court (Article 284-5.3).
The judgments of the respective first court instances subject to reconsideration before the appellate courts. In pursuant to the article 357 of the Civil Procedure Code, the parties, third parties, applicants, special proceedings applicants and interested persons may file an appeal against the resolutions and writs adopted by the Courts of First Instance of the Republic of Azerbaijan which have not become effective.
Appeal can be filed to the following courts from the resolution of the court of first instance, in the manner of appeal (article 358):
- from the resolutions of district (city) courts - to the boards on civil cases of the Courts of Appeal on jurisdiction;
- from the resolutions of the Administrative-Economical Courts - to the Administrative- Economical Boards of the Courts of Appeal on jurisdiction or to the Administrative-Economical Board of the Supreme Court of Nakhchivan Autonomous Republic;
- from the resolutions of district (city) courts of Nakhchivan Autonomous Republic to the civil board of the Supreme Court of Nakhchivan Autonomous Republic.
The appeal can be filed within a period of 1 month from the date of the official issuance of the court resolution.
The judgments the Appellate Courts also subject to reconsideration of the Supreme Court of the Republic of Azerbaijan. A cassation complaint can be filed against the resolutions of the civil and administrative-economical boards of the Courts of Appeal and the Civil and administrative- economical boards of the Supreme Court of the Nakhchivan Autonomous Republic, the writs on sending the case to the court or rejecting the application on the court jurisdiction, consideration of the appeal as impossible, withdrawal of the cassation complaint, as well as the writs on termination of the case proceedings (article 402 of the civil procedure code).
VB des BM.I für Georgien und Aserbaidschan (30.7.2021): Auskunft des VA Aserbaidschan per email
Welche Rechtsschutz- und Beschwerdemöglichkeiten stehen Personen in Aserbaidschan zu, die einer etwaigen strafrechtsrelevanten Verfolgung durch Privatpersonen (Drohungen, körperliche Übergriffe) ausgesetzt sind?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
wie oben.
Zusammenfassung:
siehe Einzelquellen.
Einzelquellen:
Der Vertrauensanwalt (VA) in Aserbaidschan gibt dazu an, dass die Verfassung der Republik Aserbaidschan vorsieht, dass die Menschenwürde geschützt und geachtet wird und dass jeder Mensch vom Augenblick seiner Geburt an unverletzliche und unveräußerliche Rechte und Freiheiten genießt (Artikel 24). Die Verfassung sieht auch vor, dass jeder das Recht hat, seine Rechte und Freiheiten mit Mitteln und Wegen zu schützen, die nicht durch das Gesetz verboten sind. Der Staat hat den Schutz der Rechte und Freiheiten eines jeden zu gewährleisten (Artikel 26). Die Verfassung legt ferner fest, dass die Legislative, die Exekutive und die Judikative die Pflicht haben, die in der Verfassung verankerten Rechte und Freiheiten der Menschen und Bürger zu achten und zu schützen, und dass Streitigkeiten über die Verletzung der Rechte und Freiheiten der Menschen und Bürger von den Gerichten entschieden werden (Artikel 71, I, VII).
Darüber hinaus gibt es weitere normative Rechtsakte, die Rechtsschutz und Beschwerdemechanismen für die Verteidigung der Rechte und Freiheiten im Falle von Verstößen durch die Regierung oder Einzelpersonen vorsehen. Es sei darauf hingewiesen, dass sich Einzelpersonen im Falle von Maßnahmen gegen Personen, die nach dem Strafgesetzbuch verboten sind, an die Strafverfolgungsbehörden, vor allem an die Polizei, wenden. Auf der Grundlage einer solchen Beschwerde ergreift die Polizei die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen im Einklang mit der Strafprozessordnung.
Nach der Strafprozessordnung der Republik Aserbaidschan können Angaben einer Person zu einer begangenen oder geplanten Straftat, die als Grund für die Einleitung eines Strafverfahrens gelten, in schriftlicher oder mündlicher Form gemacht werden. Ist die Person 16 (sechzehn) Jahre alt oder älter, wird sie schriftlich über die Haftung von Personen, die vorsätzlich falsche Angaben machen, informiert und bestätigt den Erhalt dieser Informationen durch ihre Unterschrift. Nach dem Polizeigesetz sollte jede Person die Polizei über vorbereitete, begangene oder laufende Straftaten informieren. Die Nichtanzeige einer Straftat führt zu einer strafrechtlichen Haftung gemäß den Rechtsvorschriften der Aserbaidschanischen Republik.
Es gibt folgende Möglichkeiten, der Polizei eine Straftat zu melden: i) mündlich (Anruf bei der Notrufnummer), ii) direkt bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft und iii) schriftlich (auch per E-Mail). Die Notrufnummer der Polizei in Aserbaidschan lautet 102. Beschwerden, die über eine zentralisierte telefonische Hotline 102 eingehen, werden sofort registriert. Die Entgegennahme und Prüfung von Anträgen und Beschwerden, einschließlich der Berichte über Straftaten, sind in der "Anweisung über das Verfahren zur Prüfung von Bürgerbeschwerden in den Organen für innere Angelegenheiten und den internen Truppen" (Anweisung) geregelt, die durch den Beschluss des Innenministeriums Nr. Q5-001-18 vom 3. Februar 2018 genehmigt wurde.
Es gibt auch separate Hotlines, die Meldungen über Straftaten entgegennehmen. Die "Hot Line" der Hauptabteilung für die Bekämpfung des Menschenhandels im Innenministerium ("Tel: 152 und 562- 21-12") ist seit Oktober 2007 in Betrieb. 152 "Hot Line" bietet Informationen und Beratung für Opfer von Menschenhandel und potenzielle Opfer, insbesondere Frauen und Kinder. Die "Hot Line" bietet landesweit innerhalb von 24 Stunden kostenlose Dienste an und nimmt Anrufe aus der ganzen Welt entgegen. Die Hotline 161 - zu Korruption und Bestechung ist der Generaldirektion für Korruptionsbekämpfung beim Generalstaatsanwalt der Republik Aserbaidschan unterstellt.
Straftaten können auch direkt bei der nächstgelegenen Polizeistation oder Staatsanwaltschaft der Stadt bzw. des Bezirks in Aserbaidschan angezeigt werden. Eine Meldung an das Innenministerium ist per E-Mail an die Website http://e-muraciet.mia.gov.az/ möglich.
Informationen zum weiteren Prozedere bzw der Registrierung und Prüfung der eingegangenen Beschwerde über begangene oder geplante Straftaten können der Originalantwort des VA entnommen werden.
Ombudsmann
Das Büro des Menschenrechtsbeauftragten der Republik Aserbaidschan ist zwar bei den meisten politisch motivierten Verfolgungen unwirksam, aber als nationale Menschenrechtsinstitution, die gemäß dem Fakultativprotokoll (OPCAT) zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe als nationaler Präventionsmechanismus fungiert, ist es auch einer der Schutzmechanismen. Der Beauftragte nimmt Beschwerden über Verstöße gegen verschiedene Menschenrechte und Freiheiten entgegen, einschließlich des möglichen Versagens wirksamer Ermittlungen oder der Verfolgung rechtswidriger Handlungen durch Einzelpersonen.
Die Gerichte
Die jeweiligen Stadt- bzw. Bezirksgerichte sind auch befugt, Beschwerden über Handlungen der Strafverfolgungsbehörden zu überprüfen, wenn diese es versäumt haben, rasche und wirksame Ermittlungen zu mutmaßlichen Einschüchterungen oder Verstößen durch Einzelpersonen durchzuführen. Nach dem Strafgesetzbuch, dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, der Zivilprozessordnung und der Verwaltungsverfahrensordnung hat jeder das Recht, gegen Entscheidungen des erstinstanzlichen Gerichts Berufung beim Berufungsgericht, gegen Entscheidungen des Berufungsgerichts beim Obersten Gerichtshof, gegen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs beim Obersten Rat, gegen Entscheidungen des Obersten Rats beim Verfassungsgericht und/oder beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzulegen.
The Constitution of the Republic of Azerbaijan provides that Human dignity is protected and respected and everyone, as from the moment of birth, enjoys inviolable and inalienable rights and freedoms (Article 24). The Constitution also envisages that everyone has the right to protect his/her rights and freedoms using ways and means not prohibited by law. The state shall guarantee the protection of rights and freedoms of everyone (Article 26). The Constitution further stipulates that the legislature, executive and judiciary shall have the duty to observe and to protect the rights and freedoms of man and citizen set forth in the Constitution and disputes concerning the violation of rights and freedoms of man and citizen shall be resolved by courts of law.(Article 71. I. VII).
Furthermore, there are other legal normative acts providing legal protection and complaint mechanisms for defending the rights and freedoms in case of infringements by either government or individuals. It is worth noting that in case of any actions against individuals that are prohibited by Criminal Code, individuals apply to law enforcement agencies, mainly the police. On the basis of such an appeal, the police shall take the measures prescribed by law in accordance with the Code of Criminal Procedure.
According to the Criminal Procedure Code of the Republic of Azerbaijan, information provided by an individual concerning an offence committed or planned, which is deemed to constitute grounds for instituting criminal proceedings, may be in written or verbal form. If the person is 16 (sixteen) or over, he or she shall be informed in writing about the liability incurred by persons intentionally making false statements and shall sign to acknowledge receipt of this information. According to the Law on Police every person should inform police about the crimes prepared, committed or under process. Failure to report on offence causes criminal liability as defined by the legislation of the Azerbaijan Republic.
Possible ways to report an offence to the police can be i) verbally (calling) to emergency lines; ii) directly approaching to police or prosecutor offices, and iii) in writing (including e-mail). The emergency line for the police in Azerbaijan is 102. Complaints entered via a centralized telephone-based hotline 102 are immediately recorded. Reception and consideration of applications, complaints, including the offence reports are regulated in accordance with the "Instruction on the procedure for consideration of citizens' appeals in the internal affairs bodies and internal troops" (Instruction) approved by the decision of the Ministry of Internal Affairs No. Q5-001-18 dated February 3, 2018.
There are also separate hotlines receiving offence reports. “Hot Line" under the Main Department on Combating Trafficking in Human Beings at the Ministry of Internal Affairs ("Tel: 152 and 562- 21-12") has been operational since October 2007. 152 "Hot Line" provides information and advice to victims of human trafficking, and potential victims, especially women and children. "Hot Line" provides free of charge services throughout the country within 24 hours, receiving calls from all over the world. The hotline 161 - concerning corruption and bribery operates under the Anti-Corruption General Directorate with the Prosecutor General of the Republic of Azerbaijan.
The crimes also can be reported directly at the nearest Police Station or city/district prosecutor office in Azerbaijan. Reporting to the Ministry of Internal Affairs is possible though email at http://e-muraciet.mia.gov.az/ website page.
According to the Rules, once the appeal submitted by citizens to the "102" service, the operator receiving the application obtains detailed information about the citizen's last name, first name, address, contact phone number, police body or employee, clarifies the content of the application in full detail and registers it on a special form of the computer system. Information on committed or planned crimes and events received through the "102" service is registered and reviewed in accordance with the "Instructions on the procedures of receipt, registration, and consideration of information on committed or planned crimes and events" approved by the decision of the Ministry of Internal Affairs No. 680 of November 3, 2011. Accordance to the Instructions (No.680) information on crimes and incidents is received by the (police) units on duty throughout the day, regardless of the content and form of receipt, place, and time of occurrence. When a person provides verbal information about an offence, a report shall be drawn up in accordance with Article 204 of the Code of Criminal Procedure.
The Instructions (No. 680) provides that a police officer must receive information about crimes and incidents in or around the service area, pass it on to the relevant local police authority and immediately report to the head of the body he or she serves. 23 Information on crimes received from the “102" service call centre of the Ministry of Internal Affairs is registered directly in Book No. 1 (without registration in Book No. 2) and submitted to the procedural investigation, regardless of the confirmation. 24 After the crime is reported to Police, the Police decides, depending on the circumstances of the incident, either to refer the case to the Prosecution Office or take the case forward himself after an initial interview with the victim.
Ombudsman
While being ineffective in most politically motivated persecution, the Office of the Human Rights Commissioner of the Republic of Azerbaijan (hereinafter referred to as "the Commissioner") is also one of the protection mechanisms as a national human rights institution which is functioning as National Preventive Mechanism as a requirement of the Optional Protocol (OPCAT) to the UN Convention against Torture and other cruel, inhuman, or degrading treatment or punishment.
The Commissioner receives complaints on violations of different human rights and freedoms, including the possible failure of effective investigation or persecution of unlawful acts by individuals.
The Courts
Respective city/district courts are also empowered with the powers to review the complaints from the acts of law enforcement authorities in case of failure to provide prompt and effective investigation into alleged intimidation or violation by individuals.
According to the Criminal Code, Administrative Offences Code, Civil Procedure Code and Administrative Procedure Code, everyone has the right to appeal against decisions of the first instance court to the Appellate Court, decisions of the Appellate Court to the Supreme Court, decisions of the Supreme Court to the Board of the Supreme Court, decisions of the Board of the Supreme Court to the Constitutional Court and /or to the European Court of Human Rights.
VB des BM.I für Georgien und Aserbaidschan (30.7.2021): Auskunft des VA Aserbaidschan per email
II.1.4. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat
Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP den von ihnen behaupteten Gefährdungen ausgesetzt waren bzw. im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit solchen Gefährdungen ausgesetzt wären.
Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in die Republik Aserbaidschan über keine Existenzgrundlage verfügen würden.
Die bP 1 leidet an keiner Krankheit, die in Aserbaidschan nicht behandelbar wäre und steht der bP 1 im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan das dortige Gesundheitssystem offen.
2. Beweiswürdigung
II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
II.2.2. Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich –vorbehaltlich der Feststellungen zur Identität- aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen sowie insbesondere den von der bB eingeholten CVIS-Auskünften.
II.2.3 Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich durch eine ausgewogene Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen ausreichende Aktualität zu.
Die bP traten auch den Quellen und deren Kernaussagen nicht konkret und substantiiert entgegen.
II.2.4. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene freie Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze im Wesentlichen von ihrem objektiven Aussagekern her in sich schlüssig und stimmig ist.
II.2.4.1. Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten -–z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche ( z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461)- zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).
II.2.4.2. Nachvollziehbar hielt die belangte Behörde zum Vorbringen der bP fest, dass nicht festgestellt werden konnte, dass die bP in Aserbaidschan relevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt waren oder bei einer Rückkehr ausgesetzt wären. Insbesondere wurde festgehalten, dass die behaupteten Fluchtgründe nicht relevant iSd GFK wären und jedenfalls auch der Staat Schutz vor Verfolgung dieser Personen, die die bP 1 als „Mafia“ bezeichnete, gewähren könnte. Neben der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des aserbaidschanischen Staats ging die bB von einer innerstaatlichen Fluchtalternative für die bP aus.
Auffällig ist bereits hinsichtlich des vor der bB erstatteten Vorbringens, dass die bP 1 zwar in ihrer Einvernahme ohne konkrete Details in den Raum gestellt hat, dass versucht worden sei, ihren Sohn zu entführen und der Ehegattin etwas anzutun und in einem Park versucht worden sei, den Sohn mit dem Auto zu überfahren, wobei sie bei letzter Aktion selbst nicht wisse, ob diese nun tatsächlich „inszeniert“ worden sei. Die Ehegattin selbst erwähnte in ihrer Einvernahme jedoch derartige Vorfälle mit keinem Wort. Sie erstattete vielmehr ein absolut vages Vorbringen und stützte sich letztlich lediglich auf die Fluchtgründe ihres Ehegatten, wobei davon auszugehen gewesen wäre, dass sie Angriffe auf sich oder ihren Sohn als besonders einschneidende Erlennisse dennoch selbstständig schildert, wenn diese tatsächlich so passiert wären. Zudem wird auf die im Verfahrensgang dargestellte Beweiswürdigung der bB verwiesen, wonach die bP 1 tatsächlich das Vorbringen im Zusammenhang mit den Geldschulden bei der Mafia jedenfalls übertrieben und teilweise nicht nachvollziehbar dargestellt hat.
II.2.4.3. Hinsichtlich der gesetzlichen Mitwirkungs- bzw. Darlegungsverpflichtung der Partei ergibt sich aus der Judikatur insbes. Folgendes:
Der EGMR hat in seinem Urteil der Großen Kammer vom 23. August 2016, Nr. 59166/12, J.K. u.a. gegen Schweden, (u.a.) ausgeführt, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege, gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide, im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei. Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (vgl. die Ausführungen in VwGH Rn. 23 des zu Ra 2016/18/0137 ergangenen Erkenntnisses; 03.09.2020, Ra 2020/19/0221).
Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601; 14.6.2005, 2005/02/0043], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht und Darlegungslast des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).
Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069).
Dies entspricht auch der sich insbes. aus § 15 AsylG ergebenden Mitwirkungsverpflichtung sowie aus der Verfahrensförderungspflicht des § 39 Abs 2a AVG, wonach jede Partei ihr Vorbringen so rechtzeitig und vollständig zu erstatten hat, dass das Verfahren möglichst rasch durchgeführt werden kann.
Nach der Judikatur des EGMR ist es Sache der beschwerdeführenden Partei über Nachfrage „Beweise“ vorzubringen, die zeigen können, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, sie würden im Fall der Vollstreckung der angefochtenen Maßnahme einem realen Risiko ausgesetzt,, die einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterworfen zu werden, wobei dem ein gewisser Grad an Spekulation innewohnen kann und keine „eindeutigen Beweise“ für die Behauptung einer verbotenen Behandlung zu erbringen sind (vgl. zB uva EGMR Paposhvili gg. Belgien, 13.12.2016, Bsw. 41738/10).
Glaubhaftmachung
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist - abgesehen vom Fall einer Wahrunterstellung (vgl. dazu etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2019/19/0032, Rn. 13) - die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Asylwerbers zu prüfen. Diese Prüfung erfolgt unter Berücksichtigung der vom EuGH judizierten unionsrechtlichen Anforderungen (vgl. EuGH 25.1.2018, C-473/16 und EuGH 4.10.2018, C-56/17 , Fathi). Erst danach erfolgt die Prognoseentscheidung gemäß §§3, 8 AsylG 2005, ob mit dem als glaubhaft erachteten Vorbringen eine wohl begründete Furcht vor Verfolgung oder reale Gefahr der Verletzung maßgeblicher Rechtsgüter des Asylwerbers glaubhaft gemacht wird (vgl. zur Prognoseentscheidung VwGH 8.9.2016, Ra 2015/20/0217, mwN; vgl. zu der dabei vorzunehmenden einzelfallbezogenen Beurteilung VwGH 2.9.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Behörde einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubhaft anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Als glaubhaft könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (vgl. zB. VwGH 6.3.1996, 95/20/0650). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, 92/03/0011; 1.10.1997, 96/09/0007).
Im Allgemeinen erfolgt eine (vorsätzliche) Falschaussage nicht ohne Motiv (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Auflage, Rz 246ff).
Im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz kann eine derartige Motivationslage, die den Wahrheitswillen eines Antragstellers/einer Antragstellerin zu beeinflussen geeignet ist, darin liegen, dass sie ihrer Überzeugung nach – uU auch durch Suggestion Dritter (vgl. zB „Die 12 ‚Verbote‘ in der Vernehmung“, https://www.sgipt.org/forpsy/aussage0.htm#Die 12 'Verbote', mwN) beeinflusst - dadurch gesteigerte Erfolgsaussichten erwartet, um den beantragten Status als Asylberechtigter oder als subsidiär Schutzberechtigter und damit einen Aufenthaltstitel samt Zugang zum Arbeitsmarkt und/oder staatlicher Versorgung zu erlangen (sog. „Folgenberücksichtigung“, siehe oben zitierte Quelle; vgl auch UNHCR Handbuch, Dez. 2011, B/2/f Auswanderer aus wirtschaftlichen Motiven im Unterschied zu Flüchtlingen).
Aus dem Wesen der Glaubhaftmachung ergibt sich insbes.:
dass die Ermittlungspflicht der Behörde / des BVwG grds. durch die (auf Nachfrage) vorgebrachten Tatsachen und angebotenen Beweise eingeschränkt ist (VwGH 29.3.1990, 89/17/0136; 25.4.1990, 90/08/0067);
ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte ist die Behörde / das Bundesverwaltungsgericht nicht verpflichtet jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN);
nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die Beurteilung eines „gar nicht erstatteten Vorbringens“ mitunter sogar auch zu einer vom VwGH wahrzunehmenden Rechtsverletzung führen (vgl. zB VwGH 9.9.2010, 2007/20/0558 bis 0560; 10.08.2018, Ra 2018/20/0314);
die allgemeine Behauptung von Verfolgungs- bzw. Gefährdungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).
Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:
Die bP tätigten vor der bB ausschließlich Angaben zur angeblichen Verfolgung durch die Mafia wegen Geldschulden der bP 1.
Für eine Verfolgung wegen ihrer Volksgruppenangehörigkeit finden sich weder in den Angaben vor der bB oder in den Angaben in der Beschwerde noch in den Angaben in der Stellungnahme vom 30.09.2021 Anhaltspunkte.
Vielmehr gab die bP 1 vor der bB an:
LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?
VP: Talyschen. Der AW beschreibt seine Volksgruppe und gibt an, dass diese schiitischen Glaubens ist und an der Grenze zum Iran beheimatet ist.
LA: Gab es in Aserbaidschan jemals eine Verfolgung Ihrer Person aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?
VP: Nein.
In der Verhandlung relativierte die bP 1 die Verfolgung durch die Mafia selbst vollständig und führte aus, dass dies letztlich kein ernst zu nehmender Grund gewesen sei. Vielmehr wäre die Familie aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden. Vor dem Hintergrund des von der bP 1 unterschriebenen Einvernahmeprotokoll stellt die Behauptung, dass sie bereits vor der bB eine Verfolgung in Zusammenhang mit ihrer Volksgruppenzugehörigkeit erwähnt habe, eine bloße Schutzbehauptung dar und ist von der Richtigkeit des Protokolls auszugehen.
Gemäß § 20 BFA-VG idgF dürfen in einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesamtes neue Tatsachen und Beweismittel nur vorgebracht werden,1. wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, nach der Entscheidung des Bundesamtes maßgeblich geändert hat;2. wenn das Verfahren vor dem Bundesamt mangelhaft war;3. wenn diese dem Fremden bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes nicht zugänglich waren oder4. wenn der Fremde nicht in der Lage war, diese vorzubringen.
(2) Über die Zulässigkeit des Vorbringens neuer Tatsachen und Beweise muss nicht entschieden werden, wenn diese für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht maßgeblich sind.
(3) Abs. 1 ist auf Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes auf Grund eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 nicht anzuwenden.
Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Neuerungsverbot ist dem Anliegen des Gesetzgebers, Missbräuchen vorzubeugen, auch dadurch Rechnung getragen, dass die Ausnahmen vom Neuerungsverbot „auf jene Fälle beschränkt“ werden, in denen der Asylwerber „aus Gründen, die nicht als mangelnde Mitwirkung“ am Verfahren zu werten sind, „nicht in der Lage war“, Tatsachen und Beweismittel bereits in erster Instanz vorzubringen. Somit bleibt vom Neuerungsverbot ein Vorbringen erfasst, mit dem ein Asylwerber das Verfahren missbräuchlich zu verlängern versucht. (VfGH 15. 10. 2004, G 237/03 ua)
Aus dieser Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist demnach abzuleiten, dass nicht jede Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zu einer Durchbrechung des Neuerungsverbotes führt, sondern nur jene, welche „kausal“ dafür ist, dass der Asylwerber „nicht in der Lage war“ die erst im Beschwerdeverfahren vorgebrachten neuen Tatsachen und Beweismittel schon im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen (vgl. auch VwGH 25.9.2007, 2007/18/0418).
Weder hat die bP in der Verhandlung konkret und substantiiert dargetan, dass sie durch eine Mangelhaftigkeit (Z 2 leg cit) des erstinstanzlichen Verfahrens „nicht in der Lage war“, diesen erstmals in der Verhandlung vorgetragenen Sachverhalt schon im behördlichen Verfahren vorzubringen, noch kann dies aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes amtswegig festgestellt werden.
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher im Ergebnis zur Ansicht, dass – ohne hier auf die Glaubhaftmachung dieses neuen Vorbringens einzugehen - eine mangelnde Mitwirkung der bP ursächlich dafür war, dass sie diesen Sachverhalt erst im Beschwerdeverfahren vorbrachte und nicht eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, zumal sie schon im Verfahren vor dem Bundesamt hinlänglich die Möglichkeit hatte diesen Sachverhalt dort vorzutragen.
Auf Grund des Ermittlungsverfahrens ergeben sich keine konkreten Hinweise, dass einer der anderen Ausnahmetatbestände des § 20 leg cit erfüllt wäre. Auch die bP hat diesbezüglich keine aufgezeigt.
Ist die Partei der Meinung, dass die Ermittlungen unvollständig oder nicht richtig sind, muss sie – im Rahmen des ihr zu gewährenden Parteiengehörs - konkrete Vorbringen erstatten, was gegen die Ermittlungsergebnisse der Behörde spricht und allenfalls Gegenbeweise vorlegen
(zB VwGH 14.12.1995, 95/19/1046). Unterlässt sie die erforderliche Mitwirkung, kann der Behörde aus der Unterlassung weiterer Ermittlungen kein Vorwurf gemacht werden (zB VwGH 20.9.1999, 98/21/0138). So kann die Untätigkeit der Partei im Rahmen ihrer freien Beweiswürdigung –idR zu Lasten der Partei – berücksichtigt werden (zB VwGH 26.2.2002, 2001/11/0220; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Auflage, S 172; Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 Kommentar, mwN auf die Judikatur des VwGH).
Am Boden der zu dieser Bestimmung ergangenen und für deren Auslegung maßgeblichen Judikatur der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (siehe VfGH 15.10.2004, Zahl G237/03 ua., Punkt III.4.7.4.2.; VwGH 27.09.2005, Zahl 2005/01/0313) ist in diesem Kontext noch zu beurteilen, ob diese späte, erst im Stadium der Beschwerde erfolgte Tatsachenbehauptung von dem Versuch gekennzeichnet ist, das Asylverfahren missbräuchlich zu verlängern. Im Rahmen einer gesamthaften Abwägung gelangt das Bundesverwaltungsgericht angesichts der ob dargelegten Ausführungen zu der Ansicht, dass im Falle der bP das Vorliegen eines Missbrauchs zu bejahen ist.
Dies erhellt sich auch aus dem Umstand, dass die bP im Laufe des Verfahrens in wesentlichen Punkten offensichtlich nicht die Wahrheit angaben. So ist festzuhalten, dass bP 1 und bP 2 erstbefragt angegeben haben, dass sie kein Visum für irgendein Land erhalten hätten. Über entsprechende Ermittlungen der bB erhellte sich jedoch, dass für die bP 1 und 2 Visa ausgestellt worden sind (VIS Abfragen ergaben Visa für Juli bzw. August 2016 von Ungarn) und wurde ein Dublin Verfahren eingeleitet, welches letztlich am Ablauf der Überstellungsfristen scheiterte. Auch erhellte sich nicht, warum die bP trotz der Visa nicht legal mit ihren Reisepässen ausgereist, sondern mittels Schlepper über Russland den Weg nach Österreich eingeschlagen haben. Die Reisepassausstellung für die bP 1 kurz vor der Ausreise zeigt vielmehr, dass die bP nicht plötzlich aus gegründeter Furcht vor Verfolgung, sondern im Rahmen einer länger vorbereiteten Ausreise ausgereist sind. Darüber hinaus erhellte sich, dass die bP gerade nicht Ungarn besuchen wollten, sondern vielmehr die Visa beantragten, um in Österreich einen Asylantrag zu stellen. Am Rande sei erwähnt, dass die bP nicht selbstständig Identitätsdokumente vorlegten, sondern es vielmehr Ermittlungen der bB bedurfte, um sich über die Identität Klarheit zu verschaffen und die Behauptung, dass ihnen in Russland die Reisepässe vom Schlepper abgenommen wurden, nur als weitere Schutzbehauptung gesehen werden kann. Dies vor allem auch im Zusammenhang damit, dass die bP 1 angegeben hat, dass sie gar nicht wisse, ob in ihrem Reisepass ein Visum enthalten war und ihre Reisebewegungen vor der bB fadenscheinig mit finanziellen Gründen zu erklären versuchte. Dass man selbst nicht weiß, ob in seinem Reisedokument ein Visum eingetragen ist oder nicht und diesbezüglich bei einer geplanten Reise nach Europa nicht nachsieht, ist nicht glaubwürdig. Zudem hat die bP 1 in der Verhandlung nicht nachvollziehbar befragt dazu, warum sie nicht legal mittels Visa ausgereist sind lediglich angegeben, verfolgt worden zu sein und deswegen einen anderen Fluchtweg genommen zu haben und erwähnte angebliche finanzielle Probleme bei der Visaausstellung nicht mehr.
Bereits diese Umstände stellen ein wesentliches Indiz dafür dar, dass es den bP an Glaubwürdigkeit mangelt und ist letztlich unabhängig vom Neuerungsverbot den bP auch die Glaubwürdigkeit nunmehr generell zu versagen. Es kann gerade nicht angenommen werden, dass die bP 1 Aktivist der Nationalen Bewegung von Talyschtan war und deshalb im Jahr 2015 brutal verprügelt worden sei, was sie nur wegen ihrem in der Heimat verbliebenen Vater nicht erzählt hätte. Dass der Vater überhaupt an sich schon einer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, wurde von der bP selbst nicht einmal vorgebracht und erhellt sich gerade vor dem Umstand, dass die bP bis dato keinerlei Probleme der Familie in der Heimat trotz regelmäßigen Kontakts berichtet hat, dass auch dies der Unwahrheit entspricht. Widersprüchlich wird das Vorbringen schließlich dann mit der späteren Angabe der bP 1, dass der Vater wegen ihr zwei Mal im Jahr 2017 bedroht worden sei und danach einen Herzinfarkt erlitten habe und gestorben sei. Warum die bP 1 dann erstmalig in der Verhandlung 2021 davon spricht, wenngleich der Vater schon 2017 verstorben sei, erhellt sich nicht.
Zudem konnte die bP den behaupteten Übergriff auf sie zeitlich in der Verhandlung weder konkret einordnen, noch detailliert beschreiben. Nicht nachvollziehbar ist auch die Behauptung, dass die bP 2 erst im Jahr 2016 wegen der angeblich bereits seit 11 oder 12 Jahren bestehenden Aktivitäten der bP 1 entlassen worden wäre. Völlig vage blieben auch die Angaben dazu was sie als Aktivist genau gemacht hätte. Insbesondere gab sie selbst an, dass ihr Heimatort von ca. 90 % Talyschen bewohnt wird, und ist vor diesem Hintergrund sowie den Anfragebeantwortungen und Länderfeststellungen grundsätzlich schon nicht davon auszugehen, dass in Aserbaidschan generell diese Volksgruppe einer systematischen Verfolgung ausgesetzt wäre.
Ethnische Diskriminierung scheint in Aserbaidschan gemäß Länderinformationen kein großes Problem zu sein. Ebenso scheint die ethnische Herkunft kein beschäftigungshemmender Faktor zu sein. Regionale Herkunft spielt in Aserbaidschan eine wichtigere Rolle: Aserbaidschaner aus Armenien und der Exklave Nakhichevan haben generell einen privilegierten Zugang zu öffentlichen Ämtern und Arbeitsplätzen (BTI 2020). Angehörige ethnischer Minderheiten beschwerten sich jedoch über Diskriminierung in Bereichen wie Bildung, Beschäftigung und Wohnen (FH 4.3.2020).
Es gibt keine offensichtliche diskriminierende Politik gegenüber den Angehörigen der Minderheit der Talyschen in Aserbaidschan insgesamt und konnte die bP keinesfalls glaubhaft machen, dass es sich bei ihr um eine Person mit high profile bzw. einen Aktivisten handelt.
Gemäß den Anfragebeantwortungen kann von rechtsstaatlichen Defiziten allgemein gesprochen werden. Laut VA (Vertrauensanwalt) ist es jedoch mangels Berichten schwierig eine mögliche Bewertung der Haltung der Regierung im Hinblick auf die Talyschen abzugeben. Es kann jedoch, laut VA, mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Regierung solche individuellen Angriffe gegen ethnische Minderheiten verfolgen und diese schützen würde.
Das BVwG konnte sich in der Verhandlung zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen der bP zum (im Verfahren unbescheinigt gebliebenen) ausreisekausalen Erlebnis einen persönlichen Eindruck und damit von ihrem verbalen sowie nonverbalen Verhalten und vom Inhalt ihrer Aussagen, als die wesentlichen Entscheidungskriterien der Glaubhaftigkeitsbeurteilung, Kenntnis verschaffen.
Dabei fiel auf, dass sich das verbale und nonverbale Verhalten der bP, als sie von ihren vorgeblich persönlich so erlebten und als ausreisekausal bezeichneten Geschehnissen erzählten, nicht merkbar von ihrem Basis- bzw. Referenzverhalten in unkritischeren Aussagepassagen unterschied. Sowohl hinsichtlich Lautstärke der Aussage als auch in Bezug auf ihre nonverbale Kommunikation, wie etwa Emotionen, waren auch unter Berücksichtigung allfälliger kultureller Unterschiede keine merkbaren Abweichungen erkennbar.
Auch hinsichtlich des Inhaltes der gemachten Angaben zum zentralen Erlebnis wurde unter Zugrundelegung von allgemein anerkannten Realkennzeichen einer wahren Aussage (vgl. zu den Realkennzeichen zB. auch Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Aussagepsychologie, http://www.sgipt.org/forpsy/aussage0.htm#Was%20sind%20Aussagen ; Realkennzeichen nach Steller & Köhnken https://www.rechteasy.at/wiki/aussagepsychologie/ ) nicht der Eindruck erweckt, dass die Partei hier von tatsächlich persönlich so erlebten Realereignissen sprach. Die bP 1 und 2 wurden aufgefordert das Ereignis in freier Rede so genau wie möglich zu schildern. Die Aussage zeichnete sich im Wesentlichen durch fehlende Details und fehlende Interaktionen aus.
Resümierend ist somit festzuhalten, dass es (auch) dadurch nicht glaubhaft ist, dass die bP 1 und 2 das als ausreisekausal bezeichnete Geschehen tatsächlich persönlich, so wie von ihnen im Verfahren geschildert, dergestalt erlebt haben. Insbesondere zeigt sich dies im Allgemeinen etwa durch Änderung von Fluchtgründen oder einem gesteigerten Gefährdungsvorbringen im Zuge des Verfahrens, wie dies gegenständlich vorliegt.
Zudem besteht idR keine Gefahr, dass sich die bP wegen einer derartigen wissentlichen Falschaussage im Asylverfahren vor der Polizei, dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht strafbar macht.
Selbst wenn das Vorbingen der bP hinsichtlich der Verfolgung durch die Mafia wie von der bB angenommen glaubwürdig wäre, wäre aufgrund der Länderfeststellungen in Zusammenschau mit den Anfragebeantwortungen davon auszugehen, dass die bP entsprechenden Schutz durch staatliche Behörden vor diesen Privatpersonen erlangen können.
Die Angaben der bP 1, dass angeblich die Polizei nicht schutzfähig sei, konnten von ihr auch nicht nachvollziehbar dargelegt werden und beruhen letztlich auf Vermutungen.
Weshalb die bP nicht einmal versucht hätten, Hilfe bei den Behörden zu erhalten und behaupteten, dass die Polizei ihnen nicht helfen würde, ist vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen nicht nachvollziehbar. Vielmehr spricht ihr Verhalten (selbst bei Wahrunterstellung des von ihnen behaupteten Sachverhaltes im Zusammenhang mit Problemen mit der Mafia), dass sie trotz einer nicht unerheblichen Erfolgswahrscheinlichkeit nicht versucht haben, Anzeige zu erstatten bzw. Hilfe von den staatlichen Behörden zu erhalten, gegen ihre Glaubwürdigkeit. Eine substantiierte und nachvollziehbare Erklärung konnten die bP für ihr Verhalten diesbezüglich nicht geben.
Wenn die bP in Bezug auf die Republik Aserbaidschan das kursierende Problem der Korruption thematisieren, so ist dieser Einwand für sich alleine nicht geeignet, in Bezug auf die bP festzustellen, dass der aserbaidschanische Staat nicht gewillt, bzw. befähigt wäre, den bP Schutz zu gewähren, weil aus allgemeinem statistischem Material herausgeht, dass in Aserbaidschan trotz der genannten Korruption Strafverfahren und Verurteilungen von Straftätern stattfinden (vgl. Ausführungen des staatlichen statistischen Komitees der Republik Aserbaidschan unter https://www.stat.gov.az/source/crimes/?lang=en ) und die bP nicht darlegten, warum gerade in ihrem Fall Gegenteiliges der Fall sein soll. Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe diskriminiert, lässt sich grundsätzlich nicht feststellen. Jeder Bürger des Landes, der sich durch einen Akt staatlicher Gewalt in den Grundrechten verletzt sieht, kann im Wege einer Individualbeschwerde den Rechtsweg zum Verfassungsgericht beschreiten (AA 17.11.2020) und steht auch der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte offen. Bürger können sich bei Verstößen, die vom Staat oder von Einzelpersonen begangen werden, an den Ombudsmann für Menschenrechte für Aserbaidschan oder den Ombudsmann für Menschenrechte der Autonomen Republik Nakhichevan wenden.
Die bP haben behauptet, durch Privatpersonen verfolgt zu werden, eine staatliche Verfolgung wurde nicht behauptet. Hinsichtlich Aserbaidschan ist festzuhalten, dass die Polizei bzw. staatlichen Behörden Schutzfähig und Schutzwillig sind. Auch wenn ein solcher Schutz nicht lückenlos (so wie in keinem Staat auf der Erde) möglich ist, stellen die geschilderten Drohungen in ihrem Herkunftsstaat offensichtlich amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und existieren andererseits im Herkunftsstaat Behörden, welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben.
Zudem wäre es den bP freigestanden, sich an eine übergeordnete Polizeidienststelle, eine StA ein Gericht oder einer NGO oder den Ombudsmann zu wenden. Wenngleich das Gericht nicht verkennt, dass es gewisse Defizite im Heimatland der bP gibt, so vermochten die bP eine persönliche Betroffenheit jedoch in der Verhandlung nicht aufzuzeigen.
Im Ergebnis war davon auszugehen, dass die staatlichen Behörden und Gerichte, sowie auch Organe (Polizei) die Familie selbst bei tatsächlichem Vorliegen von Problemen mit der Mafia entsprechend schützen. Dass die angeblich aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit erfolgten Übergriffe von Seiten des Staats durchgeführt worden wären (Entlassung der bP 2, Zusammenschlagen der bP 1) wurde von den bP letztlich nicht einmal behauptet und ergibt sich auch in diesem Zusammenhang, dass eine Schutzfähigkeit gegeben wäre.
Abschließend wird festgehalten, dass auch die Angaben der bP zum Fluchtweg gegen ihr Vorbringen, Schutz vor Verfolgung finden zu wollen, sprechen. Hätten die bP tatsächlich ihr Heimatland lediglich wegen der Suche nach Schutz verlassen, wäre dieses Ziel bereits in anderen Ländern (Russland, Länder an den Außengrenzen der EU) erreicht gewesen, wohin sie als aserbaidschanische Staatsangehörige – teilweise legal- auch leicht reisen hätten können.
Das BVwG geht daher zusammenfassend davon aus, dass die bP lediglich aus persönlichen Motiven heraus bzw. aus wirtschaftlichen Gründen ihr Heimatland verlassen haben. Aus diesem Grund sah das erkennende Gericht ebenso wie bereits das BFA auch keine Veranlassung für weitergehende Erhebungen im Herkunftsstaat der bP. Zusammenfassend ist zum Vorbringen auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben der bP glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht erkennbar waren.
Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen, widersprüchlichen und teilweise nicht nachvollziehbaren Begründung des Antrages auf internationalen Schutz ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung des Asylantrages und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung – wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung – eines Aufenthaltstitels für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurde.
Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.
3. Rechtliche Beurteilung
II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht
II.3.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF) entscheidet das Bundesverwaltungs-gericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
II.3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesver-waltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 idgF entscheidet im gegenständlichen Fall der Einzelrichter.
II.3.1.3. Gem. § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013 hat das ho. Gericht das AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
II.3.1.4. Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Zu A) (Spruchpunkt I)
II.3.2. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:
„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) …
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. | dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder |
2. | der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat. |
...“
Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag der bP inhaltlich zu prüfen ist.
Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.
Wie im gegenständlichen Fall bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen der bP zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).
Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von der bP behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können.
Zur hilfsweise herangezogenen Argumentation hinsichtlich des Bestehens des Willens und der Fähigkeit des Staates, Schutz zu gewähren wird Folgendes erwogen:
Es ist festzuhalten, dass –rein hypothetisch betrachtet ohne hierdurch den behaupteten ausreiskausalen Sachverhalt als glaubwürdig werten zu wollen - es der bP möglich und zumutbar wäre, sich im Falle der behaupteten Bedrohungen an die Sicherheitsbehörden ihres Herkunftsstaates zu wenden, welche willens und fähig wären, ihm Schutz zu gewähren.
Auch wenn ein solcher Schutz (so wie in keinem Staat auf der Erde) nicht lückenlos möglich ist, stellen die von der bP geschilderten Übergriffe in ihrem Herkunftsstaat offensichtlich amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und andererseits existieren im Herkunftsstaat der bP Behörden welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben (vgl. hierzu auch die Ausführungen des VwGH im Erk. vom 8.6.2000, Zahl 2000/20/0141).
Die bloße Möglichkeit, dass staatlicher Schutz nicht rechtzeitig gewährt werden kann, vermag eine gegenteilige Feststellung nicht zu begründen, solange nicht von der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit der Nichtgewährung staatlichen Schutzes auszugehen ist (vgl. hierzu die im Erkenntnis noch zu treffenden Ausführungen zum Wahrscheinlichkeitskalkül).
Unter richtlinienkonformer Interpretation (Art 6 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13. Dezember 2011) kann eine Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden von nichtstaatlichen Akteuren (nur) dann ausgehen, wenn der Staat oder die Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, "erwiesenermaßen" nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden iSd Art 7 leg cit zu bieten.
Nach der Rsp des VwGH ist für die Annahme einer Tatsache als "erwiesen" (vgl § 45 Abs 2 AVG) keine "absolute Sicherheit" (kein Nachweis "im naturwissenschaftlich-mathematisch exakten Sinn") erforderlich (VwGH 20.9.1990, 86/07/0091; 26.4.1995, 94/07/0033; 20.12.1996, 93/02/0177), sondern es genügt, wenn eine Möglichkeit gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit (Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht 2004, 168f: an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (VwGH 26.4.1995, 94/07/0033; 19.11.2003, 2000/04/0175; vgl auch VwSlg 6557 F/1990; VwGH 24.3.1994, 92/16/0142; 17.2.1999, 97/14/0059; in Hengstschläger-Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Manz Kommentar, 2. Teilband, Rz 2 zu § 45).
In Bezug auf diese Umstände - nämlich, dass der Staat oder die Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, "nicht in der Lage" oder "nicht willens" sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden iSd Art 7 leg cit zu bieten - besteht für den Beschwerdeführer somit ein erhöhtes Maß an erforderlichem Überzeugungsgrad der Behörde. Die (bloße) Glaubhaftmachung ist gem. Art 6 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13. Dezember 2011 demnach als Beweismaß dafür nicht ausreichend. Es muss "erwiesen" werden. Gelingt dies nicht, ist davon auszugehen, dass sie dazu sowohl in der Lage als auch willens sind, wenn der Staat oder die Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Antragsteller Zugang zu diesem Schutz hat. Diesfalls gilt gem. Art 7 Abs 2 leg cit, dass "generell Schutz gewährleistet ist".
Im gegenständlichen Fall haben die bP weder glaubhaft behauptet noch bescheinigt, dass das geschilderte Verhalten, jener Personen die gegen die bP vorgingen, in ihrem Herkunftsstaat nicht pönalisiert wäre oder die Polizei oder auch andere für den Rechtsschutz eingerichtete Institutionen grds. nicht einschreiten würden, um einen Schaden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit abzuwenden. Darauf weisen auch die den Feststellungen der belangten Behörde bzw. des erkennenden Gerichts zu Grunde liegenden Quellen nicht hin und ergibt sich weiters aus den von der belangten Behörde bzw. vom erkennenden Gericht herangezogenen Quellen, dass im Herkunftsstaat der bP kein genereller Unwille bzw. die Unfähigkeit der Behörden herrscht, Schutz zu gewähren.
Die bP bescheinigte im Rahmen ihrer Ausführungen zur Schutzfähigkeit nicht konkret und substantiiert den Unwillen und die Unfähigkeit des Staates, gerade in ihrem Fall Schutz zu gewähren. Es kann dem Vorbringen auch nicht entnommen werden, dass sie keinen Zugang zu den Schutzmechanismen hätte, bzw. dass gerade in ihrem Fall ein qualifizierter Sachverhalt vorliege, der es als „erwiesen“ erschein lässt, dass die im Herkunftssaat vorhandenen Behörden gerade im Fall der bP untätig blieben. Im Verfahren kam auch nicht konkret hervor, dass der Staat selbst der Verfolger wäre.
Im Ergebnis hat die bP letztlich im Verfahren kein derartiges Vorbringen konkret und substantiiert erstattet, welches hinreichende Zweifel am Vorhandensein oder an der Effektivität der Schutzmechanismen - dies wurde unbescheinigt und unsubstantiiert nicht glaubhaft gemacht (vgl. EGMR, Fall H.L.R. gegen Frankreich) noch kann dies als erweislich angesehen werden - verursacht hätte.
Die nahe liegenden und bereits beschriebenen wirtschaftlichen Erwägungen, welche die bP zum Verlassen des Herkunftsstaaten veranlassten, können nicht zu Gewährung von Asyl führen, zumal keinerlei Hinweise bestehen, dass die bP aufgrund eines in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grundes von der angespannten wirtschaftlichen Lage in Aserbaidschan nachteiliger betroffen wären, als die sonstige aserbaidschanische Bevölkerung (zur fehlenden asylrechtlichen Relevanz wirtschaftlich motivierter Ausreisegründe siehe auch Erk. d. VwGH vom 6.3.1996, Zi. 95/20/0110 oder vom 20.6. 1995, Zl. 95/19/0040).
Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus.
II.3.3. Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat
II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten:
„§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. | der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder |
2. | … |
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 … zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
…“
Der Prüfungsrahmen ist auf den Herkunftsstaat des Asylwerbers beschränkt.
Art. 2 EMRK lautet:
„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:
…
Art. 3 EMRK lautet:„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).
Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).
Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).
Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314).
Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
Gem. der Judikatur des EGMR muss die bP die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)
Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).
Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).
Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.
II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:
Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen in Bezug auf die Republik Aserbaidschan nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates der bP (die Todesstrafe wurde abgeschafft) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.
Da sich der Herkunftsstaat der bP nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet (dies kann auch in Bezug auf jene Region angenommen werden, welche unmittelbar an Berg Karabach angrenzt), kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die bP als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.
Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.
Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.
Weitere, in der Person der bP begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.
Zur individuellen Versorgungssituation der bP wurde bereits festgestellt, dass diese in Aserbaidschan über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügen. Bei den volljährigen bP handelt es sich um mobile, junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen. Einerseits stammen die bP aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören die bP keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf ihre individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. So war es den bP auch vor dem Verlassen ihres Herkunftsstaates möglich, dort ihr Leben zu meistern.
Auch steht es den bP frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen oder das –wenn auch nicht sonderlich leistungsfähige- Sozialsystem des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen.
Ebenso kam hervor, dass die bP im Herkunftsstaat nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen. Sie stammen aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird und können die bP daher Unterstützung durch ihre Familie erwarten.
Darüber hinaus ist es den bP unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.
Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht in eine, allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
Die Zumutbarkeit der Annahme einer –ggf. auch unattraktiven- Erwerbsmöglichkeit wurde bereits in einer Vielzahl ho. Erkenntnisse bejaht.
II.3.3.3. Soweit die beschwerdeführende Partei bP1 ihren Gesundheitszustand thematisiert, wird festgehalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 21. Februar 2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9). Bloß spekulative Überlegungen über einen fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung sind ebenso unbeachtlich wie eine bloße Minderung der Lebensqualität (Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05).
Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finland vom 31.05.2005 (Appl. 1383/04), wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der sich seit 2002 in psychiatrischer Behandlung befunden hat und der selbstmordgefährdet war, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes „real risk“.
II.3.3.4. Im vorliegenden Fall konnten seitens der bP (Baldrian bei erhöhtem Herzschlagen) keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Aserbaidschan belegt werden, respektive die Notwendigkeit weitere Erhebungen seitens des Bundesverwaltungsgerichts. Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf das Vorliegen (schwerer) Erkrankungen ersichtlich und wurden von den bP keinerlei medizinische Befunde vorgelegt.
Im gegenständlichen Fall besteht im Lichte der Berichtslage kein Hinweis, dass die bP vom Zugang zu medizinsicher Versorgung in Aserbaidschan ausgeschlossen wäre und bestehen auch keine Hinweise, dass die seitens der bP beschriebenen Krankheiten nicht behandelbar wären. Auch faktisch Hindernisse, welche das Fehlen eines Zugangs zur medizinischen Versorgung aus in der Person der bP gelegenen Umständen belegen würden, kamen nicht hervor.
Ebenso ist davon auszugehen, dass Österreich in der Lage ist, im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichende medizinische Begleitmaßnahmen zu setzen (VwGH 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723, VfGH v. 12.6.2010, Gz. U 613/10-10 und die bereits zitierte Judikatur; ebenso Erk. des AsylGH vom 12.3.2010, B7 232.141-3/2009/3E mwN).
II.3.3.5. Eine besondere Vulnerabilität - etwa aufgrund von Minderjährigkeit - ist bei der Beurteilung, ob den revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 MRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung mit der Situation, die eine solche Person bei ihrer Rückkehr vorfindet (VwGH vom 28.11.2019, Zl. Ra 2019/19/0085; vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336, mwN).
Diesbezüglich wird auf Punkt II.3.4.6. und die dortigen Ausführungen zum Kindeswohl verwiesen und kann auch in Zusammenschau aller eine etwaige Vulnerabilität der bP begründenden Umstände kein Szenario erkannt werden, wonach im gegenständlichen Fall Subsidiärer Schutz zu gewähren wäre.
II.3.3.6. Aufgrund der getroffenen Ausführungen ist davon auszugehen, dass die beschwerdeführenden Parteien nicht vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen müssen, in ihrem Herkunftsstaat mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt zu sein, weshalb die Gewährung von subsidiären Schutz ausscheidet.
II.3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung
II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen (auszugsweise):
§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:
„§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. …
2. …
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. – 5. …
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) ...“
§ 57 AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) – (4) …
§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) – (6) …“
§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:
„§ 52. (1) …(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. …
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. – 4. …
und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3)- (11)...“
§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1)...
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) – (5).
Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
II.3.4.2. Der gegenständliche, nach nicht rechtmäßiger Einreise in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz war abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel der drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fallen die bP nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.
Es liegen im Lichte des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise vor, dass den bP allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargetan. Die bB erteilte den bP zurecht kein Aufenthaltsrecht gem. § 57 AsylG, zumal der Aufenthalt der bP nicht gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, dies nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel erforderlich ist und die bP auch nicht Opfer von Gewalt wurden, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896 erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und die bP auch nicht glaubhaft machten, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
II.3.4.3. Die Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann einen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR, Cruz Varas and others vs Sweden, 46/1990/237/307, 21.3.1991).
II.3.4.4. Basierend auf den getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Rückkehrentscheidung keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben darstellt, jedoch einen solchen in das Recht auf Privatleben, wenngleich dieser schon alleine durch den erst –bezogen auf das Lebensalter der bP – kurzen Aufenthalt und den niedrigen Integrationsgrad in Österreich, welcher darüber hinaus nur durch die unbegründete Stellung eines Asylantrages erreicht werden konnte, relativiert wird.
II.3.4.5. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl bei der belangten Behörde als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung der durch Art. 8 (1) EMRK geschützten Rechte des Beschwerdeführers im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Wiese verfolgt.
II.3.4.6. Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der gesetzlichen Determinanten im Lichte der Judikatur Folgendes:
- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:
Die bP sind 5 Jahre in Österreich aufhältig. Sie reisten rechtswidrig und schlepperunterstützt ein und konnten die bP ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren. Hätten sie diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet – ohne Hinzutreten weiterer maßgeblicher Umstände - noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (VwGH vom 23.10.2019, Zl. Ra 2019/19/0289, vgl. auch VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0078; 15.3.2016, Ra 2016/19/0031; jeweils mwN). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist.
Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG ist allerdings nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist. Liegt eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0212, mwN).
Mit negativem Abschluss des Asylverfahrens lebt auch die Rechtswidrigkeit des Aufenthalts, sowie die Strafbarkeit der rechtswidrigen Einreise zumindest in Bezug auf die bP 1 und 2 wieder auf (vgl. § 120 Abs. 1 iVm Abs. 7 FPG), bzw. kommt die Strafbarkeit gem. § 120 Abs. 1a leg. cit. im Falle der unterlassenen Ausreise innerhalb der festgesetzten Frist hinzu. Dieser Umstand stellt einen Sachverhalt mit hohem sozialen Unwert dar, was sich insbesondere auch in den vergleichsweise hohen Strafdrohungen zeigt, woraus abzuleiten ist, dass der Gesetzgeber bereits durch diese generalpräventiv wirkende Strafdrohung die Einhaltung der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes als einen äußerst erstrebenswerten Umstand im Rahmen der öffentlichen Ordnung betrachtet.
Auch wenn im Rahmen dieses Faktums entsprechend der aktuellen Judikatur zu berücksichtigen ist, dass eine Antragstellung vom Ausland aus nicht möglich und daher -de facto in den überwiegenden Fällen- eine solche erst nach illegaler Einreise möglich ist, muss auch darauf hingewiesen werden, dass die handlungsfähigen bP die rechtswidrige Einreise sichtlich in Umgehungsabsicht von fremden- und niederlassungsrechtlichen Vorschriften zur Stellung eines sichtlich unbegründeten Antrages auf internationalen Schutzes vornahmen und die Behörden wiederholt täuschten, was wiederum sehr wohl fremdenrechtlichen Interessen, im Sinne eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung berührt.
- das tatsächliche Bestehen eines Privat- und Familienlebens
Die bP verfügen über die bereits beschriebenen privaten und keine familiären Anknüpfungspunkte
- die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens
Die bP begründeten ihr Privat- bzw. Familienleben an einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert wurde. Auch war der Aufenthalt der bP zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privat- und Familienlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt. Es ist auch festzuhalten, dass die bP nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise die bestehenden Bindungen zur Gänze abbrechen zu müssen. So stünde es ihnen frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN). Ebenso stünde es der bP frei – so wie jedem anderen Fremden auch - sich um eine legale Wiedereinreise und einen legalen Aufenthalt zu bemühen.
Das Vorbringen der bP lässt auch erkennen, dass diese sichtlich hier auch die Sach- und Rechtslage, wonach ein Aufenthalt in Österreich primär und regelmäßig unter Einhaltung der fremden- und niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zu begründen und fortzusetzen ist, verkennen. Auch ergibt sich hieraus, dass beim Fehlen eines gültigen Aufenthaltstitel den Fremden die Obliegenheit zukommt, das Bundesgebiet zu verlassen.
Nur beim Vorliegen von außergewöhnlichen, besonders zu berücksichtigenden Sachverhalten kann sich ergeben, dass den Fremden, welche rechtswidrig in das Bundesgebiet einreisten oder sich rechtswidrig in diesem aufhalten, ihre Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes nachgesehen und ein Aufenthaltsrecht erteilt wird. Derartige Umstände liegen im gegenständlichen Fall nicht vor. Sollte bei den bP die gegenteilige Erwartungshaltung geweckt worden sein, hat das ho. Gericht dennoch im Rahmen der Gesetze (Art. 18 B-VG) entgegen dieser Erwartungshaltung zu entscheiden.
Keinesfalls entspricht es der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Systematik, dass das Knüpfen von privaten bzw. familiären Anknüpfungspunkten nach rechtswidriger Einreise oder während eines auf einen unbegründeten Antrag fußenden Asylverfahrens im Rahmen eines Automatismus zur Erteilung eines Aufenthaltstitels führt. Dies kann nur ausnahmsweise in Einzelfällten, beim Vorliegen eines besonders qualifizierten Sachverhalts der Fall sein, welcher hier bei weitem nicht vorliegt (vgl. hier etwa Erk. d. VfGH U 485/2012-15 vom 12.06.2013).
- Grad der Integration
Die volljährigen beschwerdeführenden Parteien sind –in Bezug auf ihr Lebensalter- erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren im Asylverfahren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen, wenngleich im Verfahren hervorkam, dass bP 1 und 2 die deutsche Sprache so weit beherrschen, dass eine gewisse Verständigung im Alltag möglich ist und die bP 3 inzwischen gut Deutsch spricht.
Ebenso geht aus dem Akteninhalt nicht hervor, dass die volljährigen bP selbsterhaltungsfähig wären bzw. ernsthafte Bemühungen zur Herstellung der Selbsterhaltungsfähigkeit und taugliche Versuche, in Asylwerbern zugänglichen Gebieten des Arbeitsmarktes unterzukommen, unternommen hätten. Auch kann nicht festgestellt werden, dass die Eltern der minderjährigen bP aus eigener Finanzkraft für den Unterhalt der minderjährige bP aufkommen können.
Hinsichtlich der bP 2 wurde zwar ein ablehnender Bescheid des AMS betreffend § 20 AuslBG vom August 2021 vorgelegt, aus diesem ergibt sich jedoch, dass der beantragenden Firma keine Beschäftitungsbewilligung für die bP ausgestellt worden ist, da die Firma 2 Aufforderungen zur Stellungnahme bzw. Bekanntgabe von Daten nicht wahrgenommen hat.
Zur vorgelegten Einstellungszusage der bP 2 (bestehende Einstellungszusage aus 2020 dieser Firma) ist festzuhalten, dass diese lediglich eine einseitige, sichtlich nicht einklagbare Willenserklärung darstellt. Selbst wenn man davon ausginge, dass eine rechtsverbindliche Zusage bestünde, die bP im Falle es Erhalt eines Bleiberechts auf Dauer einzustellen, ist festzuhalten, dass entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einer bloßen Arbeitsplatzzusage für den hypothetischen Fall eines legalen Aufenthalts in der Zukunft keine entscheidende Bedeutung zukommen kann (vgl. VwGH 21.1.2010, 2009/18/0523; 29.6.2010, 2010/18/0195; 17.12.2010, 2010/18/0385; 22.02.2011, 2010/18/0323).
Zum Schulbesuch von bP3 ist festzuhalten, dass dies die Erfüllung einer durchsetzbaren gesetzlichen Verpflichtung darstellt, welcher im Rahmen der Interessensabwägung nur sehr untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH v. 26.9.2007 2006/21/0288 mwN).
Die wenigen vorgelegten Empfehlungsschreiben dokumentieren gerade noch keine außergewöhnliche Integration der bP, vielmehr blieben ihre Angaben zu sozialen Anknüpfungspunkten auch in der Verhandlung sehr vage und konnten gerade keine besonderen Freundschaften festgestellt werden.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).
Rechtsverbindliche Erklärungen, für Kosten, welche sich aus dem Aufenthalt der bP im Bundesgebiet ergeben könnten, bzw. für den Unterhalt der bP aufzukommen, liegen seitens der Unterstützer der bP nicht vor.
Für eine nachhaltige Integration in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht sind die privaten Anknüpfungspunkte – vor allem in Zusammenhang mit der geringen Aufenthaltsdauer – auf jeden Fall zu wenig. Werte wie Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft etc. sind nicht als Zeichen besonderer Integration anzusehen und werden gerade für Personen, die sich in Österreich auf Dauer niederlassen wollen, vom erkennenden Gericht als selbstverständlich vorausgesetzt.
In Bezug auf die minderjährigen bP wird auf die noch zu treffenden Ausführungen zur Zurechenbarkeit des Verhaltens ihrer Eltern verwiesen.
- Bindungen zum Herkunftsstaat
Die bP verbrachten den überwiegenden Teil ihres Lebens in Aserbaidschan, wurden dort sozialisiert, gehören der dortigen Mehrheits- und Titularethnie an, bekennen sich zum dortigen Mehrheitsglauben und sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass in Aserbaidschan Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- bzw. Bekanntenkreises der bP existieren, da nichts darauf hindeutet, dass die bP vor ihrer Ausreise in ihrem Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätten. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es den bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.
Zu der minderjährigen bP ist festzustellen, dass schon aufgrund ihres geringeren Alters und der Aufenthaltsdauer in Österreich die Abwägung zwischen den Bindungen zum Herkunftsstaat und den nunmehrigen Bindungen zu Österreich anders zu bewerten sein wird, als im Hinblick auf die Eltern. Hier wird von geringeren Bindungen zum Herkunftsstaat und stärkeren Bindungen zu Österreich auszugehen sein. In die Überlegungen hat jedoch einzufließen, dass die minderjährige bP dennoch im Herkunftsstaat geboren wurde, sich dort eine zeitlang aufhielt und über ihr Umfeld bzw. ihre Eltern die Kultur und Sprache ihres Herkunftsstaates auch über den Zeitpunkt der Ausreise hinaus vermittelt bekam. Auch kann aufgrund der Sprachkenntnisse der Eltern davon ausgegangen werden, dass im Familienverband noch mit den Eltern in der Sprache des Herkunftsstaates kommuniziert wird und somit dieser „Vermittlungseffekt“ bis in die Gegenwart nachwirkt.
Ebenso befindet sich die minderjährigen bP in einem Alter erhöhter Anpassungsfähigkeit (vgl. Dr. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN) und hat diese auch ihre Anpassungs- und Integrationsfähigkeit durch die vorgelegten Bescheinigungsmittel zur ihrer Integration in Österreich bzw. das hier nicht widerlegte Vorbringen bewiesen. Es kann daher angenommen werden, dass es ihr unter Nutzung dieser Fähigkeiten gelingt, sich spiegelbildlich betrachtet, ebenso wie in die österreichische auch wieder in die Gesellschaft ihres Herkunftsstaats vollständig zu integrieren.
Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist gerade Kindern, welche noch im jungen Alter sind und die mit ihren Eltern gemeinsam ausreisen, die (Re-)Integration im Herkunftsstaat der Eltern zumutbar. So nahm der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 30.08.2011, Zl. 2009/21/0015 an, dass bei einem 6 Jahre und 3 Monate dauernden Aufenthalt in Österreich erwartet werden kann, die Kinder werden sich im Rahmen des gewohnten familiären Umfeldes an die neuen Begebenheiten im Herkunftsstaat der Eltern anpassen können (vgl. auch VwGH vom 19. Mai 2011, Zlen. 2009/21/0115, 116, mwN). Selbst Schwierigkeiten bei der (Re )Integration sind in derartigen Fällen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0282).
In seinem Urteil vom 26.01.1999, 43279/98, Sarumi/Vereinigtes Königreich, attestierte der EGMR Kindern im Alter von sieben und elf Jahren eine Anpassungsfähigkeit, die eine Rückkehr mit ihren Eltern aus England, wo sie geboren wurden, nach Nigeria als keine unbillige Härte erscheinen ließ.
Das erkennende Gericht übersieht nicht, dass die minderjährige bP in Österreich soziale Kontakte mit Schulkollegen geknüpft hat und gut Deutsch spricht sowie in einem Tischtennisverein aktiv ist. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass aufgrund des noch sehr jungen, mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbundenen Alters (vgl etwa VfGH 7.10.2014. U 2459/2012 u.a.) der minderjährigen bP davon ausgegangen werden kann, dass diese im Herkunftsstaat nicht mit unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert wäre (vgl. etwa EGMR 26.01.1999, 43.279/98, Sarumi gegen Vereinigtes Königreich; vgl. auch VwGH 25.03.2010, Zl. 2009/21/0216; 31.03.2008, Zl. 2008/21/0081). Eine Gefährdung des Kindeswohls ist demnach nicht zu erkennen. Überdies würden die minderjährige bP in Begleitung der Eltern in den Herkunftsstaat zurückkehren, wodurch die soziale Eingliederung in den Herkunftsstaat erleichtert würde und steht selbst der Umstand, dass das gesamte bisherige Leben seit der Geburt in Österreich verbracht wurde, einer Eingliederung im Herkunftsstaat nicht entgegen.
Es wird im gegenständlichen Fall auch darauf hingewiesen, dass es nunmehr an den Eltern der minderjährigen bP liegen wird, ihrer Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes nachzukommen und nicht in weiterer Folge rechtswidrig in diesem zu verharren, zumal sie durch ein solches Verhalten die Eingliederung ihrer Kinder verzögern bzw. erschweren und ihnen somit schaden würden.
- strafrechtliche Unbescholtenheit
Die bP sind strafrechtlich unbescholten.
Die Feststellung, wonach die bP strafrechtlich unbescholten sind, relativiert sich in Bezug auf die strafunmündigen bP sowie durch den erst verhältnismäßig kurzen Aufenthalt der bP und stellt darüber hinaus laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten der bP ins Gewicht fallen jedoch sehr wohl rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht (vgl. Erk. d. VwGH vom 27.2.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).
- Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts
Die bP reisten schlepperunterstützt und unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und verletzten die bP hierdurch das hoch einzuschätzende Öffentliche Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremden- und Niederlassungsrecht.
Soweit die minderjährige bP hierbei keinen Einfluss auf das Verhalten ihrer Eltern hatten, wird auf die noch zu treffenden Ausführungen hinsichtlich der objektiven Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern hingewiesen, welche hier sinngemäß gelten.
Auf das Wiederaufleben der Strafbarkeit der seinerzeitigen Einreise und die hierzu bereits angestellten Überlegungen wird an dieser Stelle nochmals verweisen.
- die Frage, ob das Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren
Den volljährigen bP musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist. Ebenso indiziert die rechtswidrige und schlepperunterstützte Einreise den Umstand, dass den bP die Unmöglichkeit der legalen Einreise und dauerhaften Niederlassung bewusst war, da davon auszugehen ist, dass sie in diesem Fall diese weitaus weniger beschwerliche und kostenintensive Art der legalen Einreise und Niederlassung gewählt hätten.
In Bezug auf die minderjährige bP wird auf die noch zu treffenden Ausführungen zur Zurechenbarkeit des Verhaltens ihrer Eltern verwiesen.
- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer
Ein derartiges Verschulden kann aus der Aktenlage nicht entnommen werden.
Es ist im Rahmen einer Gesamtschau zwar festzuhalten, dass eine raschere Erledigung des Asylverfahrens beim Vorhandensein entsprechender Ressourcen denkbar ist, dennoch ist im gegenständlichen Fall aufgrund des Vorbringens der bP, sowie ihrem Verhalten im Verfahren davon auszugehen, dass kein Sachverhalt vorliegt, welcher die zeitliche Komponente im Lichte der Erkenntnisse des VfGH B 950-954/10-08 bzw. B1565/10, in den Vordergrund treten ließe, dass aufgrund der Verfahrensdauer im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK von einem Überwiegen der privaten Interessen der bP auszugehen wäre (in Bezug auf ein gewisses Behördenverschulden in Bezug auf die Verfahrensdauer vgl. auch bei Vorliegen weitaus engeren Bindungen im Sinne des Art. 8 EMRK und einem ca. zehnjährigen Aufenthalt im Staat der Antragstellung das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06). Auch sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass die zeitliche Komponente nicht das allein ausschlaggebende Faktum darstellt.
-Auswirkung der allgemeinen Lage in Aserbaidschan auf die bP
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass dem Art. 8 EMRK innewohnenden Recht auf das Privat- und Familienleben auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuleiten ist (vgl. etwa Erk. d. VwGH vom 28.6.2016, Ra 2015/21/0199-8). Vor diesem Hintergrund ist die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Lichte des Art. 8 EMRK auch vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat, welche die bP im Falle einer Rückkehr vorfinden, zu prüfen, wobei bereits an dieser Stelle Art. 8 EMRK –anders als Art. 3 leg. cit.- einen Eingriffsvorbehalt kennt.
Im Rahmen der Beurteilung der allgemeinen Lage in der der Republik Aserbaidschan ergaben sich im gegenständlichen Fall keine Hinweise auf einen aus diesem Blickwinkel relevanten Sachverhalt.
- Kindeswohl
Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren soziookönomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).
Bei der Beurteilung, ob im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verletzung von durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten droht, ist nach der Judikatur des VwGH eine eventuelle besondere Vulnerabilität der Betroffenen im Speziellen zu berücksichtigen, wobei der VwGH auch auf die Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 21. Der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) verweist (vgl. zuletzt VwGH vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/18/0336 sowie vom 30.08.2017, Zl. Ra 2017/18/0089 zum Irak sowie VwGH vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 und diverse andere zu Afghanistan). Art. 21 der Aufnahmerichtlinie zählt als besonders schutzbedürftige Personen unter anderem Minderjährige auf.
Der Verfassungsgerichtshof hat - aufgrund der vom BVwG selbst herangezogenen UNHCR-Richtlinien- in seiner Entscheidung vom 12.12.2018, Zl E 667/2018 hinsichtlich einer Familie aus Kabul festgehalten, dass Familien mit besonderem Schutzbedarf - nach Ansicht des UNHCR - nur dann eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offensteht, wenn sie Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, die Zurückkehrenden tatsächlich zu unterstützen. Die zugrundeliegende Entscheidung des BVwG wurde behoben, da vom BVwG nicht näher begründet wurde, warum es davon ausging, dass der Bruder der Erstbeschwerdeführerin eine sechsköpfige Familie ausreichend unterstützen könne bzw wolle. Es sei verabsäumt worden, die Erstbeschwerdeführerin zur konkreten Lebenssituation ihres Bruders und ihrer Schwester zu befragen.
Demnach wird von der Judikatur – zuletzt auch in einer Einzelentscheidung hinsichtlich des sicheren Herkunftsstaates Georgien (VwGH vom 07.03.2019, Ra 2018/21/0216 bis 0217-13) - eine konkrete Auseinandersetzung damit gefordert, welche Rückkehrsituation eine Familie mit minderjährigen Kindern im Herkunftsstaat tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479) sowie der Unterkunftsmöglichkeit (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, dass unter den bP minderjährige Kinder – somit Angehörige einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe - sind. Daher ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation, die die minderjährigen bP bzw. die Familie mit minderjährigen Kindern im Heimatstaat tatsächlich vorfinden würden, erforderlich.
Im gegenständlichen Fall sind die Eltern und die Kinder aserbaidschanische Staatsbürger und sind alle im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen und teilen die Kinder somit das sozioökonomische Schicksal der Eltern. Den bP stehen nach der Rückkehr sowohl private, karitative als auch bei Bedarf staatliche Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie bei ihren Verwandten bzw. in ihrem leer stehenden Haus Unterkunft nehmen können.
Es gibt keine Kenntnis über spezifische Menschenrechtsverletzungen an Kindern in Aserbaidschan. Hinweise auf systematisch begangenen Kinderhandel oder sexuelle Ausbeutung von Kindern bzw. Kinderarbeit liegen dem deutschen Auswärtigen Amt nicht vor. Es gibt keine Kindersoldaten.
Eine Verletzung des Kindeswohles ist daher nicht ersichtlich.
- Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern
Das ho. Gericht verkennt zwar nicht, dass sich die Kinder das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung gemäß Art. 8 EMRK nicht im vollen Umfang subjektiv verwerfen lassen müssen, doch ist dieses Verhalten dennoch nicht unbeachtlich.
Der Verfassungsgerichtshof hielt in seiner Entscheidung vom 10.03.2011, Zl. B1565/10 (betreffend einem im Alter von 8 Jahren mit seinen Eltern eingereisten, im Entscheidungszeitpunkt 17jährigen, welcher beinahe die gesamte Schullaufbahn in Österreich absolvierte und herausragende sportliche Leistungen für einen österreichischen Sportklub erbrachte) fest, dass es in der Verantwortung des Staates gelegen ist, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem 17jährigen die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre, - neun Jahre verstreichen. Es sei die Aufenthaltsverfestigung des 17jährigen zwar überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgt, keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung sei vorgelegen; jedoch sei ihm als Minderjährigem, der seine Eltern nach Österreich begleitete, dies nicht in jenem Maße zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten. In diesem Fall wurde festgehalten, dass keine Anpassungsfähigkeit des 17jährigen mehr vorliege, der wesentliche Teile seiner Kindheit und Jugend in Österreich verbrachte (im Gegensatz zu Kindern, die sich im Zeitpunkt ihrer Ausweisung noch in anpassungsfähigem Alter befinden; vgl EMRK 26.01.99, Fall Sarumi, Appl 43279/98) und wurden grundsätzliche Ausführungen zur herabgesetzten Verantwortlichkeit von Minderjährigen getroffen.
Auch in der Entscheidung des VfGH vom 07.10.2010, Zl. B 950-954/10-08 wurde unter Bezugnahme auf das mangelnde Verschulden der Beschwerdeführer an der 7jährigen Verfahrensdauer festgehalten, dass die belangte Behörde bei ihrer Interessenabwägung zusätzlich stärker gewichten hätte müssen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer den Großteil ihres Lebens ins Österreich verbracht haben, sich mitten in ihrer Schulausbildung befanden und sich hier sowohl schulisch als auch gesellschaftlich sehr gut integriert haben.
Insbesondere hätte die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH 12.6.2010, U614/10) – in diesem Fall die Integration der Beschwerdeführer während ihrer einzigen Asylverfahren, welche für die Bf. 1, 2, 3 und 4 sieben Jahre (in denen keine einzige rechtskräftige Entscheidung ergangen ist) dauerten, erfolgte. Dass dies auf eine schuldhafte Verzögerung durch die Beschwerdeführer zurückzuführen wäre, wurde von der belangten Behörde weder dargestellt, noch war es aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich.
Obwohl der Verfassungsgerichtshof in diesen beiden Entscheidungen die den Beschwerdeführern nicht zurechenbarer Dauer der Asylverfahren als wesentliches Argument für eine Interessensabwägung zu Gunsten der Beschwerdeführer herangezogen hat, ist dennoch aus dem Beschluss des VfGH vom 12.6.2010, U614/10 ableitbar, dass in gewissen Fällen trotz fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Minderjährigen im Hinblick auf die Verfahrensdauer dennoch das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung in Bezug auf die minderjährigen Kinder eine Rolle spielt.
Es wird in diesem Zusammenhang auf die Erkenntnisse des VfGH vom 12.6.2010, erstens Zl. U 614/10 (Beschwerdeführerin wurde 1992 geboren, war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich minderjährig, hatte zumindest am Anfang ihres Aufenthaltes in Österreich keinen Einfluss auf das bzw. die Asylverfahren, entzog sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Alter der mündigen Minderjährigkeit und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge), zweitens Zl. U613/10 (Beschwerdeführerin wurde 1962 geboren, war während des gesamten Verfahrens handlungsfähig und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge) und den Beschluss des selben Tages Zl. U615/10 ua (minderjährige Asylwerber während des gesamten Asylverfahrens, welche auf den Verlauf des Verfahrens bzw. der Verfahren keinen Einfluss hatten) hingewiesen. In diesen Verfahren stellte der VfGH in Bezug auf die 1962 geborene Beschwerdeführerin im vollen Umfang und in Bezug auf die 1992 geborene Beschwerdeführerin (Tochter der 1962 geborenen Beschwerdeführerin) in einem gewissen eingeschränkten Umfang fest, dass sich diese das Verhalten, welches zum langen Aufenthalt in Österreich führte, zurechnen lassen müssen und es daher nicht zu ihren Gunsten im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK geltend machen können. Obwohl die minderjährigen Beschwerdeführer auf das Verhalten ihrer 1962 geborenen Mutter und 1992 geborenen Schwester keinerlei Einfluss hatten und ihnen deren Verhalten, insbesondere jenes der Mutter, nicht subjektiv vorgeworfen werden konnte, wurde die Behandlung derer Beschwerden dennoch mit Beschluss U615/10 ua. abgewiesen.
- weitere Erwägungen
Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).
Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).
Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).
Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung [nunmehr Rückkehrentscheidung] so wie im gegenständlichen Fall unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.
Gem. Art 8 Abs 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs 2 leg cit genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich –abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.
Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Inhalt des Fremdenrechtspakets 2005 und den danach folgenden Novellierungen klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für den Beschwerdeführer grundsätzlich nicht mehr möglich, seinen Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist.
Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass dem Beschwerdeführer gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung seines Aufenthaltes vom Inland aus offen steht, sodass ihn mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.
Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens sind die Beschwerdeführer somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der Ausweisung [bzw. nunmehr Rückehrentscheidung] von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.
Wie bereits erwähnt, garantiert die EMRK gemäß der Rechtsprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisungsentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland oder BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Ausweisungs- und Abschiebungspraxis der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art „Handreichung des Staates“ - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde.
II.3.4.7. Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).
Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration der bP in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Die bP halten sich im Vergleich mit ihrem Lebensalter erst einen kurzen Zeitraum in Österreich auf, sind auf die Grundversorgung angewiesen und eine gesellschaftliche Integration im beachtlichen Ausmaß ist nicht erkennbar, zumal auch noch keine besonderen Deutschkenntnisse vorliegen und die ehrenamtlichen Tätigkeiten nur sehr überschaubar vereinzelt in der Unterkunft und kurzzeitig bei der Gemeinde gesetzt wurden. Verwandte der bP leben noch im Herkunftsstaat, wo die bP den Großteil des Lebens verbracht haben und sozialisiert wurden, und ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen familiären und privaten Beziehungen im Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Aserbaidschan eine – wenn überhaupt vorhanden – Integration in Österreich bei weitem überwiegen.
Insbesondere aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer der bP in Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten, dauernden Integration hervorgekommen, dass allein aus diesem Grunde die Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig zu erklären wären.
II.3.4.8. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der bP im Bundesgebiet das persönliche Interesse der bP am Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in den Beschwerden nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.
Im Rahmen der Umsetzung der Rückkehrentscheidung ist darauf zu achten, dass die Obsorge der minderjährigen bP nicht verunmöglicht wird, es sei denn, diese entziehen sich der Abschiebung.
II.3.5. Abschiebung
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).
Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Aserbaidschan unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumtionen bereits vorwegnehmen.
Es kamen keine Umstände hervor, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK führen würden und wird auf die Ausführungen im Rahmen des subsidiären Schutzes verwiesen. Es kamen auch keine Umstände hervor, welche insbesondere beim Ausspruch betreffend die Abschiebung zu berücksichtigen gewesen wären.
Eine im § 50 Abs. 3 FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.
Aufgrund der oa. Ausführungen ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass die Abschiebung der bP in ihren Herkunftsstaat zulässig ist.
Wie bereits erwähnt, erteilte die bB den bP zurecht kein Aufenthaltsrecht gem. § 57 AsylG.
II.3.6. Die Verhältnismäßigkeit der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.
II.3.7. Eine Frist zu freiwilligen Ausreise besteht gem. § 55 FPG nicht.
II.3.8. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Rückkehrentscheidung vorliegen, keine Umstände gegen die Zulässigkeit der Abschiebung sprechen und keine Frist für eine freiwillige Ausreise besteht, ist die Beschwerde gegen diese Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zur Auslegung des Begriffs des internationalen Schutzes, sowie des durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienlebens abgeht.
Aus dem Umstand, dass das ho. Gericht und die belangte Behörde mit 1.1.2014 ins Leben gerufen wurden, bzw. sich die asyl- und fremdenrechtliche Diktion, sowie Zuständigkeiten zum Teil änderte, und das Asyl- und Fremdenrecht eine verfahrensrechtliche Neuordnung erfuhr kann ebenfalls kein unter Art. 133 Abs. 4 zu subsumierender Sachverhalt hergeleitet werden, zumal sich am substantiellen Inhalt der anzuwendenden Normen keine relevante Änderung ergab. Im Falle verfahrensrechtlicher Neuordnungen wird auf die einheitliche Judikatur zu den Vorgängerbestimmungen verwiesen (z. B. in Bezug auf § 18 BFA-VG auf § 38 AsylG aF).
Aufgrund der oa. Ausführungen war die Revision nicht zuzulassen.
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