Rechtssatz
Bleibt der Arbeitnehmer trotz Nichtzahlung des Lohns im Unternehmen tätig und versucht er die Beträge auch gar nicht ernstlich einbringlich zu machen, so indiziert dies in der Regel, dass er beabsichtigte, in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend zu machen; derartige Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die auf eine Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hinauslaufen mit der Absicht, mit der Gegenleistung nicht den Arbeitgeber, sondern den Fonds zu belasten, sind nichtig. Gleiches gilt auch dann, wenn die Absicht des Arbeitnehmers nicht vordergründig darauf gerichtet war, den Fonds sittenwidrig zu schmälern, sondern dies nur mit bedingtem Vorsatz in Kauf genommen wurde.
8 ObS 206/00b | OGH | 23.10.2000 |
Beisatz: Bedingter Vorsatz erfordert, dass dem Handelnden die Rechtswidrigkeit (Sittenwidrigkeit) - hier die Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds - seines Verhaltens bewusst ist und er sich mit dem verpönten Erfolg zumindest abfindet. (T1) |
8 ObS 39/01w | OGH | 26.04.2001 |
Beisatz: Bei "durchschnittlichen Arbeitnehmern", die in keiner besonderen Nahebeziehung zum Arbeitgeber stehen, wird dieser Schluss üblicherweise nur aus deutlich über sechs Monaten liegenden Entgeltrückständen gezogen. (T2) |
8 ObS 183/01x | OGH | 16.08.2001 |
Beis wie T1; Beisatz: 8 Monate Stehenlassen des Entgelts durch Tochter des Gesellschafters und Geschäftsführers - nicht gesichert. (T3) |
8 ObS 305/01p | OGH | 24.01.2002 |
Beis wie T1; Beisatz: Hier bedingter Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos verneint: Arbeitnehmer passte Arbeitsausmaß und damit auch seine Entgeltansprüche an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers an, wobei erhebliche Überzahlungen der laufenden und damit Nachzahlungen der früheren offenen Entgelte erfolgt sind. (T4) |
8 ObS 254/01p | OGH | 16.05.2002 |
Auch; Beis wie T2; Beisatz: Dieser Betrachtungsweise steht auch die Richtlinie 80/987/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht entgegen. (T5) |
8 ObS 105/02b | OGH | 16.05.2002 |
Auch; Beis wie T1; Beisatz: Es ist auch auf die objektiv gegen diesen Vorsatz sprechenden Argumente Bedacht zu nehmen. (T6) Beisatz: Die subjektive Erwartung der Klägerin, dass sich die Geschäftslage bessern werde, ist dabei nicht entscheidend; wird das wirtschaftliche Risiko aus der Unternehmensführung doch regelmäßig nicht von den Arbeitnehmern übernommen. (T7)<br/>Beisatz: Das Risiko, das nach Art einer Versicherung vom IAG-Fonds übernommen wird, umfasst im Kernbereich die vom Arbeitnehmer typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des Entgeltverlustes, das daraus entsteht, dass dem typischen Arbeitnehmers der Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers verwehrt ist. (T8)<br/>Beisatz: Entscheidend sind die im Rahmen des Fremdvergleiches zu beurteilenden Faktoren, aus denen erschlossen werden kann, dass der - sei es auch nur bedingte - Vorsatz der Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, weil dem Arbeitnehmer - anders als dem typischen Arbeitnehmer- die mangelnde Durchsetzbarkeit seiner Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber wegen der zu erwartenden Insolvenz bewusst sein musste und er trotzdem für diesen Arbeitgeber arbeitet und damit das Finanzierungsrisiko für die daraus entstehenden Entgeltansprüche dem IESG-Fonds überträgt. (T9) |
8 ObS 54/02b | OGH | 16.05.2002 |
Auch; Beis wie T1; Beisatz: Eine strafgerichtliche Verurteilung wegen (bloß) fahrlässiger Krida (§ 159 StGB idF BGBl 1982/205) schließt den bedingten Vorsatz, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen, nicht aus. (T10) |
8 ObS 109/02s | OGH | 27.05.2002 |
Beis wie T1; Beis wie T6; Beis wie T8; Beisatz: Hier: bedingter Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos verneint: langjährig beschäftigter Arbeitnehmer, der gerade in den letzten 2 Jahren vor der Konkurseröffnung regelmäßig Entgeltzahlungen erhielt und bei dem es sogar teilweise zum Abbau eines wenn auch über viele Jahre hinweg angewachsenen Gesamtrückstandes von ca einem Jahresgehalt kam. (T11) |
4 Ob 157/02w | OGH | 16.07.2002 |
Vgl auch; Beisatz: Hier: Lässt sich der Arbeitnehmer sein Entgelt nicht auszahlen, sondern stundet er es seinem (zahlungsfähigen und auch zahlungswilligen) Arbeitgeber, so ist er zwar nicht mit dessen Insolvenz konfrontiert, er übernimmt aber - wie bei jeder Stundung einer ungesicherten Forderung - ein Insolvenzrisiko. Eine Vereinbarung, wonach der Arbeitnehmer aus unternehmensfremden Gründen einen Teil seines Entgelts im Unternehmen belässt, um es zu einem nicht bestimmten Zeitpunkt über ein anderes Unternehmen als Konsulentenhonorar einzuziehen, lässt daher darauf schließen, dass er damit rechnet, bei einer allfälligen Insolvenz ohnehin Leistungen aus dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu erhalten (Die Vereinbarung wurde geschlossen, um die Unterhaltsansprüche der geschiedenen Frau des Arbeitnehmers zu verkürzen.). (T12) |
8 ObS 182/02a | OGH | 29.08.2002 |
Vgl auch; Beis wie T5; Beisatz: Hier: Nebenberufliche Tätigkeit als Kellner und gewerberechtlicher Geschäftsführer über zehn Monate ohne jede Entgeltzahlung - nicht gesichert. (T13) |
8 ObS 136/02m | OGH | 29.08.2002 |
Auch; nur: Bleibt der Arbeitnehmer trotz Nichtzahlung des Lohns im Unternehmen tätig und versucht er die Beträge auch gar nicht ernstlich einbringlich zu machen, so indiziert dies in der Regel, dass er beabsichtigte, in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend zu machen. (T14)<br/>Beis wie T5; Beisatz: Das insoweit atypisch gestaltete Arbeitsverhältnis fällt insgesamt aus dem Schutzbereich des IESG, und die aus diesem Arbeitsverhältnis resultierenden Ansprüche sind in vollem Umfang ungesichert. Das sogenannte "splitting" (Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld bis zu dem Zeitpunkt, in dem ein typischer Arbeitnehmer ausgetreten wäre) ist abzulehnen; in einem solchen Fall sind auch die beendigungsabhängigen Ansprüche ungesichert. (T15) |
8 ObS 195/02p | OGH | 19.09.2002 |
Auch; nur: Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die auf eine Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hinauslaufen mit der Absicht, mit der Gegenleistung nicht den Arbeitgeber, sondern den Fonds zu belasten, sind nichtig. Gleiches gilt auch dann, wenn die Absicht des Arbeitnehmers nicht vordergründig darauf gerichtet war, den Fonds sittenwidrig zu schmälern, sondern dies nur mit bedingtem Vorsatz in Kauf genommen wurde. (T16)<br/>Beis wie T1; Beis wie T8; Beisatz: Hier: Zumindest bedingter Vorsatz eines Lehrlings, im Zusammenwirken mit seiner Mutter seine Lehrlingsausbildung über den IESG-Fonds zu finanzieren, ist aus dem Umstand zu erschließen, dass dem Kläger schon beim Eingehen des Lehrverhältnisses genau bekannt war, dass es dem erst kurz von seiner Mutter geführten Betrieb wirtschaftlich schlecht ging, seine Mutter nach dem Konkurs des Vaters Schulden in Millionenhöhe hatte und der Kläger dann tatsächlich bei der Arbeit auch gar nicht ausgelastet war und zuletzt beinahe ein Jahr lang kein Entgelt erhielt. (T17) |
8 ObS 201/02w | OGH | 17.10.2002 |
Vgl auch; Beisatz: Hier: Die Kläger waren in den unmittelbar vorangegangenen Dienstverhältnissen in insolventen Unternehmen tätig und mit der Institution des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds vertraut. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer, der auf den Lohn zwecks Existenzsicherung angewiesen ist, hätte nicht so lange das Dienstverhältnis aufrecht erhalten, wenn er nicht auf das - schon mehrfach erfolgreich erprobte - Netz der Insolvenz-Entgeltsicherung vertraut hätte. (T18) |
8 ObS 209/02x | OGH | 19.12.2002 |
Auch; Beis wie T1; Beis wie T7; Beis wie T8; Beis wie T9; Beisatz: Hier: Nicht gesichert bei Arbeitnehmerin, die 11 Monate beschäftigt war, und nur 3 Monate Entgeltzahlung erhielt (anzuwenden war Rechtslage vor der Novelle BGBl I 142/2000). (T19) |
8 ObS 11/03f | OGH | 25.11.2003 |
Auch; nur T14; Beisatz: Inwieweit aus dem langen Stehenlassen der Entgelte der zumindest bedingte Vorsatz der Verlagerung des Finanzierungsrisikos geschlossen werden kann, ist im Rahmen des "Fremdvergleiches" zu beurteilen. Es ist also zu prüfen, ob auch ein "unbeteiligter Arbeitnehmer" im Unternehmen verblieben wäre. (T20) |
1 Ob 23/07z | OGH | 03.05.2007 |
Auch; Beis ähnlich wie T15; Beisatz: Ein derartiges Arbeitsverhältnis ist nach ständiger Rechtsprechung zur Gänze aus dem Schutzbereich des IESG ausgenommen. In einem solchen Fall gebührt überhaupt kein Insolvenz-Ausfallgeld, und zwar auch nicht für etwaige Beendigungsansprüche (so schon 8ObS6/03w; 8ObS136/02m mwN). Hier: Abfertigung. (T21) |
8 ObS 19/06m | OGH | 30.08.2007 |
Vgl auch; Beisatz: Eine Finanzierung von Ausgleichsforderungen während eines bereits anhängigen Ausgleichsverfahrens bei dem die zeitlich begrenzte Leistungspflicht des Insolvenz-Ausfallgeldfonds bereits feststeht und es im Wesentlichen nur darum geht, die Arbeitnehmer vom Austritt abzuhalten, was regelmäßig sogar zu einer Verringerung der Zahlungslast des Insolvenz-Ausfallgeldfonds führen kann, kann nicht als sittenwidriges Zusammenwirken zur Überwälzung zusätzlicher Risken auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds im Sinne des § 879 ABGB gesehen werden. (T22) |
8 ObS 7/19s | OGH | 27.06.2019 |
Auch; nur: Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die auf eine Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hinauslaufen mit der Absicht, mit der Gegenleistung nicht den Arbeitgeber, sondern den Fonds zu belasten, sind nichtig. (T23)<br/>Beisatz: Gleiches gilt für Vereinbarungen oder Verhaltensweisen durch die eine sonst nicht bestehende Verpflichtung des Insolvenz-Entgelt-Fonds begründet werden soll. (T24) |
Dokumentnummer
JJR_19990607_OGH0002_008OBS00295_98K0000_001
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