OGH 8ObS206/00b

OGH8ObS206/00b23.10.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Barbara Hopf und Gerhard Taucher als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Regina K*****, vertreten durch Dr. Georg Schwab, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Bundessozialamt Tirol, 6020 Innsbruck, Herzog-Friedrich-Straße 3, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von S 104.752,50 sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Mai 2000, GZ 25 Rs 41/00s-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. November 1999, GZ 47 Cgs 156/99s-6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs der beklagten Partei wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wieder hergestellt wird.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 1. 1. 1994 bei der "O***** Immobilien und Bauträger GesmbH", über deren Vermögen mit Beschluss vom 19. 9. 1997 der Antrag auf Eröffnung des Konkurses mangels verwertbaren Vermögens abgewiesen wurde, als Angestellte angemeldet. Nach einer von der späteren Gemeinschuldnerin ausgestellten Arbeitsbestätigung war sie berechtigt, Aufträge anzunehmen, durchzuführen sowie Provisionen in Empfang zu nehmen, hatte diese aber sofort auf das Firmenkonto zur Einzahlung zu bringen. Aufträge mussten durch die Firmenleitung bestätigt werden. Nach einer kurzen Unterbrechung durch ein anderes Arbeitsverhältnis vom 11. 4. bis 29. 5. 1994 arbeitete die Klägerin wieder ab 20. 6. 1994 bei der späteren Gemeinschuldnerin. Diese GesmbH hatte nur einen einzigen Gesellschafter und Geschäftsführer, der am 18. 6. 1995 tötlich verunglückte. Ab diesem Zeitpunkt erhielt die Klägerin weder das vereinbarte Fixgehalt von S 7.000,-- noch Provisionen ausbezahlt. Mit 25. 3. 1996 beantragte sie die Bestellung eines Notgeschäftsführers für die GesmbH, da sie beabsichtige, wegen Vorenthaltens ihres Gehaltes vorzeitig auszutreten. Dieser Notgeschäftsführer wurde mit 13. 5. 1996 für alle Handlungen im Zusammenhang mit der Abwicklung der offenen Gehaltsansprüche der Klägerin bestellt. Ihm gegenüber erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 29. 5. 1996 (zugegangen am 6. 6. 1996) mit sofortiger Wirkung ihren vorzeitigen Austritt. Sie erhob dann eine Klage hinsichtlich ihrer Entgeltansprüche in der Höhe von S 164.340,90 samt 5,5 % Zinsen seit 1. 6. 1996 und auf Abrechnung der ihr zustehenden Provisionen. Dieser wurde rechtskräftig mit Versäumungsurteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. 1. 1997 (Rechtskraftbestätigung mit 5. 3. 1997) stattgegeben. Auf dieses Versäumungsurteil gestützt, stellte die Klägerin am 28. 3. 1997 beim Landesgericht Innsbruck den Antrag auf Konkurseröffnung über das Vermögen der GesmbH, der mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 19. 9. 1997 - ebenso wie bereits davor am 15. 9. 1997 ein Antrag der Tiroler Gebietskrankenkasse auf Eröffnung des Konkurses - mangels eines zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens abgewiesen wurde. Nachdem vorweg die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse und der Landeshauptmann von Oberösterreich eine Vollversicherung der Klägerin nach dem ASVG für die Zeit ab 19. 6. 1995 verneinten, wurde diese schließlich mit Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 4. 3. 1999 über Berufung der Klägerin bejaht. Insoweit ist eine VwGH-Beschwerde der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse anhängig.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten insgesamt an Insolvenzausfallgeld vorweg mit ihrem Antrag vom 20. 10. 1997 S 134.281,50, und zwar wie folgt:

Gehalt 1. 7. 1995 bis 31. 5. 1996 S 69.174,--

Kündigungsentschädigung 1. 6. bis

30. 9. 1996 S 23.098,--

UZ und WR "Anteile 96" S 20.420,75

Urlaubsentschädigung 75 AT S 21.588,75

5,5 % Zinsen vom 1. 6. 1996 bis

18. 3. 1998 ohne Betrag

Verfahrenskosten zu

19 Cga 201/96y LG Wels S 16.043,--

Kosten Konkursantrag

49 Se 511/97h LG Innsbruck S 994,60

Kosten Nettolohnberechnung S 1.080,--

Diesen Antrag ergänzte die Klägerin hinsichtlich des Kostenbegehrens um die Kosten für den bestellten Notgeschäftsführer in Höhe von S 12.533,40.

Die Beklagte anerkannte mit einem Teilbescheid S 60.000,--, sprach jedoch über die darüber hinausgehenden Ansprüche nicht ab.

Mit ihrer auf § 67 Abs 1 Z 2 ASGG gestützten Klage begehrte die Klägerin die Zahlung von S 104.932,50 samt 5,5 % Zinsen aus S 134.281,50 vom 1. 6. 1996 bis 18. 3. 1998 an Insolvenzausfallgeld. Ihr Arbeitsverhältnis sei durch den Tod des Geschäftsführers nicht aufgelöst worden und weiter als Arbeitsverhältnis zu beurteilen. Auch sei die GesmbH ja weiter existent gewesen. Entsprechend § 1155 ABGB sei die Schließung des Büros dem Arbeitgeber zuzurechnen. Die Klägerin habe auch für rund einen Monat nach dem Tod des Geschäftsführers fixe Termine gehabt und wahrgenommen und in der Folge Vermittlungstätigkeiten durchgeführt. Sie habe im Rahmen der ihr noch zur Verfügung stehenden betrieblichen Dienstmittel ihre Arbeitsleistung erbracht. Sie sei wirtschaftlich vom Arbeitseinkommen abhängig gewesen. Auch habe die Beklagte durch Erlassung des Teilbescheides die Ansprüche der Klägerin anerkannt und sei ferner an das rechtskräftige Versäumungsurteil gebunden.

Die Beklagte bestritt, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte im Wesentlichen ein, dass nach dem Tod des alleinigen Geschäftsführers überhaupt kein Arbeitgeber mehr vorhanden gewesen sei, unter dessen Autorität die Klägerin ihre Arbeitsleistung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses hätte erbringen können. Auch sei durch die weitere Tätigkeiten der Klägerin des Finanzierungsrisiko auf die Beklagte überwälzt worden. Die Erlassung des Teilbescheides über S 60.000,-- sei irrtümlich erfolgt. Weiters erstattete die Beklagte Einwendungen der Höhe nach hinsichtlich der geltend gemachten Zinsen und Kosten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgerte rechtlich, dass es Zweck des IESG in seinem Kernbereich sei, die von Arbeitnehmern typischerweise nicht abwendbaren und absicherbaren Gefahren des Verlustes jenes Entgeltes, auf das sie zur Bestreitung des Lebensunterhaltes angewiesen seien, hintanzuhalten. Der Vertrieb eines Arbeitnehmers trotz Nichtzahlung seines Entgeltes indiziere, dass er beabsichtige, in der Folge Ansprüche gegen den Insolvenzausfallgeldfonds geltend zu machen. Eine derartige Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten eines Dritten, und zwar des Insolvenz-Ausfallgeldfonds sei nichtig und dementsprechend das Klagebegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es ging dabei davon aus, dass das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Geschäftsführers- und Alleingesellschafters der GesmbH nicht aufgelöst worden sei. Die gesellschaftsrechtlichen Pflichten und Obliegenheiten seien vom Nachlassverwalter und mit der Einantwortung von den Erben wahrzunehmen. Eine sich daraus ergebende Einschränkung der Möglichkeit der Klägerin, ihrer Arbeitspflicht nachzukommen, sei dem Arbeitgeber zuzurechnen. Von einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme des Fonds könne nicht ausgegangen werden, da die Klägerin die finanzielle Lage des Unternehmens nicht gekannt und in diese auch keinen Einblick gehabt habe. Das Stehenlassen der Gehaltsforderungen könne der Klägerin dann nicht als rechtsmissbräuchliche Verschiebung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds angelastet werden, wenn sie auf die Nachzahlung voll vertraute. Die Klägerin habe nach neun Monaten der unentlohnten Tätigkeit die Bestellung eines Notgeschäftsführers beantragt und bis dahin aufgrund der pflichtwidrigen Unterlassung der GesmbH hinsichtlich der Bestellung ihrer Organe ihren Austritt nicht erklären können. Sie habe auf die Wahrnehmung der Verpflichtungen durch die GesmbH vertrauen können. Es sei ihr im Hinblick auf die rechtlich unklare Situation ein gewisses Zuwarten zuzugestehen. Daher sei nicht davon auszugehen, dass sie ernstlich eine Schädigung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds im Betracht gezogen oder sich damit abgefunden hätte. Die Ansprüche bestünden dem Grunde nach zu Recht, sodass hinsichtlich der Höhe noch ergänzende Feststellungen zu treffen wären. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof so erachtete das Berufungsgericht zur Frage der Sittenwidrigkeit des "Stehenlassen" von Gehaltsansprüchen gegen eine unvertretene GesmbH als zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Grund der unrichtig rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, in der Sache selbst zu entscheiden und das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig und auch berechtigt.

Entscheidend ist hier die Frage, inwieweit sich aus dem Verhalten der Klägerin, in einer "geschäftsführerlosen" GesmbH über mehr als neun Monate weder ihr Entgelt einzufordern, noch sonstige Schritte - etwa einen Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 15a GmbHG - zu setzen ableiten lässt, dass Insolvenzausfallgeld für die hier bindend festgestellten arbeitsrechtlichen Ansprüche (entsprechend § 17 Abs 10 IESG ist hier § 7 Abs 1 IESG noch in der Fassung vor dem BGBl I Nr 107 aus 1997 anzuwenden, da der Beschluss über die Abweisung des Insolvenzverfahrens vor dem 1. 10. 1997 erfolgte) unberechtigt geltend gemacht wird.

Nach ständiger Rechtsprechung soll das IESG die Arbeitnehmer gegen das Risiko des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf deren regelmäßige Befriedigung sie typischerweise zur Bestreitung ihres und ihrer Angehörigen Lebensunterhaltes angewiesen sind, bei Insolvenz des Arbeitgebers absichern (vgl RIS-Justiz RS0076384 = SZ 61/254, SZ 56/15, SZ 67/14 uva). Dabei wird das Risiko nach Art einer Versicherung vom Insolvenzausfallgeldfonds übernommen (vgl dazu auch Liebeg, Insolvenzentgeltsicherungsgesetz**2, 37). Als versichertes Risiko ist im Kernbereich die vom Arbeitnehmer typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr dieses Verlustes angesehen (vgl auch SZ 64/124). Das IESG setzt dabei den Typus des Arbeitnehmers, dem der Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers verwehrt ist und der dadurch einem erhöhten, von ihm nicht zu beeinflussenden Risiko ausgesetzt ist, voraus (vgl Oberster Gerichtshof 8 ObS 42/95 mwN). Generell wurde daher die Überwälzung des Finanzierungsrisikos für die Arbeitslöhne auf den Insolvenzausfallgeldfonds, also wenn dem Arbeitnehmer bewusst sein muss, dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenzausfallgeldfonds bekommen könnte und er deshalb weiter arbeitet, als unzulässig und sittenwidrig angesehen (vgl etwa Oberster Gerichtshof DRdA 1999/51, 375 mwN etwa WBl 1995, 75; ZIK 1996, 172 uva, vgl auch Liebeg, aaO § 3a Rz 4;

insoweit auch zustimmend Anzenberger § 3a IESG Sicherungsgrenzen und Sittenwidrigkeitskorrektiv RdW 2000/140; Geist DRdA 1999, 380;

Ristic, Wie viel Raum für Sittenwidrigkeitserwägungen besteht im Anwendungsbereich des § 3a Abs 1 IESG? ASoK 2000, 118 ff uva; vgl im Zusammenhang auch Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht 3, 240 f zum vollständigen Anspruchsverlust bei gewillkürter schuldhafter Gefahrenerhöhung; im - wegen der andersgearteten Anknüpfungsmomente - insoferne weiteren Zusammenhang mit dem Sozialversicherungsrecht Schrammel, Die Pflicht zur Duldung von Heilverfahren in der Sozialversicherung; ZAS 1972, 48 ff; SSV-NF 2/33; SSV-NF 2/121; SSV-NF 4/136; SSV-NF 5/63; SSV-NF 8/114; SSV-NF 10/26 = ZAS 1997/10 [Gruber]). Ausreichend dafür ist schon der bedingte Vorsatz (DRdA 1999/51, 375; jüngst 8 ObS 58/00p jeweils mwN). Dieser erfordert, dass dem Handelnden die Rechtswidrigkeit (Sittenwidrigkeit) - hier die Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds - seines Verhaltens bewusst ist und er sich mit dem verpönten Erfolg zumindest abfindet (vgl Koziol/Welser, Bürgerliches Recht11 II, 290).

Aufbauend auf diesen im Wesentlichen unstrittigen Grundsatz hat der Oberste Gerichtshof nunmehr in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer trotz längerer Nichtzahlung des Lohnes im Unternehmen tätig bleibt und nicht versucht sein Entgelt ernstlich einbringlich zu machen, dies in der Regel indiziert, dass er beabsichtigt - oder zumindest in Kauf nimmt - in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend zu machen. Dies stellt eine unzulässige Verlagerung des Finanzierungsrisikos dar (vgl RIS-Justiz RS00112127; Oberster Gerichtshof DRdA 1999/51, 375 [Geist] ebenso 8 ObS 183/98i, 8 ObS 295/98k ähnlich 8 ObS 306/98b = DRdA 1999/494 = RdW 2000/82; 8 ObS 153/00h; 8 ObS 4/00x uva). Bei den entschiedenen Fällen bestanden regelmäßig auch besondere Anhaltspunkte für ein "Naheverhältnis" zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das auf einen fehlenden Interessengegensatz oder besondere Informationen hindeutete, etwa wegen bestehender Angehörigeneigenschaft, gesellschaftsrechtlicher Beteiligung oder ungewöhnlichen Vertragsgestaltungen (vgl zur Sittenwidrigkeit der Geltendmachung von Insolvenz-Ausfallgeld, wenn bei genauer Kenntnis der finanziellen Verhältnisse in der Absicht, die Unternehmensweiterführung zu ermöglichen, mit der Beendigung zugewartet wird RIS-Justiz RS0110971, zuletzt 8 ObS 58/00p mwN; vgl dazu ferner Stoll, Bundesabgabenordnung Bd. I, 319) oder ergab sich dies aus den besonders langen - deutlich die 6 Monate des § 3a IESG übersteigenden - Entgeltrückständen.

Ausgehend von dieser Rechtsprechung hat nun wiederum der Oberste Gerichtshof zur Beurteilung, ob durch das lange Stehenlassen der Entgelte der zumindest bedingte Vorsatz der Verlagerung des Finanzierungsrisikos indiziert ist, einen sogenannten "Fremdvergleich" herangezogen und dabei darauf abgestellt, bis zu welchem Zeitpunkt auch ein "unbeteiligter" Arbeitnehmer im Unternehmen verblieben wäre (vgl DRdA 1999/51, 375, 8 ObS 56/00v = WBl 2000/216, 8 ObS 153/00h, 8 ObS 4/00x, 8 ObS 5/00v; 8 ObS 58/00p mwN ua WBl 1999, 174). Im Zusammenhang damit und in Fortführung dieser Rechtsprechung hat dann der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass "völlig atypisch gestaltete" Arbeitsverhältnisse, die nicht auf die Erzielung von Entgelt für die Bestreitung des Lebensunterhaltes gerichtet sind, auch nicht nach den Bestimmungen des IESG gesichert sind (vgl zuletzt 8 ObS 58/00p; RIS-Justiz RS0111281 = 8 ObS 183/98i, 8 ObS 306/98b = DRdA 1999, 494 = RdW 2000/82, 8 ObS 295/98k uva; insbesondere zum Entfall auch der Beendigungsansprüche 8 ObS 56/00v = WBl 2000/216, 8 ObS 57/00s; 8 ObS 150/00t; 8 ObS 153/00k).

Soweit dies im Schrifttum dahin verstanden wurde, dass damit dem IESG ein eigener Begriff der gesicherten Arbeitsverhältnisse unterstellt worden wäre (vgl Ristic aaO) entfernt sich dies von der dargestellten Entwicklung der Rechtsprechung und ihren Grundlagen. Nach ständiger Rechtsprechung wird davon ausgegangen, dass das IESG auf den arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff abstellt (vgl RIS-Justiz RS0076462 = SZ 71/208, ZIK 1997, 32 uva, zur Bedeutung für den Arbeitnehmerbegriff der Insolvenz-Richtlinie 80/987/EWG ; RIS-Justiz RS0112221 = 8 ObS 268/98i; zum mangelnden Vorbehalt Österreichs Egger, Das Arbeits- und Sozialrecht der EG und die österreichische Rechtsordnung, 247).

Was sich aus der dargestellten Rechtsprechungslinie ableiten lässt ist vielmehr die grundsätzliche Schwierigkeit des Ausscheidens von Missbrauchsfällen bei Rechtsverhältnissen, bei denen Leistungspflichten sich in wesentlichen Bereichen nicht aus dem Verhältnis zwischen dem Leistungspflichtigen (Insolvenz-Ausfallgeldfonds) und dem Leistungsberechtigten (Arbeitnehmer), sondern aus dem Verhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten (Arbeitnehmer) und einem Dritten (Arbeitgeber) bestimmen. Im privatrechtlichen Bereich finden sich diese Konstellationen insbesondere im Versicherungsvertragsrecht und haben dazu geführt, dass die Vertragspartner regelmäßig materiellrechtliche Regelungen zur Einschränkung der Missbrauchsmöglichkeit und Erleichterung der Sachverhaltsfeststellung treffen (Informations- und Aufklärungsobliegenheiten), deren vorsätzliche Verletzung - unabhängig von der eben nicht mehr gesichert feststellbaren Verwirklichung des versicherten Risikos - zum gänzlichen Verlust der Ansprüche führen kann (vgl Schauer aaO, 248 ff). Im öffentlichen Recht sieht sich vor allem das Steuerrecht vor einer vergleichbaren Problemstellung, etwa bei der Beurteilung der steuerrechtlichen Wirksamkeit von zwischen Angehörigen getroffenen Vereinbarungen. Darin findet sich in § 25 BAO auch der Ansatz für das Institut des sogenannten Fremdvergleichs. Dieses wurde von der Judikatur im Hinblick auf die vergleichbare Situation auch in der gegenständlichen Konstellation der Beurteilung der Übertragung des Finanzierungsrisikos, aber auch etwa zur Abklärung anderer Fragestellungen beispielsweise zur Frage, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorliegt (8 ObS 294/99i; zur Abgrenzung von familienhaften Beistandspflichten 8 ObS 277/99i = RdW 2000, 564) herangezogen. Die Eintreibung der Beiträge erfolgt ja durch die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gemeinsam mit den Beiträgen zur Krankenversicherung nach deren Vorschriften, etwa auch hinsichtlich der Fälligkeit, Eintreibung und Verjährung (vgl Holzer-Reisner-Schwarz, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz4, 353). Wenngleich nun gemäß § 539a Abs 5 ASVG nur den Bestimmungen der §§ 21-24 BAO unmittelbare Anwendbarkeit verliehen wurde, sollte doch insgesamt eine Annäherung der Sachverhaltsermittlung an das Abgabenrecht erreicht werden (vgl MGA ASVG § 539a Anm 1 aber auch § 50 ASVG).

Das "verfahrenstechnische" Mittel des Fremdvergleiches und die darauf aufbauende Beurteilung des "atypischen Arbeitsverhältnisses" darf aber nicht mit dem eigentlichen Ausschlussgrund, der Übertragung des Finanzierungsrisikos verwechselt werden. Die Beurteilung als "atyisches" Arbeitsverhältnis, bei dem es dem Arbeitnehmer, anders als vom IESG zugrundegelegt, nicht auf die Erzielung von Entgelt zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes ankommt, ist nur der Ausdruck für das Ergebnis des Fremdvergleiches, der wieder nur zur Beurteilung dient, ob ein bestimmtes Verhalten - Stehenlassen des Entgeltes - den zumindest bedingten Vorsatz des Arbeitnehmers der Verlagerung des Finanzierungsrisikos indiziert. Wie - unter anderem im Steuerrecht - bedarf es auch hier dieser im Zwischenbereich zwischen den eigentlichen Bestimmungen über die Risikotragung und den verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Feststellung der konkreten Sachverhalte liegenden Regelungen, weil der zahlende Dritte - hier der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds - sonst schon mangels faktischer Möglichkeiten, die Feststellung des tatsächlich vorliegenden Sachverhaltes zu erreichen, völlig den Versuchen der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen auf Insolvenzausfallgeld ausgesetzt wäre. Sind ihm doch die tatsächlichen Vereinbarungen über die Vertragsbeziehungen und deren realer wirtschaftlicher Gehalt regelmäßig nur über die Auskünfte der unmittelbar daran beteiligten Personen zugänglich. Der Fremdvergleich hat dabei sämtliche objektiven Anhaltspunkte heranzuziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei Familienangehörigen, Gesellschaftern oder anderen Personen, bei denen sich eine besondere Nahebeziehung zum Arbeitgeber zeigt, regelmäßig auch das Wissen um die finanzielle Situation des Betriebes größer ist und daher auch schon bei kürzeren Entgeltrückständen beim Verbleiben im Betrieb zumindest der bedingte Vorsatz anzunehmen sein wird, das Entgelt nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenz-Ausfallgeldfonds zu erhalten. Beim durchschnittlichen Arbeitnehmer kann sich dies regelmäßig nur aus deutlich über der 6-Monatsgrenze des § 3a IESG liegenden Entgeltrückständen ableiten lassen. Ergibt sich daraus aber der Schluss, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, so kann dieser nicht durch einen Beweis über die konkreten Absichten des Arbeitnehmers widerlegt werden.

Die Ansätze in der Literatur, die im Wesentlichen nur auf die bewusste Finanzierungsentscheidung des Arbeitnehmers und die Zweckwidrigkeit der Rechtsausübung abstellen wollen (vgl so Geist aaO, 380) setzen sich mit der Problematik der Feststellung solcher Vorgänge nicht auseinander. Nur durch den Fremdvergleich ist es regelmäßig möglich zu beurteilen, ob das Verhalten eines Arbeitnehmers bei der mangelnden Betreibung seiner Entgeltforderung oder dem weiteren Verbleib im Betrieb nur darauf zurückzuführen ist, dass er auf die Finanzierung durch den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds vertraut, aber sonst wegen des bereits erkennbaren Risikos des Ausfalls der Forderung nicht mehr bereit wäre, dieses Risiko selbst zu tragen.

Der Fremdvergleich besteht im Wesentlichen darin, dass aus typischerweise bekannten Tatsachen dann anhand des einem "fremden" Arbeitnehmer, bei dem also der Interessengegensatz und das Bewusstsein des Risikos des Entgeltverlustes voll ausgeprägt ist, bei den konkreten Umständen zu unterstellenden Verhaltens auf den im Ergebnis relevanten "inneren" - zumindest bedingten - Vorsatz geschlossen wird. Der Fremdvergleich stellt sich entsprechend der steuerrechtlichen Dogmatik (vgl dazu Stoll, Bundesabgabenordnung Bd. I, 325) als Hilfsmittel zur Sachverhaltsermittlung und Sachverhaltsbeurteilung in diesen Fällen dar. Der eigentliche Grund für die Versagung des Insolvenzausfallgelds liegt dann nicht in der Unüblichkeit selbst, sondern darin, dass sich aus dem Fremdvergleich ableitet, dass der jeweils verpönte Tatbestand - Übertragung des Finanzierungsrisikos, mangelndes Vorliegen eines Arbeitsvertrages etc - gegeben ist.

Dem steht auch die Richtlinie 80/987/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vom 20. 10. 1980 ABl Nr. 238 vom 28. 10. 1980, 23 nicht entgegen. Artikel 10 der Richtlinie hält den Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Vermeidung von Missbräuchen offen. Artikel 10 der Richtlinien erfasst auch ausdrücklich die Möglichkeit der Einschränkung der Zahlungspflicht für Fälle, in denen wegen des Bestehens einer besonderen Bindung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer und gemeinsamer Interessen, die sich in einer Kollusion zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber ausdrücken, die Leistungen nicht gerechtfertigt sind. Das gemeinsame Interesse des Arbeitgebers - den nach § 69 KO im Falle seiner Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung auch die Verpflichtung, einen Konkursantrag zu stellen, trifft - und des Arbeitnehmers an dem Fortbetrieb des Unternehmens trotz Zahlungsunfähigkeit ist nun schon darin zu sehen, dass dieses ja die Einkunftsquelle für beide darstellt. Die "Kollusion" liegt nun darin, dass der Arbeitnehmer wegen der Absicherung seiner Entgeltansprüche durch den Insolvent-Ausfallgeldfonds den Arbeitgeber nicht durch die Geltendmachung seiner Ansprüche zu einer den wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden Vorgangsweise verhält, sondern durch die Übertragung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds den Fortbetrieb und die Erhöhung der ungedeckten Entgeltansprüche ermöglicht. Für die Fälle der Übertragung des Finanzierungsrisikos im Sinne der bisherigen Judikatur ist daher eine Deckung in Art. 10 der Richtlinie anzunehmen.

Die Kritik von Ristic (aaO), wonach die Judikatur den Willen des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 3a IESG - der ja eine teilweise zeitliche Beschränkung der Ansprüche vornimmt - ins Gegenteil verkehre, berücksichtigt nicht die von dieser gesetzlichen Regelung unterschiedlichen Grundlagen der Judikatur. Dass der Gesetzgeber im Rahmen einer generellen Regelung bei der Ausgestaltung von Ansprüchen, auch die Zielrichtung hat, Missbräuche zu vermeiden (vgl RV 737 BlgNR 20, 9 f) führt nicht dazu, dass nicht im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände gerade zur Verwirklichung der durch den Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Zielrichtung die Annahme der sittenwidrigen Geltendmachung von Ansprüchen iSd § 879 ABGB möglich sein könnte. So wurde etwa trotz des in § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG bestehenden Kündigungsschutzes bei bestimmten verpönten Motiven des Arbeitgebers die grundsätzliche Möglichkeit einer Berufung auf die Sittenwidrigkeit einer Kündigung wegen unzulässiger Motive, gestützt auf § 579 AGBG, bejaht (vgl Oberster Gerichtshof SZ 66/95 = ZAS 1995, 58 = DRdA 1994, 134 [Floretta] = RdW 1994, 86 = Arb 11.107 uva). Auch räumt die Autorin selbst ein, dass das Sittenwidrigkeitskorrektiv für den Arbeitgeber nahestehende Personen, die gerade deshalb noch rechtzeitig ihre Ansprüche einklagen und damit die Begrenzung des § 3a Abs 1 IESG umgehen können, erforderlich ist. Schon im Hinblick auf diese unvollständige Erfassung vom Missbrauchsfällen (vgl Liebeg aaO, § 3a Rz 3; Anzenberger aaO; Ristic aaO) kann von einer Verdrängung der Missbrauchskontrolle iSd § 879 ABGB durch die derzeitige Regelung nicht ausgegangen werden.

Soweit Ristic aaO, vermeint, das dem Fremdvergleich zugrundegelegte Bild des auf die Erzielung von Entgelt zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausgerichteten Arbeitsverhältnisses entspreche nicht der realen Ausgestaltung (ähnlich Anzenberger aaO), ist ihr entgegenzuhalten, dass dies aber der Sicherung der Arbeitnehmeransprüche durch das IESG zugrundegelegt wurde (vgl Liebeg aaO, 37; Holzer-Reissner-Schwarz aaO, 29). Gerade für den Fremdvergleich ist es auch wesentlich, diesen aufgrund allgemeiner, klar feststellbarer Verhaltensweisen, anzustellen.

Aus den oben dargestellten Grundsätzen ist für den konkreten Fall abzuleiten, dass bei der Klägerin, die bei einer EinmanngesmbH beschäftigt war, deren einziger Geschäftsführer verstarb, jedenfalls eine Situation vorlag, aus der sich Anzeichen für das Fehlen eines Interessengegensatzes ableiten lassen. Musste ihr doch schon aufgrund des Umstandes, dass im Wesentlichen nur noch sie Erträge erwirtschaften konnte, aber offensichtlich keine wesentlichen Provisionseinnahmen vorhanden waren - Gegenteiliges wurde nicht behauptet - aber ihre Fixgehälter nach ihrer Rechtsansicht und aufgrund der bindenden Entscheidung des Versäumungsurteils zu zahlen waren, das Risiko einer Insolvenz bewusst sein. Vergleicht man nun ihr Verhalten, neun Monate nicht einmal den Versuch eines Austrittes zu setzen, jedoch im nachhinein für fast ein Jahr laufendes Entgelt einzufordern, im Sinne des Fremdvergleiches mit einem typischen Arbeitnehmer, so zeigt sich, dass ihr Arbeitsverhältnis als atypisch im Sinne der dargestellten Judikatur zu beurteilen ist. Es scheint also vorweg nicht auf die Erzielung von Entgelt vom Arbeitgeber für die Bestreitung des Lebensunterhaltes gerichtet, sondern vielmehr zumindest von dem bedingten Vorsatz getragen gewesen zu sein, diese Ansprüche erst gegen den Insolvenzausfallgeldfonds geltend zu machen, also diesem das Finanzierungsrisiko für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu übertragen.

Dem Argument des Berufungsgerichtes, dass insoweit ein besonderer Sachverhalt vorgelegen wäre, da die GesmbH unvertreten war, ist nun entgegen zu halten, dass nicht ersichtlich ist, warum die Klägerin nicht bereits früher den - wenngleich für den Austritt gar nicht erforderlichen (vgl RIS-Justiz RS0108226 = SZ 70/89; SZ 70/238 uva) - Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführes stellte. Schon im Hinblick auf die Möglichkeiten der Arbeitnehmer, im Rahmen des Rechtschutzes der Arbeiterkammer (vgl § 7 Arbeiterkammergesetz 1992) Rechtsschutz zu erlangen, kann in dieser Situation, in der der Bedarf nach einer Problemlösung offensichtlich war, auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Verhalten der Klägerin von der Schwierigkeit der Erkenntnis der Rechtslage bestimmt und nicht von dem zumindest bedingten Vorsatz der Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds getragen war.

Deshalb war daher in der Sache selbst im klagsabweisenden Sinne zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 ASGG.

Gründe für einen Kostenersatz aus Billigkeit wurden nicht geltend gemacht (Liebeg aaO, § 10 Rz 20 mwN).

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