OGH 8ObS195/02p

OGH8ObS195/02p19.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Friedrich Heim und Wolfgang Neumeier als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Peter K*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei IAF-Service GmbH, Geschäftsstelle Graz, 8021 Graz, Mariengasse 31, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen EUR 7.123,59 sA an Insolvenzausfallgeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Juni 2002, GZ 7 Rs 114/02t-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Dezember 2001, GZ 23 Cgs 190/01f-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Insolvenzausfallgeld zutreffend verneint. Es reicht daher insofern aus, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend und klarstellend ist den Ausführungen der Revisionswerberin Folgendes entgegenzuhalten:

Der 1980 geborene Kläger begann mit 3. 11. 1998 bei seiner Mutter, die sich seit Februar 1998 im Wohnhaus der Familie im Wesentlichen mit dem Import und Export von - insbesondere bulgarischem - Gemüse und Obst befasste, seine Lehre als Bürokaufmann. Bereits seit Sommer 1998 ging es dem Betrieb nach einem Unfall des Vaters des Klägers wirtschaftlich immer schlechter, wovon der Kläger auch informiert war. Er hatte auch von Anbeginn an Kenntnis davon, dass seine Mutter nach dem Konkurs seines Vaters mit Schulden in Höhe von ca 17 Mio S selbst als Bürgin mit Schulden in Millionenhöhe belastet war. Der Kläger führte bei den oft 3 bis 4 Wochen dauernden Geschäftsreisen die Geschäftsverhandlungen und die Kundengespräche und verrichtete auch Warenbesichtigungen und kleinere Büroarbeiten, mit denen er aber nicht ausgelastet war. Ab Februar 2000 erhielt der Kläger nicht mehr seine Lehrlingsentschädigung und wurde von seiner Mutter vertröstet. Er bekam nur noch zum "Ausgehen" geringe Barbeträge, die insgesamt bis August 2000 ca S 5.000 ausmachten. Er beendet sein Lehrverhältnis aber deshalb nicht, weil er seine Lehrlingsausbildung abschließen und auch weil er seiner Mutter den Fortbetrieb ermöglichen wollte. Ab Oktober 2000 war der Betrieb eingestellt und die Mutter des Klägers meldete über Anraten ihres Steuerberaters ihr Gewerbe per 28. 11. 2000 rückwirkend bereits mit 31. 12. 1999 ruhend. Bereits ab Mai 2000 hatte sie keine Sozialversicherungsbeiträge mehr bezahlt. Sie bezog dann ab 28. 12. 2000 selbst Notstandshilfe. Ende 2000/Anfang 2001 wurde das Dienstverhältnis des Klägers beendet. Am 25. 1. 2001 wurde der Antrag auf Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens über das Vermögen der Mutter mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen. Nach ständiger Rechtsprechung soll das IESG die Arbeitnehmer gegen das Risiko des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf deren regelmäßige Befriedigung sie typischerweise zur Bestreitung ihres und ihrer Angehörigen Lebensunterhaltes angewiesen sind, bei Insolvenz des Arbeitgebers absichern (vgl zuletzt etwa umfassend OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s

mwN etwa OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK

2001/117; RIS-Justiz RS0076384 = SZ 61/254, SZ 65/15, SZ 67/14 uva).

Die Überwälzung des Finanzierungsrisikos für die Arbeitslöhne auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds, wenn dem Arbeitnehmer bewusst sein muss, dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bekommen könnte und er deshalb weiter arbeitet, wurde als unzulässig und sittenwidrig angesehen (vgl zuletzt etwa OGH 27. 5. 2002 8 ObS 109/02s mwN etwa OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN;

DRdA 1999/51, 375 [Geist]; Wbl 1995, 75; ZIK 1996, 172). Ausreichend

dafür ist schon der bedingte Vorsatz, also dass dem Handelnden die

Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den

Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bewusst ist und er sich mit dem verpönten

Erfolg zumindest abfindet (OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = Wbl

2001/91 = ZIK 2001/117 mwN). Das Vorliegen des zumindest bedingt

gegebenen Vorsatzes hinsichtlich der Überwälzung des Finanzierungsrisikos ist im Rahmen des sogenannten "Fremdvergleiches" zu beurteilen, ob also auch ein "unbeteiligter" Arbeitnehmer im Unternehmen verblieben wäre (vgl etwa OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s

mwN = OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK 2001/117

mwN = DRdA 1999/51 ua). Der Fremdvergleich hat dabei sämtliche

objektiven Anhaltspunkte heranzuziehen. Ergibt sich daraus der Schluss, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, so kommt ein Beweis über die konkreten Absichten des Arbeitnehmers nicht in Betracht (OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s mwN = RdW 2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK 2001/117). Diese Rechtsprechung ist grundsätzlich auch auf Lehrverhältnisse anzuwenden. Sind doch auch Lehrverhältnisse als Arbeitsverhältnisse zu qualifizieren (vgl etwa Berger/Fida/Gruber BAG, 73 mwN; RIS-Justiz RS0021298 mwN etwa SZ 52/75; RS0053009), bei denen dem Lehrling die vorzeitige Auflösung des Lehrvertrages wegen einer erheblichen Entgeltschmälerung zusteht (vgl RIS-Justiz RS0029032), wobei dann zumindest die Einrechnungsverpflichtung nach § 1162b ABGB zur Anwendung gelangt (vgl RIS-Justiz RS0028238 mwN inbes Arb 10.176). Allerdings wird durchaus auf die Besonderheiten der Lehrverhältnisse (Ausbildungsverhältnis; besonderes Beendigungsrecht) Bedacht zu nehmen sein, worauf hier aber im Hinblick auf die Lagerung des konkret vorliegenden Falles nicht näher einzugehen ist. Auf die allgemeine Kritik von Sundl (Erweiterter Ausschluss der Insolvenz-Entgeltsicherung durch richterliche Rechtsfortbildung/ASoK 2002, 88) ist hier nicht näher einzugehen, weil sie sich im Wesentlichen mit den Fragen des "Stehenlassens" von Entgelten befasst, ausdrücklich aber selbst das Erfordernis der Einschränkung des Anspruches in sonstigen Missbrauchsfällen zugesteht. Im Übrigen umfasst das Risiko, das nach Art einer Versicherung vom IAG-Fonds übernommen wird, im Kernbereich die vom Arbeitnehmer typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des Entgeltverlustes, die daraus entsteht, dass dem typischen Arbeitnehmers der Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers verwehrt ist. Dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin gute Gründe haben mag (Unterstützung der Mutter, Erlangung eines Lehrabschlusses), trotz der Einsicht, dass die Entgeltleistung wohl vom Arbeitgeber nicht wird erbracht werden können, gerade wegen der Absicherung durch den IESG-Fonds bei diesem Arbeitgeber zu arbeiten, ändert daran nichts. Insoweit besteht dann eben das gemeinsame Interesse von Arbeitgeber und Arbeitnehmer an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses zu Lasten des IESG-Fonds (vgl so schon OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s; auch Art 10 der Insolvenzrichtlinie 80/987/EWG). Das Abstellen auf die Rückstände oder besondere Naheverhältnisse ist keine Frage der Risikobegrenzung (vgl dazu § 3a IESG), sondern nur ein Aspekt im Rahmen des zur Feststellung des Vorsatzes der Risikoüberwälzung anzustellenden Fremdvergleiches. Daher ist es auch nicht möglich aus der Dauer der Höhe der Entgeltrückstände nur jene ab einer gewissen Dauer auszuscheiden (vgl dazu schon OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s zu Anzenberger in seiner Entscheidungsbesprechung zu DRdA 2001/37; allgemein RIS-Justiz RS0112283 mwN). Insoweit kommt auch eine Abwägung unter dem Aspekt der "Verhältnismäßigkeit" nicht in Betracht.

Da der Beschluss über die Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens nach dem 1. 1. 2001 (§ 17a Abs 23 IESG) gefasst wurde, ist § 3a IESG bereits in der Fassung der Novelle BGBl I 142/2000 anzuwenden. Da nunmehr auch für die gerichtliche Geltendmachung vor dem Stichtag die Sicherung auf die in den letzten sechs Monaten vor Klagseinbringung entstandenen Entgeltansprüche eingeschränkt wurde, hat der Gesetzgeber die Frage des Stehenlassens der Entgelte und des in diesem Zusammenhang bestehenden Finanzierungsriskos einer sehr weitgehenden Regelung zugeführt. Im Hinblick auf diese Regelung wird nunmehr regelmäßig im Rahmen des Fremdvergleiches allein aus der zeitliche Komponente ein bedingter Vorsatz zum Missbrauch der Sicherungseinrichtung wohl kaum mehr zu erschließen sein (vgl etwa OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s mwN = OGH 16. 5. 2002, 8 ObS 254/01p). Diese zeitliche Komponente ist hier aber im Rahmen des Fremdvergleiches auch gar nicht allein ausschlaggebend. Der bedingte Vorsatz des Klägers hinsichtlich der Risikoüberwälzung ist hier vielmehr auch aus dem Umstand zu erschließen, dass dem Kläger ja schon beim Eingehen des Lehrverhältnisses genau bekannt war, dass es dem erst kurz von seiner Mutter geführten Betrieb wirtschaftlich schlecht ging, seine Mutter nach dem Konkurs des Vaters Schulden in Millionenhöhe hatte und der Kläger dann ja tatsächlich bei der Arbeit auch gar nicht ausgelastet war und zuletzt beinahe ein Jahr lang kein Entgelt erhielt.

Insgesamt ist das Berufungsgericht hier daher zutreffend vom zumindest bedingten Vorsatz des Klägers ausgegangen, im Zusammenwirken mit seiner Mutter seine Lerhlingsausbildung über den IESG-Fonds zu finanzieren.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 ASGG. Gründe für einen Kostenersatz aus Billigkeit wurden nicht geltend gemacht (Liebeg aaO, § 10 Rz 20 mwN).

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