OGH 7Ob170/24m

OGH7Ob170/24m23.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei d* GmbH, *, vertreten durch Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei D* AG *, vertreten durch Pilz & Burghofer Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 12.938,54 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juli 2024, GZ 50 R 58/24x‑37, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 21. Februar 2024, GZ 19 C 142/22d‑32, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00170.24M.1023.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.127,40 EUR (darin enthalten 187,90 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).

[2] 1.1 Die Kaskoversicherung ist eine Sparte der Sachversicherung, durch die das Interesse des Eigentümers des versicherten Fahrzeugs versichert ist. Der Versicherer ist daher im Gegensatz zur Sonderregelung des § 152 VersVG für die Haftpflichtversicherung (auch) dann leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall im Sinn des § 61 VersVG grob fahrlässig herbeigeführt hat (RS0080389). Es handelt sich dabei um einen sekundären Risikoausschluss (RS0080389 [T3]).

[3] 1.2 Grobe Fahrlässigkeit im Sinn der zitierten Gesetzesstelle liegt vor, wenn sich das Verhalten des Schädigers aus der Menge der sich für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit heraushebt (vgl RS0030477; RS0030359; RS0031127). Dabei wird ein Verhalten vorausgesetzt, von dem Handelnde wussten oder wissen mussten, dass es geeignet ist, den Eintritt eines Schadens zu fördern. Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne Weiters nahe liegt, zur Vermeidung eines Schadens ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen (vgl RS0030272; RS0031127; 7 Ob 17/11t). Zur Annahme grober Fahrlässigkeit ist erforderlich, dass bei Vorliegen eines objektiv groben Verschuldens dem Täter dieses auch subjektiv schwer vorwerfbar sein muss (RS0030272). Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im Einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanpassung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht (RS0030331). In diesem Sinn ist es für das Versicherungsvertragsrecht anerkannt, dass grobe Fahrlässigkeit dann gegeben ist, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (RS0030331; RS0080371).

[4] 1.3 Ob eine Fehlleistung die Annahme grober Fahrlässigkeit rechtfertigt, bildet bei Vertretbarkeit der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilung grundsätzlich keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0044262). Die Revision ist daher nur dann zulässig, wenn der Sachverhalt bei weitester Auslegung den von der Judikatur für die Annahme oder die Verneinung grober Fahrlässigkeit aufgestellten Kriterien nicht entspricht (7 Ob 17/11t mwN).

[5] 2. Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu:

[6] 2.1 Der Geschäftsführer der Versicherungsnehmerin nahm zur Kenntnis, dass seine Frau ihre Handtasche, lediglich abgedeckt mit einer Stola auf dem Beifahrersitz des bei der Beklagten kaskoversicherten Fahrzeugs Porsche 911 TARGA zurückließ. Obwohl ihm dies ein leichtes gewesen wäre, forderte er sie weder auf, die Handtasche mitzunehmen noch sie zumindest anderweitig (im Kofferraum) unterzubringen. Nach der Rückkehr fanden er und seine Frau das Fahrzeug mit eingeschlagener Scheibe vor, die Handtasche war entwendet.

[7] 2.2 Indem die Vorinstanzen im vorliegenden Fall dieses Verhalten als grob schuldhaft beurteilten, weil durch das Drapieren der Stola auf dem Beifahrersitz ein entsprechender Anschein erweckt worden sei, dass sich darunter tatsächlich eine Wertsache verberge, wodurch das Risiko für einen Einbruchsdiebstahl erhöht worden sei, haben sie im Rahmen der von der Rechtsprechung festgelegten Grenzen entschieden. Wann und unter welchen Umständen das Liegenlassen oder Drapieren einer Stola über einem (Wert‑)Gegenstand auf dem Beifahrersitz als grob fahrlässig anzusehen ist, hängt von den konkreten speziellen Gegebenheiten des Einzelfalls ab und lässt sich daher nicht generell, sondern nur einzelfallbezogen beantworten.

[8] 2.3 Die von der Klägerin zur Darlegung eines bloß leichten Verschuldens herangezogenen Entscheidungen sind nicht einschlägig.

[9] 3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

[10] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 2 ZPO hingewiesen.

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