OGH 7Ob17/11t

OGH7Ob17/11t16.2.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** K*****, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D***** AG *****, vertreten durch Dr. Günther Romauch und Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwälte in Wien, wegen 6.740,22 EUR (sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. Oktober 2010, GZ 34 R 67/10w-25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 14. Dezember 2009, GZ 28 C 3/09i-21, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger hat seinen PKW K***** bei der Beklagten kaskoversichert. Zwischen 2. und 3. März 2007 wurde in den in der Wiener Innenstadt abgestellten PKW durch Einschlagen einer Seitenscheibe mit einem Pflasterstein eingebrochen und ein von außen sichtbar hinter der Windschutzscheibe angebrachtes, mobiles Navigationsgerät entwendet. Normalerweise bewahrte der Kläger das Gerät samt der dazu gehörigen Halterung im Handschuhfach auf. Am 1. März 2007 brachte der Kläger seine Lebensgefährtin wegen akuter Bauchschmerzen ins Krankenhaus und kam deshalb erst spät in der Nacht nach Hause. Am 2. März 2007 fuhr der Kläger, der Werkmeister ist, um 6:00 Uhr früh zur Arbeit an einer ihm nicht geläufigen Adresse, wozu er das Navigationsgerät benötigte. Er montierte es daher an der Windschutzscheibe. Gegen 16:30 Uhr holte er die Lebensgefährtin vom Spital ab und führte sie nach Hause. Ihr Zustand hatte sich nicht gebessert. Der Kläger stornierte nun von seinem Computer aus auf Anraten der Spitalsärzte den gebuchten Tunesien-Urlaub, den er und seine Lebensgefährtin am nächsten Tag hätten antreten sollen. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustands der Lebensgefährtin und der Notwendigkeit, den Urlaub zu stornieren, vergaß der Kläger, das Navigationssystem - wie sonst üblich - von der Windschutzscheibe zu entfernen und im Handschuhfach zu verwahren. Am Morgen des nächsten Tages erfuhr er von der Polizei vom Einbruch in seinen PKW.

Der Kläger begehrt von der Beklagten den am Fahrzeug entstandenen Schaden von 6.740,22 EUR ersetzt. Die Beklagte wendet ein, gemäß § 61 VersVG leistungsfrei zu sein, weil das Zurücklassen des sichtbar angebrachten Navigationsgeräts im Fahrzeug eine grobe Sorglosigkeit gewesen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte die klagsstattgebende Entscheidung der ersten Instanz. Beim Navigationsgerät handle es sich - ähnlich wie bei einem Autoradio - um Autozubehör, weshalb Rechtsprechung auf das sichtbare Zurücklassen wertvoller Gegenstände wie Handy, Laptop, Pelzmantel etc im Fahrzeug, das eine grobe Fahrlässigkeit darstellen könne, nicht anwendbar sei. Dem Kläger sei im vorliegenden Fall keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, da Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob das sichtbare Belassen eines mobilen Navigationsgeräts im Inneren des Fahrzeugs eine grobe Fahrlässigkeit darstelle.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem Ausspruch, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), ist die Revision der Beklagten mangels eines tauglichen Zulassungsgrundes unzulässig.

Die Kaskoversicherung ist eine Sparte der Sachversicherung, durch die das Interesse des Eigentümers des versicherten Fahrzeugs versichert ist. Der Versicherer ist daher im Gegensatz zur Sonderregelung des § 152 VersVG für die Haftpflichtversicherung (auch) dann leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall im Sinn des § 61 VersVG grob fahrlässig herbeigeführt hat (7 Ob 11/06b). Es handelt sich dabei um einen sekundären Risikoausschluss (7 Ob 121/03z; 7 Ob 12/04x ua). Grobe Fahrlässigkeit im Sinn der zitierten Gesetzesstelle liegt vor, wenn sich das Verhalten des Schädigers aus der Menge der sich auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit heraushebt (RIS-Justiz RS0030477; RS0030359; RS0031127). Dabei wird ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Handelnde wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, den Eintritt eines Schadens zu fördern. Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe liegt, zur Vermeidung eines Schadens ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen (RIS-Justiz RS0030272 und RS0031127). Zur Annahme grober Fahrlässigkeit ist es erforderlich, dass bei Vorliegen eines objektiv groben Verstoßes dem Täter dieser auch subjektiv schwer vorwerfbar sein muss (7 Ob 121/03z mwN ua). Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im Einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanpassung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht (7 Ob 20/08d mwN ua). In diesem Sinn ist es für das Versicherungsvertragsrecht anerkannt, dass grobe Fahrlässigkeit dann gegeben ist, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (RIS-Justiz RS0030331 und RS0080371).

Ob eine Fehlhandlung die Annahme grober Fahrlässigkeit rechtfertigt, bildet bei Vertretbarkeit der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilung grundsätzlich keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 2 ZPO (stRsp; 7 Ob 11/06b mwN uva). Die Revision ist daher nur dann zulässig, wenn der Sachverhalt auch bei weitester Auslegung den von der Judikatur für die Annahme oder die Verneinung grober Fahrlässigkeit aufgestellten Kriterien nicht entspricht (7 Ob 12/04x; 7 Ob 11/06b mwN uva). Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Die vom Berufungsgericht im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO für erheblich angesehene Frage lässt sich nicht allgemein gültig, sondern nur abhängig von den Umständen des Einzelfalls beantworten. Zwar weist die Revisionswerberin zutreffend darauf hin, dass ein mobiles Navigationsgerät anders als ein eingebautes Autoradio „binnen Sekunden“ im Handschuhfach verstaut werden kann. Wie die Erfahrung lehrt, kann darauf aber dennoch auch vergessen werden. Es steht fest, dass der Kläger im vorliegenden Fall tatsächlich darauf vergessen hat, das Navigationsgerät ins Handschuhfach zu geben. Gegen die Ansicht der Vorinstanzen, dieses Vergessen sei dem Kläger nicht als subjektiv schwerwiegender Verstoß vorzuwerfen, bestehen unter den festgestellten, eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Umständen keine Bedenken. Der spezielle, hier zu beurteilende, Sachverhalt hält sich im Rahmen der von der Judikatur für die Verneinung grober Fahrlässigkeit aufgestellten Kriterien. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Beklagte gar nicht behauptet hat, das versicherte Fahrzeug sei an einem besonders „einbruchsdiebstahlgefährdeten“ Ort abgestellt worden, was den Kläger zu besonderer Vorsicht verpflichtet hätte.

Mangels eines tauglichen Zulassungsgrundes ist das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40 und 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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