OGH 10ObS11/24a

OGH10ObS11/24a9.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald Fuchs (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Yalcin Duran, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2023, GZ 9 Rs 67/23 y‑42, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00011.24A.0709.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension. Im Revisionsverfahren ist nur mehr zu klären, ob die Voraussetzungen für eine Pension nach § 255 Abs 4 ASVG vorliegen.

[2] Der aus der Türkei stammende Kläger stellte bei der beklagten Pensionsversicherungsanstalt am 17. September 2010 einen Antrag auf Ergänzung der Versicherungszeiten, in dem er sein Geburtsdatum mit 5. Mai 1965 (erstmals) angab. Das dafür verwendete Formular unterfertigte er „blanko“ und überließ das Ausfüllen einem Bekannten, der es entsprechend dem beiderseitigen Kenntnisstand ausfüllte.

[3] Mit Urteil vom 11. November 2016 berichtigte das Zivilgericht Antalya das Geburtsdatum des Klägers auf den 5. Mai 1958. Dieses Datum scheint mittlerweile in den Ausweisen (Reisepass, Führerschein etc), persönlichen Dokumenten und der E‑Card des Klägers als Geburtsdatum auf.

[4] Die Vorinstanzen wiesen die auf Gewährung der Invaliditätspension gerichtete Klage ab. Die Voraussetzungen des § 255 Abs 1 und 2, 3 oder 3a ASVG lägen nicht vor, sodass nur eine Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG in Betracht komme. Um diese Form der Pension in Anspruch nehmen zu können, müsste der Kläger aber das 60. Lebensjahr vollendet haben, was nach dem von ihm im Jahr 2010 erstmals angegebenen Geburtsdatum aber nicht der Fall sei. Dass sein Geburtsdatum mittlerweile berichtigt worden sei, ändere daran nichts, weil das Urteil des Zivilgerichts Antalya die Voraussetzungen des § 358 Z 2 ASVG nicht erfülle.

Rechtliche Beurteilung

[5] In seiner außerordentlichen Revision spricht der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO an.

[6] 1.1. Der Kläger zieht nicht in Zweifel, dass Urteile eines türkischen Zivilgerichts, die die Berichtigung des türkischen Personenstandsregisters anordnen, keine weitergehenden Wirkungen haben als die damit berichtigte Eintragung (RS0071324 [T2]; RS0071328). Sie können daher lediglich als ausländische öffentliche Urkunde iSd § 293 ZPO zur Gewinnung entsprechender Tatsachenfeststellungen herangezogen werden, binden aber die österreichischen (Sozialversicherungsträger und) Gerichte nicht (10 ObS 124/16g [ErwGr 7.]; RS0043531).

[7] 1.2. Er stellt auch nicht in Abrede, dass die Bestimmung des § 358 ASVG als Regel über die Beweislast zu verstehen ist und daher demselben Rechtsgebiet angehört wie die Normen, auf denen der zu beurteilende Anspruch beruht. Sie stellt demgemäß eine Norm des materiellen Rechts dar, die auch von den Sozialgerichten anzuwenden ist (RS0117421 [T1]).

[8] 2. Nach dem genannten § 358 ASVG ist für die Feststellung des Geburtsdatums eines Versicherten dessen erste schriftliche Angabe gegenüber dem Versicherungsträger heranzuziehen. Von dem so ermittelten Geburtsdatum darf – soweit hier relevant – nur abgewichen werden, wenn sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der ersten Angabe des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger ausgestellt wurde, ein anderes Geburtsdatum ergibt (§ 358 Z 2 ASVG). Das gilt auch für die Invaliditätspension (10 ObS 76/09p; Födermayr in Mosler/Müller/Pfeil, SV‑Komm § 255 ASVG Rz 9), womit nicht nur der Verfahrensaufwand bei der Feststellung des Geburtsdatums verringert, sondern auch eine missbräuchliche Geltendmachung altersabhängiger Ansprüche vorgebeugt und Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Änderung von Geburtsdaten ausländischer Staatsbürger vermieden werden sollen (10 ObS 200/03i = ZAS 2005/30 [Heckenast]; Potz, Das „vermutete“ Geburtsdatum, RdW 2010/238 [226] ua).

[9] 2.1. Darauf aufbauend legt der Kläger der Revision (zu Recht) zugrunde, dass die erste schriftliche Angabe seines Geburtsdatums grundsätzlich (vgl unten 5.) in seinem Antrag auf Ergänzung der Versicherungszeiten erfolgte (vgl 10 ObS 76/09p [Antrag auf Feststellung von Versicherungszeiten]). Er anerkennt auch, dass das Urteil des Zivilgerichts Antalya die Voraussetzungen des § 358 Z 2 ASVG nicht erfüllt, weil es erst lange nach der ersten Angabe des Geburtsdatums ergangen ist. Primär macht er daher geltend, die durch § 358 ASVG angeordnete „Versteinerung“ unrichtiger personenbezogener Daten sei verfassungswidrig und verstoße gegen Primärrecht.

[10] 2.2. Seine Argumentation überzeugt aber nicht.

[11] 3. Mit seinen Bedenken an der Verfassungskonformität des § 358 ASVG ist er nur darauf zu verweisen, dass der Verfassungsgerichtshof diese nicht teilt und die Behandlung seines Parteiantrags gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abgelehnt hat (Beschluss vom 12. Juni 2023, G 206/2023). Gründe, dies anders zu sehen (vgl RS0132770; 1 Ob 28/24k Rz 6), führt der Kläger nicht an.

[12] 4. Soweit der Kläger die Unvereinbarkeit des § 358 ASVG mit der DSGVO behauptet, ist zwar richtig, dass ein Verstoß gegen Unionsrecht an sich nicht als Verfassungswidrigkeit zu qualifizieren ist (VfGH, G 224/2021 [Rz 120], VfSlg 20.523/2021; VfGH, SV 2/02, VfSlg 16.628/2002 ua), sondern dazu führt, dass die innerstaatliche Rechtsvorschrift allenfalls (mangels Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung) unangewendet zu bleiben hat (RS0109951 [T3, T6]; RS0075866 [T4]). Mit der völlig unbelegten Behauptung, § 358 ASVG verstoße „mit jedem einzelnen Buchstaben seines Wortlauts gegen die DSGVO“, insbesondere deren Art 5, 16 und 17, vermag er die Zulässigkeit der Revision aber nicht zu begründen.

[13] 4.1. Der Kläger beruft sich zunächst auf Art 5 Abs 1 lit b DSGVO, wonach personenbezogene Daten nur für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben und nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden dürfen.

[14] Dazu ist zunächst klarzustellen, dass die DSGVO auf die Erhebung des Geburtsdatums (im Jahr 2010) zeitlich nicht anwendbar ist (vgl Art 99 Abs 2 DSGVO), sodass hier nur die Verarbeitung der bereits erhobenen Daten zu prüfen ist. Nach der herrschenden Ansicht ist die Legitimität eines Zwecks nach Art 5 Abs 1 lit b DSGVO gegeben, wenn er von der Rechtsordnung gedeckt bzw mit dieser insgesamt vereinbar ist (vgl DSB‑2022‑0.585.764 Rn 3.3.11.; Schantz in Wolff/Brink/v. Ungern‑Sternberg, BeckOK Datenschutzrecht48 Art 5 DS‑GVO Rz 17; Hötzendorfer/Tschohl/Kastelitz in Knyrim, DatKomm Art 5 DSGVO Rz 27; Frenzel in Paal/Pauly, DS‑GVO3 Art 17 Rz 28 ua). Damit beschäftigt sich der Kläger nicht. Er klärt demgemäß auch nicht auf, weshalb dieses Kriterium nicht erfüllt sein soll, obwohl mit § 358 ASVG eine gesetzliche Grundlage für die Verarbeitung der ersten schriftlichen Angabe des Geburtsdatums existiert. Sein Standpunkt, er habe nicht damit rechnen können, dass die Angaben im Antrag auf Ergänzung von Versicherungszeiten in einem späteren Verfahren über einen Pensionsanspruch Relevanz haben könnten, ist angesichts des letztlich genau darauf hinauslaufenden Zwecks des Antrags nicht verständlich.

[15] 4.2. Soweit er auf sein Recht auf Berichtigung unrichtiger personenbezogener Daten nach Art 16 DSGVO verweist, ist vor dem Hintergrund der dafür zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe schon grundsätzlich nicht nachvollziehbar, warum § 358 ASVG hier unangewendet bleiben soll.

[16] Abgesehen davon kann das biologische Geburtsdatum auch gar nicht an die Stelle des Geburtsdatums iSd § 358 ASVG treten, weil es sich um unterschiedliche Datenkategorien handelt (VfGH, E 3828/2019). Mit anderen Worten: Inhalt der nach § 358 ASVG verarbeiteten Daten ist nicht das biologische Geburtsdatum der versicherten Person, sondern die Tatsache, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Datum als ihr Geburtsdatum angegeben hat. Allein diese Tatsache bildet die Grundlage für die (nur eingeschränkt widerlegbare) gesetzliche Vermutung des § 358 ASVG. Die Richtigstellung dieser zeitpunktgebundenen Daten könnte daher nur dahin erfolgen, dass zu dem nach § 358 ASVG relevanten Zeitpunkt ein anderes Datum als Geburtsdatum angegeben wurde (vgl Haidinger, DatKomm Art 17 DSGVO Rz 28; Kamann/Braun in Ehmann/Selmayr, DS-GVO3 Art 16 Rz 17; Reif in Gola/Herckmann/Reif, DSGVO3 Art 16 Rz 14 ua). Auch darauf geht die Revision (überhaupt) nicht ein.

[17] 4.3. Warum § 358 ASVG das Recht auf Löschung (Art 17 DSGVO) verhindert, führt der Kläger nicht näher aus. Mit Blick auf das bisher Gesagte (vgl Haidinger in DatKomm Art 17 DSGVO Rz 16) könnte ein solcher Anspruch allenfalls auf Art 17 Abs 1 lit a DSGVO gestützt werden, wenn also die Daten für die Erfüllung der Zwecke, für die sie ursprünglich erhoben oder in sonstiger Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig wären (vgl VwGH, Ro 2020/04/0037 Rz 63; Haidinger in DatKomm Art 17 DSGVO Rz 48; Kamann/Braun in Ehmann/Selmayr, DS‑GVO3 Art 17 Rz 21 f ua). Das ist hier nicht der Fall und wird vom Kläger auch nicht behauptet.

[18] 4.4. Eine Unvereinbarkeit des § 358 ASVG mit der DSGVO legt der Kläger somit nicht dar.

[19] 5. Nach ständiger Rechtsprechung bildet eine blanko unterfertigte und vervollständigte Urkunde im Rechtsverkehr eine Erklärung desjenigen, der die Unterschrift geleistet hat (RS0019820 [T2]; RS0014852).

[20] Die Ansicht der Vorinstanzen entspricht diesen Grundsätzen. Die vom Kläger als relevant erachteten Fragen des Vollmachtsrechts stellen sich nicht, weil dieses nur im Fall eines „offenen“, also in Gegenwart des Dritten erfolgten Ausfüllens des Blanketts relevant ist (vgl RS0019820 [T4]). Ein vermeintlich vollmachtsloses Ausfüllen des Blanketts kann der Kläger der Beklagten daher nicht entgegenhalten (vgl RS0019817).

[21] 6. Auf welche gesetzliche Grundlage sich seine Ansicht, die E‑Card sei ein die Gerichte bindender Bescheid, stützen kann, legt der Kläger mit dem bloßen Verweis auf die Judikatur zu Aufenthaltstiteln (VwGH, Ra 2022/22/0173; Ra 2017/22/0045) nicht dar. Selbst wenn man seine Ansicht zugrunde läge, ist er wiederholend darauf zu verweisen, dass das biologische und das Geburtsdatum nach § 358 ASVG keine identen Daten(-sätze) sind. Die Berichtigung der E‑Card (der Sozialversicherungsnummer) bietet zwar Gewähr dafür, dass amtliche Urkunden auch im Hinblick auf das darin angegebene Geburtsdatum miteinander vergleichbar sind. Das ändert aber nichts an dem nach § 358 ASVG maßgeblichen Geburtsdatum (Struth‑Schörghofer in Sonntag, ASVG15 § 31a Rz 34; Neumayr/Burgstaller, Das Geburtsdatum des Sozialversicherten – Überlegungen zu § 358 Abs 3 ASVG in FS Bauer/Maier/Petrag, 413 [425 f]).

[22] 7. Insgesamt zeigt die außerordentliche Revision daher keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Anlass, der Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nachzukommen, besteht (daher) nicht.

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