European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00080.24G.0625.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Teilzwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Entscheidungsgründe:
[1] Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche der Klägerin aus einem Unfall bei Benützung eines Laufgeschäfts am L*markt in K*.
[2] Die Beklagte ist Eigentümerin und Betreiberin dieses Laufgeschäfts, das – unter anderem am L*‑markt – der Allgemeinheit gegen Entgelt zur Benutzung offen steht. Dabei handelt es sich um eine Anlage, die ab einem Alter von acht Jahren benützt werden darf und ua über gepolsterte Rollen, bewegliche Wackelböden, eine rollende Tonne und ein Förderband verfügt. Dieses ebene und etwa 5 m lange Förderband befindet sich auf der mittleren Etage des Laufgeschäfts und bewegt sich mit Schrittgeschwindigkeit in jene Richtung, die zum Aufgang zur nächsten Etage führt. Es ist möglich, sich am Förderband stehend fortbewegen zu lassen oder seine Gehgeschwindigkeit durch die Bewegung des Förderbands zu erhöhen. Das Förderband kann auch in die entgegengesetzte Richtung benützt werden, sodass man sich (beliebig oft) in beide Richtungen hin- und herbewegen kann. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, neben dem Förderband vorbeizugehen, um zum Aufgang zur nächsten Etage zu gelangen. In Fahrtrichtung des Förderbands gesehen befindet sich links ein Handlauf, der sich nicht mitbewegt. Am Beginn des Förderbands ist rechts ein unbeschrifteter, roter Notfallknopf an der Wand montiert, bei dessen Betätigung das Förderband stoppt. Im Bereich dieses Knopfs ist kein Hinweis angebracht, der die Funktion des Knopfs und die Folgen seiner Betätigung erklärt. Der Knopf ist in erster Linie für die Mitarbeiter der Beklagten gedacht, kann aber auch von jeder anderen Person betätigt werden. Über einen automatischen Notstoppmechanismus verfügt das Förderband nicht. Eine Beschränkung der Anzahl an Personen, die das Laufgeschäft gleichzeitig nützen dürfen, besteht nicht. Hinter dem Förderband und dem Aufgang zur nächsten Etage wurde eine starr montierte und nicht schwenkbare Überwachungskamera installiert, die auf den Bereich des Förderbands gerichtet ist. Das Bild kann von einem Mitarbeiter des Laufgeschäfts auf einem Bildschirm im Fahrstand beobachtet werden. Der Fahrstand befindet sich auf Straßenniveau im Eingangsbereich des Laufgeschäfts. Der Bildschirm ist aufgrund der Verwendung mehrerer Kameras geviertelt und zeigt in einem etwa 11 x 11 cm großen Viertel den Bereich des Förderbands in Farbe. Dieser Bereich wird entweder durch einen sich unmittelbar beim Förderband aufhaltenden oder den Bildschirm im Fahrstand beobachtenden Mitarbeiter der Beklagten überwacht. Da es manchmal vorkommt, dass Personen nur aus Spaß andeuten, in Gefahr zu sein, ist es über die Videoüberwachung schwierig zu erkennen, ob tatsächlich eine Gefahrensituation vorliegt. Neben der Videoüberwachung hat der im Fahrstand befindliche Mitarbeiter darüber hinaus die Aufgabe, über das Mikrofon weitere Gäste für das Laufgeschäft anzuwerben und bei Bedarf Anweisungen an andere Ordner und Gäste zu erteilen.
[3] Am 16. 11. 2019 suchte die Klägerin um etwa 0:30 Uhr das Laufgeschäft der Beklagten auf. Als sie das Förderband betrat, befanden sich zahlreiche weitere Personen in diesem Bereich. Sie hielt sich nicht am Handlauf an. Aus nicht mehr feststellbaren Gründen stürzte sie – sie war nicht alkoholisiert – im hinteren Bereich des Förderbands, woraufhin sich ihre offen getragenen Haare im weiterlaufenden Förderband verfingen und schließlich bis zur Kopfhaut eingezogen wurden. Selbst als die am Förderband liegende Klägerin das hintere Ende des Förderbands erreicht hatte, lief es trotz der eingezogenen Haare weiter. Die eingeklemmte Klägerin versuchte, sich dagegen zu stemmen, und begann laut um Hilfe zu schreien. Nach wenigen Sekunden wurden andere im Bereich des Förderbands stehende Personen auf den Ernst der Lage aufmerksam und versuchten, dem im Fahrstand befindlichen Mitarbeiter der Beklagten zu signalisieren, das Förderband zu stoppen, indem sie über die Brüstung gelehnt nach unten in Richtung des Fahrstands winkten und „Stopp“ riefen. Aufgrund des – am L*markt typischerweise – vorherrschenden Lärms nahmen die Mitarbeiter der Beklagten die Rufe nicht wahr. Den am Beginn des Förderbands montierten Notfallknopf bemerkte keine der umstehenden Personen.
[4] Im Fahrstand befand sich zu dieser Zeit der bereits seit mehreren Jahren bei der Beklagten beschäftigte Mitarbeiter V*. Dieser blickt üblicherweise über die mehrere Stunden bis zur Ablösung durch einen anderen Mitarbeiter hinweg dauernde Tätigkeit im Fahrstand nicht durchgehend auf den Bildschirm, sieht aber für gewöhnlich alle paar Sekunden darauf. Sofern eine Person das Bild der Kamera verdeckt, erteilt er nach kurzem Abwarten per Mikrofon die Anweisung „bitte weitergehen“. Den Sturz der Klägerin bemerkte er zunächst nicht. Am Bildschirm wurde die am Förderband liegende Klägerin durch Personen verdeckt, die sich zwischen ihr und der Videokamera befanden. Erst als er am Bildschirm winkende Personen sah, verließ V* den Fahrstand und wurde durch Rufe der an der Brüstung stehenden Personen darauf aufmerksam, dass etwas im Bereich des Förderbands passiert sein musste. Daraufhin griff er von außen in den Fahrstand und stoppte die Anlage.
[5] Zwischen dem Sturz der Klägerin und dem Zeitpunkt, als ihre Haare in das Förderband eingezogen wurden und sie sich am Ende des Förderbands dagegen stemmte, einerseits und dem Stoppen der Anlage durch V* andererseits vergingen mindestens 30 Sekunden.
[6] Um die Klägerin aus dem Förderband zu befreien, mussten ihr Haare abgeschnitten werden. Durch das Abstützen ihres Körpers am Widerlager am Ende des Förderbands und das gleichzeitige Weiterbewegen des Förderbands erlitt sie Verletzungen am linken Handrücken sowie am Zeige-, Mittel- und Ringfinger der linken Hand und an ihrem rechten Kniegelenk. Weiters wurde ihre Jeans im Bereich ihres rechten Knies durch das weiterlaufende Förderband aufgerieben, bis es ein Loch aufwies, das im Durchmesser etwas größer als 2 bis 3 cm war.
[7] In der Vergangenheit kam es zwar bereits vor, dass Personen auf dem Förderband zu Sturz kamen. Zumindest in den letzten 15 Jahren ereignete sich dort aber kein solcher Vorfall, bei dem die Haare eines gestürzten Besuchers in das Förderband eingezogen wurden und Verletzungen eintraten.
[8] Die Klägerin begehrt Schadenersatz von 18.360 EUR sA (insbesondere Schmerzengeld) und die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige unfallkausale Schäden. Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt und habe dafür nach Vertragsgrundsätzen einzustehen. Die Sicherung der Gefahrenstelle durch die Beklagte sei unzureichend gewesen. Die Beklagte habe keinen automatischen Stoppmechanismus in das Förderband eingebaut. Ein Notknopf am Anfang des Förderbands sei nicht erkennbar gewesen. Die Überwachungskamera sei so angebracht gewesen, dass auf dem Bildschirm nicht erkennbar gewesen sei, wenn eine Person auf dem Förderband liege. Die Gefahr, die von einem als Hindernis dienenden Förderband ausgehe, liege aber gerade darin, dass Personen das Hindernis nicht passieren und stürzen könnten.
[9] DieBeklagte bestritt. Den Betriebsführer treffe keine Schuld am Zustandekommen des Unfalls; er habe richtig und in gebotener Eile reagiert. Die Folgen des Sturzes seien nicht verhinderbar gewesen. Ein automatischer Stoppmechanismus hätte den Unfall nicht verhindern können. Die Unfallstelle sei keine besondere Gefahrenstelle, weil es sich um ein langsam laufendes, leicht ansteigendes und ebenes Förderband handle. Die Überwachungskamera könne nicht erkennen, ob jemand auf dem Förderband liege, wenn davor oder danach Personen stünden.
[10] Das Erstgericht sprach aus, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe.
[11] Von der Beklagten wäre in der konkreten Situation zu verlangen gewesen, das Förderband wesentlich früher zu stoppen. Dass bis zum Stoppen des Förderbands mindestens 30 Sekunden vergangen seien, sei als Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten zu werten. Die vorgenommene Videoüberwachung stelle keine ausreichende Einhaltung der Schutz- und Sorgfaltspflichten dar, zumal V* dabei nicht durchgehend das Bild beobachtet habe, sondern auch andere Aufgaben gehabt habe. Hinzu komme, dass der vorherrschende Lärm eine Kommunikation von der mittleren Ebene mit dem im Fahrstand befindlichen Mitarbeiter der Beklagten erschwert habe. Auch der am Beginn des Förderbands montierte Notfallknopf entbinde die Beklagte nicht von ihren Pflichten. Für Personen, die nicht zu entsprechend geschulten Mitarbeitern der Beklagten zählten, gebe es mangels Beschriftung keine Anhaltspunkte dafür, welche Funktion dieser Knopf erfülle und dass sie überhaupt befugt wären, diesen zu betätigen.
[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Leistungsbegehren mit Teilurteil ab.
[13] Das Konzept eines Laufgeschäfts sei, die Besucher durch besondere Bodenverhältnisse (bewegliche Wackelböden, rollende Tonne, Förderband) aus dem Gleichgewicht zu bringen und so für Nervenkitzel zu sorgen. Vor diesem Hintergrund bestehe die Verpflichtung der Beklagten, die jeweiligen Gefahrenbereiche zu überwachen, um bei Stürzen in angemessener Zeit reagieren zu können. Eine lückenlose Überwachung durch Abstellen eines Mitarbeiters auf der mittleren Etage würde die Sicherungspflichten der Betreiberin aber überspannen. Die Überwachung des Förderbands durch eine Kamera, auf die der zuständige Mitarbeiter „alle paar Sekunden“ schaue, sei ausreichend. Ein automatischer Stoppmechanismus sei nicht erforderlich, um den Verkehrssicherungspflichten zu entsprechen, wenn sowohl direkt beim Förderband ein von allen Umstehenden zu betätigender Notstoppknopf vorhanden sei als auch der Notstopp durch den Mitarbeiter der Beklagten im Fahrstand ausgelöst werden könne. Dass der Notfallknopf nicht als solcher beschriftet sei, schade nicht, sei er doch durch seine rote Farbe und die für Notfallknöpfe charakteristische Form eindeutig als solcher zu erkennen. Dass bis zum Stoppen des Förderbands „mindestens“ 30 Sekunden – eine längere Verzögerung habe die Klägerin nicht unter Beweis gestellt – vergangen seien, sei nicht als Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten zu werten. Dem Mitarbeiter der Beklagten sei durch das Gestikulieren der anderen Besucher ohne zeitliche Verzögerung aufgefallen, dass etwas passiert sein könnte. Die kurze zeitliche Verzögerung, die dadurch eingetreten sei, dass dieser den Fahrstand verlassen habe, um zu überprüfen, ob tatsächlich eine Gefahrenlage bestanden habe, begründe keine Sorgfaltspflichtverletzung. Ein Auslösen des Notstopps des Förderbands ohne Veranlassung hätte vielmehr eine weitere Gefahrenlage geschaffen. Ein Notstopp 30 Sekunden nach dem Sturz sei als angemessener Zeitrahmen für eine Reaktion zu qualifizieren. Der Beklagten sei eine schuldhafte Verletzung der sie treffenden Verkehrssicherungspflicht daher nicht anzulasten.
[14] Das Berufungsgericht ließ gemäß § 508 Abs 3 ZPO die Revision nachträglich zu, weil zum Zeitpunkt des Vorfalls für Veranstaltungen in Wien eine gesetzliche Pflicht bestanden habe, wonach sich am Beginn eines Rollteppichs während des Betriebs ständig geeignete Helfer aufhalten mussten (§ 99 Abs 2 Wiener VeranstaltungsstättenG) und keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob die nur im Einzelfall zu beurteilende Zumutbarkeit von Verkehrssicherungspflichten durch landesgesetzliche Bestimmungen determiniert werden könne.
Rechtliche Beurteilung
[15] Die gegen das Teilurteil von der Klägerin erhobene – von der Beklagten beantwortete – Revision ist zulässig (RS0078150 [T1]). Sie ist auch berechtigt.
[16] 1. Wenn durch das Lösen einer Karte oder Zahlung einer Benützungsgebühr ein Vertragsverhältnis begründet wird, besteht für den Betreiber eine vertragliche Nebenpflicht, die Anlage in betriebssicherem Zustand zu erhalten und die befugten Benützer vor erkennbaren Gefahren zu schützen (5 Ob 52/09x = RS0113602 [T6]). Schon die Unterlassung von Maßnahmen zur Schadensabwendung ist deshalb rechtswidrig, ohne dass es allein auf die Verletzung eines besonderen Schutzgesetzes ankäme (5 Ob 52/09x = RS0113602 [T7]).
[17] Nach ständiger Rechtsprechung hängt der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist vor allem, ob eine Gefahr für einen sorgfältigen Menschen erkennbar ist und welche Maßnahmen zur Vermeidung der Gefahr möglich und zumutbar sind (RS0023726; RS0023487; RS0110202 ua). Für die Sicherung von Gefahrenquellen ist in umso höherem Maße zu sorgen, je weniger angenommen werden kann, dass die von der Gefahr betroffenen Personen sich ihrerseits vor Schädigung vorzusehen und zu sichern wissen (RS0023819). Auch vertragliche Verkehrssicherungspflichten dürfen allerdings nicht überspannt werden (RS0023487 [T17]). Es sind nur jene Maßnahmen zu ergreifen, die nach der Verkehrsauffassung verlangt werden können. Ein darüber hinausgehendes Verlangen würde die Verkehrssicherungspflicht überspannen und letzten Endes auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene, vom Verschulden unabhängige Haftung hinauslaufen (RS0023950 [T13]).
[18] Das Berufungsgericht hat seiner rechtlichen Beurteilung die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zugrunde gelegt, wonach eine lückenlose Aufsicht in Schwimmbädern nicht üblich und auch nicht erforderlich ist (RS0023950 [T7]). Gerade in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 1 Ob 103/04k bejahte der Oberste Gerichtshof aber eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten des Betreibers einer Wasserrutsche, weil der Badewärter an sich verbotene und gefährliche Rutschhaltungen nicht ausreichend beanstandete. Illustrativer – wenngleich aufgrund der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls ebenfalls nicht unmittelbar einschlägig – ist im gegebenen Zusammenhang allerdings ohnehin die Entscheidung 9 Ob 19/05t, in der der Oberste Gerichtshof eine Überspannung zumutbarer Verkehrssicherungspflichten verneint hat, wenn man vom Betreiber eines Boxautomaten in einem Vergnügungspark verlangt, auf geeignete Weise dafür zu sorgen, dass sich der Benutzer bei Abgabe der Boxschläge nicht mit seinen Schuhen im Untergrund verfangen kann, indem eine spaltenlose Ausführung der Bodenplatte gewählt wird.
[19] 2. Ob und gegebenenfalls welche vertragliche Verkehrssicherungspflicht besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher grundsätzlich keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSv § 502 Abs 1 ZPO. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht aber seinen der Natur der Sache nach bestehenden Beurteilungsspielraum überschritten.
[20] 2.1. Zutreffend hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall hervorgehoben, dass (auchFun- oder Spaßhäuser genannte) Laufgeschäfte in Freizeitparks oder Jahrmärkten darauf ausgerichtet sind, die Besucher durch den Einsatz von beweglichen Wackelböden, rollenden Tonnen, Förderbändern (Fließbändern, über die man laufen kann) und dergleichen zu Unterhaltungszwecken aus dem Gleichgewicht zu bringen.
[21] Richtig hat das Berufungsgericht auch erkannt, dass die Betreiberin dafür zu sorgen hat, dass in angemessener Zeit auf Stürze der Besucher insbesondere am Förderband reagiert werden kann und wird. Stürze sind aufgrund des bewusst herbeigeführten Balanceverlusts und Schwindels nicht nur zu erwarten, sondern haben sich nach den Feststellungen auf der Anlage der Beklagten in den letzten Jahren ja auch ereignet.
[22] 2.2. Gerade ein Förderband oder Fließband ist aber eine leicht erkennbare Gefahrenquelle, weil sich lange Haare und lose Kleidung in den beweglichen Teilen des Förderbands verfangen können, was zu schweren Verletzungen und sogar zum Tod vor allem durch Strangulation führen kann.
[23] Da Stürze der Besucher nach dem Konzept des Laufgeschäfts zu erwarten sind, muss auch damit gerechnet werden, dass bei einem solchen Sturz auf dem Förderbandbeispielsweise lange Ketten oder Schals oder – wie hier – lange Haare der gestürzten Person eingezogen werden.
[24] Angesichts der auf der Hand liegenden Gefahr erheblicher Schäden für die Besucher ist von der Beklagten sehr wohl zu verlangen, dass sie auf geeignete Weise dafür sorgt, dass in weniger als 30 Sekunden mit einem Notstopp auf einen Sturz am Förderband reagiert wird.
[25] 2.3. Bereits das Erstgericht hat darauf verwiesen, dass der Beklagten die Gefährlichkeit offenkundig auch bewusst war, ließ sie den Förderbandbereich doch über eine Videokamera beobachten. Diese Videoüberwachung allein war nach den Umständen des Falls aber jedenfalls unzureichend:
[26] So war der von der nicht schwenkbaren Kamera gezeigte Ausschnitt von Haus aus eingeschränkt und kam es nach den Feststellungen bei hohem Besucherandrang – wie in der Nacht des Vorfalls – immer wieder zu Sichtbehinderungen durch vor der Kamera stehende Personen. Auch wenn der Mitarbeiter im Fahrstand „für gewöhnlich“ alle paar Sekunden auf den Bildschirm blickte, wurde konkret auch die gestürzte Klägerin am Bildschirm durch Personen verdeckt, die sich zwischen ihr und der Kamera befanden. Außerdem nahm der Mitarbeiter nicht nur die Videoüberwachung, sondern daneben auch noch andere Aufgaben wahr, etwa die Animation von Gästen, womit eine umgehende Reaktion auf die am Bildschirm winkenden Personen nicht gewährleistet war. Dazu kam, dass sich dem Mitarbeiter über den Bildschirm noch gar nicht erschloss, aus welchem Grund die dort ersichtlichen Personen winkten, sodass er der Sache erst nachgehen und den Fahrstand verlassen musste. Dass es mitunter schwierig war, den Ernst der Lage über den Bildschirm zu beurteilen, stellte das Erstgericht im Übrigen auch fest (weil es Leute gab, die aus Spaß eine Gefahrensituation andeuteten). In dem Zusammenhang hat überdies schon das Erstgericht den am Jahrmarkt vorherrschenden Lärmpegel herausgestrichen, der eine Kommunikation der auf der mittleren Ebene befindlichen Leute mit dem Mitarbeiter im Fahrstand erschwerte und die Wahrnehmbarkeit von Hilferufen („Stopp!“) beeinträchtigte.
[27] 2.4. Soweit das Berufungsgericht meint, es würde die Sorgfaltspflichten der Beklagten überspannen, würde man von ihr verlangen, einen Mitarbeiter für die Überwachung des Förderbandbereichs unmittelbar vor Ort abzustellen, ist darauf zu verweisen, dass die Beklagte selbst – wie festgestellt – den Bereich alternativ zur Videobeobachtung durch einen sich unmittelbar beim Förderband aufhaltenden Mitarbeiter überwachen ließ (entweder–oder). Diese unmittelbare Form der Überwachung erscheint daher grundsätzlich keineswegs unzumutbar und wäre bei den zahlreichen Besuchern, wie sie sich zum Vorfallszeitpunkt am Förderband aufhielten, jedenfalls zweckmäßiger als die bloße Videoüberwachung gewesen. Bezeichnenderweise war ja der am Beginn des Förderbands an der Wand montierte Notknopf in erster Linie („eigentlich“) für Mitarbeiter der Beklagten gedacht, was nur dann einen Sinn ergibt, wenn tatsächlich ein Mitarbeiter vor Ort ist. Schließlich war die von der Beklagten in der konkreten Situation gewählte Videoüberwachung auch deshalb unzureichend, weil dieser Notknopf nicht als solcher beschriftet und als Notstopp ausgewiesen war. Damit wurde den anderen Besuchern, die die Notsituation der Klägerin sofort erfassten, eine richtige Reaktion erschwert. Man kann von Besuchern eines Laufgeschäfts nicht erwarten, dass sie irgendwelche roten Knöpfe drücken, deren Funktion für sie nicht ohne Weiteres ersichtlich ist. Umgekehrt wäre es aber für die Beklagte ein Leichtes gewesen, für den Fall, dass trotz starkem Besucheraufkommen (das theoretisch auch regulierbar gewesen wäre) und hohem Lärmpegel keiner ihrer Mitarbeiter zur Überwachung unmittelbar vor Ort ist (sein kann), durch geeignete Instruktionen (Beschriftung, Piktogramm etc) wenigstens die umstehenden Personen in die Lage zu versetzen, einen Notstopp des Förderbands zu aktivieren, damit die Haare der Klägerin nicht weiter eingezogen werden. Erst durch die Weiterbewegung des Förderbands gegen ihren Widerstand – nicht durch den Sturz selbst – erlitt die Klägerin nämlich nach den Feststellungen ihre (operative Eingriffe erforderlich machenden) Verletzungen.
[28] 3. Aus diesen Gründen hat die Klägerin die Verletzung einer Sorgfaltspflicht durch die Beklagte sowie die Kausalität dieser Sorgfaltspflichtverletzung für ihren Schaden bewiesen (RS0026290). Der Beklagten ist demgegenüber der (Entlastungs-)Beweis nicht gelungen, dass sie die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat (RS0022476). Hinsichtlich des Verschuldens gilt die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB (RS0022686).
[29] Das von der Klägerin geltend gemachte Leistungsbegehren besteht daher – wie das Erstgericht im Gegensatz zum Berufungsgericht richtig erkannt hat – wegen schuldhafter Verletzung der vertraglichen Verkehrssicherungspflicht der Beklagten dem Grunde nach zu Recht.
[30] Darauf, dass § 99 Abs 2 des hier nicht anwendbaren Wiener Veranstaltungsstättengesetzes (der Unfall ereignete sich in Niederösterreich) in der damals gültigen Fassung vorschrieb, dass sich „am Beginn von Rollteppichen … während des Betriebs ständig geeignete Helfer (Veranstalter, Geschäftsführer oder von ihnen bestellte Aufsichtspersonen) aufhalten“ müssen, kommt es bei dieser Sach- und Rechtslage nicht mehr an.
[31] 4. Der Revision der Klägerin ist daher Folge zu geben und das Teilzwischenurteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
[32] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO.
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