OGH 2Ob88/24s

OGH2Ob88/24s25.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekurs- und Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowiedie Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch die Kerres Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach A*, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Mag. Dr. Georg Vetter, Rechtsanwalt in Wien, sowie der Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei 1. mj Ma*, und 2. mj Mi*, beide vertreten durch den Kollisionskurator Dr. Michael Göbel, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. P*, vertreten durch die Asenbauer Rechtsanwälte GmbH in Wien, sowie 2. L*, und 3. M*, beide vertreten durch Dr. Markus Ludvik, Rechtsanwalt in Wien, wegen 8.545.706,19 EUR sA, über den Revisionsrekurs und die außerordentliche Revision des Zweit- und des Drittnebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei gegen den Beschluss und das Urteil des Oberlandesgerichts Wien alsRekurs- und Berufungsgericht vom 25. März 2024, GZ 16 R 182/23m‑79, mit welchem der Beschluss und das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Mai 2023 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 29. Juni 2023, GZ 24 Cg 15/22k‑65 und 69, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00088.24S.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist die Witwe des 2019 Verstorbenen und begehrt unter Hinweis auf ihr Pflichtteilsrecht 8.545.706,19 EUR sA.

[2] Die beklagte Verlassenschaft und die auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten wenden die internationale Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein und bestreiten den Pflichtteilsanspruch dem Grund und der Höhe nach. Da der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Verstorbenen in Spanien gelegen sei, käme spanisches Recht zur Anwendung. Im Übrigen sei die Klägerin erbunwürdig, weil sie wertvolle Bilder und ein Fahrzeug verschwiegen und an sich gebracht habe, sodass sie eine qualifizierte Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 StGB verantworte. Darüber hinaus habe sie unrichtige Angaben über anzurechnende Schenkungen gemacht und dadurch einen qualifizierten Prozessbetrug iSd § 15 iVm §§ 146, 147 Abs 3 StGB zu Lasten der Verlassenschaft begangen.

[3] Das Erstgericht verwarf mit Beschluss die Einrede der internationalen Unzuständigkeit und sprach mit „Zwischenurteil gemäß § 393 (2) ZPO“ aus, dass die Klägerin „dem Grunde nach pflichtteilsberechtigt und insbesondere nicht erbunwürdig“ sei.

[4] Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidungen mit der Maßgabe, dass in der Überschrift die Wendung „gemäß § 393 (2) ZPO“ zu entfallen und der Spruch des Urteils wie folgt zu lauten habe: „Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 8.545.706,19 EUR sA zu bezahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.“

[5]

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig. Die außerordentliche Revision ist mangels einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.

[6] 1. Nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig, wenn der angefochtene erstrichterliche Beschluss zur Gänze bestätigt wurde, es sei denn, dass die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist. Eine Anfechtung von Konformatsbeschlüssen ist demnach nur im Fall der endgültigen Versagung des Rechtsschutzes möglich (RS0044536). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Nachdem beide Vorinstanzen die internationale Zuständigkeit bejahten, ist der Revisionsrekurs demnach jedenfalls unzulässig (RS0044536 [T2]). Die Rechtsmittelwerber können sich auch nicht darauf berufen, dass die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nach Art 15 EuErbVO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen aufzugreifen ist, weil sich die Entscheidung über die Unzuständigkeit nach dem nationalen Verfahrensrecht richtet (Hertel in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 Art 15 EuErbVO Rz 3; Dutta in MünchKomm9 Art 15 EuErbVO Rz 2). Das Vorliegen einer rechtskräftigen und bindenden Entscheidung steht daher auch im Anwendungsbereich des Art 15 EuErbVO einer neuerlichen Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entgegen (2 Ob 229/21x; Frauenberger-Pfeiler in Deixler‑Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 Art 15 Rz 6).

[7] 2. Nach Art 21 EuErbVO unterliegt die Rechtsnachfolge von Todes wegen – soweit nicht ausnahmsweise eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat besteht – dem Recht des Staats, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Wenngleich der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in keiner Bestimmung der Verordnung definiert wird, hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die Auslegung anhand der Erwägungsgründe der Verordnung erfolgt und der gewöhnliche Aufenthalt anhand einer Gesamtbeurteilung der Umstände im Einzelfall festzulegen ist (EuGH vom 16. Juli 2020, C‑80/19 Rn 37 f). Aus Erwägungsgrund 23 der Verordnung ergibt sich, dass bei der Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts sämtliche Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts in einem Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Nach Erwägungsgrund 24 kommt es auf den familiären und sozialen Lebensmittelpunkt des Erblassers an, wobei, wenn er in mehreren Staaten gelebt hat, auch seiner Staatsangehörigkeit oder der Lage seines Vermögens besondere Bedeutung zukommen kann. Der EuGH hat damit bereits Leitlinien zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs vorgegeben, sodass keine Veranlassung besteht, ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten, wie dies von den Rechtsmittelwerbern angeregt wurde. Eine erhebliche Rechtsfrage würde nur vorliegen, wenn das Berufungsgericht seinen Beurteilungsspielraum überschritten hätte (RS0117100 [T12]). Das ist hier aber nicht der Fall.

[8] 3. Soweit sich die Revisionswerber darauf berufen, dass der Verstorbene ein Haus in Spanien hatte und sich zuletzt auch seine Yacht dort befand, ist ihm entgegenzuhalten, dass der Verstorbene dieses Haus nur als Feriendomizil und für Wochenendaufenthalte nutzte. Er konnte auch kein Spanisch. Der Oberste Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass es zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinn des EuErbVO nicht ausreicht, wenn sich der Erblasser nur vorübergehend in einem anderen Staat aufhält (2 Nc 23/18g = RS0132233). Dementsprechend kommt auch dem Umstand, dass der Verstorbene die Weihnachtsfeiertage in Spanien verbrachte, keine entscheidende Bedeutung zu. Im Übrigen war der Verstorbene nämlich österreichischer Staatsbürger und bewohnte mit der Klägerin ein Haus in Wien, wo er – obwohl er beruflich viel Zeit im Ausland verbrachte – die gemeinsamen Kinder zumeist dreimal die Woche von der Schule abholte. Auch hatte der Verstorbene in Wien ein Büro, in dem er sich regelmäßig mit seiner persönlichen Assistentin traf. Angesichts dieser fortdauernden engen und festen Bindung zu Österreich ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanzen von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und von der Anwendung österreichischen Rechts ausgegangen sind. Dass seine Kinder drei Monate in Spanien zur Schule gingen, kann daran schon deshalb nichts ändern, weil der Verstorbene während dieser Zeit nicht in Spanien aufhältig war, sondern sich in Österreich und später in der Schweiz einer ärztlichen Behandlung unterzog.

[9] 4. Nach § 539 Fall 2 ABGB (auf den die Rechtsmittelwerber die Erbunwürdigkeit ausschließlich stützen) ist erbunwürdig, wer eine gerichtlich strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft begeht, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist. Mittlerweile hat der Oberste Gerichtshof aber zu 2 Ob 200/23k ausgesprochen, dass die Begehung einer Straftat gegen die Verlassenschaft nur dann zur Erbunwürdigkeit führt, wenn auch die Tatbegehung gegen den Verstorbenen zur Erbunwürdigkeit führen würde, sodass auch gegenüber der Verlassenschaft die Privilegierung der Begehung im Familienkreis nach § 166 StGB zu beachten ist. Entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerber liegt schon deshalb keine uneinheitliche Rechtsprechung vor, weil es sich um die erste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs handelt, die sich mit der Beachtlichkeit des § 166 StGB bei der Beurteilung der Erbunwürdigkeit wegen Straftaten gegen die Verlassenschaft befasst. Die Revision ist unzulässig, wenn eine ausführlich begründete Entscheidung des Fachsenats vorliegt, in welcher die vom Revisionswerber relevierte Rechtsfrage beantwortet wurde (RS0103384 [T6, T10]; RS0112769)

[10] 5. Die Revisionswerber meinen, dass es einen Wertungswiderspruch und einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot bedeuten würde, wenn zwar die Vernichtung eines Testaments, nicht aber der Entzug von Vermögenswerten zur Erbunwürdigkeit führt, obwohl auch dadurch der letzte Wille zumindest faktisch vereitelt werde. Der Gesetzgeber hat aber in § 543 Abs 2 ABGB ausdrücklich angeordnet, dass die Vereitelung des wahren letzten Willens des Verstorbenen jedenfalls zur Erbunwürdigkeit führt, Straftaten gegen die Verlassenschaft aber nur, wenn bestimmte Strafdrohungen überschritten werden. Dass Angriffe auf den wahren letzten Willen des Verstorbenen damit strenger sanktioniert werden als bloße Vermögensdelikte gegen die Verlassenschaft, ist – auch wenn beide Verhaltensweisen im Einzelfall zu ähnlichen Ergebnissen führen können – schon deshalb nicht unsachlich, weil unterschiedliche Rechtsgüter geschützt werden. Verfassungsrechtliche Bedenken des Rechtsmittelwerbers können keine Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigen, wenn der Oberste Gerichtshof diese Bedenken nicht teilt (RS0116943; vgl RS0122865). Die Revisionswerber nennen auch sonst keine Gründe, die ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung rechtfertigen könnten.

[11] 6. Die Revision macht geltend, dass kein Zwischenurteil gefällt werden hätte dürfen, weil mangels Feststellungen zu den auf den Pflichtteilsanspruch anzurechnenden Zuwendungen noch gar nicht feststehe, ob ein Pflichtteilsanspruch besteht. Dem ist entgegenzuhalten, dass ein Zwischenurteil nach § 393 Abs 1 ZPO auch dann möglich ist, wenn noch strittig ist, ob der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht. Nachdem das Gesetz selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft, liegt auch insofern keine erhebliche Rechtsfrage vor (RS0042656).

[12] 7. Schließlich meinen die Revisionswerber, dass das Erstgericht ein echtes Feststellungsurteil im Sinn eines „Grundlagenurteils“ nach § 393 Abs 2 ZPO gefällt habe, sodass das Berufungsgericht diese Entscheidung nicht bestätigen hätte dürfen. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Erstgericht den von der Klägerin gestellten Zwischenantrag auf Feststellung „hinsichtlich der Anwendbarkeit der Privilegierung nach § 166 StGB auch hinsichtlich des § 539 ABGB gegenüber der Verlassenschaft“ mit gesondertem und unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Beschluss zurückgewiesen hat und in den Entscheidungsgründen zum Ergebnis gelangte, dass der Pflichtteilsanspruch der Klägerin „dem Grunde nach festzustellen“ war. Das Berufungsgericht durfte das Urteil des Erstgerichts daher – ungeachtet der anderslautenden Bezeichnung und Formulierung – als „Grundurteil“ nach § 393 Abs 1 ZPO, mit dem keine über den vorliegenden Rechtsstreit hinausgehenden Rechtskraftwirkungen verbunden sind, verstehen und im Sinne einer „Maßgabebestätigung“ entsprechend berichtigen (RS0042684; RS0074300). Letztlich begründet auch die Auslegung des erstgerichtlichen Urteils und die Ermittlung des Sinngehalts keine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung, welche die Zulässigkeit der Revision rechtfertigen könnte (RS0118891 [T3]).

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