OGH 7Ob52/24h

OGH7Ob52/24h19.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen unddie Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* T*, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 19.644,68 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichtvom 21. Dezember 2023, GZ 1 R 158/23w‑43, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 24. Juli 2023, GZ 6 Cg 97/21z‑37, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00052.24H.0619.002

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte, Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtenen Entscheidungen werden dahin abgeändert, dass das Urteil einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen klagestattgebenden Teils insgesamt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 1.4 49,74 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. November 2018 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Das Mehrbegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 18.194,94 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. November 2018 zu bezahlen, wird abgewiesen.

3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 10.344,59 EUR (darin 1.551,41 EUR USt und 1.036,15 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

 

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 2.089,32 EUR (darin 348,22 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.505,40 EUR (darin 250,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen der Klägerin als Versicherungsnehmerin und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2003) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 6

Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Falle seiner Leistungspflicht die ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Deckungsanspruches entstehenden Kosten gemäß Punkt 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind. [...]

3. Notwendig sind die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf deren Erfolg besteht.

[...]

6. Der Versicherer zahlt

6.1. die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen inländischen Rechtsanwaltes bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Autonomen Honorarrichtlinien für Rechtsanwälte.

In gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren werden Nebenleistungen des Rechtsanwaltes maximal in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt.

[...]“

[2] Eine Bezirkshauptmannschaft (in der Folge BH) forderte die Klägerin mit Schreiben vom 10. August 2015 zur Bekanntgabe des Lenkers des auf sie zugelassenen Pkw auf, der dieses am 23. April 2015 auf einem bestimmten Abschnitt der Autobahn A10 gelenkt hatte. Diese Aufforderung wurde der Klägerin am 12. August 2015 zugestellt.

[3] Am 21. August 2015 übermittelte die Klägerin das handschriftlich ausgefüllte Auskunftsschreiben per Telefax an die Behörde und gab ihren Lebensgefährten als auskunftspflichtige Person bekannt, im Wissen, dass dieser der tatsächliche Lenker war. Diese Information sandte sie von ihrem Faxgerät an die Faxnummer der BH und erhielt einen positiven Fax-Sendebericht. Auf dem Sendebericht scheint die Faxnummer der Klägerin nicht auf. Es kann nicht festgestellt werden, ob diese von der Klägerin gesendete Faxnachricht bei der Behörde eingegangen ist.

[4] Mit Strafverfügung vom 1. Februar 2016 verhängte eine andere BH gemäß § 134 Abs 1 KFG über die Klägerin eine Geldstrafe von 300 EUR für die Übertretung nach § 103 Abs 2 KFG mit der Begründung, dass sie die angeforderte Lenkerauskunft nicht erbracht habe. In der Strafverfügung war angeführt, dass die Behörde der Klägerin am 12. August 2015 ein schriftliches Verlangen auf Auskunftserteilung zugestellt habe.

[5] Die Klägerin wandte sich am 12. Februar 2016 oder kurz davor an ihren Rechtsvertreter zur Bekämpfung der Strafverfügung. Sie teilte ihm mit, dass sie alles richtig gemacht und dennoch eine Strafverfügung bekommen habe, die sie nun bekämpfen möchte. Er fragte die Klägerin, ob sie die Anfrage der Behörde und ihre Antwort noch vorliegen habe, was sie aufgrund des Zeitablaufs von mehr als fünf Monaten verneinte. Er vereinbarte mit der Klägerin, zunächst einen leeren Einspruch zu erstatten und dann bei der Behörde Akteneinsicht zu nehmen. Nicht festgestellt werden kann, ob der Rechtsanwalt sie fragte, auf welche Art und Weise sie die Lenkerauskunft übermittelte.

[6] Am 12. Februar 2016 unterfertigte die Klägerin die Rechtsanwaltsvollmacht. Darin wurde die Anwendung der Allgemeinen Honorarkriterien (AHK) und weiters vereinbart, dass der Rechtsanwalt nach seiner Wahl auch berechtigt ist, alternativ ein Stundenhonorar von 300 EUR zuzüglich USt zu verrechnen.

[7] Noch am 12. Februar 2016 übermittelte der Klagevertreter die Strafverfügung der BH an die Beklagte und ersuchte um Deckungszusage für die Verteidigung im Verwaltungsstrafverfahren.

[8] Am 12. Februar 2016 erhob er gegen die Strafverfügung einen „leeren“ Einspruch. Die Klägerin hatte aufgrund der persönlichen Lebensumstände und der verstrichenen Zeit seit Erstattung der Lenkerauskunft die Urkunden nicht zur Hand. Der Klagevertreter fragte sie diesbezüglich vor der Einlegung des Einspruchs.

[9] Am 18. Februar 2016 nahm der Klagevertreter bei der BH vor Ort Einsicht in den elektronisch geführten Akt. Er überprüfte, ob die Lenkeranfrage ordnungsgemäß ausgestellt worden sei. Ihm wurde mitgeteilt, dass diese der Klägerin am 12. August 2015 per Hinterlegung zugestellt worden war. Weitere Erhebungen stellte der Klagevertreter im Rahmen der Kommission nicht an. Er überprüfte insbesondere nicht, ob sich im Akt eine Lenkerauskunft befindet. Der Sachbearbeiter der Behörde erwähnte nicht, dass keine Lenkerauskunft eingelangt wäre.

[10] Nach der Akteneinsicht am 18. Februar 2016 ersuchte der Klagevertreter die Klägerin doch noch Nachschau nach der von ihr erteilten Lenkerauskunft zu halten. Die Klägerin fand die Lenkerauskunft und übermittelte sie an ihren Vertreter.

[11] Die Behörde bestätigte am 24. Februar 2016 die Rechtzeitigkeit des Einspruchs und forderte die Klägerin zur weiteren Begründung des Einspruchs binnen zwei Wochen auf.

[12] Die Stellungnahme der Klägerin an die BH vom 8. März 2016 enthielt die Bestreitung des Tatvorwurfs und das Vorbringen, die Klägerin habe fristgerecht per Fax mitgeteilt, dass sie die gewünschte Auskunft nicht erteilen könne und eine auskunftspflichtige Person bekanntgegeben habe. DieLenkerauskunft der Klägerin legte der Klagevertreter nicht vor, weil er davon ausging, sie würde der Behörde vorliegen.

[13] Am 29. August 2016 wurde die Klägerin von der BH informiert, dass kein entsprechender Fax-Eingang zu finden sei, es könne aber eine schriftliche Stellungnahme binnen zwei Wochen, oder eine mündliche Stellungnahme bei der Behörde vor Ort oder an einem zu vereinbarenden Termin erstattet werden. Der Rechtsanwalt berichtete der Klägerin von dem Schreiben und vereinbarte mit ihr, dass er ihre Interessen bei dem Behördentermin am 6. Oktober 2016 wahrnehmen werde.

[14] Die Klägerin erschien bei diesem Termin nicht. Ihr Rechtsvertreter legte der Behörde eine beantwortete Lenkerauskunft samt positiver Faxbestätigung vor. Im Protokoll wurde festgehalten, dass dieses Schriftstück der Behörde bislang nicht vorlag. Der Termin dauerte von 8:50 Uhr bis 9:15 Uhr. Der Klagevertreter erörterte mit dem Sachbearbeiter ausführlich, dass es immer wieder Zustellprobleme gäbe. Der Sachbearbeiter meinte, er solle dieses Vorbringen im Rahmen einer schriftlichen Stellungnahme abgeben, was der Klagevertreter als Auftrag zur Stellungnahme auffasste und im Protokoll wie folgt festgehalten wurde: „Der Vertreter der Beschuldigten wird auch eine weitere schriftliche Stellungnahme bis zum 14. Oktober 2016 erstatten.“ Im Oktober 2016 war die Klägerin insofern zeitlich sehr eingeschränkt, als ihr querschnittgelähmter Bruder aus der Reha entlassen wurde, um den sie sich kümmerte; außerdem war der Umbau des Hauses im Gange. Nicht festgestellt werden kann, ob das Verfahren sofort eingestellt worden wäre, wenn die Klägerin zur Verhandlung gekommen wäre und persönlich ausgesagt hätte.

[15] In der Stellungnahme vom 13. Oktober 2016 an die BH führte der Klagevertreter aus, dass die Faxsendung der Klägerin bei der Behörde offenbar in Verstoß geraten sei. Sie habe fristgerecht die Anfrage beantwortet und bekanntgegeben, dass ihr Lebensgefährte die gewünschte Auskunft erteilen könne und diesen die Auskunftspflicht treffe. Sie habe eine positive Faxbestätigung erhalten, die sie unter einem vorlege.

[16] Am 20. April 2017 wurde der Klägerin von der BH mitgeteilt, dass an die Faxnummer der (anderen) BH kein Fax von einer in der Folge konkret angeführten Nummer übermittelt worden sei. Im Anhang wurden diverse E‑Mails über behördeninterne Nachforschungen übermittelt. Eine Stellungnahme dazu könne binnen zwei Wochen schriftlich oder bei der Behörde vor Ort erstattet werden.

[17] In der Stellungnahme vom 5. Mai 2017 gab der Klagevertreter bekannt, dass es sich bei der von der Behörde recherchierten Faxnummer um seine Nummer handle und er zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht mit der Rechtssache befasst gewesen sei. Die Lenkerauskunft sei vom Faxgerät der Klägerin gesandt worden. Er nannte nicht die Faxnummer der Klägerin, sondern nur die Uhrzeit der Fax‑Übertragung und regte an, den Zeitraum von 11:00 Uhr bis 14:00 Uhr zu überprüfen. Die Faxnummer der Klägerin führte der Klagevertreter nicht an, weil er davon ausging, dass die Behörde nicht nach Faxnummern suche, sondern nach einem Schreiben mit einem bestimmten Inhalt und auch bei vielen Faxsendungen die Absendernummer nicht übertragen werde.

[18] Am 30. Mai 2017 forderte die BH die Klägerin zur Bekanntgabe ihrer Faxnummer auf.

[19] In der Stellungnahme vom 14. Juni 2017 gab die Klägerin ihre Faxnummer bekannt, teilte jedoch mit, dass ihre Faxnummer möglicherweise bei der Übermittlung der Fax‑Nachricht nicht mitgesendet worden sei.

[20] Mit einem der Klägerin am 1. März 2018 zugestellten Schreiben teilte die BH mit, dass unter der angegebenen Nummer der Klägerin kein Fax bei der Behörde eingegangen sei und legte dabei den behördeninternen E‑Mailverkehr vor. Dazu könne eine Stellungnahme binnen zwei Wochen oder bei der Behörde vor Ort erstattet werden.

[21] In der Stellungnahme vom 15. März 2018, die er um 22:49 Uhr der BH übermittelte, führte der Klagevertreter erneut aus, dass die Lenkerauskunft fristgerecht an die richtige Faxnummer übermittelt worden sei und die Klägerin damals eine positive Sendebestätigung erhalten habe. Die Klägerin treffe jedenfalls kein Verschulden an einem allfälligen Verlust der Telefaxsendung. Im selben Schriftsatz stellte der Rechtsvertreter der Klägerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers. Seiner Mandantin sei erstmals durch Übermittlung des behördeninternen E-Mailverkehrs zur Kenntnis gelangt, dass am 21. August 2015 zwischen 11:00 Uhr und 14:00 Uhr kein entsprechendes Fax vom Faxgerät der Klägerin aufgefunden worden sei.

[22] Mit Straferkenntnis vom 3. April 2018 wurde über die Klägerin wegen Übertretung des § 103 Abs 2 KFG eine Verwaltungsstrafe von 300 EUR verhängt. Mit Bescheid vom selben Tag wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als verspätet zurückgewiesen. Der Rechtsvertreter sei am 1. März 2018 über die nicht erfolgte Übermittlung der Lenkerauskunft informiert worden. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei per E‑Mail am 15. März 2018 um 22:11 Uhr außerhalb der Amtsstunden übermittelt worden, sodass er erst am 16. März 2018 als eingelangt gelte.

[23] Mit Schreiben vom 5. April 2018 informierte der Klagevertreter die Beklagte über den Verfahrensstand und teilte mit, dass trotz Vorlage der Lenkerauskunft ein Straferkenntnis gegen die Klägerin erlassen worden sei. Er ersuchte um Deckungszusage zur Erhebung einer Beschwerde gegen das Straferkenntnis und einer Beschwerde gegen den zurückgewiesenen Wiedereinsetzungsantrag.

[24] Am 13. April 2018 erteilte die Beklagte die Rechtsschutzdeckung zur Erhebung einer Beschwerde gegen das Straferkenntnis. Die Deckung für das Wiedereinsetzungsverfahren lehnte sie mit der Begründung ab, dass die Vertretung in Verwaltungsverfahren gemäß Art 1 ARB 2003 nicht Gegenstand der Rechtsschutzversicherung sei.

[25] Der Klagsvertreter informierte die Klägerin über die Deckungsablehnung der Beklagten. Die Klägerin wollte unabhängig von der Deckungszusage alle Rechtsmittel zur Bekämpfung des Straferkenntnisses ausschöpfen.

[26] Am 2. Mai 2018 brachte die Klägerin eine Beschwerde gegen das Straferkenntnis beim Landesverwaltungsgericht (LVwG) ein. Das LVwG beraumte für den 2. August 2018 eine Verhandlung an, zu der der Rechtsvertreter der Klägerin geladen wurde. Das LVwG hob nach Durchführung der Verhandlung das angefochtene Straferkenntnis ersatzlos auf und stellte das Verfahren gegen die Klägerin ein. In der Begründung führte es aus, es sei nicht eindeutig feststellbar, ob die von der Klägerin übermittelte Lenkerauskunft tatsächlich nie bei der Behörde eingelangt sei. Dem Sendebericht mit dem Vermerk „ok“ stehe das Anfrageergebnis bei der Landesinformatik gegenüber. Da das Faxgerät der Klägerin nicht mehr existiere, seien ergänzende Erhebungen nicht möglich gewesen. Die Angaben der Klägerin seien nicht unglaubwürdig, stünden aber den aktenkundigen Angaben der Landesinformatik, an deren Richtigkeit grundsätzlich auch nicht zu zweifeln sei, entgegen. Nach dem Grundsatz in dubio pro reo sei daher das Verfahren einzustellen.

[27] Die Verhandlung begann um 10:00 Uhr, wurde um 11:06 Uhr geschlossen und nach einer Unterbrechung um 11:32 Uhr zur Urteilsverkündung aufgerufen.

[28] Die gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags von der Klägerineingebrachte Beschwerde vom 8. Juni 2018 wurde mit Urteil des LVwG vom 18. Juni 2018 abgewiesen. Das LVwG begründete die Abweisungzusammengefasst damit, dass der Fristenlauf für die Einbringung des Antrags am 1. März 2018 begonnen und daher die zweiwöchige Frist am 15. März 2018 geendet habe. Der Antrag am 15. März 2018 sei daher schon deshalb verspätet, da er außerhalb der Amtsstunden der belangten Behörde, eingebracht worden sei.

[29] Am 14. November 2018 richtete der Klagevertreter nachstehendes Schreiben an die Klägerin: „... Ich darf Ihnen daher die Kosten meines Einschreitens laut beiliegender tariflicher Kostennote mit dem Betrag von € 24.712,20 bekanntgeben. Aufgrund der Deckungszusage Ihrer RS‑Versicherung für die Verteidigung im Verwaltungsstrafverfahren sind die Kosten weitestgehend, nämlich im Betrag von € 22.077,00 von der RS‑Versicherung zu tragen ...“

[30] Am selben Tag ersuchte der Klagevertreter die Beklagte um Anweisung seines Honorars in Höhe von 22.077 EUR.

[31] Die Beklagte antwortete am 14. Dezember 2018 wie folgt: „Bei Durchsicht Ihrer Honorarnote stellen wir über die unzutreffende Verzeichnung der Beschwerde gemäß lit. d und der Beschwerdeverhandlung gemäß lit. e hinaus fest, dass das verzeichnete Honorar die Grenzen der Angemessenheit gemäß § 1 AHK im Hinblick auf die konkrete Auseinandersetzung nicht einhält. Von einer angemessenen Bemessungsgrundlage Ihrer Vertretung von EUR 300,00 (Strafhöhe) ausgehend, überweisen wir den, mehr als entgegenkommenden Betrag von EUR 7.000 als Pauschale und gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit endgültig erledigt ist.“

[32] Der Klägerin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 14. Dezember 2018 mit: „In dieser Angelegenheit hat uns Ihre Rechtsvertretung die Honorarnote übergeben, auf die wir mehr als angemessene EUR 7.000,00 zur Anweisung bringen ...“

[33] Am 12. Juni 2019 teilte der Klagevertreter der Klägerin mit, dass er aufgrund der Weigerung der Beklagten, die Kosten seines Einschreitens zu begleichen, eine Klage vorbereitet habe und machte folgende Kosten geltend:

 

[34] Am 26. August 2021 bezahlte die Klägerin an den Klagevertreter für dessen Rechtsvertretung 26.644,68 EUR. Der bereits von der Beklagten bezahlte Betrag von 7.000 EUR wurde der Klägerin vom Klagevertreter rücküberwiesen.

[35] Im ersten Rechtsgang kam der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis, dass sich der Befreiungsanspruch der Klägerin durch die Bezahlung der Honorarforderung des Klagevertreters in einen Geldanspruch umgewandelt habe, dessen Höhe jedoch nicht abschließend beurteilt werden könne. Im zweiten Rechtsgang ist somit lediglich die Höhe der Klageforderung strittig.

[36] Die Klägerin begehrt Zahlung von 19.644,68 EUR sA. Sämtliche Kosten seien zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen, sodass die Beklagte zu deren Zahlung verpflichtet sei.

[37] Die Beklagte beantragt Klageabweisung und brachte – soweit für das Revisionsverfahren relevant – vor, die geltend gemachten Kosten seien einerseits nicht angemessen im Sinn des Art 6.1. ARB 2003, andererseits seien sie großteils auch nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen.

[38] Das Erstgerichtwies die Klage ab. Die Kosten des leeren Einspruchs seien zu ersetzen, weil der Klägerin aufgrund des schweren Unfalls ihres Bruders im November 2015 nicht vorwerfbar sei, dass sie die Unterlagen nicht sofort zur Hand gehabt habe. Die am 18. Februar 2016 erfolgte Kommission sei ebenso wie die Stellungnahme vom 8. März 2016 notwendig und zweckentsprechend gewesen. In dieser Stellungnahme hätte die Klägerin bereits alles mitteilen und sämtliche Beweise vorlegen können. Bis zur Entscheidung der Verwaltungsstrafbehörde wäre kein weiteres Einschreiten des Rechtsvertreters erforderlich gewesen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Beschwerde gegen die Entscheidung darüber seien wegen offensichtlicher Verspätung des Antrags nicht zu ersetzen. Zu ersetzen sei aber die Beschwerde an das LVwG und die Beschwerdeverhandlung (diese nach TP 3B RATG). Die begehrte Wartezeit stehe nicht zu, weil sie weniger als eine halbe Stunde gedauert habe. Der Erfolgszuschlag sei angesichts des Schwierigkeitsgrads des Verwaltungsstrafverfahrens mit 25 % anzusetzen. Nach § 2 Abs 2 AHK sei ein Abschlag von 25 % vorzunehmen. Insgesamt würden daher Vertretungskosten von brutto 6.034,16 EUR zustehen. Da die Beklagte bereits 7.000 EUR bezahlt habe, sei das Klagebegehren abzuweisen.

[39] Das Berufungsgerichtgab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und ließ die ordentliche Revision zu. Es gab der Klage im Umfang von 1.404,87 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Die Beklagte habe den „leeren“ Einspruch vom 12. Februar 2016, die Kommission vom 18. Februar 2016, die Stellungnahme vom 8. März 2016, die Beschwerde vom 2. Mai 2018 gegen das Straferkenntnis und die Beschwerdeverhandlung vor dem LVwG vom 2. August 2018 zu ersetzen. Die weiteren Vertretungshandlungen seien hingegen nicht notwendig gewesen. Es sei nicht erkennbar, warum es angesichts eines überdurchschnittlich einfachen Sachverhalts nicht möglich gewesen sei, in einem Schriftsatz umfassend und abschließend die entscheidenden Umstände, die sich darauf beschränken, dass die Klägerin entgegen dem behördlichen Vorwurf tatsächlich die Lenkerauskunft rechtzeitig per Fax übermittelt habe, vorzutragen und die überschaubaren Beweise (Vernehmung der Klägerin als Beschuldigte und Vorlage der Faxbestätigung) anzubieten. Eine Verbindungsgebühr nach § 9 Abs 2 AHK stehe für eine Beschwerde im Verwaltungsstrafverfahren nicht zu. Beim Erfolgszuschlag nach § 12 AHK könne gemäß § 2 Abs 2 AHK ein Abschlag vorgenommen werden, der mit 25 % jedenfalls nicht zulasten der Klägerin bemessen sei. Zudem könne sich die Klägerin durch einen Abschlag vom Honorar nach § 2 Abs 2 AHK in Höhe von 25 % nicht für beschwert erachten, weil im vorliegenden Fall sogar ein Abschlag von 50 % gut argumentierbar wäre. Die Berufung sei hingegen insofern berechtigt, als für die Beschwerde an das und die Verhandlung vor dem LVwG die Tarifansätze des § 9 Abs 1 Z 4 AHK und nicht jene nach TP 3B RATG heranzuziehen seien. Schließlich stünden der Klägerin Kosten für die Beratungszeit nach der Verhandlung in der Dauer von ½ Stunde nach TP 7/2 RATG zu, weil § 10 Abs 4 AHK kein zeitliches Mindestmaß dafür vorsehe.

[40] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[41] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[42] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.

[43] 1. Welche Leistungen der Versicherer zu erbringen und welche Kosten er zu bezahlen hat, regelt Art 6 ARB 2003.

[44] 2.1. Bei der Prüfung, ob die Verfahrenskosten gemäß Art 6.3. ARB 2003 als notwendig anzusehen sind, können die zu §§ 41 ff ZPO entwickelten Grundsätze herangezogen werden (7 Ob 86/22f mwN; 7 Ob 208/22x). Als zweckentsprechend gilt jede – verfahrensrechtlich zulässige – Aktion, die zum prozessualen Ziel der Partei führen kann; die Prozesshandlung muss nach objektiver Beurteilung eine Förderung des Prozesserfolgs erwarten lassen (vgl RS0036038). Notwendig ist jede Aktion, deren Zweck mit geringerem Aufwand nicht erreicht werden kann (vgl RS0035774 [T2]). Eine Partei kann daher, wenn kostensparende Verfahrenshandlungen zum gleichen sachlichen und formellen Ergebnis geführt hätten, nur jene Kosten beanspruchen, die diesen gleichen Zweck mit dem geringeren Aufwand erreicht hätten (vgl RS0035774 [T3]). Beide Beurteilungen hängen von den jeweiligen objektiven Umständen des Einzelfalls ab (7 Ob 86/22f); sie sind immer ex ante vorzunehmen (RS0036038).

[45] 2.2. Vorauszuschicken ist, dass Gegenstand des Revisionsverfahrens ausschließlich die Kosten für den Behördentermin vom 6. Oktober 2016 und die Schriftsätze vom 13. Oktober 2016, 5. Mai 2017, 14. Juni 2017 und 15. März 2018 (samt Wiedereinsetzungsantrag) sind. Nicht mehr revisionsgegenständlich sind hingegen die von den Vorinstanzen zuerkannten Kosten des leeren Einspruchs vom 12. Februar 2016, der Kommission vom 18. Februar 2016, der Stellungnahme vom 8. März 2016, der Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 2. Mai 2018, der Beschwerdeverhandlung vom 2. August 2018 und der Wartezeit für die Beratung des LVwG.

[46] 2.2.1. Dem Berufungsgericht ist zunächst zuzustimmen, dass dem Verwaltungsstrafverfahren, für das die Klägerin Rechtsschutzdeckung beansprucht, ein denkbar einfacher Sachverhalt, nämlich die Verletzung der Pflicht zur Lenkerauskunft, zu Grunde lag. Das wesentliche Vorbringen, die Klägerin habe die Lenkerauskunft per Fax übermittelt sowie das Beweisanbot (Einvernahme der Klägerin, Sendebestätigung) hätten ohne Weiteres zu Beginn des Verfahrens in einem Schriftsatz erstattet werden können.

[47] 2.2.2. Da der Behördentermin vom 6. Oktober 2016 aber nicht nur der Vorlage der Faxbestätigung, sondern auch der Erörterung der Zustellproblematik mit dem Sachbearbeiter diente, war er zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig und ist ersatzfähig. Ex ante betrachtet wäre nämlich eine Erledigung der Sache im Rahmen eines Behördentermins bei einem derart einfachen Sachverhalt realistisch gewesen.

[48] 2.2.3. Zur Stellungnahme vom 13. Oktober 2016 wurde der Klagevertreter zwar – zumindest implizit – von der Behörde aufgefordert (vgl auch § 24 VStG iVm § 39 Abs 2 AVG zur Mitwirkungspflicht der Partei), allerdings deckt sich diese inhaltlich mit jener vom 8. März 2016, sodass nicht erkennbar ist, inwiefern dieser Schriftsatz nach einer objektiven ex ante‑Beurteilung eine Förderung des Prozesserfolgs erwarten lassen konnte. Gleiches gilt für die Stellungnahme vom 15. März 2018: Auch darin werden lediglich schon bekannte Umstände wiederholt. Ob die Klägerin ein Verschulden an einem allfälligen Verlust der Telefaxsendung traf, ist nicht relevant, stand doch dieser Vorwurf gar nicht im Raum.

[49] 2.2.4. Die Stellungnahmen vom 5. Mai 2017 und 14. Juni 2017 betreffen die Frage der „richtigen“ Faxnummer der Klägerin. Da die Behörde trotz Vorliegens der positiven Faxsendebestätigung unter einer falschen Nummer suchte, lag ein aufklärungsbedürftiger Irrtum der Behörde vor, sodass die zweite Stellungnahme zweckentsprechend war, weil damit der Irrtum aufgeklärt werden konnte.

[50] 2.2.5. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in die Versäumung der Frist zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers war aussichtslos und daher zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig. Die Klägerin wurde am 29. August 2016 von der BH informiert, dass kein entsprechender Fax-Eingang zu finden sei und musste daher spätestens zu diesem Zeitpunkt erkennen, dass ihre Faxnachricht tatsächlich nicht bei der Behörde angekommen ist.

[51] Nach § 71 Abs 2 AVG, der gemäß § 24 VStG im Verwaltungsstrafverfahren gilt, beträgt die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag zwei Wochen ab Wegfall des Hindernisses. Diese Frist war am 15. März 2018 lange abgelaufen, konnte die Klägerin ihren Irrtum doch jedenfalls spätestens am 29. August 2016 erkennen (vgl allgemein dazu Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 101 f mit Nachweisen in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs). Folglich war auch die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags aussichtslos und damit nicht zweckentsprechend.

[52] Aus dem von der Revision herangezogenen Art 17.2.2.3. ARB 2003, wonach die Verletzung von Verkehrsvorschriften „unabhängig vom Ausgang des Verfahrens“ unter Versicherungsschutz falle, ist für die vorliegenden Frage nichts zu gewinnen. Art 17 ARB 2003 regelt den Umfang des Fahrzeug-Rechtsschutzes, trifft aber keine Aussage, welche Kosten im Sinn von Art 6.3. ARB 2003 ersatzfähig sind. Für die ex ante zu beurteilende Notwendigkeit der Kosten ist entgegen der Ansicht der Revision auch irrelevant, mit welcher Begründung die Behörde den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen hat.

[53] 2.2.6. Die Klägerin führt in diesem Zusammenhang mehrfach aus, ihr sei im Versicherungsvertragsverhältnis ein allfälliger Fehler ihres Rechtsanwalts nicht zuzurechnen. Hier geht es aber nicht um die Zurechnung eines Fehlverhaltens des Rechtsvertreters zu seiner Mandantin, sondern darum, ob die geltend gemachten Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren.

[54] 2.3. Zusammengefasst hat die Klägerin daher einen Anspruch gegen die Beklagte auf Deckung der Kosten des leeren Einspruchs vom 12. Februar 2016, der Kommission vom 18. Februar 2016, der Verhandlung vom 6. Oktober 2016, der Stellungnahmen vom 8. März 2016 und 14. Juli 2017, der Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 2. Mai 2018, der Beschwerdeverhandlung vom 2. August 2018 und der Wartezeit für die Beratung des LVwG.

[55] 3.1. Gemäß Art 6.6.1. ARB 2003 bezahlt der Versicherer die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes (RATG) oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Autonomen Honorarrichtlinien für Rechtsanwälte. In gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren werden Nebenleistungen des Rechtsanwalts maximal in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt.

[56] 3.2. Die Autonomen Honorarrichtlinien (AHR) bzw die Allgemeinen Honorar-Kriterien (AHK, ab 2005) beinhalten ein kodifiziertes Sachverständigengutachten über die Angemessenheit jener anwaltlichen Leistungen, die im RATG nicht geregelt sind (RS0038369; RS0038356 [T5]). Sie sind auch im Rahmen des Art 6.6.1. ARB 2003 für die Frage der Angemessenheit von anwaltlichen Leistungen heranzuziehen, die im RATG nicht geregelt sind (vgl 7 Ob 41/04m; 7 Ob 201/07w).

[57] 3.3. Die Revision argumentiert, ihr stehe für die Beschwerde gegen das Straferkenntnis die Verbindungsgebühr nach § 9 Abs 2 AHK in Höhe von 20 % zu, weil sie Grund und Höhe der Strafe bekämpft habe. Die Unrichtigkeit dieser Rechtsansicht hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 1 Ob 237/21s dargelegt:

[58] Die Beschwerde in Verwaltungsstrafsachen, mit der Schuldspruch und/oder Strafhöhe bekämpft werden können, kennt keine Unterscheidung zwischen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung. Nach § 13 Abs 4 AHK ist dessen § 9 nur sinngemäß anzuwenden; eine Unterscheidung soll danach erfolgen, ob sich das Rechtsmittel auf die Bekämpfung der Strafhöhe beschränkt oder darüber hinausgeht. In § 9 Abs 1 Z 1 bis 4 AHK werden niedrigere Honoraransätze für die Berufung wegen Strafe (vgl zum schöffengerichtlichen und geschworenengerichtlichen Verfahren § 283 Abs 1, § 346 StPO) und höhere für die volle Berufung bzw die Nichtigkeitsbeschwerde genannt. Diese Differenzierung gelangt auch für die Bescheidbeschwerde in Verwaltungsstrafsachen zur Anwendung, bei der es sich jedenfalls nicht um zwei verbundene Rechtsmittel handeln kann. Je nachdem, ob sich das Rechtsmittel nur gegen die Strafhöhe oder auch gegen die Bestrafung selbst richtet, kommt entsprechend § 9 Abs 1 AHK der niedrigere oder höhere Honoraransatz zur Anwendung. Ein Zuschlag von 20 % gemäß § 9 Abs 2 AHK, den die Klägerin für ihre Beschwerde und die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beansprucht, steht ihr dagegen nicht zu.

[59] Dieser überzeugenden Begründung schließt sich der erkennende Senat an.

[60] 3.4.1. Gemäß § 2 Abs 2 AHK ist bei der Beurteilung der Angemessenheit des Honorars zu berücksichtigen, ob diese Leistungen nach Art oder Umfang den Durchschnitt erheblich übersteigen oder unterschreiten. Schon in der Vorentscheidung führte der Oberste Gerichtshof aus, dass von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit, Abschläge vorzunehmen, hier Gebrauch zu machen ist (7 Ob 208/22x).

[61] 3.4.2. Die von der Klägerin behauptete „Doppelverwertung“ zu ihrem Nachteil durch die Vorinstanzen liegt nicht vor: Im vorliegenden Fall sind die Kosten bestimmter Vertretungshandlungen nicht gedeckt, weil sie nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren. Für die notwendigen Vertretungshandlungen ergäbe sich aufgrund der grundsätzlich anzuwendenden Honoraransätze für das geschworenengerichtliche Verfahren eine unangemessen hohe Entlohnung, weshalb die Vorinstanzen zutreffend einen Abschlag vorgenommen haben.

[62] 3.4.3. Warum dieser Abschlag mit 25 % begrenzt sein soll, wie dies Teile des Schrifttums behaupten (Ziehensack, Praxiskommentar Kostenrecht § 4 AHK Rz 1421; Thiele, Anwaltskosten4 § 2 AHK Rz 9), ist weder den AHK noch den Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs (RL‑BA 2015) zu entnehmen. Im Übrigen ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, dass die Kürzung des Honorars schon deshalb nicht mit einem bestimmten Prozentsatz limitiert sein kann, weil Zweck des § 2 Abs 2 AHK die Festsetzung des für den konkreten Einzelfall angemessenen Honorars ist.

[63] 3.4.4. Aufgrund der Anwendung der für ein geschworenengerichtliches Verfahren angemessenen Honoraransätze sowie der Heranziehung einer Bemessungsgrundlage von (damals) 26.200 EUR auf ein Verwaltungsstrafverfahren, in dem eine Geldstrafe von 300 EUR verhängt wurde und in dem lediglich die Übermittlung der Lenkerauskunft an die Behörde strittig war, ist ein Abschlag gemäß § 2 Abs 2 AHK von 50 % angemessen. Da die Höhe des angemessenen Honorars strittig ist und ein innerer Zusammenhang zwischen dem Abschlag gemäß § 2 Abs 2 AHK und dem Erfolgszuschlag gemäß § 13 AHK besteht, ist der Oberste Gerichtshof auch nicht an den von den Vorinstanzen vorgenommenen Abschlag von 25 % gebunden (vgl RS0043352).

[64] 3.5.1. Für Leistungen eines Rechtsanwalts im Verwaltungsstrafverfahren gilt § 13 AHK, nach dessen Abs 1 die Kriterien der §§ 8 Abs 1 sowie 9 bis 12 AHK sinngemäß anzuwenden sind. Gemäß § 12 AHK kann ein Erfolgszuschlag von bis zu 50 % des Honorarbetrags verrechnet werden, wenn das Verfahren eingestellt wird oder das Urteil auf Freispruch lautet oder ein wegen eines Verbrechens Angeklagter (bloß) wegen eines Vergehens oder eines mit einem niedrigeren Strafsatz bedrohten Verbrechens verurteilt wird. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung kommt es für den Erfolgszuschlag nur auf den im Verfahren erzielten Erfolg an. Andere Kriterien nennt § 12 AHK nicht. Ausgehend davon hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung zu 1 Ob 115/22a festgehalten, dass der in § 12 AHK vorgesehene Erfolgszuschlag an das Ergebnis des (Verwaltungs-)Strafverfahrens anknüpft und bei einem gänzlichen Erfolg grundsätzlich mit 50 % zusteht.

[65] 3.5.2. Fraglich ist, ob die vom Gesetz für den Zuschlag vorgegebene Bandbreite von bis zu 50 % des Honorarbetrags ausschließlich an den Verfahrenserfolg anknüpft und damit lediglich etwa eine geringere Strafe als Teilerfolg zu berücksichtigen ist oder die Höhe des Erfolgszuschlags auch nach dem Umfang der Tätigkeit und der Komplexität des Sachverhalts im Einzelfall unter Berücksichtigung von § 2 Abs 2 AHK bestimmt werden kann (vgl etwa Thiele, Anwaltskosten4 § 12 AHK Rz 7 [für eine Herabsetzung in Verwaltungsstrafsachen im Einzelfall Rz 8]; Oberlaber, Der Erfolgszuschlag des Strafverteidigers gemäß § 12 AHK, AnwBl 2020, 461 [494 ff]; ausschließlich auf den Erfolg abstellend etwa Engelhart in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 §§ 15, 16 Rz 12, unter Verweis auf die Entscheidung 1 Ob 115/22a, die allerdings eine Berücksichtigung der Verdienstlichkeit nach den Kriterien des [nun] § 2 Abs 2 AHK ausdrücklich offengelassen hat).

[66] 3.5.3. Dem Berufungsgericht ist zunächst zuzustimmen, dass eine gewisse Verdienstlichkeit der Tätigkeit des Rechtsanwalts für den als Erfolg aufgefassten Ausgang eines Verfahrens jedenfalls vorliegen muss. Andernfalls wäre nämlich ein Zuschlag von 50 % allein aufgrund des Verfahrensausgangs (Freispruch), der ohne jegliche Mitwirkung des Verteidigers zustande kam (zB aufgrund Verjährung der Strafbarkeit, die dem Verteidiger nicht bewusst war, sodass er dazu nichts ausgeführt hat), nach Angemessenheitskriteriennicht zu rechtfertigen.

[67] Die Komplexität der Rechtssache ist aber kein Aspekt dieser „Verdienstlichkeit“ und damit kein Grund für die Minderung des Erfolgszuschlags. Dieser Umstand kann vielmehr nur zur Minderung jenes Honorars herangezogen werden, zu dem dann der Erfolgszuschlag hinzuzurechnen ist, käme es doch sonst zu einer doppelten Berücksichtigung der Minderkomplexität einer Rechtssache. Die prozentuelle Höhe des Erfolgszuschlags selbst ist vielmehr nur dann zu mindern, wenn der Rechtsanwalt zur Erreichung des Erfolgs nicht oder nur unterdurchschnittlich in dem Sinn verdienstlich geworden ist, als dass sich seine Tätigkeit nicht oder nur gering auf den Verfahrenserfolg ausgewirkt hat, wie etwa im oben genannten Beispiel oder wenn ein Verteidiger im Strafverfahren bloß „auf dem Trittbrett“ des Verteidigers eines Mitbeschuldigten „mitfährt“, ohne selbst Initiativen in Richtung eines Erfolgs gesetzt zu haben (vgl Oberlaber, AnwBl 2020, 461 [496 f]).

[68] Ein solcher Umstand liegt hier aber nicht vor, vielmehr war der Klagevertreter für die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens voll verdienstlich, sodass ihm ein Erfolgszuschlag von 50 % – auf Basis des gemäß § 2 Abs 2 AHK reduzierten angemessenen Honorarbetrags (arg „Erfolgszuschlag bis zu 50% des Honorarbetrags“ in § 12 AHK) – zusteht.

[69] 4.1. Zusammengefasst sind daher nachstehende Kosten als notwendig und angemessen im Sinn des Art 6 ARB 2003 zu qualifizieren und von der Beklagten zu ersetzen:

Einspruch 12.2.2016

TP 2 EUR 323,60

50 % ES EUR 161,80

Akteneinsicht BH

TP 7/2 (½) EUR 219,60

50 % ES EUR 109,80

Verhandlung 6.10.2016

TP 3A (½) EUR 639,20

50 % ES EUR 319,60

Stellungnahme 8.3.2016

TP 3A EUR 639,20

50 % ES EUR 319,60

Stellungnahme 14.7.2017

TP 3A EUR 639,20

50 % ES EUR 319,60

Beschwerde

§ 9 Abs 1 Z 4 lit d AHK EUR 976,00

50 % ES EUR 488,00

Beschwerdeverhandlung

§ 9 Abs 1 Z 4 lit e AHK (3/2) EUR 1.952,00

100 % ES EUR 1.952,00

Wartezeit TP 7/2 (½) EUR 219,60

50 % ES EUR 109,80

Zwischensumme_1 EUR 9.388,60

Abschlag § 2 Abs 2 AHK 50 % EUR 4.694,30

Zwischensumme_2 EUR 4.694,30

Erfolgszuschlag 50 % EUR 2.347,15

Zwischensumme_3 EUR 7.041,45

USt 20 % EUR 1.408,29

Gesamt EUR 8.449,74

 

[70] 4.2. Die Beklagte bezahlte bereits 7.000 EUR an Vertretungskosten, sodass der Klägerin weitere 1.449,47 EUR samt den unstrittigen Zinsen zustehen.

[71] 5. Der Revision der Klägerin war daher im Ergebnis teilweise Folge zu geben und die Entscheidung wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

[72] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 2 erster Fall ZPO, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 ZPO. Ändert sich – wie hier – durch die Revisionsentscheidung die Obsiegensquote nur geringfügig, kann von einer Neufassung der Kostenentscheidungen der Vorinstanzen Abstand genommen werden (2 Ob 103/15h mwN; Obermaier, Kostenhandbuch4 Rz 1.456).

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