OGH 7Ob208/22x

OGH7Ob208/22x19.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* T*, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 19.644,68 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. September 2022, GZ 1 R 66/22i‑26, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 11. Mai 2022, GZ 6 Cg 97/21z‑20, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00208.22X.0419.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.

 

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen der Klägerin als Versicherungsnehmerin und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2003) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 1

Was ist Gegenstand der Versicherung?

Der Versicherer sorgt für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers und trägt die dem Versicherungsnehmer dabei entstehenden Kosten.

[…]

Artikel 6

Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Falle seiner Leistungspflicht die ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Deckungsanspruches entstehenden Kosten gemäß Punkt 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind. […]

3. Notwendig sind die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf deren Erfolg besteht.

[...]

6. Der Versicherer zahlt

6.1. die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen inländischen Rechtsanwaltes bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Autonomen Honorarrichtlinien für Rechtsanwälte.

In gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren werden Nebenleistungen des Rechtsanwaltes maximal in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt.

[…]

Art 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten?

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet, [...]

1.3. Kostenvorschreibungen, die ihm zugehen, vor ihrer Begleichung unverzüglich dem Versicherer zur Prüfung zu übermitteln

1.4. alles zu vermeiden, was die Kosten unnötig erhöht oder die Kostenerstattung durch Dritte ganz oder teilweise verhindert.“

[2] Eine Bezirkshauptmannschaft forderte die Klägerin mit Schreiben vom 10. August 2015 zur Bekanntgabe des Lenkers des auf sie zugelassenen Pkws auf, der dieses am 23. April 2015 auf einem bestimmten Abschnitt der Autobahn A10 gelenkt hatte. Diese Aufforderung wurde der Klägerin am 12. August 2015 zugestellt.

[3] Am 21. August 2015 übermittelte die Klägerin das handschriftlich ausgefüllte Auskunftsschreiben per Telefax an die Behörde und gab ihren Lebensgefährten als auskunftspflichtige Person bekannt, im Wissen, dass dieser der tatsächliche Lenker war. Diese Information sandte sie von ihrem Faxgerät an die Faxnummer der Bezirkshauptmannschaft und erhielt einen positiven Fax‑Sendebericht. Auf dem Sendebericht schien die Faxnummer der Klägerin nicht auf. Es kann nicht festgestellt werden, ob diese von der Klägerin gesendete Faxnachricht bei der Behörde eingegangen ist.

[4] Mit Strafverfügung vom 1. Februar 2016 verhängte eine andere Bezirkshauptmannschaft (in der Folge: BH) gemäß § 134 Abs 1 KFG über die Klägerin eine Geldstrafe von 300 EUR für die Übertretung nach § 103 Abs 2 KFG mit der Begründung, dass sie die angeforderte Lenkerauskunft nicht erbracht habe. In der Strafverfügung war angeführt, dass die Behörde der Klägerin am 12. August 2015 ein schriftliches Verlangen auf Auskunftserteilung zugestellt habe.

[5] Die Klägerin wandte sich am 12. Februar 2016 oder kurz davor an ihren Rechtsvertreter zur Bekämpfung der Strafverfügung. Sie teilte ihm mit, dass sie alles richtig gemacht und dennoch eine Strafverfügung bekommen habe, die sie nun bekämpfen möchte. Er fragte die Klägerin, ob sie die Anfrage der Behörde und ihre Antwort noch vorliegen habe, was sie aufgrund des Zeitablaufs von mehr als fünf Monaten verneinte. Er vereinbarte mit der Klägerin, zunächst einen leeren Einspruch zu erstatten und dann bei der Behörde Akteneinsicht zu nehmen. Nicht festgestellt werden kann, ob der Rechtsanwalt sie fragte, auf welche Art und Weise sie die Lenkerauskunft übermittelte.

[6] Am 12. Februar 2016 unterfertigte die Klägerin die Rechtsanwaltsvollmacht. Darin wurde die Anwendung der Allgemeinen Honorarkriterien (AHK) und weiters vereinbart, dass der Rechtsanwalt nach seiner Wahl auch berechtigt ist, alternativ ein Stundenhonorar von 300 EUR zuzüglich USt zu verrechnen. Darüber hinaus wurde vereinbart: „Im Falle des Bestehens einer Rechtsschutzversicherung ist der Bevollmächtigte nicht verpflichtet, eine Honorarabrechnung mit der Rechtsschutzversicherung durchzuführen oder auch nur einen Deckungsanspruch zu prüfen. Eine Inanspruchnahme obliegt ausschließlich dem Vollmachtgeber. Der Vollmachtgeber haftet persönlich für sämtliche auflaufenden (tariflichen) Kosten bzw des verrechneten Stundenhonorars.“

[7] Noch am 12. Februar 2016 übermittelte der Klagevertreter die Strafverfügung der BH an die Beklagte und ersuchte um Deckungszusage für die Verteidigung im Verwaltungsstrafverfahren.

[8] Ebenfalls am 12. Februar 2016 erhob er gegen die Strafverfügung einen „leeren“ Einspruch.

[9] Am 16. Februar 2016 erteilte die Beklagte für das verwaltungsbehördliche Strafverfahren die Deckungszusage.

[10] Am 18. Februar 2016 nahm der Klagevertreter bei der BH vor Ort Einsicht in den elektronisch geführten Akt. Er überprüfte, ob die Lenkeranfrage ordnungsgemäß ausgestellt worden sei. Ihm wurde mitgeteilt, dass diese der Klägerin am 12. August 2015 per Hinterlegung zugestellt worden war. Weitere Erhebungen stellte der Klagevertreter im Rahmen der Kommission nicht an. Er überprüfte insbesondere nicht, ob sich im Akt eine Lenkerauskunft befand.

[11] Nach der Akteneinsicht am 18. Februar 2016 ersuchte der Klagevertreter die Klägerin doch noch Nachschau nach der von ihr erteilten Lenkerauskunft zu halten. Die Klägerin fand die Lenkerauskunft und übermittelte sie an ihren Vertreter.

[12] Die Behörde bestätigte am 24. Februar 2016 die Rechtzeitigkeit des Einspruchs und forderte die Klägerin zur weiteren Begründung des Einspruchs binnen zwei Wochen auf.

[13] Die Stellungnahme der Klägerin an die BH vom 8. März 2016 enthielt die Bestreitung des Tatvorwurfs und das Vorbringen, die Klägerin habe fristgerecht per Fax mitgeteilt, dass sie die gewünschte Auskunft nicht erteilen könne und eine auskunftspflichtige Person bekanntgegeben habe. DieFaxnachricht der Beklagten legt der Klagevertreter nicht vor, weil er davon ausging, sie würde der Behörde vorliegen.

[14] Am 29. August 2016 wurde die Klägerin von der BH informiert, dass kein entsprechender Fax-Eingang zu finden sei, es könne aber eine schriftliche Stellungnahme binnen zwei Wochen, oder eine mündliche Stellungnahme bei der Behörde vor Ort oder an einem zu vereinbarenden Termin erstattet werden. Der Rechtsanwalt berichtete der Klägerin von dem Schreiben und vereinbarte mit ihr, dass er ihre Interessen bei dem Behördentermin am 6. Oktober 2016 wahrnehmen werde.

[15] Die Klägerin erschien bei diesem Termin nicht. Ihr Rechtsvertreter legte der Behörde eine beantwortete Lenkerauskunft samt positiver Faxbestätigung vor. Im Protokoll wurde festgehalten, dass dieses Schriftstück der Behörde bislang nicht vorlag. Der Termin dauerte von 8:50 Uhr bis 9:15 Uhr. Der Klagevertreter erörterte mit dem Sachbearbeiter ausführlich, dass es immer wieder Zustellprobleme gäbe. Der Sachbearbeiter meinte, er solle dieses Vorbringen im Rahmen einer schriftlichen Stellungnahme abgeben, was der Klagevertreter als Auftrag zur Stellungnahme auffasste und im Protokoll wie folgt festgehalten wurde: „Der Vertreter der Beschuldigten wird auch eine weitere schriftliche Stellungnahme bis zum 14. Oktober 2016 erstatten.“ Im Oktober 2016 war die Klägerin insofern zeitlich sehr eingeschränkt, als ihr querschnittgelähmter Bruder aus der Reha entlassen wurde, um den sie sich kümmerte; außerdem war der Umbau des Hauses im Gange. Nicht festgestellt werden kann, ob das Verfahren sofort eingestellt worden wäre, wenn die Klägerin zur Verhandlung gekommen wäre und persönlich ausgesagt hätte.

[16] In der Stellungnahme vom 13. Oktober 2016 an die BH führte der Klagevertreter aus, dass die Faxsendung der Klägerin bei der Behörde offenbar in Verstoß geraten sei. Sie habe fristgerecht die Anfrage beantwortet und bekanntgegeben, dass ihr Lebensgefährte die gewünschte Auskunft erteilen könne und diesen die Auskunftspflicht treffe. Sie habe eine positive Faxbestäigung erhalten, die sie unter einem vorlege.

[17] Am 20. April 2017 wurde der Klägerin von der BH mitgeteilt, dass an die Faxnummer der (anderen) BH kein Fax von einer in der Folge konkret angeführten Nummer übermittelt worden sei. Im Anhang wurden diverse E-Mails über behördeninterne Nachforschungen übermittelt. Eine Stellungnahme dazu könne binnen zwei Wochen schriftlich oder bei der Behörde vor Ort erstattet werden.

[18] In der Stellungnahme vom 5. Mai 2017 gab der Klagevertreter bekannt, dass es sich bei der von der Behörde recherchierten Faxnummer um seine Nummer handle und er zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht mit der Rechtssache befasst gewesen sei. Die Lenkerauskunft sei vom Faxgerät der Klägerin gesandt worden. Er nannte nicht die Faxnummer der Klägerin, sondern nur die Uhrzeit der Fax-Übertragung und regte an, den Zeitraum von 11:00 Uhr bis 14:00 Uhr zu überprüfen. Die Faxnummer der Klägerin führte der Klagevertreter nicht an, weil er davon ausging, dass die Behörde nicht nach Faxnummern suche, sondern nach einem Schreiben mit einem bestimmten Inhalt und auch bei vielen Faxsendungen die Absendernummer nicht übertragen werde.

[19] Am 30. Mai 2017 forderte die BH die Klägerin zur Bekanntgabe ihrer Faxnummer auf.

[20] In der Stellungnahme vom 14. Juni 2017 gab die Klägerin ihre Faxnummer bekannt, teilte jedoch mit, dass ihre Faxnummer möglicherweise bei der Übermittlung der Fax-Nachricht nicht mitgesendet worden sei.

[21] Mit einem der Klägerin am 1. März 2018 zugestellten Schreiben teilte die BH mit, dass unter der angegebenen Nummer der Klägerin kein Fax bei der Behörde eingegangen sei und legte dabei den behördeninternen E‑Mail‑Verkehr vor. Dazu könne eine Stellungnahme binnen zwei Wochen oder bei der Behörde vor Ort erstattet werden.

[22] In der Stellungnahme vom 15. März 2018, die er um 22:49 Uhr der BH übermittelte, führte der Klagevertreter erneut aus, dass die Lenkerauskunft fristgerecht an die richtige Faxnummer übermittelt worden sei und die Klägerin damals eine positive Sendebestätigung erhalten habe. Im selben Schriftsatz stellte der Rechtsvertreter der Klägerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Seiner Mandantin sei erstmals durch Übermittlung des behördeninternen E‑Mail‑Verkehrs zur Kenntnis gelangt, dass am 21. August 2015 zwischen 11:00 Uhr und 14:00 Uhr kein entsprechendes Fax vom Faxgerät der Klägerin aufgefunden worden sei.

[23] Mit Straferkenntnis vom 3. April 2018 wurde über die Klägerin wegen Übertretung des § 103 Abs 2 KFG eine Verwaltungsstrafe von 300 EUR verhängt. Mit Bescheid vom selben Tag wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als verspätet zurückgewiesen. Der Rechtsvertreter sei am 1. März 2018 über die nicht erfolgte Übermittlung der Lenkerauskunft informiert worden. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei per E‑Mail am 15. März 2018 um 22:11 Uhr außerhalb der Amtsstunden übermittelt worden, sodass er erst am 16. März 2018 als eingelangt gelte.

[24] Mit Schreiben vom 5. April 2018 informierte der Klagevertreter die Beklagte über den Verfahrensstand und teilte mit, dass trotz Vorlage der Lenkerauskunft ein Straferkenntnis gegen die Klägerin erlassen worden sei. Er ersuchte um Deckungszusage zur Erhebung einer Beschwerde gegen das Straferkenntnis und einer Beschwerde gegen den zurückgewiesenen Wiedereinsetzungsantrag.

[25] Am 13. April 2018 erteilte die Beklagte die Rechtsschutzdeckung zur Erhebung einer Beschwerde gegen das Straferkenntnis. Die Deckung für das Wiedereinsetzungsverfahren lehnte sie mit der Begründung ab, dass die Vertretung von Verwaltungsverfahren gemäß Art 1 ARB 2003 nicht Gegenstand der Rechtsschutzversicherung sei.

[26] Der Klagsvertreter informierte die Klägerin über die Deckungsablehnung der Beklagten. Die Klägerin wollte unabhängig von der Deckungszusage alle Rechtsmittel zur Bekämpfung des Straferkenntnisses ausschöpfen.

[27] Am 2. Mai 2018 brachte die Klägerin eine Beschwerde gegen das Straferkenntnis beim Landesverwaltungsgericht (LVwG) ein. Das LVwG beraumte für den 2. August 2018 eine Verhandlung an, zu der der Rechtsvertreter der Klägerin geladen wurde. Das LVwG hob nach Durchführung der Verhandlung das angefochtene Straferkenntnis ersatzlos auf und stellte das Verfahren gegen die Klägerin ein. In der Begründung führte es aus, es sei nicht eindeutig feststellbar, ob die von der Klägerin übermittelte Lenkerauskunft tatsächlich nie bei der Behörde eingelangt sei. Dem Sendebericht mit dem Vermerk „ok“ stehe das Anfrageergebnis bei der Landesinformatik gegenüber. Da das Faxgerät der Klägerin nicht mehr existiere, seien ergänzende Erhebungen nicht möglich gewesen. Die Angaben der Klägerin seien nicht unglaubwürdig, stünden aber den aktenkundigen Angaben der Landesinformatik, an deren Richtigkeit grundsätzlich auch nicht zu zweifeln sei, entgegen. Nach dem Grundsatz in dubio pro reo sei daher das Verfahren einzustellen.

[28] Die Verhandlung begann um 10:00 Uhr, wurde um 11:06 Uhr geschlossen und nach einer Unterbrechung um 11:32 Uhr zur Urteilsverkündung aufgerufen.

[29] Die gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags von der Klägerineingebrachte Beschwerde vom 8. Juni 2018 wurde mit Urteil des LVwG vom 18. Juni 2018 abgewiesen. Das LVwG begründete die Abweisungzusammengefasst damit, dass der Fristenlauf für die Einbringung des Antrags am 1. März 2018 begonnen und daher die zweiwöchige Frist am 15. März 2018 geendet habe. Der Antrag am 15. März 2018 sei daher verspätet, da außerhalb der Amtsstunden der belangten Behörde, eingebracht worden.

[30] Am 14. November 2018 richtete der Klagevertreter nachstehendes Schreiben an die Klägerin: „... Ich darf Ihnen daher die Kosten meines Einschreitens laut beiliegender tariflicher Kostennote mit dem Betrag von € 24.712,20 bekanntgeben. Aufgrund der Deckungszusage Ihrer RS‑Versicherung für die Verteidigung im Verwaltungsstrafverfahren sind die Kosten weitestgehend, nämlich im Betrag von € 22.077,00 von der RS‑Versicherung zu tragen und habe ich diese mit gleicher Post aufgefordert, ihrer Kostenfreistellungspflicht nachzukommen und mein Honorar an mich anzuweisen. Zum Näheren darf ich auf die beiliegende detaillierte Honorarnote verweisen. Die Differenz ergibt sich aus den Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens, für das Ihre RS‑Versicherung eine Kostendeckung abgelehnt hat.“

[31] Am selben Tag ersuchte der Klagevertreter die Beklagte um Anweisung seines Honorars in Höhe von 22.077 EUR.

[32] Die Beklagte antwortete am 14. Dezember 2018 wie folgt: „Bei Durchsicht Ihrer Honorarnote stellen wir über die unzutreffende Verzeichnung der Beschwerde gemäß lit. d und der Beschwerdeverhandlung gemäß lit. e hinaus fest, dass das verzeichnete Honorar die Grenzen der Angemessenheit gemäß § 1 AHK im Hinblick auf die konkrete Auseinandersetzung nicht einhält. Von einer angemessenen Bemessungsgrundlage Ihrer Vertretung von EUR 300,00 (Strafhöhe) ausgehend, überweisen wir den, mehr als entgegenkommenden, Betrag von EUR 7.000 als Pauschale und gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit endgültig erledigt ist.“

[33] Der Klägerin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 14. Dezember 2018 mit: „In dieser Angelegenheit hat uns Ihre Rechtsvertretung die Honorarnote übergeben, auf die wir mehr als angemessene EUR 7.000,00 zur Anweisung bringen. Sollte Ihr Rechtsvertreter Ihnen aus dieser Angelegenheit Honorar vorschreiben, ersuchen wir Sie dringend, diese Vorschreibung nicht zu zahlen, sondern unverzüglich an uns … zur Prüfung weiterzuleiten, um Ihren Anspruch aus dem Rechtsschutzversicherungsverhältnis nicht zu gefährden.“

[34] Am 12. Juni 2019 teilte der Klagevertreter der Klägerin mit, dass er aufgrund der Weigerung der Beklagten, die Kosten seines Einschreitens zu begleichen, eine Klage vorbereitet habe. Gleichzeitig wurde die Kostennote um einen Zuschlag für die Verbindung einer Strafberufung mit einer Anfechtung dem Grunde nach berichtigt und die Kosten wie folgt bekanntgegeben:

[35] Mit Klage vom 12. Juli 2019 begehrte die Klägerin von der Beklagten Zahlung von 19.644,68 EUR sA und erhob in eventu ein Begehren auf Feststellung der Zahlungspflicht sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht in Höhe der Kosten. Diese Begehren wurden mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 24. Februar 2021, 7 Ob 143/20k, rechtskräftig abgewiesen. Der Geldleistungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten sei mangels Zahlung nicht fällig, sodass das Hauptbegehren schon deshalb nicht berechtigt sei. Auch beide Eventualfeststellungsbegehren seien abzuweisen, weil diese voraussetzten, dass die inhaltliche und umfängliche Berechtigung des Honoraranspruchs des Klagevertreters gegenüber der Beklagten festgestellt werde, was jedoch nicht in diesem Verfahren, sondern in ihrem Verhältnis zum Kostengläubiger zu erfolgen habe.

[36] Am 26. August 2021 bezahlte die Klägerin an den Klagevertreter für dessen Rechtsvertretung 26.644,68 EUR. Der bereits von der Beklagten bezahlte Betrag von 7.000 EUR wurde der Klägerin vom Klagevertreter rücküberwiesen.

[37] Die Klägerin begehrt Zahlung von 19.644,68 EUR. Da sie den Klagevertreter nunmehr bezahlt habe, sei ihr Geldleistungsanspruch gegenüber der Beklagten fällig. Die von der Beklagten zugesagte Kostenübernahme für ein Verfahren zwischen der Klägerin und dem Klagevertreter erübrige sich damit. Sämtliche Kosten seien zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen, sodass die Beklagte zu deren Zahlung verpflichtet sei.

[38] Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Die Klägerin habe den gewährten Rechtsschutzdeckungsanspruch für einen Honorarprozess mit ihrem Vertreter missachtet, sodass das Begehren abzuweisen sei. Die geltend gemachten Kosten seien einerseits nicht angemessen im Sinn des Art 6.1. ARB 2003, andererseits seien sie großteils auch nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen. Mit den der Klägerin bezahlten 7.000 EUR habe die Beklagte ihre Leistungspflicht vollständig erfüllt.

[39] Das Erstgerichtverpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 9.513,20 EUR sA, das Mehrbegehren von 10.131,48 EUR sA wies es ab. Da die Klägerin zwischenzeitlich das Honorar ihres Kostengläubigers bezahlt habe, habe sich ihr Befreiungsanspruch in einen Geldleistungsanspruch gegen die Beklagte umgewandelt. Gemäß § 13 Abs 1 Z 4 AHK iVm § 9 Abs 1 Z 4 AHK seien die Leistungen des Klagevertreters nach den im geschworenengerichtlichen Verfahren geltenden Honoraransätzen zu bemessen. Für weitere, dieser Bestimmung nicht unterstellte, Leistungen seien gemäß § 10 AHK die Honoraransätze der TP 1 bis 3 und TP 5 bis 9 RATG zu Grunde zu legen, wobei die Bemessungsgrundlage 26.200 EUR betrage. Allerdings seien nur der Einspruch, die Kommission, eine Stellungnahme, die Verhandlung vor der Behörde, die Beschwerde und die Beschwerdeverhandlung zweckentsprechend gewesen. Unter der Berücksichtigung des Erfolgszuschlags von 50 % ergebe sich ein Ersatzbetrag von 16.513,20 EUR (inklusive USt). Abzüglich der bereits bezahlten 7.000 EUR habe die Beklagte der Klägerin 9.513,20 EUR zu bezahlen.

[40] Das Berufungsgericht gab nur der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Der Versicherer habe ein Wahlrecht dahin, dass er alternativ zur Bezahlung der Rechnung – zunächst – Abwehrdeckung gewähren könne. Lehne der Versicherer – wie hier – den Ausgleich aller oder eines Teils der verrechneten Kosten ab, so bestehe der Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers darin, dass ihm der Versicherer Deckung für die Abwehr des von ihm als unberechtigt erachteten Anspruchs zu gewähren habe. Damit sei der Versicherungsnehmer nicht berechtigt, seinen Versicherer wegen streitiger Honoraransprüche gerichtlich in Anspruch zu nehmen. Da die Beklagte eine „Kostenfreistellung“ für das Wiedereinsetzungsverfahren abgelehnt habe, habe sich hingegen diesbezüglich ein allenfalls zu Recht bestehender Anspruch der Klägerin infolge Befriedigung der insoweit erhobenen Kostenforderung ihres Rechtsvertreters in einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte umgewandelt. Allerdings beruhe das gesamte Wiedereinsetzungsverfahren auf nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Verfahrenshandlungen, sodass ohnehin kein Honoraranspruch bestehe. Das Klagebegehren sei daher abzuweisen.

[41] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Frage, ob der Versicherungsnehmer das Recht habe, auch nach Ausübung des Wahlrechts des Versicherers, durch Befriedigung des Kostengläubigers den ihm gegen den Versicherer zustehenden Freistellungsanspruch in einen Geldanspruch umzuwandeln, oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

[42] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[43] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[44] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[45] 1. Bei der Rechtsschutzversicherung sorgt der Versicherer für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers in den im Vertrag umschriebenen Bereichen und trägt die dem Versicherungsnehmer dabei entstehenden Kosten (§ 158j Abs 1 erster Satz VersVG).

[46] 2. Die Rechtsschutzversicherung als passive Schadensversicherung (RS0127808) schützt den Versicherungsnehmer gegen das Entstehen von Verbindlichkeiten (Passiva). Sie bietet daher Versicherungsschutz gegen die Belastung des Vermögens des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten (7 Ob 215/11k mwN). Die Hauptleistungspflicht des Versicherers in der Rechtsschutzversicherung besteht in der Kostentragung (RS0081895 [T1]) im Umfang der angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen inländischen Rechtsanwalts (7 Ob 123/20v).

[47] 3.1. Beim aus der Rechtsschutzversicherung resultierenden Anspruch handelt es sich (zunächst) um einen Befreiungsanspruch, somit nicht (primär) um einen Geldanspruch (7 Ob 143/20k mwN).

[48] 3.2. Freistellung von Anwaltskosten bedeutet, dass der Versicherer diese entweder nach Grund und Höhe anerkennt und zahlt oder für Ansprüche, die er für unberechtigt hält, die Kosten zu deren Abwehr übernimmt. In jedem Fall hat er dafür zu sorgen, dass der Versicherungsnehmer selbst keine Kosten zu tragen hat (RS0127808 [T1]). Der Versicherer hat also ein Wahlrecht dahin, dass er alternativ zur Bezahlung der Rechnung – zunächst – Abwehrdeckung gewährt; dann muss er sich mit dem Anwalt als Kostengläubiger auseinandersetzen und den Versicherungsnehmer bei gerichtlicher Inanspruchnahme durch Kostenübernahme unterstützen. Lehnt somit der Versicherer den Ausgleich aller oder eines Teils der verzeichneten Kosten ab, so besteht der Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers darin, dass ihm der Versicherer Deckung für die Abwehr des von ihm als unberechtigt erachteten Anspruchs zu gewähren hat; ob und in welcher Höhe eine Kostenschuld des Versicherungsnehmers besteht, ist verbindlich nur in einem Verfahren zwischen dem Kostengläubiger und dem Versicherungsnehmer zu klären (RS0127808 [T3]).

[49] 3.3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte der Klägerin unstrittig Abwehrdeckung für einen allfälligen Honorarprozess des Klagevertreters gegen die Versicherungsnehmerin gewährt. Die Beklagtehat damit ihr Wahlrecht ausgeübt und dabei die Klägerin von den gesamten Kosten des Klagevertreters freigestellt. Erst nach dieser Erklärung der Beklagten bezahlte die Klägerin die Honorarforderung ihres Vertreters.

[50] 3.4. Nach ständiger Rechtsprechung verwandelt sich der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers in einen Kostenerstattungsanspruch gegen seinen Rechtsschutzversicherer, wenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger befriedigt hat (RS0129063 [T1]).

[51] Es stellt sich daher hier die Frage, ob dies auch dann gilt, wenn der Versicherer Abwehrdeckung für einen Honorarprozess gewährt, der Versicherungsnehmer sich aber auf einen solchen nicht einlässt, sondern seinen Kostengläubiger befriedigt (vgl BGH IV ZR 215/16 = r+s 2018, 297 = NJW 2018, 1971 [Armbrüster]; krit Schmitt in Harbauer, ARB9 § 1 ARB 2010 Rn 23; Lensing, r+s 2018, 429 zu BGH IV ZR 215/16):

[52] 3.4.1. Die vom Rechtsschutzversicherer zu erbringende Leistung richtet sich gemäß Art 6 ARB 2003 nach den notwendigen Kosten, die die Bedingungen als die zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechenden und nicht mutwilligen Kosten mit hinreichender Aussicht auf deren Erfolg definieren und der Höhe nach mit dem Rechtsanwaltstarifgesetz (RATG) bzw in Ermangelung dessen Anwendbarkeit mit den Autonomen Honorarrichtlinien (AHR) begrenzen.

[53] Der Honoraranspruch des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten richtet sich hingegen primär nach der zwischen den beiden getroffenen Vereinbarung. Besteht keine Vereinbarung, hat der Rechtsanwalt Anspruch auf angemessenes Entgelt, für das in erster Linie der Rechtsanwaltstarif heranzuziehen ist (RS0038356). Besteht auch kein Tarif, kommt den Allgemeinen Honorar-Kriterien (AHK) als qualifiziertes Gutachten über die Angemessenheit der im RATG nicht näher geregelten anwaltlichen Leistungen Bedeutung zu (RS0038369; RS0038356 [T5]).

[54] 3.4.2. Hier erfolgte unbestritten der Auftrag an den Rechtsvertreter unmittelbar durch die Klägerin, die Beklagte wurde erst danach kontaktiert und erteilte dann ihre Deckungszusage.

[55] 3.4.3. Insbesondere in diesem Fall sind der Honoraranspruch des Rechtsvertreters gegen den Auftraggeber und Versicherungsnehmer und die letzterem gegen seinen Versicherer zustehende Versicherungsleistung nicht zwingend deckungsgleich, wie etwa bei Vereinbarung eines – hier der Wahl des Rechtsanwalts anheimgestellten – Stundensatzhonorars. Dann würde aber der Streit zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer über die Höhe der Versicherungsleistung durch den Honorarprozess unnötig prolongiert werden, weil auch nach dessen rechtskräftiger Beendigung nicht feststünde, in welchem Ausmaß der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer zahlungspflichtig ist.

[56] 3.4.4. In der vorliegenden Konstellation ist es somit sachgerecht, letztlich den Versicherungsnehmer entscheiden zu lassen, ob er – mit Abwehrdeckung des Versicherers – den Honorarprozess mit seinem Rechtsvertreter, oder nach Bezahlung seines Kostengläubigers einen Deckungsprozess mit seinem Rechtsschutzversicherer führen will. Dieses Recht kann der Versicherer auch nicht dadurch konterkarieren, dass er dem Versicherungsnehmer die „Weisung“ erteilt, die Honorarnote seines Rechtsanwalts nicht zu bezahlen. Die Bezahlung des Rechtsvertreters nach Gewährung der Abwehrdeckung durch den Versicherer ist auch kein Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit (Art 8.1.4. ARB 2003, § 62 Abs 1 VersVG), weil sich durch die Bezahlung lediglich der Anspruch des Versicherungsnehmers wandelt, nicht aber der Umfang der Ersatzpflicht des Versicherers.

[57] 3.4.5. Wollte man dagegen vom Versicherungsnehmer verlangen, sich in dieser Situation auf einen Honorarprozess einlassen zu müssen, weil andernfalls keine Wandlung des Befreiungsanspruchs in einen Kostenerstattungsanspruch stattfände, würden die Interessen des Versicherungsnehmers in unangemessener Weise beeinträchtigt, würde er doch die ihm gegen den Versicherer grundsätzlich zustehende, lediglich der Höhe nach bestrittene Ersatzleistung endgültig und zur Gänze verlieren.

[58] 3.4.6. Der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers verwandelt sich daher auch dann in einen Kostenerstattungsanspruch gegen seinen Rechtsschutzversicherer, wenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger trotz Zusage der Abwehrdeckung durch den Versicherer befriedigt hat.

[59] 3.5. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass sich der Befreiungsanspruch der Klägerin durch die Bezahlung der Honorarforderung des Klagevertreters in einen Geldanspruch umgewandelt hat.

[60] 4. Da die Entscheidungsgrundlage zur Frage der Angemessenheit bzw Üblichkeit des vom Klagevertreter verrechneten Honorars (vgl dazu etwa Kronsteiner/Lafenthaler, Erläuterungen zu den Musterbedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung [1997] Art 6 S 87) unzureichend ist, ist die Rechtssache an dasErstgericht zurückzuverweisen, wobei es bei seiner Entscheidung folgende Grundsätze zu beachten hat:

[61] 5. Welche Leistungen der Versicherer zu erbringen und welche Kosten er zu bezahlen hat, regelt Art 6 ARB 2003.

[62] 5.1. Gemäß Art 6.6.1. ARB 2003 bezahlt der Versicherer die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes (RATG) oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Autonomen Honorarrichtlinien für Rechtsanwälte. In gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren werden Nebenleistungen des Rechtsanwalts maximal in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt.

[63] 5.1.1. Die Autonomen Honorarrichtlinien (AHR) bzw die Allgemeinen Honorar-Kriterien (AHK, ab 2005) beinhalten ein kodifiziertes Sachverständigengutachten der österreichischen Rechtsanwaltskammern über die Angemessenheit jener anwaltlichen Leistungen, die im RATG nicht geregelt sind (RS0038369; RS0038356 [T5]). Sie sind auch im Rahmen des Art 6.6.1. ARB 2003 für die Frage der Angemessenheit von anwaltlichen Leistungen heranzuziehen, die im RATG nicht geregelt sind (vgl 7 Ob 41/04m; 7 Ob 201/07w).In Art 6.6.1. ARB 2003 wird zwar auf die AHR verwiesen. Dieser Verweis ist allerdings dahin zu verstehen, dass die im Zeitpunkt der Erbringung der Vertretungsleistungen durch den Klagevertreter geltenden Regelungen zur Beurteilung der Angemessenheit der vom Rechtsvertreter verzeichneten Kosten heranzuziehen sind. Im vorliegenden Fall sind somit die AHK einschlägig.

[64] 5.1.2. § 13 AHK regelt das angemessene Honorar des Rechtsanwalts in Verwaltungsstrafsachen.

[65] 5.1.2.1. Gemäß § 13 Abs 1 AHK sind die Bestimmungen der §§ 8 Abs 1 sowie 9 bis 12 AHK sinngemäß anzuwenden auf Leistungen des Rechtsanwalts in [...]

4. Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen, die mit Geldstrafe über 4.360 EUR bedroht sind sowie alle Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen, die neben einer Geldstrafe auch mit Haft bedroht sind, gemäß § 9 Abs 1 Z 4 AHK.

[66] Gemäß § 13 Abs 4 AHK ist auf Leistungen im Rechtsmittelverfahren in Verwaltungsstrafsachen § 9 AHK insofern sinngemäß anzuwenden, als zu unterscheiden ist, ob das Rechtsmittel sich auf die Bekämpfung der Strafhöhe beschränkt oder darüber hinausgeht. Bei Ermittlung der Bemessungsgrundlage sind die für das erstinstanzliche Verfahren geltenden Kriterien angemessen.

[67] § 9 Abs 1 Z 4 AHK regelt die Honoraransätze in geschworenengerichtlichen Verfahren für Haupt- und Berufungsverhandlungen, Berufungen und Nichtigkeitsbeschwerden samt Gegenausführungen sowie Gerichtstage über Nichtigkeitsbeschwerden.

[68] Gemäß dem im Leistungszeitraum anwendbaren § 10 Abs 1 Z 4 AHK waren für Leistungen des Rechtsanwalts in offiziosen Strafsachen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen, die nicht in § 9 AHK erwähnt sind, die Honoraransätze der TP 1 bis 3 und TP 5 bis 9 RATG unter Zugrundelegung folgender Bemessungsgrundlagen angemessen: […]

4. 26.200 EUR in Fällen gemäß § 9 Abs 1 Z 4 AHK.

[69] Die Bemessungsgrundlage nach § 13 AHK richtet sich nach dem von den Verwaltungsbehörden konkret erhobenen Vorwurf (vgl 7 Ob 201/07w = RS0122648 zu den gleichlautenden AHR; Ziehensack, Praxiskommentar Kostenrecht V. §§ 9–13 AHK Rz 1446 f). Im vorliegenden Fall war die der Klägerin von der Behörde angelastete Verwaltungsstraftat gemäß § 103 Abs 2 iVm § 134 Abs 1 KFG 1967 mit einer Geldstrafe bis zu 5.000 EUR, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen, bedroht.

[70] Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall die Leistungen des Klagevertreters gemäß § 13 Abs 1 Z 4 und Abs 4 iVm § 9 Abs 1 Z 4 AHK grundsätzlich nach den im geschworenengerichtlichen Verfahren geltenden Honorar-ansätzen zu bemessen sind. Für weitere, in dieser Bestimmung nicht enthaltene Leistungen, sind gemäß § 10 Abs 1 Z 4 AHK die Honoraransätze der TP 1 bis 3 und TP 5 bis 9 RATG auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 26.200 EUR heranzuziehen.

[71] Der Oberste Gerichtshof hat zu § 13 Abs 1 AHR ausgesprochen, dass Berufungsschriften und Berufungs-verhandlungen in verwaltungsstrafrechtlichen Berufungs-verfahren gemäß § 10 Abs 1 AHR nach TP 3 B RATG zu entlohnen sind. Hätte nämlich die Vertreterversammlung der Österreichischen Rechtsanwaltskammern für Berufungen und Berufungsverhandlungen in Verwaltungsstrafsachen dieselbe Honorierung wie in den in § 13 Abs 1 AHR genannten gerichtlichen Strafverfahren für angemessen erachtet, wäre dies wohl deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden (7 Ob 201/07w = RS0122649). Nunmehr ist aber in § 13 Abs 4 AHK ausdrücklich angeordnet, dass auf Leistungen im Rechtsmittelverfahren in Verwaltungsstrafsachen § 9 AHK sinngemäß anzuwenden ist.

[72] 5.1.2.2. Gemäß § 13 Abs 1 AHK iVm § 12 AHK kann ein Erfolgszuschlag bis zu 50 % des Honorarbetrags verrechnet werden; dies insbesondere, wenn das Verfahren eingestellt wird oder das Urteil auf Freispruch lautet oder ein wegen eines Verbrechens Angeklagter wegen eines Vergehens oder eines mit einem niedrigeren Strafsatz bedrohten Verbrechens verurteilt wird. Da der Klagevertreter die Einstellung des gegen die Klägerin geführten Verwaltungsstrafverfahrens erreicht hat, steht ihm ein Erfolgszuschlag zu, der allerdings maximal (!) 50 % beträgt.

[73] 5.1.2.3. Gemäß § 2 Abs 2 AHK ist bei der Beurteilung der Angemessenheit des Honorars zu berücksichtigen, ob diese Leistungen nach Art oder Umfang den Durchschnitt erheblich übersteigen oder unterschreiten (vgl dazu Ziehensack, Praxiskommentar Kostenrecht V. §§ 1–4 AHK Rz 1420 f). Von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit, Abschläge vorzunehmen, ist hier Gebrauch zu machen, weil offenkundig ist, dass die Anwendung der für ein geschworenengerichtliches Verfahren angemessenen Honoraransätze und die Heranziehung einer Bemessungsgrundlage von 26.200 EUR auf ein Verwaltungsstrafverfahren, in dem eineGeldstrafe von 300 EUR verhängt wurde und in dem lediglich die Übermittlung der Lenkerauskunft an die Behörde strittig war, auch unter Berücksichtigung der konkreten Strafdrohung nicht dem Angemessenheitsgebot entspricht.

[74] 5.2. Die im vorgenannten Sinn angemessenen Rechtsanwaltskosten übernimmt die Beklagte gemäß Art 6.1. ARB 2003 aber nur, soweit sie zur Wahrung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig waren. Notwendig sind gemäß Art 6.3. ARB 2003 die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf deren Erfolg besteht.

[75] Bei der Prüfung, ob die Verfahrenskosten gemäß Art 6.3. ARB 2003 als notwendig anzusehen sind, können die zu §§ 41 ff ZPO entwickelten Grundsätze herangezogen werden (7 Ob 86/22f mwN). Als zweckentsprechend gilt jede – verfahrensrechtlich zulässige – Aktion, die zum prozessualen Ziel der Partei führen kann; die Prozesshandlung muss nach objektiver Beurteilung eine Förderung des Prozesserfolgs erwarten lassen (vgl RS0036038). Notwendig ist jede Aktion, deren Zweck mit geringerem Aufwand nicht erreicht werden kann (vgl RS0035774 [T2]). Eine Partei kann daher, wenn kostensparende Verfahrenshandlungen zum gleichen sachlichen und formellen Ergebnis geführt hätten, nur jene Kosten beanspruchen, die diesen gleichen Zweck mit dem geringeren Aufwand erreicht hätten (vgl RS0035774 [T3]). Beide Beurteilungen hängen von den jeweiligen objektiven Umständen des Einzelfalls ab (7 Ob 86/22f); sie sind immer ex ante vorzunehmen (RS0036038).

[76] 6. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die Tatsachengrundlage für die Prüfung zu schaffen haben, welche der vom Klagevertreter erbrachten und verzeichneten Leistungen als notwendig im Sinn des Art 6.3. ARB 2003 anzusehen und davon ausgehend als angemessen gemäß Art 6.6.1. ARB 2003 im Sinn des in Punkt 5.1. der Entscheidung dargestellten Grundsätze zu qualifizieren sind (vgl auch Kronsteiner/Lafenthaler, Erläuterungen zu den Musterbedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung [ARB 1994], 67).

[77] 7. Zusammengefasst war der Revision der Klägerin daher im Sinn des Aufhebungsantrags stattzugeben.

[78] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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