OGH 2Ob81/24m

OGH2Ob81/24m28.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2019 verstorbenen K*, zuletzt *, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen 1. A*, vertreten durch Mag. Maximilian Kocher, Rechtsanwalt in Brunn am Gebirge, 2. S*, vertreten durch Alix Frank Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 3. D*, vertreten durch PARLAW Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, über die Revisionsrekurse der Erst- und Zweitantragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Februar 2024, GZ 48 R 112/23k‑171,mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 31. August 2023, GZ 19 A 68/22m‑163, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00081.24M.0528.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Den Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Erst- und Zweitantragsteller sind je zur Hälfte schuldig, der Drittantragstellerin ihre mit 4.875,11 EUR (darin enthalten 812,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Erst- und Zweitantragsteller sind die Enkelkinder des 2019 verstorbenen Erblassers. Die Drittantragstellerin, die er nach dem Tod seiner Ehefrau kennengelernt hatte, bezeichnete der Erblasser als seine Lebensgefährtin.

[2] In einem 2009 handschriftlich verfassten Testament setzte der Erblasser die Erst- und Zweitantragsteller zu seinen Erben ein.

[3] Am 18. 9. 2017 errichtete er eine letztwillige Verfügung in Form eines notariellen Protokolls, mit der er abermals die Erst- und Zweitantragsteller als Erben einsetzte und der Drittantragstellerin eine Eigentumswohnung samt Inventar vermachte.

[4] Mit am 30. 10. 2017 abermals in Form eines notariellen Protokolls errichteten Testaments widerrief er sämtliche früheren Verfügungen und setzte die Drittantragstellerin zur Alleinerbin ein. Der Notar las dem Erblasser das schon vorbereitete Protokoll in Anwesenheit von zwei Akts- und Testamentszeugen laut vor und überprüfte, ob es seinem Willen entsprach. Dieser bekräftigte auf der letzten Protokollseite handschriftlich, dass es sich um seinen letzten Willen handle. Sowohl er als auch die Zeugen unterfertigten das Protokoll, letztere mit einem Hinweis auf ihre Zeugeneigenschaft.

[5] Ein vom Erstantragsteller zwischenzeitlich angeregtes Verfahren zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters wurde nach Prüfung der Voraussetzungen wieder eingestellt. Der gegen seine Familie aufgrund des angeregten Verfahrens sehr aufgebrachte Erblasser wollte die Erst- und Zweitantragsteller enterben.

[6] Am 28. 5. 2018 fand in seiner Wohnung erneut ein Termin zur Errichtung einer letztwilligen Verfügung in Form eines notariellen Protokolls statt. In diesem Protokoll hielt er das Testament vom 30. 10. 2017 ausdrücklich aufrecht und enterbte die Erst- und Zweitantragsteller, die nicht einmal den Pflichtteil erhalten sollten. Das vom Notar vorgelesene, von zwei Zeugen und dem Notar unterfertigte Protokoll hatte ein Mitarbeiter vorbereitet. Es wurde bei dem Termin handschriftlich noch ergänzt und dazu wurden Notizen aufgenommen.

[7] In sämtlichen letztwilligen Verfügungen wünschte der Erblasser im Gegenzug für die jeweils vorgenommenen Erbeinsetzungen die Beisetzung im Familiengrab am Friedhof G* und die Pflege der Familiengräber in G* und auf dem *friedhof.

[8] Der Erblasser litt an keiner krankheitsmäßigen Beeinträchtigung seiner freien Willensbildung. Bei ihm lagen weder eine neuropsychologische Erkrankung oder Funktionsstörungen noch eine Geistesschwäche vor, die eine Möglichkeit einer übermäßigen Einflussnahme auslösen würden. Sämtliche Antragsteller versuchten zwar, ihn im Zusammenhang mit seiner letztwilligen Verfügung zu beeinflussen. Allerdings war die freie Willensbildung des Erblassers zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen. Vielmehr hatte er einen großen Willen zur Selbstbestimmung und war durchaus zu kritischem Widerstand fähig und in der Lage, einen eigenen Willen zu bilden.

[9] Die Sehkraft des Erblassers war in den letzten Lebensjahren insoweit eingeschränkt, als er bei Zeitungen nur noch Überschriften lesen konnte.

[10] Rund um Weihnachten 2018 teilte der Erblasser der Drittantragstellerin mit, bei seiner Mutter am *friedhof beigesetzt werden zu wollen. Er übergab ihr Unterlagen zum Grab und erinnerte sie auch in weiteren Gesprächen mehrfach an seinen Wunsch. Gegenüber den Erst- und Zweitantragstellern erkundigte er sich hingegen, ob es in Ordnung gehe, im Grab in G* begraben zu werden.

[11] Nach dem Tod des Erblassers wollte die Drittantragstellerin die Beerdigung am *friedhof organisieren. Die Erst- und Zweitantragsteller gingen dagegen mit Klage und einstweiliger Verfügung vor. Die von der Drittantragstellerin organisierte Kremationsfeier fand noch am *friedhof statt. Die Drittantragstellerin ersuchte im Sicherungsverfahren, den Wunsch des Erblassers nach einer Beisetzung am *friedhof zu respektieren, erklärte sich aber letztlich bereit, alle Erklärungen zur Freigabe der Urne abzugeben. Der Erblasser wurde letztlich über Auftrag der Erst- und Zweitantragsteller im Familiengrab in G* beigesetzt.

[12] Die Grabnutzung war schon zu Lebzeiten des Erblassers wiederholt Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen ihm und seiner Schwiegertochter. Dies war der Drittantragstellerin bekannt. Sie ging davon aus, sich nicht um das Grab in G* kümmern zu dürfen, weil die Schwiegertochter des Erblassers das Nutzungsrecht hatte. Das mit einem Grabstein und einem kleinen Blumentrog ausgestattete Grab am *friedhof pflegte die Drittantragstellerin, indem sie vierteljährlich die Blumen wechselte und vertrocknete Blumen oder Kränze entfernte.

[13] Die Erst- und Zweitantragsteller gaben gestützt auf ihr gesetzliches Erbrecht, hilfsweise das Testament vom 3. 7. 2009 bedingte Erbantrittserklärungen je zur Hälfte des Nachlasses ab. Sie bringen – soweit noch Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens – vor, die Drittantragstellerin sei erbunwürdig, weil sie versucht habe, den letzten Willen des Erblassersim Zusammenhang mit der von ihm gewünschten Beisetzung am Familiengrab in G* zu vereiteln. Jedenfalls habe sie die Bedingung nicht erfüllt, sondern habe mit gerichtlicher Hilfe davon abgehalten werden müssen, eine Beisetzung im Familiengrab am *friedhof durchführen zu lassen. Darüber hinaus habe sie die Auflage der Grabpflege nicht eingehalten. Der Erblasser sei aufgrund seines Geisteszustandes und des massiven Einflusses der Drittantragstellerin ohnehin nicht mehr testierfähig gewesen. Die letztwilligen Verfügungen vom 30. 10. 2017 und 28. 5. 2018 seien formungültig, weil die Protokolle nach der Unterschriftsleistung noch ergänzt worden seien und aufgrund der Sehbeeinträchtigung des Erblassers die Vorschriften über das Blindentestament einzuhalten gewesen wären. Der Notar sei daher von der Vorlesung ausgeschlossen gewesen, sofern er die Testamente auch verfasst haben sollte. Die Erst- und Zweitantragsteller hätten kein Verhalten gesetzt, das eine Enterbung rechtfertige.

[14] Die Drittantragstellerin gab gestützt auf das Testament vom 30. 10. 2017, hilfsweise auf die letztwillige Verfügung vom 28. 5. 2018 eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab. Der Erblasser sei testierfähig gewesen. Die Testamente seien formgültig errichtet. Sie habe lediglich versucht, den mündlichen Wunsch des Erblassers, am *friedhof begraben zu werden, zu erfüllen. Dies sei ihr aufgrund des Verhaltens der Erst- und Zweitantragsteller jedoch nicht möglich gewesen.

[15] Das Erstgericht stellte das Erbrecht der Drittantragstellerin zum gesamten Nachlass aufgrund des Testaments vom 30. 10. 2017 fest. Die Nichterfüllung des Wunsches des Erblassers in Bezug auf seinen Bestattungsort erfülle nicht den Tatbestand des § 540 ABGB. Eine absichtliche Vereitelung des wahren Bestattungswunsches des Erblassers stehe überdies gerade nicht fest. Anhaltspunkte für Testierunfähigkeit lägen trotz der Einflussnahme der Beteiligten nicht vor. Die in Form von notariellen Protokollen errichten letztwilligen Verfügungen seien formgültig. Dass im Protokoll vom 28. 5. 2018 zur Verdeutlichung noch handschriftliche Ergänzungen vorgenommen worden seien, ändere nichts an dessen Gültigkeit. Die Vorschriften des Blindentestaments über die Ausgeschlossenheit des Verfassers von der Vorlesung des letzten Willens seien nur auf private Testamentsformen anzuwenden. Der Erblasser sei aber ohnehin nicht blind gewesen. Der Wunsch des Erblassers über seinen Beisetzungsort und die Grabpflege stelle eine Auflage dar, die als auflösende Bedingung der Erbeinsetzung zu werten sei. Die Drittantragstellerin habe die Auflage aber nicht schuldhaft verletzt, weil sie in der Absicht gehandelt habe, den ihr gegenüber vom Erblasser mündlich geäußerten, späteren Wunsch zu erfüllen. Auch die Grabpflege am Friedhof G* habe sie im Hinblick auf die ihr bekannten Streitigkeiten über die Grabnutzung schon zu Lebzeiten, das gegen sie angestrengte Gerichtsverfahren und in der Annahme unterlassen, dazu nicht berechtigt zu sein. Das Grab am *friedhof habe sie gepflegt.

[16] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und schloss sich dessen Rechtsansicht an. Der Erblasser sei trotz einer gewissen „Suggestibilität“ mangels geistiger Schwäche nicht testierunfähig gewesen. Aufgrund der festgestellten Einschränkung seiner Lesefähigkeit sei der Erblasser nicht in der Lage gewesen, den vom Notar verfassten Text zu lesen. Der für Privattestamente in § 590 ABGB vorgesehene Ausschluss des Verfassers von der Vorlesung der letztwilligen Verfügung gelte aber nicht für notarielle Testamente. Eine schuldhafte Verletzung der Auflage liege nicht vor, weil die Drittantragstellerin der – wenn auch unrichtigen – Ansicht gewesen sei, der später mündlich geäußerte Wunsch des Erblassers sei maßgeblich und sie sei aufgrund des Grabnutzungsrechts der Schwiegertochter nicht zur Pflege des Grabes in G* berechtigt. Dieser Rechtsirrtum könne ihr nicht vorgeworfen werden. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zur Klärung der Anwendbarkeit des § 590 ABGB auf notarielle Testamente und zur Frage zu, ob für den Ausschluss der Testierfähigkeit neben einer „Suggestibilität“ auch eine geistige Beeinträchtigung der Erkenntnis- und Willenstätigkeit zu fordern sei.

[17] Dagegen richten sich die Revisionsrekurse der Erst- und Zweitantragsteller wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, ihr Erbrecht zum jeweils halben Nachlass aufgrund des Gesetzes, hilfsweise aufgrund des Testaments vom 3. 7. 2009 festzustellen. Hilfsweise stellen sie Aufhebungsanträge.

[18] Die Drittantragstellerin beantragt, den Revisionsrekursen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die Revisionsrekurse sind zulässig, weil die Anwendbarkeit des § 590 ABGB auf notarielle Testamente einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Sie sind jedoch nicht berechtigt.

[20] Die Revisionsrekurse argumentieren, die „Suggestibilität“ (hochgradige Einschränkung der Willensbildungsfreiheit) führe auch ohne Vorliegen einer Krankheit im medizinischen Sinn zur Testierunfähigkeit des Erblassers. Überdies wären Feststellungen zur sozialmedizinischen Situation des Erblassers zu treffen gewesen. Aufgrund des expliziten Verweises in § 70 NO sei auch die Vorschrift des § 590 ABGB anzuwenden. Ob der vorlesende Notar das Testament vom 30. 10. 2017 verfasst habe und daher von der Vorlesung ausgeschlossen sei, stehe aber nicht fest. Die letztwillige Verfügung vom 28. 5. 2018 sei deshalb ungültig, weil sie nur auf der letzten Seite unterfertigt worden sei, aber (nachträglich) Ergänzungen des Protokolls stattgefunden hätten. Die Erledigung der in diesem Zusammenhang erhobenen Beweisrüge durch das Rekursgericht stehe in Widerspruch zu den Bestimmungen der NO über die aufzunehmenden Protokolle und sei daher mangelhaft. Weiters rügen die Revisionsrekurse fehlende Festellungen zum vom Erblasser gewünschten Beisetzungsort und begehren – näher dargestellte – ergänzende Feststellungen. Mangels Feststellung, ob der Drittantragstellerin der letztwillig mehrfach geäußerte Wunsch nach einer Bestattung in G* bekannt war, könne die von den Vorinstanzen verneinte Erbunwürdigkeit nicht abschließend beurteilt werden. Die unterbliebene Grabpflege in G* sei der Drittantragstellerin vorwerfbar, weil sie es unterlassen habe, die Grabpflege gegenüber der Schwiegertochter auch nur zu thematisieren. Auch das Grab am *friedhof werde nur unzureichend gepflegt und daher die Auflage nicht erfüllt.

Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:

1. Testierfähigkeit

[21] 1.1 Ob Testierfähigkeit vorlag, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung, die aufgrund der Feststellungen über den Geisteszustand des Erblassers und den Grad der Beeinträchtigung der Willensbildung zu beantworten ist (RS0012408). An die Testierfähigkeit legt die Rechtsprechung weniger strenge Maßstäbe an als an die Geschäftsfähigkeit. Richtschnur für die Bejahung der Testierfähigkeit sind die kognitiven Fähigkeiten eines 14-Jährigen. Nicht jede geistige Erkrankung oder bloße Abnahme der geistigen Kräfte schließt die Testierfähigkeit aus. Es darf nur nicht die Freiheit der Willensbildung aufgehoben sein, insbesondere etwa infolge von Wahnvorstellungen. Jedenfalls muss immer das Bewusstsein vorliegen, ein Testament zu errichten (RS0012402 [T4]; vgl auch RS0012427). Die Testierfähigkeit fehlt nur dann, wenn der Erblasser nicht einmal das Bewusstsein hatte, eine letztwillige Anordnung zu treffen und ihm das Verständnis ihres Inhalts zur Gänze abging. Die Beeinträchtigung des Bewusstseins des Erblassers muss so weit gehen, dass die normale Freiheit der Willensbildung aufgehoben ist (RS0012402).

[22] 1.2 Wenn die Revisionsrekurse mit erhöhter, die freie Willensbildung beeinträchtigende „Suggestibilität“ argumentieren, entfernen sie sich von den Feststellungen des Erstgerichts, wonach der Erblasser an keiner krankheitsmäßigen Beeinträchtigung seiner freien Willensbildung litt, die eine Möglichkeit einer übermäßigen Einflussnahme auslösen würde. Zwar versuchten alle Parteien, ihn zu beeinflussen, doch hatte er dennoch einen großen Willen zur Selbstbestimmung und war zu kritischem Widerstand fähig. Von Testierunfähigkeit kann daher keine Rede sein. Die vom Rekursgericht und den Revisionsrekursen aufgeworfene Rechtsfrage, ob erhöhte „Suggestibilität“ (allein) zur Testierunfähigkeit führen kann, stellt sich auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts unabhängig von der „sozialmedizinischen Situation“ des Erblassers nicht.

2. Anwendung des § 590 ABGB im Rahmen des § 70 NO

[23] 2.1 Aufgrund der Errichtung der notariellen Testamente nach dem 31. 12. 2016 ist die Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 5 ABGB).

[24] 2.2 Die Errichtung einer letztwilligen notariellen Anordnung ist sowohl in Protokollform (§ 70 NO) als auch in Notariatsaktsform (§ 67 NO) möglich. Es ist damit zwischen zwei Arten notarieller Testamente zu differenzieren, wobei ein Notariatsakt wiederum zwei Erscheinungsformen aufweisen kann: Einerseits kann das Rechtsgeschäft unmittelbar als Notariatsakt errichtet und durch den Notar aufgenommen werden, andererseits kann auch eine von den Parteien bereits errichtete Privaturkunde in Form einer Solennisierung nach § 54 NO notariell „bekräftigt“ werden (2 Ob 63/22m Rz 15 mwN).

[25] Die Einhaltung der Form gehört zum objektiven Tatbestand der letztwilligen Verfügung. Sie muss daher nicht gewollt, aber erfüllt sein (RS0012373).

[26] Hier liegen notarielle letztwillige Verfügungen in Protokollform vor.

[27] 2.3 § 70 NO ordnet bei der Auf- und Entgegennahme letztwilliger Anordnungen die Beachtung der allgemeinen Vorschriften über die Amtsführung der Notare und die §§ 569, 581, 582 und 587 bis 591 ABGB sowie die in den §§ 72 und 73 NO gebotenen Förmlichkeiten an.

[28] Gemäß § 590 ABGB kann der Verfasser einer nicht vom letztwillig Verfügenden handschriftlich geschriebenen Erklärung zugleich Zeuge sein, ist aber, wenn der Verfügende nicht lesen kann, vom Vorlesen des letzten Willens ausgeschlossen.

2.4 In der Literatur hat sich – soweit überblickbar – lediglich Tschugguel (in Zib/Umfahrer, NO § 70 Rz 28) mit der Anwendbarkeit des § 590 ABGB auf letztwillige Verfügungen in Form eines notariellen Protokolls beschäftigt. Rechtsprechung dazu findet sich nicht.

[29] Tschugguel spricht sich gegen eine Anwendbarkeit des § 590 ABGB bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung in Form eines notariellen Protokolls aus. Er weist darauf hin, dass § 590 ABGB ein fremdhändiges und kein mündliches Testament betreffe und der zweite Halbsatz über den Ausschluss des Verfassers vom Vorlesen auf § 580 Abs 2 ABGB (fremdhändiges Testament eines Leseunfähigen) Bezug nehme. Bei einem notariellen Protokoll über eine letztwillige Verfügung eines Blinden seien gemäß § 70 NO (iVm § 72 NO) ohnehin die §§ 5961 NO einzuhalten. Der Zweck des § 590 ABGB, das Unterschieben eines falschen Testamentstextes zu verhindern, sei nur beim Privattestament, nicht aber beim öffentlichen Testament von Bedeutung.

[30] 2.5 Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des ErbRÄG fand sich die § 590 ABGB entsprechende Anordnung in § 581 letzter Satz ABGB aF. Einen Verweis auch auf diese Bestimmung enthielt § 70 NO idF vor dem ErbRÄG 2015 nicht. Vielmehr wurde (nur) auf die Einhaltung der Vorschrift § 72 NO (iVm § 59 NO) verwiesen. Dieser Verweis findet sich auch in § 70 NO idFd ErbRÄG 2015.

[31] Gemäß § 59 NO iVm § 72 NO müssen bei Aufnahme eines Protokolls mit einem Blinden die Aktszeugen – auch wenn sie funktionell nicht als Inhaltszeugen fungieren (vgl Forster/Dobler in Zib/Umfahrer, NO § 59 Rz 5) – bei der Vorlesung des Protokolls seinem ganzen Inhalt nach sowie bei der Einwilligung und Unterzeichnung durch die Parteien anwesend sein. Dass dies geschehen ist, muss im Protokoll ausdrücklich angeführt werden. Das Protokoll ist unter Beachtung der Bestimmungen des § 68 NO aufzunehmen (§ 73 NO).

[32] Die Materialien (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  48) halten zu den Änderungen in § 70 NO fest, dass die Änderungen (nur) durch die ausdrückliche Regelung der notariellen Verfügung im ABGB und durch die Neuordnung im ABGB bedingt sind. Dass entgegen der früheren Rechtslage nun auch die bisher nicht vorgesehene Einhaltung der Vorschriften des ABGB für das fremdhändige Testament eines Blinden bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung in Form eines notariellen Protokolls intendiert war, ist den Materialien nicht zu entnehmen. Vielmehr war durch die Erwähnung der öffentlichen Form des notariellen Testaments in § 583 ABGB (und der dadurch bedingten Anpassungen der NO) keine strukturelle Änderung (Verschärfung) gegenüber der alten Rechtslage intendiert (2 Ob 63/22m Rz 15).

[33] Auch die von Tschugguel vorgetragenen teleologischen Erwägungen stützen dieses historische Auslegungsergebnis. Einerseits hat die Bestimmung des § 590 ABGB ein fremdhändiges Testament und damit eine schriftliche Testamentsform vor Augen, während es sich beim notariellen Testament in Protokollform um eine mündliche Testamentsform handelt (Tschugguel in Zib/Umfahrer, NO § 70 Rz 11). Andererseits kommt dem Zweck des § 590 ABGB, das Unterschieben eines falschen Testamentstextes zu verhindern, nur beim Privattestament, nicht aber bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung vor einem Notar unter den in §§ 70 ff NO vorgesehenen Förmlichkeiten Bedeutung zu.

[34] Der Oberste Gerichtshof hat diesem Gedanken auch bereits im Zusammenhang mit der Frage, ob bei einer letztwilligen Verfügung in Notariatsaktsform eine eigenhändige Nuncupatio erforderlich ist, Rechnung getragen und unter Hinweis auf die Formvorschriften des § 68 NO und die Belehrungspflichten des Notars (§ 52 NO) betont, dass für die Notwendigkeit einer – ebenso primär der Fälschungssicherheit dienenden – handschriftlichen Nuncupatio im Fall der Errichtung einer letztwilligen Verfügung vor einem Notar kein Raum bleibt (2 Ob 63/22m Rz 32).

[35] Auch wenn § 70 NO idFd ErbRÄG 2015 anders als § 67 NO für die letztwillige Verfügung in Notariatsaktsform auf bestimmte Paragraphen verweist und § 590 ABGB (anders als § 579 ABGB; vgl 2 Ob 63/22m Rz 18) vom Justizausschuss im Gesetzgebungsverfahren nicht gestrichen wurde, ändert dies nichts daran, dass die aufgezeigten historischen und teleologischen Erwägungen einer Anwendung des § 590 ABGB entgegenstehen.

Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten:

[36] § 590 ABGB ist kraft teleologischer Reduktion entgegen dem Verweis in § 70 NO bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung in Form eines notariellen Protokolls durch einen Blinden nicht anzuwenden.

[37] 2.6 Ob der vorlesende Notar auch Verfasser der letztwilligen Verfügungen war, spielt daher für deren Formgültigkeit keine Rolle.

[38] 2.7 Die Einhaltung der besonderen Voraussetzungen des § 59 NO ist aus den Feststellungen des Erstgerichts ohnehin abzuleiten und wird im Revisionsrekursverfahren nicht bezweifelt.

[39] 3. Soweit die Revisionsrekurse die Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung vom 28. 5. 2018 auch daraus ableiten, dass auf dem Protokoll nach Unterschriftsleistung handschriftliche Ergänzungen vorgenommen wurden und in diesem Zusammenhang auch einen Verfahrensverstoß des Rekursgerichts rügen, übersehen sie, dass die Vorinstanzen das Erbrecht der Drittantragstellerin ohnehin aufgrund der letztwilligen Verfügung vom 30. 10. 2017 festgestellt haben, sodass die Ausführungen der Rechts- und Verfahrensrüge schon deshalb ins Leere gehen.

4. Beisetzungsort und Grabpflege – Auflage im Sinn der §§ 709 ff ABGB

[40] 4.1 Unter einer Auflage wird die einer letztwilligen Verfügung oder einem unentgeltlichen Geschäft beigefügte Nebenbestimmung verstanden, durch die ein Zuwendungsempfänger zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet wird (RS0012650). Die Auflage kann in einem Tun oder auch in einem Unterlassen bestehen (RS0012650 [T5]). Sie dient besonderen Interessen des Erblassers oder begünstigt Dritte oder die Öffentlichkeit, manchmal auch den Beschwerten selbst (RS0012650 [T6]).

[41] Nicht jede im letzten Willen des Erblassers enthaltene Äußerung ist jedoch als rechtlich bindende Anordnung zu verstehen; sie kann auch Rat, Wunsch oder Bitte sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch eine Auflage nicht bloß in befehlenden Worten, sondern in Form eines Wunsches oder einer Bitte formuliert werden kann. Die in § 710 ABGB vorgesehene Verwirkung des Nachlasses bei Nichterfüllung der Auflage („auflösende Bedingung“) ist nur als Zweifelsregel zu verstehen; ein anderer allenfalls auch durch Auslegung ermittelter Wille des Erblassers geht vor (vgl zur insoweit vergleichbaren Rechtslage vor Inkrafttreten des ErbRÄG 2015: 2 Ob 128/10b Pkt 4.2). Maßgeblich ist die Testamentsauslegung. Diese richtet sich nach dem wahren Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Verfügung, der in ihrem Wortlaut zumindest angedeutet sein muss („Andeutungstheorie“). Die Auslegung einer letztwilligen Verfügung hat möglichst so zu erfolgen, dass der vom Erblasser beabsichtigte Erfolg eintritt (2 Ob 170/23y Rz 38 mwN).

[42] Dass es sich bei der vom Erblasser gewünschten Beisetzung an einem bestimmten Ort und der angeordneten Grabpflege um eine Auflage handelt, die als auflösende Bedingung der Erbeinsetzung zu verstehen ist, ist im Revisionsrekursverfahren nicht strittig und ergibt sich schon aus der vom Erblasser gewählten Formulierung (arg: „Im Gegenzug für die Erbeinsetzung ...“).

[43] 4.2 Die Verwirkung des Nachlasses tritt aber nur bei vorwerfbarer (schuldhafter) Nichterfüllung der Auflage ein (RS0122290).

[44] Erfüllt der Auflagenverpflichtete die Auflage aufgrund einer (nicht vorwerfbaren) unrichtigen Rechtsansicht zB über den Umfang der Auflage nicht oder nicht zur Gänze, liegt kein Verschulden vor, sodass keine Verwirkung eintritt (Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 709 Rz 4; vgl 7 Ob 259/09b).

[45] Die Revisionsrekurse gehen auf die Argumentation des Rekursgerichts, die Drittantragstellerin treffe deshalb kein Verschulden, weil sie verfangen in einem ihr nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum der Meinung gewesen sei, der ihr gegenüber zuletzt mündlich geäußerte Bestattungswunsch sei trotz gegenteiliger letztwilliger Anordnung maßgeblich, nicht ein.

[46] Sie relevieren lediglich sekundäre Feststellungsmängel, wobei die als fehlend gerügten Feststellungen zum vom Erblasser (letztwillig und mündlich) gewünschten Bestattungsort ohnehin Deckung im vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt finden. Davon, dass die Drittantragstellerin die letztwilligen Bestattungswünsche des Erblassers kannte, sind die Vorinstanzen ebenfalls ausgegangen.

[47] Auch in Bezug auf die angeordnete Grabpflege ist mit den Vorinstanzen in Bezug auf das Familiengrab in G* keine vorwerfbare Auflagenverletzung anzunehmen. Zwar ist grundsätzlich der Versuch zu unternehmen, die Mitwirkung einer anderen Person zu gewinnen, sofern dies für die Erfüllung der Auflage erforderlich ist (Umlauft/Huf in Klang³ § 710 ABGB Rz 4). Wenn die Drittantragstellerin aber im Hinblick auf die ihr bekannten Differenzen über die Grabnutzung schon zu Lebzeiten des Erblassers zwischen diesem und der (auch) nutzungsberechtigten Schwiegertochter, des geführten Zivilprozesses zwischen ihr und den Erst- und Zweitantragstellern und des anhängigen Verfahrens über das Erbrecht davon Abstand genommen hat, sich um die Erteilung der Zustimmung zur Grabpflege zu bemühen, ist ihr dies nicht als Verschulden anzulasten.

[48] Weshalb die festgestellte Grabpflege am *friedhof nicht der Auflage entsprechen soll, vermögen die Revisionsrekurse mit ihrem bloßen Hinweis, diese erfolge „äußerst minimal“, nicht darzulegen.

5. Erbunwürdigkeit – § 540 ABGB

[49] § 540 ABGB sanktioniert die absichtliche Vereitelung des wahren letzten Willens des Erblassers, also den Eingriff in die Testierfreiheit (Welser, Erbrechts-Kommentar § 540 ABGB Rz 1) und nicht die Nichterfüllung eines ohne Eingriff in die Testierfreiheit wirksam geäußerten letzten Willens. Insoweit ist – soweit es sich wie hier im Zusammenhang mit Bestattungswunsch und Grabpflege um eine Auflage handelt – die Bestimmung des § 710 ABGB einschlägig.

[50] 6. Den Revisionsrekursen war daher insgesamt nicht Folge zu geben.

[51] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 78, 185 AußStrG, wobei die Erst- und Zweitantragsteller jeweils zum anteiligen Kostenersatz zu verpflichten sind (vgl Obermaier in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 185 Rz 9/2).

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