OGH 5Ob15/24b

OGH5Ob15/24b23.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S*, 2. Ing. A* O*, 3. U* T*, 4. E* H*, 5. Dr. R* B*, 6. L* H*, 7. P* H*, 8. M* H*, 9. M* H*, 10. K* M*, 11. Dr. H* M*, 12. Mag. G* P*, 13. DI K* P*, mit Ausnahme der 5. Klägerin alle vertreten durch Mag. Hannes Pichler, Rechtsanwalt in Schladming, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Parteien Verlassenschaft nach Mag. H* F*, gegen die beklagten Parteien 1. A* S*, 2. Dr. A* R*, beide vertreten durch Mag. Hannes Fischbacher, Rechtsanwalt in Schladming, wegen Beseitigung, Wiederherstellung und Unterlassung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien (mit Ausnahme der 5. Klägerin) gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 30. November 2023, GZ 1 R 170/23a‑35, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Schladming vom 19. Juni 2023, GZ 2 C 49/22t‑30, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00015.24B.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

 

Spruch:

I. Die Bezeichnung des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Parteien wird berichtigt auf „Verlassenschaft nach Mag. H* F*“.

II. Der Akt wird dem Berufungsgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, seine Entscheidung durch einen eigenen Bewertungsausspruch gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO zu ergänzen.

 

Begründung:

[1] Die Parteien sind Mit‑ und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Ein Teil der Kläger und die Beklagten bilden Eigentümerpartnerschaften.

[2] Die Kläger begehrten, die Beklagten schuldig zu erkennen,

1. binnen 14 Tagen das von den Beklagten auf den Allgemeinflächen der Liegenschaft errichtete Flugdach durch Entfernung sämtlicher Fundamente und darauf aufgebauter Bauelemente zu beseitigen,

2. binnen 14 Tagen den ursprünglichen Zustand auf den Allgemeinflächen, so wie er sich vor Errichtung des Flugdaches in natura dargestellt hat, wiederherzustellen und

3. ab sofort jede im Punkt 1. des Urteilsspruchs genannte Anmaßung, Erweiterungs‑ bzw Störungshandlung in Form von Aufstellen eines Flugdaches sowie jede ähnliche Einrichtung zu unterlassen.

[3] Zur Bewertung dieser Begehren führten die Kläger im Rubrum der Klage ohne nähere Differenzierung an: „Streitwert RATG € 14.500,00“.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts in eine Klageabweisung ab. In seinem Spruch hielt das Berufungsgericht fest, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands in Bezug auf kein Begehren 5.000 EUR übersteige und die Revision jedenfalls unzulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[6] Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision aller klagenden Parteien mit Ausnahme der 5. Klägerin.

Zu I.:

[7] Der Nebenintervenient auf Seiten der klagenden Parteien ist während des Rechtsmittelverfahrens verstorben. Dessen Bezeichnung war dahervom Amts wegen auf die Verlassenschaft umzustellen (§ 235 Abs 5 ZPO; RS0039666).

[8] Im Übrigen bleibt der Tod eines (einfachen) Nebenintervenienten ohne Auswirkungen auf den Prozess, er bewirkt insbesondere keine Unterbrechung (Melzer in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 157 ZPO Rz 2).

Zu II.: 

[9] Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die außerordentliche Revision ist – derzeit – nicht möglich.

[10] 1. Das Berufungsgericht hat, wenn der Entscheidungsgegenstand – wie hier – nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, über den für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision maßgeblichen Wert des Entscheidungsgegenstands abzusprechen (§ 500 Abs 2 Z 1 ZPO). Es ist dabei grundsätzlich nicht an die Bewertung des Klägers gebunden (RS0042617).

[11] Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, können diese gemeinsam bewertet werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN für eine Zusammenrechnung erfüllt sind (RS0042741; RS0053096). Demnach sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen (und können diese gemeinsam bewertet werden), wenn sie 1. von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen oder 2. von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Ansprüche von und gegen formelle Streitgenossen iSd § 11 Z 2 ZPO sind hingegen nicht zusammenzurechnen (RS0035615), und zwar selbst dann nicht, wenn die geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RS0035615 [T26]; RS0053096 [T20]).

[12] Ist in einem Verfahren objektive Klagehäufung (Anspruchshäufung) und gleichzeitig subjektive Klagehäufung (Parteienhäufung) gegeben, sind bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 JN zwar die gehäuften Ansprüche der betreffenden Partei zusammenzurechnen, nicht jedoch diese Ansprüche mit jenen der übrigen formellen Streitgenossen (RS0131473; RS0053096 [T21]).

[13] Findet keine Zusammenrechnung statt, ist die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (RS0130936; RS0042642). Diese selbständigen Begehren hat das Berufungsgericht daher auch gesondert zu bewerten (RS0130936 [T1]; RS0042741 [T18]).

[14] 2. Im vorliegenden Verfahren ist eine objektive und zugleich auch subjektive Klagehäufung gegeben. Die 13 Kläger machen jeweils mehrere Ansprüche gegenüber zwei Beklagten geltend; sie begehren die Beseitigung eines von den Beklagten gemeinsam errichteten Flugdaches, die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands und die Unterlassung derartiger Maßnahmen.

[15] Die Kläger stützen diese Ansprüche auf unerlaubte Eigenmacht der Beklagten, der geltend gemachte Rechtsgrund ist demnach die Eigentumsfreiheit (§ 523 ABGB; vgl RS0083156; RS0005944). Mehrere mit einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB geltend gemachte Ansprüche stehen (nur) dann in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN, wenn sie sich auf ein und dieselbe Eingriffshandlung des Beklagten stützen, also hinsichtlich Störungsobjekt und Störungshandlung Identität besteht (5 Ob 166/19a; 5 Ob 85/20s; 9 Ob 55/21k mwN). Das ist hier nach den insoweit maßgeblichen Klageangaben der Fall, sodass die Werte der von jedem einzelnen Kläger erhobenen Begehren auf Beseitigung, Wiederherstellung und Unterlassung (5 Ob 166/19a: „Begehrensgruppe“) jeweils, also für jeden Kläger nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen sind.

[16] Die Streitwerte dieser Begehrensgruppen sind hingegen nicht zusammenzurechnen. Im Fall einer Parteienhäufung (subjektive Klagehäufung) sind gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN die von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhobenen Ansprüche nur zusammenzurechnen, wenn diese materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Es muss somit entweder eine Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des Streitgegenstands bestehen oder eine Parteienmehrheit, die aus demselben tatsächlichen Grund berechtigt oder verpflichtet ist (RS0035615 [T25]; RS0053096 [T19]). Gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig Änderungen vornimmt, kann aber jeder einzelne Wohnungseigentümer im streitigen Rechtsweg mit einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB vorgehen (RS0005944 [T1]; RS0083156 [T15]). Die behaupteten Ansprüche beruhendabei jeweils auf dem den einzelnen Wohnungseigentümer persönlich zukommenden Mit‑ und Wohnungseigentum; in Ansehung des Streitgegenstands stehen sie zueinander in keiner Rechtsbeziehung (5 Ob 88/20g). Die klagenden Wohnungseigentümer sind daher keine materiellen Streitgenossen iSd § 11 Z 1 ZPO, ihre selbständigen Ansprüche sind nicht zusammenzurechnen (5 Ob 166/19a mwN; 5 Ob 88/20g; 5 Ob 201/21a; RS0037911 [T5]).

[17] Das gilt auf der Klagsseite auch für jene Wohnungseigentümer, die eine Eigentümerpartnerschaft nach § 13 WEG bilden. Ein Eigentümerpartner kann sich gegen einen rechtswidrigen Eingriff in sein Anteilsrecht wehren, ohne der Mitwirkung des anderen Eigentümerpartners zu bedürfen (RS0035415 [T2]). Auf Beklagtenseite gilt hier hingegen schon jedenfalls deshalb Anderes, weil die beklagten Eigentümerpartner nach den insoweit maßgeblichen Klageangaben iSd § 11 Z 1 ZPO aus demselben tatsächlichen Grund verpflichtet sind.

[18] 3. Der Kläger hat den Wert eines nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenstands in der Klage anzugeben (§ 56 Abs 2 Satz 1 JN). Wird für mehrere geltend gemachte Ansprüche eine Gesamtbewertung vorgenommen, so wird im Zweifel die Gleichwertigkeit der einzelnen Ansprüche angenommen (1 Ob 228/13f; 5 Ob 166/19a; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 56 JN Rz 4). Unterlässt der Kläger die Bewertung, so gilt der Betrag von 5.000 EUR als Streitwert (§ 56 Abs 2 Satz 3 JN).

[19] Die Kläger haben ihre nicht in einem Geldbetrag bestehenden Begehren weder gesondert noch gesamt bewertet. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, bildet der im Rubrum der Klage mit dem Zusatz „RATG“ bezeichnete Streitwert nämlich keine Bewertung iSd § 56 Abs 2 JN. Wenn der Kläger die Bewertung in der Klage nur auf den Streitwert nach RATG und GGG bezieht, kommt daher der Zweifelsstreitwert von 5.000 EUR zur Anwendung (RS0042434; Gitschthaler in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 56 JN Rz 30).

[20] Werden – wie hier – mehrere Ansprüche in einer Klage gehäuft, dann ist der Zweifelsstreitwert für jeden einzelnen Anspruch gesondert anzunehmen (1 Ob 166/98p; 10 Ob 13/16h; Gitschthaler in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 56 JN Rz 28 mwN). Mangels weiterer Angaben des Klägers gilt der Zweifelsstreitwert also für jeden einzelnen von mehreren gehäuften Ansprüchen (Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 56 JN Rz 4).

[21] Das gilt im Fall der subjektiven Klagehäufung auch für die Ansprüche einfacher Streitgenossen iSd § 11 ZPO. Jeder der einfachen Streitgenossen ist dem Gegner gegenüber im Prozess derart selbständig, dass die Handlungen oder Unterlassungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen (§ 13 ZPO). Diese Selbständigkeit der Streitgenossen im Prozess gilt auch für das Unterlassen der Bewertung nach § 56 Abs 2 JN. Der Zweifelsstreitwert kommt daher für jeden Anspruch eines einzelnen von mehreren einfachen Streitgenossen zur Anwendung.

[22] 4. Das Berufungsgericht hat zwar die Problematik der gleichzeitig objektiven und subjektiven Klagehäufung richtig erkannt und auch die Frage der Zusammenrechnung grundsätzlich richtig dahin gelöst, dass im hier zu beurteilenden Fall zwar die gehäuften Ansprüche der einzelnen Kläger (auf Beseitigung, Wiederherstellung und Unterlassung) gegen die Beklagten zusammenzurechnen sind, nicht jedoch diese gehäuften Ansprüche mit jenen der anderen Kläger.

[23] Allerdings ging das Berufungsgericht zu Unrecht davon aus, dass der Gesamtstreitwert für die nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnenden drei Begehren des Urteilsantrags von 15.000 EUR (5.000 EUR Zweifelsstreitwert x drei Begehren) nicht für jeden Kläger zur Anwendung komme, sondern auf diese nach Köpfen (und zwar auf 5 Wohnungseigentümer und 4 Eigentümerpartnerschaften) aufzuteilen sei (Streitwert pro Kopf 1.666,67 EUR). Das Berufungsgericht übersieht offensichtlich, dass die Kläger im vorliegenden Fall – anders als zu 5 Ob 166/19a – keine (freie) Bewertung nach § 56 Abs 2 JN durch Festlegung eines Gesamtstreitwerts für die geltend gemachten Begehren vorgenommen haben. Ein solcher Gesamtstreitwert ist hier daher auch nicht auf die Kläger aufzuteilen. Vielmehr ist für jeden der objektiv und subjektiv gehäuften Ansprüche der Zweifelsstreitwert des § 56 Abs 2 JN von 5.000 EURmaßgeblich; der Streitwert für das Verfahren in erster Instanz beträgt daher für die nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnenden Ansprüche auf Beseitigung, Wiederherstellung und Unterlassung für jeden Kläger 15.000 EUR.

[24] Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts übersteigt daher der Streitwert für die Begehrensgruppe eines jeden Klägers die Bagatellgrenze von 2.700 EUR (§ 501 ZPO). Folge dessen gingdas Berufungsgericht zu Unrecht davon aus, dass die Revision gegen sein Urteil gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig sei. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wäre das Berufungsgericht zwar an eine unter dieser Bagatellgrenze liegende Bewertung des Klägers grundsätzlich gebunden, sodass es ihm nicht freistünde, abweichend von der Bewertung des Klägers auszusprechen, dass die im § 500 Abs 2 Z 1 lit a ZPO genannte Wertgrenze überschritten wurde (5 Ob 166/19a; 5 Ob 144/23x mwN). Eine solche Bewertung liegt hier aber eben nicht vor.

[25] 5. Das Berufungsgericht hat sich – ausdrücklich –als daran gebunden erachtet, dass bei keinem der BegehrenbzwBegehrensgruppen die im § 500 Abs 2 Z 1 lit a ZPO genannte Wertgrenze von 5.000 EUR überschritten werde. Demnach hat es im Ergebnis keine eigene Bewertung des Entscheidungsgegenstands iSd § 500 Abs 2 Z 1 ZPO vorgenommen (vgl RS0042296 [T5]). Sein „Bewertungsausspruch“ beruht vielmehr auf der irrigen Annahme einer Bewertungsvorschrift.

[26] Bei Fehlen einer Bewertung iSd § 500 Abs 2 Z 1 ZPO hat das Berufungsgericht eine entsprechende Ergänzung vorzunehmen. Dabei wird es im Sinn der obigen Ausführungen die Begehren bzw Begehrensgruppen (Beseitigung, Wiederherstellung, Unterlassung) der einzelnen Kläger gesondertzu bewerten haben.Allenfalls wird zufolge einer entsprechenden Bewertung auch der Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision gemäß § 500 Abs 2 Z 3 ZPOvorzunehmen sein.

[27] Je nach Ergebnis dieser Ergänzung wird das Rechtsmittel vom Berufungsgericht als Abänderungsantrag (§ 508 ZPO) zu behandeln oder wieder dem Obersten Gerichtshof vorzulegen sein; letzteres im Fall der Zulassung der Revision nachdem es den Beklagten Gelegenheit gegeben hat, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten.

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