OGH 8Ob88/22g

OGH8Ob88/22g19.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter, in der Rechtssache der klagenden Partei M* F*, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft m.b.H. in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 5.850 EUR s.A. und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 8. Jänner 2020, GZ 22 R 353/19x‑23, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wels vom 25. September 2019, GZ 13 C 1279/18t‑19, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00088.22G.1019.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Das mit Beschluss vom 27. Mai 2020, AZ 8 Ob 32/20v, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochene Revisionsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird fortgesetzt.

Der Fortsetzungsantrag der klagenden Partei wird, soweit er weitere Ausführungen enthält, zurückgewiesen.

II. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens bestätigt. Im Übrigen, also im Umfang des Zahlungsbegehrens und des Kostenausspruchs werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte am 5. 2. 2015 bei einem Händler einen gebrauchten Pkw VW Passat Variant 2.0 TDI, Baujahr 01/2012, mit einem Kilometerstand von 72.000 zum Preis von 19.500 EUR. Dieses von der Beklagten hergestellte Fahrzeug wird mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 betrieben. Dieser Motor enthielt eine Abschalteinrichtung, die darin bestand, dass die Software den Prüfstandtest erkannte und in den „Prüfstandmodus 1“ schaltete. Außerhalb des Prüfstands schaltete die Software in den „Straßenmodus 0“, was eine starke Zurücknahme der Abgasrückführung und eine geringere Partikelbelastung, aber einen höheren NOx‑Ausstoß zur Folge hatte. Wäre diese Abschalteinrichtung der Typisierungsbehörde, dem deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA), bekannt gewesen, hätte das Fahrzeug nicht typengenehmigt werden und in den Verkauf gelangen dürfen. Die Verkehrs‑ und Betriebssicherheit des Klagsfahrzeugs war immer gegeben, es konnte problemlos benützt werden. Es hatte immer eine Zulassung und es bestand in Österreich auch keine Gefahr, dass diese entzogen würde.

[2] Im Juli 2016 wurde ein von der Beklagten bereitgestelltes Software‑Update beim Klagsfahrzeug eingespielt. Es bedient sich eines Thermofensters, das die Abgasrückführung unterhalb von 15 Grad Celsius und oberhalb von 33 Grad Celsius Umgebungstemperatur sukzessive zurücknimmt. Das KBA hat dieser Programmierung zugestimmt. Nachteile des Updates für die Funktion des Motors konnten nicht festgestellt werden. Der Kläger verwendet das Fahrzeug nach wie vor und hat noch nicht versucht, es zu verkaufen.

[3] Für den Kläger waren beim Ankauf die Abgaswerte nicht entscheidend. Ein fiktiver Käufer mit Kenntnis der beschriebenen Umstände hätte 10 % weniger für das Fahrzeug bezahlt. Nach dem durchgeführten Update bestand kein merkantiler Minderwert des Fahrzeugs mehr.

[4] Der Kläger begehrt die Zahlung des Klagsbetrags als Schadenersatz und die Feststellung der Haftung der Beklagten als Herstellerin für jeden ihm künftig aus dem Kauf entstehenden Schaden. Das Software‑Update habe keinen gesetzeskonformen Zustand des Motors hergestellt. Künftige Schäden in rechtlicher und technischer Hinsicht seien zu befürchten.

[5] Die Beklagte wandte ein, der Motor sei durch das Software-Update in einen mangelfreien, vertragsgemäßen Zustand versetzt worden. Ein Schaden sei dem Kläger weder entstanden, noch in Zukunft zu erwarten.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der ursprüngliche Mangel des Motors des Klagsfahrzeugs sei mit dem Software‑Update erfolgreich behoben worden und daher kein Schaden entstanden.

[7] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers, das sich inhaltlich nur gegen die Abweisung des Zahlungsbegehrens richtete, keine Folge.

[8] Es teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, erklärte aber die ordentliche Revision für zulässig, weil zu den entscheidungswesentlichen Fragen des Schadenersatzes für die Manipulation der Emissionswerte und der folgenden Klaglosstellung durch das Software‑Update noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[9] Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung strebt an, die Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn abzuändern, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, jedenfalls ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zulässig und im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

[12] I. Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 27. 5. 2020, AZ 8 Ob 95/21k, wurde das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Der EuGH hat über das Ersuchen zu C‑145/20 mittlerweile entschieden, sodass das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen ist.

[13] Soweit in dem von der Klägerin erhobenen Fortsetzungsantrag weiteres Vorbringen enthalten ist, verstößt dies gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, nach dem auch Nachträge oder Ergänzungen unzulässig sind (RS0041666).

[14] II. Der Revision ist zuzustimmen, dass die rechtliche Begründung des Berufungsgerichts nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH und des OGH einer Korrektur bedarf.

[15] Der EuGH hat mit Urteil vom 14. 7. 2022 zu C‑145/20 die ihm zu einem vergleichbaren Sachverhalt (Schadenersatzansprüche aufgrund des Ankaufs eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung) vorgelegten Fragen wie folgt beantwortet:

1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 (...) fällt, nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn es, obwohl es über eine gültige EG‑Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann , mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung verboten ist.

2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste , damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.

3. Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verboten ist, nicht als ′geringfügig′ eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte.

[16] In einer weiteren Entscheidung in Zusammenhang mit Abschalteinrichtungen hat der EuGH in der Rechtssache C-100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, die dort an ihn gestellten Vorlagefragen wie folgt beantwortet:

1. Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1 und Art 46 der Richtlinie 2007/46/EG in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG sind dahin auszulegen, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen , wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 dieser Verordnung ausgestattet ist.

2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedstaats ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen, der dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestatteten Fahrzeugs tatsächlich entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht.

[17] In der Entscheidungsbegründung hält der EuGH fest, dass ein individueller Käufer, der ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, einen Anspruch darauf hat, dass es nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet ist (Rn 89).

[18] Die Qualifikation von Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG als auch die Einzelinteressen des Käufers schützende Norm entspricht im nationalen Recht einem Verständnis als Schutznorm iSd § 1311 ABGB (RS0112234 [T35]). Der Oberste Gerichtshof ist dementsprechend in einer Reihe von Entscheidungen (10 Ob 2/23a; 6 Ob 150/22k ua) zum Ergebnis einer Haftung des Herstellers eines Fahrzeugs für Schäden aufgrund von unzulässigen Abschalteinrichtungen gegenüber dem Endabnehmer gelangt. Diesem Schadenersatzanspruch steht es nicht entgegen, dass das Fahrzeug über eine aufrechte und nicht widerrufsgefährdete Zulassung verfügt.

[19] Mit dieser Rechtslage sind die Entscheidungen der Vorinstanzen, die einen Schaden des Klägers deswegen verneint haben, weil sein Fahrzeug durch das von der Typengenehmigungsbehörde nicht beanstandete Software‑Update in einen rechtmäßigen Zustand versetzt worden sei, nicht vereinbar. Beim sogenannten Thermofenster handelt es sich nach der dargestellten Rechtsprechung des EuGH um eine Abschalteinrichtung, die nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG nicht zulässig ist, wenn sie aufgrund des engen Temperaturbereichs den überwiegenden Teil des Jahres die Emissionskontrolle hindert und wenn nicht fest steht, dass sie notwendig ist, um eine Beschädigung des Motors oder Unfälle zu vermeiden.

[20] Der Umstand, dass das Klagsfahrzeug über eine gültige Zulassung verfügt und im Straßenverkehr problemlos verwendet werden kann, reicht für die Beurteilung, dass dem Kläger kein Schaden entstanden wäre, daher nicht.

[21] Aus einer zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des EuGH kann sich die Notwendigkeit ergeben, den Parteien Gelegenheit zu geben, zu vom EuGH aufgezeigten, bisher nicht ausreichend erörterten Gesichtspunkten Vorbringen zu erstatten und Beweisanbote zu stellen (6 Ob 19/23x [Rz 24]; 6 Ob 20/23v [Rz 21]; 3 Ob 17/23f ua).

[22] Dies betrifft auch die vom beklagten Hersteller bestrittene (ON 5 S 38), bislang wegen der vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht behandelten Frage des Verschuldens der Beklagten. Hinzuweisen ist auch darauf, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs den Übergeber die Beweislast dafür trifft, dass durch das Software-Update ein den Zulassungsvorschriften entsprechender Zustand hergestellt wurde (10 Ob 2/23a; 8 Ob 97/22f ua). Ist im Fahrzeug ein Thermofenster verbaut, muss der Übergeber deshalb auch beweisen, dass diese Abschalteinrichtung unter die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG fällt, sodass verbleibende Unklarheiten zu seinen Lasten gehen (1 Ob 149/22a). Wenn der Beklagten dieser Beweis nicht gelingt, kann sie sich nicht auf eine Klaglosstellung des Klägers durch das Software‑Update berufen, selbst wenn sie damals noch von der Zulässigkeit eines solchen Thermofensters ausgegangen sein sollte (8 Ob 97/22f).

[23] Der Schadenersatz muss nach den Anforderungen des Unionsrechts eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen (10 Ob 2/23a; 10 Ob 16/23k).

[24] Unter Beachtung der unionsrechtlichen Anforderungen (vgl EuGH C-100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90, 93), ist bei Bejahung der Voraussetzungen ein angemessener Schadenersatzbetrag zu gewähren. Der deutsche Bundesgerichtshof nimmt diesen innerhalb einer Bandbreite von 5 % (aus Gründen unionsrechtlicher Effektivität als Untergrenze) und 15 % (aus Gründen unionsrechtlicher Verhältnismäßigkeit als Obergrenze) des Kaufpreises an (BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rn 73 ff). Dabei wird in Kauf genommen, dass potenziell umweltschädigende Fahrzeuge nicht aus dem Verkehr gezogen, sondern weiter verwendet werden.

[25] Diese Vorgaben sind auch für das österreichische Recht nutzbar zu machen, sodass das Erstgericht einen zu ersetzenden Betrag im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen haben wird (vgl 10 Ob 27/23b Rz 40). Dem steht das Effektivitätsgebot nicht entgegen, zumal die unionsrechtlichen Vorschriften überhaupt gegen den (Weiter-)Betrieb eines mit unzulässiger Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs sprechen würden (vgl 10 Ob 27/23b Rz 40). Wenn – wie hier – fest steht, dass das Klagsfahrzeug gar keinen merkantilen Minderwert erlitten hat, ist dies ein Grund dafür, den zu zahlenden Betrag im unteren Bereich der Bandbreite festzusetzen (10 Ob 27/23b Rz 42).

[26] Zum Feststellungsbegehren wurde von der klagenden Partei im Rechtsmittelverfahren eine Rechtsrüge nicht ausgeführt.

[27] Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte