OGH 8Ob119/23t

OGH8Ob119/23t15.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner sowie die Hofräte MMag Matzka, Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*,vertreten durch Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch Dr. Harald Friedl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 71.928 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 4. Oktober 2023, GZ 12 R 79/23k‑18, mit welchem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. März 2023, GZ 56 Cg 10/22k‑12, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00119.23T.0215.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.735,52 EUR (darin 455,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

[1] Nachdem die Beklagte Interesse am Ankauf einer der von der Klägerin als Maklerin inserierten Wohnungen äußerte, übermittelte die Klägerin ihr am 10. November 2021 ein E‑Mail, in welchem die Beklagte die Schaltfläche „Hier geht es zur Bestätigung der Maklervereinbarung (…) Sie bestätigen über den oben angeführten Link, dass Sie unser vorzeitiges Tätigwerden wünschen und über die Konsumenten- und Rücktrittsrechte nachweislich informiert wurden.“ anklickte. Es konnte aber nicht festgestellt werden, ob die Klägerin solche Informationen tatsächlich erhalten hat. Durch das Anklicken der Schaltfläche wurde von der Website der Klägerin ein E‑Mail mit dem Namen der Beklagten mit dem Inhalt „Ich wünsche ein vorzeitiges Tätigwerden und verzichte auf mein Widerrufsrecht.“ generiert und an die Klägerin versendet. In weiterer Folge übermittelte die Klägerin der Beklagten zwei E‑Mails mit Informationen zu den angebotenen Wohnungen, denen eine „Nebenkostenübersicht“ angeschlossen war, in welcher sich ein schlecht leserlicher Abdruck der Vorschriften des FAGG sowie ein abgesehen von der Überschrift nicht lesbares „Widerrufsformular“ befand. Am 12. 11. 2021 unterfertigte die Beklagte ein Kaufanbot für zwei Wohnungen, doch kam es nie zur Errichtung eines verbücherungsfähigen Kaufvertrags. Am 13. 4. 2022 erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Maklervertrag.

[2] Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine Vermittlungsprovision von 71.928 EUR sA. Die Klägerin habe die Beklagte vor Vertragsabschluss umfassend aufgeklärt und ihre Leistungen bereits vollständig erbracht, sodass kein Rücktrittsrecht bestehe. Die Beklagte habe sich wider Treu und Glauben geweigert, einen verbücherungsfähigen Kaufvertrag zu unterfertigen.

[3] Die Beklagte wendet ein, dass die Klägerin ihre Informationspflichten nach § 4 Abs 1 Z 8 FAGG nicht erfüllt habe, sodass sie nach wie vor zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt gewesen sei.

[4] DasErstgericht hatdas Klagebegehren abgewiesen. Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass sie die Beklagte über das Rücktrittsrecht nach § 11 Abs 1 FAGG ordnungsgemäß informiert habe, weil kein taugliches Widerrufsformular übermittelt worden sei, sodass sich die Rücktrittsfrist nach § 12 Abs 1 FAGG um zwölf Monate verlängert habe. Die Beklagte habe das Rücktrittsrecht auch nicht nach § 18 Abs 1 Z 1 FAGG verloren, weil sie zwar einem vorzeitigen Tätigwerden der Klägerin zugestimmt, aber ihre Kenntnis vom Verlust des Rücktrittsrechts nicht bestätigthabe.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[6] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn anstrebt, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Rechtsmittelbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die außerordentliche Revision derKlägerin ist im Hinblick auf die von ihr aufgeworfene Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit des Rücktritts nach § 11 Abs 1 FAGG zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[9] 1. Die Klägerin war nach § 4 Abs 1 Z 8 FAGG verpflichtet, die Beklagte vor Abschluss derMaklervereinbarung in klarer und verständlicher Weise unter Zurverfügungstellung des Muster‑Widerrufsformulars über das Rücktrittsrecht nach § 11 Abs 1 FAGG zu informieren. Ein Nachreichen des Widerrufsformulars ist nur zulässig, wenn die vorherige Übermittlung aufgrund des verwendeten Kommunikationsmittels eine unverhältnismäßige oder untragbare Belastung darstellt, was im vorliegenden Fall aber nicht zutrifft (EuGH C 430/17, Walbusch Walter Busch Rn 46). Das Bereitstellen eines Musterformulars soll den Rücktritt für den Verbraucher vereinfachen und für Rechtssicherheit sorgen (Erwägungsgrund 44 der Verbraucherrechte‑Richtlinie 2011/83/EU ). Durch die Übermittlung eines nicht lesbaren Formulars wird den Vorgaben des § 4 Abs 1 Z 8 FAGG schon deshalb nicht entsprochen, weil ein solches Formular für den Verbraucher nicht verwendbar ist.

[10] 2. Nach § 11 Abs 1 FAGG kann der Verbraucher von einem Fernabsatzvertrag oder einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zurücktreten. Ist der Unternehmer seiner Informationspflicht nach § 4 Abs 1 Z 8 FAGG nicht nachgekommen, verlängert sich die Rücktrittsfrist nach § 12 Abs 1 FAGG um zwölf Monate. Dies gilt auch dann, wenn der Unternehmer den Verbraucher zwar über das Widerrufsrecht belehrt, ihm aber entgegen § 4 Abs 1 Z 8 kein Muster‑Widerrufsformular zur Verfügung gestellt hat, sodass auch eine sachlich zutreffende und vollständige Belehrung über das Rücktrittsrecht die Fristverlängerung nicht verhindert (RIS‑Justiz RS0132748; Kepplinger, Der Maklervertrag mit dem Interessenten und das FAGG, immolex 2018, 134 [137]; Dehn in Schwimann/Kodek 5 § 4 FGG Rz 25). Die Rücktrittserklärung der Beklagten war deshalb rechtzeitig.

[11] 3. Nach § 18 Abs 1 Z 1 FAGG hat der Verbraucher nach vollständiger Erbringung der Leistung kein Rücktrittsrecht, wenn der Unternehmer mit ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers mit der Vertragserfüllung begonnen und der Verbraucher bestätigt hat, dass er den Verlust seines Rücktrittsrechts zur Kenntnis genommen hat. Der Ausschluss des Rücktrittsrechts soll den Unternehmer davor schützen, dass der Verbraucher zurücktritt, nachdem die Leistung schon vollständig erbracht wurde (RS0131792). Nach der Rechtsprechung kann der Verbraucher seine Zustimmung auch durch Ankreuzen eines entsprechenden Kästchens zum Ausdruck bringen (RS0131796). Dementsprechend besteht kein Zweifel, dass der Verbraucher seine Zustimmung im elektronischen Rechtsverkehr auch durch das Anklicken einer entsprechenden Schaltfläche erklären kann.

[12] 4. Der Verlust des Rücktrittsrechts tritt aber nur ein, wenn sowohl eine Zustimmungserklärung des Verbrauchers als auch eine Bestätigung über seine Kenntnis vom Verlust des Rücktrittsrechts vorliegen (8 Ob 122/17z; 8 Ob 45/20f; ErläutRV 89 BlgNR 25. GP  38). Die Vorinstanzen haben bereits darauf hingewiesen, dass das von der Website der Klägerin automatisch generierte E-Mail der Beklagten nicht zugerechnet werden kann und auch sonst keine Bestätigung der Beklagten über die Kenntnis vom Verlust des Rücktrittsrechts vorliegt. Soweit sich die Klägerin auf die Erklärung in Beilage ./AG beruft, übersieht sie, dass es sich dabei um keine Erklärung der Beklagten, sondern um den Alleinvermittlungsauftrag der Wohnungseigentümerin handelt.

[13] 5. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass dem Rücktrittsrecht nach § 11 Abs 1 FAGG der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen kann (9 Ob 102/22y). Eine missbräuchliche Rechtsausübung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet oder zwischen den verfolgten eigenen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RS0025230; RS0026265; RS0026271). In diesem Sinne kann die Ausübung des Rücktrittsrechts der Beklagten schon aufgrund ihres Interesses an der Abwehr des Zahlungsanspruchs der Klägerin nicht rechtsmissbräuchlich sein.

[14] 6. Die Lehre geht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH von einer rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 11 Abs 1 FAGG aus, wenn der Verbraucher in Kenntnis der Rechtslage den Vertrag gerade deshalb abschließt, um sich durch den nachträglichen Rücktritt einen Vorteil zu verschaffen (Berka, Verbraucherschutz ohne Grenzen? Zur Grundrechtskonformität der Rechtsfolgen eines Rücktritts nach dem FAGG, wbl 2015, 181 [191]; so wohl auch Wendehorst, Ist das neue Verbraucherrecht noch zu retten? Zur möglichen Grundrechtswidrigkeit der Verbraucherrechterichtlinie, GPR 2015, 55 [58 ff]). Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor.

[15] 7. Nach der Absicht des Gesetzgebers setzt das Rücktrittsrecht nach § 11 FAGG keine Schlechterfüllung des Vertragspartners voraus und ist auch an keine sonstigen Voraussetzungen geknüpft, sondern soll dem Verbraucher vielmehr eine Korrektur von Fehlentscheidungen im Fernabsatz ermöglichen (ErläutRV 89 BlgNR 25. GP  33; ebenso Erwägungsgrund 37 der Verbraucherrechte‑Richtlinie 2011/83/EU ). Hier hat sich die Beklagte nachträglich dazu entschieden, vom Ankauf der Wohnungen Abstand zu nehmen. Sie hat im Ergebnis die Leistungen der Klägerin nicht für sich in Anspruch genommen. Hier ist daher die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht rechtsmissbräuchlich.

[16] 8. Soweit die Klägerin auch unter Hinweis auf das Verbot von Überraschungsentscheidungen bemängelt, dass das Berufungsgericht im Unterbleiben der Parteieneinvernahme keinen Verfahrensmangel erblickte, ist sie darauf zu verweisen, dass angebliche Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt wurden, auch im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden können (RS0042963; RS0106371).

[17] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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