OGH 8Ob45/20f

OGH8Ob45/20f18.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richterin der Rechtssache der klagenden Partei 4*****, vertreten durch Mag. Josef Hofinger, Dr. Roland Menschick, Rechtsanwälte in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei G***** H*****, vertreten durch Mag. Georg Schmeissner, Rechtsanwalt in St. Gilgen, wegen 27.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. April 2020, GZ 4 R 43/20a‑13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 3. Jänner 2020, GZ 4 Cg 55/19f‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00045.20F.1218.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 5.552,76 EUR (darin 686,96 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin, eine Immobilienmaklerin, begehrt Provision für die Vermittlung einer vom Beklagten gekauften Liegenschaft.

[2] Der Beklagte stieß durch ein Inserat der Klägerin auf deren Angebot und verfasste am 25. 3. 2019 ein Mail an diese, in dem er sein Interesse an einem Besichtigungstermin bekundete, um Kontaktaufnahme ersuchte und weitere Informationen zum Objekt erbat. Die Klägerin beantwortete diese Anfrage am gleichen Tag ebenfalls per E-Mail, nannte darin die Objektdaten und wies auf die Provisionspflicht im Fall der Vermittlung sowie Nebenkosten hin. In einem Anhang zu diesem E-Mail übermittelte die Klägerin ein Exposé, beinhaltend unter anderem die Nebenkostenübersicht und Informationen zum Maklervertrag einschließlich Belehrung über Rücktrittsrechte und ein Musterwiderrufsformular. Der Beklagte hat das E‑Mail gelesen.

[3] Am 28. 3. 2019 fand ein telefonisch vereinbarter Besichtigungstermin statt, bei dem die Mitarbeiterin der Klägerin dem Beklagten ein als Besichtigungsschein bezeichnetes Formular übergab, das unter anderem den Satz enthielt: „Der Interessent (...) fordert das Maklerunternehmen auf, vor Namhaftmachung der Immobilie, unter Verlust des Rücktrittsrechts laut § 11 FAGG vorzeitig tätig zu werden. Der Beklagte unterschrieb das Formular unterhalb dieser Zeilen. Bei einem zweiten Besichtigungstermin am Folgetag unterfertigte der Kläger ein Kaufanbot, das die Beklagte dem Verkäufer weiterleitete.

[4] Nach Annahme des Kaufanbots stellte die Klägerin am 8. 4. 2019 die vereinbarte Provision von 3 % des Kaufpreises in Rechnung. Der Beklagte bezahlte nicht, sondern erklärte am 13. 6. 2019 durch seinen Vertreter den Widerruf aller gegenüber der Klägerin abgegebenen rechtsgeschäftlichen Erklärungen mit der Begründung, die ihm erteilte Rücktrittsbelehrung entspreche nicht den Vorgaben des FAGG.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der vom Beklagten erklärte Widerruf sei verspätet. Das Rücktrittsrecht des Beklagten sei zwar nicht nach § 18 Abs 1 Z 1 FAGG weggefallen, weil das Verlangen nach vorzeitiger Vertragserfüllung erst nach der Namhaftmachung des Objekts gestellt wurde. Die Klägerin habe aber ihre gesetzlichen Informationspflichten erfüllt, sodass es zu keiner Verlängerung der 14‑tägigen Rücktrittsfrist nach § 12 Abs 1 FAGG gekommen sei.

[6] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.

[7] Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass kein rechtzeitiges Verlangen nach vorzeitiger Vertragserfüllung gemäß § 10 FAGG gestellt wurde.

[8] Die Klägerin sei aber ihrer gesetzlichen Informationspflicht mit den übersandten und übergebenen Unterlagen insofern nicht vollständig nachgekommen, als sie die angefügte Muster‑Widerrufsbelehrung und das Muster‑Widerrufsformular nicht mit ihren Kontaktdaten ausgefüllt oder auf diese zumindest verwiesen habe. Dadurch habe sie den Beklagten nicht gemäß § 4 Abs 1 Z 8 FAGG ausreichend über die Vorgangsweise für die Ausübung des Rücktrittsrechts aufgeklärt, sodass sich die Rücktrittsfrist nach § 12 Abs 1 FAGG um 12 Monate verlängert habe. Die Widerrufserklärung sei somit zulässig und auch rechtzeitig gewesen.

[9] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zum zeitlichen Rahmen, in dem ein Verlangen nach § 10 FAGG zu erfolgen habe, ebenso fehle wie zu der Frage, ob die Angabe der Kontaktdaten des Unternehmers in der Muster-Widerrufsbelehrung ein zwingend erforderlicher Teil der gesetzlichen Information über die „Vorgangsweise für die Ausübung des Rücktrittsrechts“ sei.

[10] Die vom Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist im Sinne der Begründung des Berufungsgerichts zulässig, weil die Rechtslage einer Klarstellung bedarf.

[11] Die Revision ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1. Der Verbraucher kann nach § 11 FAGG von einem Fernabsatzvertrag oder einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zurücktreten. Bei Dienstleistungsverträgen beginnt die Frist nach Abs 2 Z 1 leg cit mit dem Tag des Vertragsabschlusses.

[13] Der Verbraucher hat nach § 18 Abs 1 Z 1 FAGG kein Rücktrittsrecht bei Fernabsatz- oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen über Dienstleistungen, wenn der Unternehmer – auf Grundlage eines ausdrücklichen Verlangens des Verbrauchers nach § 10 sowie einer Bestätigung des Verbrauchers über dessen Kenntnis vom Verlust des Rücktrittsrechts bei vollständiger Vertragserfüllung – noch vor Ablauf der Rücktrittsfrist nach § 11 FAGG mit der Ausführung der Dienstleistung begonnen hatte und die Dienstleistung sodann vollständig erbracht wurde.

[14] 2. Ein Verlangen nach sofortiger Vertragserfüllung bei Dienstleistungen gemäß § 10 FAGG liegt dann vor, wenn der Verbraucher wünscht, dass der Unternehmer noch vor Ablauf der Rücktrittsfrist nach § 11 mit der Vertragserfüllung beginnt. In diesem Fall muss der Unternehmer den Verbraucher dazu auffordern, ihm ein ausdrücklich auf die vorzeitige Vertragserfüllung gerichtetes Verlangen – im Fall eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags auf einem dauerhaften Datenträger iSd § 3 Z 5 FAGG (Art 2 Nr 10 RL 2011/83/EU ) – zu erklären.

[15] Wesentlich für den Eintritt der an ein solches Verlangen geknüpften Rechtsfolgen ist also, dass einerseits ein vom Verbraucher ausgehender Wunsch sowie andererseits dessen Bestätigung in der gesetzlichen Form vorliegen (8 Ob 122/17z).

[16] Offenkundiger Zweck der Regelungen des Art 16 lit a Verbraucherrechte-Richtlinie bzw der Umsetzungsvorschrift des § 18 Abs 1 Z 1 FAGG ist, den Unternehmer davor zu schützen, dass der Verbraucher zurücktritt, nachdem die Dienstleistung schon vollständig erbracht wurde (vgl 8 Ob 122/17z). Das Erfordernis der ausdrücklichen Bestätigung des Wunsches auf sofortige Leistung unter Belehrung über den Verlust des Rücktrittsrechts schützt andererseits den Verbraucher davor, dass ihm eine vorzeitige Leistung aufgedrängt wird, um das Rücktrittsrecht zu umgehen.

[17] 3. Es kann für den Anlassfall dahingestellt bleiben, ob das Verlangen des Verbrauchers im Sinn des § 10 FAGG ausschließlich vor dem Beginn der Erbringung der Dienstleistung wirksam erklärt werden kann (idS Dehn in Schwimann/Kodek 4§ 10 FAGG Rz 9; Schwarzenegger ebendort, § 16 FAGG Rz 10 im Zusammenhang mit der anteiligen Zahlungspflicht bei Rücktritt; Kepplinger, Zur [fehlenden] Bestandskraft von Maklerverträgen im Lichte des FAGG, wobl 2019, 189 [194]). Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt ist hier jedenfalls von einem rechtzeitigen Verlangen auszugehen.

[18] 4. Die auf Erbringung der Dienstleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist gerichtete Willenserklärung des Verbrauchers ist an keine bestimmte Form gebunden. Es muss lediglich im Fall eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags nach § 10 FAGG auch auf einem dauerhaften Datenträger erklärt werden.

[19] 5. Der Beklagte hat hier mit seinem E-Mail die Klägerin zur Übermittlung von Informationen über die Liegenschaft und Vereinbarung eines Besichtigungstermins aufgefordert. In einem solchen Fall, wenn der Verbraucher von sich aus eine Vertragserfüllung vor Ablauf der Rücktrittsfrist verlangt, bedarf es keiner gesonderten Aufforderung des Unternehmers, weil ihr in diesem Fall kein eigenständiger Wert zukommt (RIS‑Justiz RS0131795; Dehn, aaO § 10 FAGG Rz 8).

[20] Mit dem seine Anfrage beantwortenden, bereits das Exposé zur Liegenschaft enthaltenden E-Mail hat die Klägerin dem Verlangen des Beklagten entsprochen, ebenso mit der Vereinbarung und Durchführung des anschließenden Besichtigungstermins.

[21] Das Berufungsgericht hat das schriftliche Verlangen des Beklagten jedoch deswegen für verspätet erachtet, weil es zwar noch vor einer vertraglichen Bindung des Beklagten erfolgt sei, aber erst nach der Namhaftmachung der Kaufgelegenheit.

[22] 6. Für die in der Immobilienvermittlung übliche Vorgangsweise, verfügbare Objekte öffentlich zu inserieren, hätte diese Interpretation zur Folge, dass eine vorzeitige Vertragserfüllung nach § 10 FAGG mit den sich daran anknüpfenden Folgen bei der Vermittlung (zumindest) von Grundstücken und Häusern überhaupt nicht in Frage käme, weil solche Objekte in der Regel von jedem Interessierten anhand von Ortsangaben und Fotos, auch ohne Kontakt mit dem Makler, identifiziert werden können. Dabei besteht in diesem Geschäftsbereich sowohl häufig das Bedürfnis nach unverzüglicher Besichtigung auf Seiten des möglichen Käufers, als auch ein besonderes Interesse des Maklers am Schutz seines Provisionsanspruchs, weil eine erfolgreiche Vermittlung weder rückabgewickelt werden kann, noch anderweitig verwertbar ist. Es besteht aber kein schutzwürdiges Interesse des Verbrauchers, der sich bewusst den Vorteil einer entgeltlichen Dienstleistung zugewendet hat, diese grundlos nicht bezahlen zu müssen (idS Kepplinger, Zur [fehlenden] Bestandskraft von Maklerverträgen im Lichte des FAGG, wobl 2019, 189).

[23] Die Namhaftmachung der Kaufgelegenheit ist bei Immobilieninseraten erst die Voraussetzung dafür, dass ein potentieller Käufer Interesse an einem ersten Kontakt mit dem Makler und einem allfälligen Vertragsabschluss entwickeln kann. Das nach § 10 FAGG maßgebliche Verlangen auf vorzeitige Vertragserfüllung ist nicht auf die Erteilung der jedermann zugänglichen Information, sondern auf die Erbringung der weiteren Dienstleistungen eines Maklers gerichtet, die letztlich zum Abschluss des vermittelten Vertrags führen sollen. Die unverbindliche Besichtigung eines vom Makler öffentlich angebotenen Objekts findet noch in einem entgeltfreien Stadium statt. Erst mit einem verbindlichen Kaufanbot nimmt der Käufer die Abschlussgelegenheit und damit die provisionspflichtige Leistung des Maklers in Anspruch.

[24] 7. Der Beklagte hat die Klägerin per E-Mail, also bereits auf einem dauerhaften Datenträger iSd § 3 Z 5 FAGG aufgefordert, ihm umgehend Informationen über die streitgegenständliche Liegenschaft zukommen zu lassen und eine Besichtigung zu ermöglichen, die er schon am übernächsten Tag in Anspruch genommen hat. Selbst wenn man im E-Mail des Beklagten noch kein formgerecht bestätigtes Verlangen iSd § 10 FAGG erblicken wollte, war die unterschriftliche Bekräftigung des Wunsches und der Bestätigung der Kenntnis vom Verlust des Rücktrittsrechts bei der ersten Besichtigung nicht verspätet.

[25] 8. Dieses Ergebnis wird auch den dargestellten Zwecken des Formgebots gerecht. Hätte der Beklagte sich nämlich bei der Besichtigung geweigert, seinen zunächst per E-Mail und mit der Terminvereinbarung artikulierten Wunsch nach sofortigem Tätigwerden der Klägerin zu bestätigen, hätte diese noch wegen des Risikos, für eine verdienstliche Vermittlung grundlos kein Entgelt zu erhalten, ihre weiteren Leistungen einstellen können. In diesem Fall hätte sich die Frage eines Rücktritts für den Beklagten gar nicht gestellt. Ein Rechtsschutzdefizit für den Beklagten bestand zu keinem Zeitpunkt. Seine Unterschriftsleistung nach § 10 FAGG erfolgte erst nach schriftlicher Information (§ 30b KSchG, § 4 FAGG) und sie entsprach seinem in diesem Zeitpunkt bestehenden Interesse am unverzüglichen Erwerb der Liegenschaft, ohne in seiner Willensbildung in irgendeiner Weise (potentielle Ansprüche der Klägerin etc) beeinträchtigt zu sein.

[26] 9. Zusammenfassend liegt im vorliegenden Fall ein Vertrag über eine Dienstleistung samt ausdrücklichem Verlangen des beklagten Verbrauchers nach § 10 FAGG sowie dessen Bestätigung über die Kenntnis vom Verlust des Rücktrittsrechts bei vollständiger Vertragserfüllung vor. Auf Grundlage des Verlangens auf vorzeitige Vertragserfüllung hat die Klägerin vor Ablauf der Rücktrittsfrist nach § 11 FAGG mit der Ausführung der Dienstleistung begonnen und die Dienstleistung sodann unstrittig vollständig erbracht. Damit sind aber alle Voraussetzungen des § 18 Abs 1 Z 1 FAGG für den Verlust des Rücktrittsrechts erfüllt (8 Ob 122/17z).

[27] 10. Die Frage, ob die Klägerin ihre weiteren gesetzlichen Informations- und Aufklärungspflichten über das Rücktrittsrecht vollständig – insbesondere im Hinblick auf die Nennung der Kontaktdaten – erbracht hat, kann bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben. Sowohl Art 16 lit a Verbraucherrechte-Richtlinie als auch der diesen umsetzende § 18 Abs 1 Z 1 FAGG enthalten kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal dahingehend, dass der Ausschluss des Widerrufsrechts bzw Rücktrittsrechts die Einhaltung von in Art 16 lit a der Richtlinie oder § 18 Abs 1 Z 1 FAGG nicht genannten Informationspflichten voraussetze (RS0131793 = 8 Ob 122/17z).

[28] 11. Der Revision war daher Folge zu geben und im Ergebnis die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

[29] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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