OGH 10Ob20/23y

OGH10Ob20/23y13.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Gernot Lehner, Rechtsanwalt in Neumarkt im Hausruckkreis, gegen die beklagte Partei Mag. Horst Winkelmayr, Rechtsanwalt in Wien, als Masseverwalter im Schuldenregulierungsverfahren des Mag. * A*, wegen Zustimmung zur Einverleibung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 18. Jänner 2023, GZ 22 R 277/22z‑13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Grieskirchen vom 27. September 2022, GZ 2 C 94/22s‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00020.23Y.0213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Grundbuchsrecht, Wohnungseigentumsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Mit Kaufvertrag vom 30. Jänner 1979 erwarb Mag. * A* [a.] 127/10000 und [b.] 24/10000 Miteigentumsanteile an einer Liegenschaft. Mit den Anteilen [a.] ist Wohnungseigentum an der Wohnung Top 34 und mit den Anteilen [b.] Wohnungseigentum an der Garage Top 72 verbunden.

[2] Im der Begründung des Wohnungseigentums zugrunde liegenden – von Mag. A* unterfertigten – Wohnungseigentumsvertrag sind nach der Widmung der Miteigentümer 79 Wohnungseigentumsobjekte (54 Wohnungen und 25 Garagen) aber kein Wohnungseigentumszubehör vorgesehen.

[3] Am 18. Mai 1990 verkaufte Mag. A* die Wohnung Top 34 „samt allem rechtlichen und tatsächlichen Zugehör“ an die erste Erwerberin. Nach deren Tod im Jahr 1998 wurde ihr gesamter Nachlass ihrer Erbin eingeantwortet. In der Folge wurde die Wohnung Top 34 zwischen 2001 und 2016 noch viermal, zuletzt an den Kläger, veräußert. In den jeweiligen Kaufverträgen erklärten die Erwerber, in den Wohnungseigentumsvertrag einzutreten; das Kaufobjekt wurde jeweils als Wohnung (Top) 34 samt Garage beschrieben.

[4] Allen Erwerbern wurde im Zuge der Veräußerung der Wohnung auch die Garage (Top 72) übergeben und von ihnen auch genutzt. Ihnen wurden zudem von der Hausverwaltung die Betriebskosten und Annuitäten für die Garage vorgeschrieben, die sie auch bezahlten. Sie waren allesamt der Ansicht, bei der Garage handle es sich um Zubehörwohnungseigentum und betrachteten sich (demgemäß) unwidersprochen als Eigentümer der Garage.

[5] Obwohl Mag. A* bis heute als Eigentümer der Garage Top 72 im Grundbuch eingetragen ist, nutzte er sie seit dem Verkauf an die erste Erwerberin im Jahr 1990 nicht mehr. Im September 2020 wurde über sein Vermögen das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und der Beklagte zum Masseverwalter bestellt.

[6] Das Erstgericht wies die auf Ersitzung gestützte und auf Zustimmung zur Einverleibung des Eigentums an den Miteigentumsanteilen [b.], verbunden mit Wohnungseigentum an der Garage Top 72, gerichtete Klage ab.

[7] Das Berufungsgericht gab der Klage hingegen statt. Dass bei keinem Erwerbsvorgang thematisiert worden sei, dass die Garage ein eigenes Wohnungseigentumsobjekt sei, überrasche zwar. Ein Vorbringen, aufgrund welcher Umstände die Erwerber an der Rechtmäßigkeit ihres Besitzes zweifeln hätten müssen, habe der dafür beweispflichtige Beklagte aber nicht erstattet. Da Mag. A* die Garage seit dem Verkauf durch ihn nicht mehr genutzt habe und die Erwerber die Betriebskosten getragen hätten, lägen solche Umstände auch nicht vor. Angesichts dessen stehe die jeweils unterlassene Einsicht in das Grundbuch (und den Wohnungseigentumsvertrag) der Redlichkeit der einzelnen Erwerber nicht entgegen; allfällige Sorgfaltsverstöße der jeweiligen (bloßen) Vertragserrichter seien den jeweiligen Erwerbern nicht zuzurechnen.

[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage, ob die Unkenntnis des Grundbuchstands und des Inhalts des Wohnungseigentumsvertrags die Redlichkeit des Erwerbers ausschließe, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision des Beklagten ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[10] 1. Der Beklagte bestreitet nicht, dass bei Zutreffen der dafür notwendigen Voraussetzungen die Ersitzung eines bereits bestehenden Wohnungseigentumsobjekts möglich ist (§ 1455 ABGB; idS etwaHausmann in Hausmann/Vonkilch, Wohnrecht4, § 2 WEG Rz 4 und § 5 Rz 19; Pittl, Wohnungseigentumsrecht Rz 2.8; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht II23 § 2 WEG Rz 3 ua). Darauf ist somit nicht weiter einzugehen.

[11] 2. Voraussetzungen für die Ersitzung nach § 1477 ABGB sind neben dem Zeitablauf echter und redlicher Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprochen hat, und der Besitzwille (RS0034138 insb [T2]; RS0034283). In der Revision bezweifelt der Beklagte die Redlichkeit des Besitzes und den Besitzwillen (insoweit er sich nur auf ein Zubehörobjekt und nicht auf ein Wohnungseigentumsobjekt bezogen habe) des Klägers, seiner Rechtsvorgänger (§ 1493 ABGB) und der ihnen seiner Ansicht nach zuzurechnenden Personen. Damit zeigt er aber keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[12] 3. Nach § 326 (iVm § 1463) ABGB ist redlich, wer eine Sache aus wahrscheinlichen Gründen für die Seinige hält. Redlichkeit verlangt also nicht den Glauben, Eigentümer zu sein, sondern nur den Glauben an einen gültigen Titel (RS0010172). Maßgeblich ist demgemäß das Vertrauenin dieRechtmäßigkeit der Besitzausübung (7 Ob 97/21x; 2 Ob 37/20k mwN), das beim Besitzerwerb und während der ganzen Ersitzungszeit vorhanden sein muss (RS0010175). Der gute Glaube fehlt bzw geht verloren, wenn der Besitzer positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, oder zumindest solche Umstände erfährt, die Anlass geben, an der Rechtmäßigkeit der Besitzausübung zu zweifeln (RS0010184; RS0010137 [T1]), wobei bereits leichte Fahrlässigkeit die Redlichkeit ausschließt (RS0103701; RS0010189 [T6, T7]). Da die Redlichkeit nach § 328 ABGB vermutet wird (RS0034251 [T6]; RS0010185 [T5]), trifftden Gegner für die Fehlerhaftigkeit und Unredlichkeit des Besitzes die Behauptungs- und Beweislast (RS0010185; RS0010175 [T2]; RS0034251).

[13] Die Qualifikation des Verhaltens des Besitzers als redlich oder unredlich hängt von den Umständen des konkreten Falls ab und stellt daher in der Regel keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0010184 [T13]; RS0010185 [T7]).

[14] 3.1. Der Standpunkt des Beklagten, (potentielle) Erwerber eines Wohnungseigentumsobjekts müssten stets in das Grundbuch Einsicht nehmen, andernfalls könnten sie nicht als redlich angesehen werden, widerspricht der Rechtsprechung, wonach der Ersitzungswerber (ohne Verdachtsmomente) nicht verpflichtet ist, sich über den tatsächlichen Grundbuchstand Kenntnis zu verschaffen (8 Ob 645/93; vgl RS0045838). Dass aus dem Grundbuch zu erkennen gewesen wäre, dass die Garage ein eigenes Wohnungseigentumsobjekt und bei der Wohnung kein Zubehör eingetragen ist, schließt die Redlichkeit daher nicht von vornherein aus.

[15] 3.2. Zwar bedarf Zubehörwohnungseigentum einer dahingehenden Widmung durch die Wohnungseigentümer (RS0120725 [T10]; RS0118149). Der Beklagte legt aber nicht dar, warum sich die Erwerber im Anlassfall zwingend vom Inhalt des Wohnungseigentumsvertrags vergewissern hätten müssen. Denn Nachforschungspflichten bestehen grundsätzlich erst dann, wenn ein (indizierter) Verdacht besteht, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse nicht dem Grundbuchstand entsprechen (vgl RS0011676 [T19]). Welchen Verdachtsmomenten die Erwerber nachgehen hätten müssen, hat der Beklagte aber schon in erster Instanz nicht aufgezeigt. Allein daraus, dass nach § 5 Abs 3 Satz 3 WEG idF der WRN 2015 die Eintragung von Zubehör nicht mehr notwendig ist (vgl RS0130569; zur Rechtslage vor der WRN 2015 vgl RS0111616), lässt sich keine generelle Nachforschungspflicht ableiten. Die Ersitzung von Zubehörwohnungseigentum ist hier auch nicht zu beurteilen.

[16] 3.3. Wenn das Berufungsgericht vor dem Hintergrund dieser Grundsätze eine redliche Besitzausübung annimmt, weil die Garage den jeweiligen Erwerbern übergeben wurde und diese sie exklusiv genutzt (vgl RS0010101; RS0009792) und alle Kosten getragen haben, wohingegen Mag. A* die Garage seit dem (ersten) Verkauf nicht mehr in Anspruch genommen hat (vgl RS0034116), bedarf das keiner Korrektur im Einzelfall (RS0044088). Es gibt auch nicht den Ausschlag, dass im ersten Kaufvertrag (aus dem Jahr 1990) die Garage nicht erwähnt wurde, weil die Rechtmäßigkeit des Besitzes keine Voraussetzung der uneigentlichen Ersitzung ist (§ 1477 ABGB; RS0034138 [T3]; 3 Ob 46/23w Rz 17). Dafür reicht aus, dass die Garage der ersten Erwerberin im Zuge des Kaufs der Wohnung übergeben wurde und sie davon ausging, auch daran (Wohnungs‑)Eigentum zu erwerben. Die uneigentliche Ersitzung hat auch gerade dann Bedeutung, wenn der Ersitzende zwar die vertragliche Einräumung von Rechten annimmt, diese aber nicht ausreichend nachweisbar ist oder ein Recht trotz ausreichenden Titels nicht verbüchert wurde (8 Ob 36/17b; 1 Ob 129/16a).

[17] 4. Wenn der Beklagte den auf Erwerb von Wohnungseigentum gerichteten Besitzwillen bezweifelt, übergeht er die ständige Rechtsprechung, wonach für diesen das äußere Bild der Benützung ausschlaggebend ist (RS0011655 [T3]; 6 Ob 67/21b ua). Inwiefern hier die irrtümliche rechtliche Qualifikation der Garage als Zubehör (und nicht als Wohnungseigentumsobjekt) nach außen in Erscheinung getreten sein soll, vermag der Beklagte nicht darzulegen. Er lässt auch unberücksichtigt, dass sich aus den tatsächlichen Annahmen des Berufungsgerichts der Wille aller Erwerber ergibt, an der Garage Eigentum zu erwerben. Im Übrigen behauptet der Beklagte auch nicht, dass sie den von ihm vermissten Besitzwillen bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht gebildet hätten (vgl RS0034224; Gusenleitner‑Helm in Klang3 § 1460 Rz 22 mwN).

[18] 5. Zwar wirkt das für den Vertragsabschluss notwendige Wissen oder Wissenmüssen des Machthabers auf den Machtgeber zurück (RS0019523; RS0019518). In der Rechtsprechung ist jedoch geklärt, dass der Vertragspartei das Wissen eines vertragserrichtenden Notars oder Rechtsanwalts, den sie nur mit der Vertragserrichtung und nicht auch mit ihrer Vertretung beauftragt hat, nicht zurechenbar ist (4 Ob 238/19g; 4 Ob 99/19s). Abgesehen davon, dass der Beklagte in erster Instanz nur die Pflichten „bloßer“ Vertragserrichter angesprochen hat, ergibt sich aus dem in dieser Hinsicht in der Revision erstmals angeführten Kaufvertrag des Klägers (Beilage ./9 Punkt VII. und XI.7) kein Vertretungsverhältnis, das die angestrebte Zurechnung rechtfertigen könnte (3 Ob 96/22x). Fragen zu einem allfälligen Sorgfaltsverstoß der Vertragserrichter (vgl etwa RS0026342) stellen sich daher nicht.

[19] 6. Insgesamt zeigt die Revision daher nicht auf, dass dem Berufungsgericht eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

[20] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41,  50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296; RS0035979 [T16, T20]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte