European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00109.23P.1220.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Finanzstrafsachen
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit b FinStrG, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:
* W* ist schuldig, sie hat im Bereich des (damaligen) Finanzamts Kufstein Schwaz vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten, nämlich durch das Unterlassen der Abgabe von Jahressteuererklärungen, Verkürzungen an Einkommensteuer um insgesamt 965.718 Euro bewirkt, und zwar
am 30. Juni 2012 für das Jahr 2011 um 74.985 Euro,
am 30. Juni 2013 für das Jahr 2012 um 128.461 Euro,
am 30. Juni 2014 für das Jahr 2013 um 84.400 Euro,
am 30. Juni 2015 für das Jahr 2014 um 116.787 Euro,
am 30. Juni 2016 für das Jahr 2015 um 148.386 Euro,
am 30. Juni 2017 für das Jahr 2016 um 81.834 Euro,
am 30. Juni 2018 für das Jahr 2017 um 108.207 Euro,
am 30. Juni 2019 für das Jahr 2018 um 106.472 Euro sowie
am 30. Juni 2020 für das Jahr 2019 um 116.186 Euro,
dadurch mehrere Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG begangen und wird hierfür unter Bedachtnahme auf § 21 Abs 1 und 2 FinStrG nach § 33 Abs 5 FinStrG idF BGBl I 2019/62 zu einer
Geldstrafe von 480.000 Euro (in Worten: vierhundertachtzigtausend Euro),
im Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Monaten, verurteilt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.
Der Angeklagten * W* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch einer Mitangeklagten enthält, wurde * W* des Verbrechens des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a (gemeint) und Abs 3 lit b FinStrG schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie vom 30. Juni 2012 bis zum 30. Juni 2020 im Bereich des (damaligen) Finanzamts Kufstein Schwaz vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten, nämlich durch Nichtabgabe der Einkommensteuererklärungen für die jeweiligen Jahre Verkürzungen an Einkommensteuer um insgesamt 965.718 Euro (im Urteil nach den einzelnen Veranlagungsjahren aufgegliedert) bewirkt, und zwar „unter Verwendung“ von ihr erstellter falscher Urkunden, nämlich fingierter Rechnungen über nicht erbrachte Übersetzungsleistungen lautend auf die Mitangeklagte, welche sie anderen legte, wodurch sie einen unberechtigten Geldfluss auf das Konto der Mitangeklagten erwirkte, wobei ihr die Mitangeklagte davon 2.003.808,82 Euro zukommen ließ und sie diese, in den Jahren 2011 bis 2019 erzielten, Einkünfte (A) sowie weitere in der Höhe von 8.600 Euro, betreffend das Veranlagungsjahr 2018 aus Vermietung und Verpachtung (B), verschwieg.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und b sowie 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten * W*.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert die Abweisung (ON 33 S 12) des Antrags auf Ladung der Dr. * T* als Zeugin „zum Beweis dafür, dass
1. die Steuererklärungen für die Jahre 2010 bis 2019 unter Anschluss aller für die Bemessungsgrundlage relevanten Urkunden korrekt und vollständig über Aufforderung der Finanzbehörde verfasst wurden,
2. die Erstangeklagte als Angestellte zuvor niemals Steuererklärungen gemacht hat bzw. mit solchen befasst war,
3. die Erstangeklagte von der Tatsache, dass die von ihr durch die offen gelegten Straftaten erlangten Gelder einkommensteuerpflichtig sind, überrascht wurde und darüber mangels steuerlichem Spezialwissen keine Kenntnis hatte,
4. die Erstangeklagte aus dieser Unkenntnis der Steuerpflicht heraus keine strafbefreiende Selbstanzeige an die Finanzbehörde gemacht hat, obwohl der gesamte, die Steuerpflicht auslösende Sachverhalt von ihr gegenüber dem Arbeitgeber freiwillig offen gelegt worden war,
5. seitens der Finanzbehörde ein Finanzstrafverfahren eingeleitet wurde, bevor die Angeklagte konkrete Kenntnis von der Einkommenssteuerpflicht hatte und
6. die Erstangeklagte erst im Oktober 2020 erstmals steuerliche Vertretung in Anspruch genommen hat, weil sie ursprünglich nicht von einer Steuerpflicht betreffend die von ihr strafgesetzwidrig vereinnahmten Gelder ausgegangen ist“ (ON 33 S 11 f).
[5] Der Rüge zuwider erfolgte die Abweisung des Antrags zu Recht, weil sich die zu 3. bis 6. angeführten Beweisthemen nicht auf sinnliche Wahrnehmungen über Tatsachen bezogen (RIS‑Justiz RS0097545) und die – im Übrigen nicht auf erhebliche Tatsachen gerichteten – weiteren durch die Beweisaufnahme unter Beweis zu stellen beabsichtigten Umstände vom Erstgericht ohnehin als erwiesen angenommen wurden (US 12 f, vgl auch ON 33 S 12).
[6] Im Rechtsmittel nachgetragene Ausführungen zur Antragsfundierung haben angesichts des sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).
[7] Entgegen dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) ist die Herleitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem objektiven Tatgeschehen (dazu RIS‑Justiz RS0098671 und RS0116882) in Verbindung mit dem Bildungsstand und der Tätigkeit der Angeklagten in einer verantwortlichen Position (US 17) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.
[8] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) entwickelt ihre Argumentation aus der Prämisse, dass die Angeklagte irrtümlich von einer fehlenden Steuerpflicht der aus strafbaren Handlungen stammenden Einkünfte ausgegangen sei. Da sie sich solcherart (RIS‑Justiz RS0132727) über die Feststellungen des Erstgerichts zur subjektiven Tatseite hinwegsetzt (US 12), verfehlt sie den – im Urteilssachverhalt gelegenen – Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).
[9] Indem die Beschwerde denselben Einwand auch unter Bezugnahme auf den Schuldausschließungsgrund des Rechtsirrtums (§ 9 FinStrG) vorträgt (Z 9 lit b), verkennt sie, dass der Tatbildirrtum auf der Tatbestandsebene angesiedelt ist (RIS‑Justiz RS0086208 [T2], Lässig in WK2 FinStrG § 9 Rz 1).
[10] Im dargestellten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).
[11] Im Recht ist jedoch die Subsumtionsrüge (Z 10), soweit sie sich gegen die Subsumtion der vom Schuldspruch umfassten Taten (auch) nach § 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit b StPO richtet:
[12] § 39 FinStrG ist eine Qualifikationsnorm, die in Abs 1 unter anderem an den Grundtatbestand der Abgabenhinterziehung (§ 33 Abs 1 FinStrG) anknüpft. Wer solche – durch das Gericht zu ahndende (dazu näher Lässig in WK2 FinStrG § 39 Rz 3) – Finanzvergehen unter Verwendung falscher oder verfälschter Urkunden, Daten oder anderer Beweismittel begeht, ist nach § 39 Abs 1 lit a FinStrG strafbar (Lässig in WK2 FinStrG § 39 Rz 5).
[13] Im Sinn des § 39 Abs 1 lit a FinStrG verwendet werden falsche oder verfälschte Urkunden, wenn sie (zumindest) bereit gehalten werden, um sie über allfälliges Verlangen der Behörde (§§ 137 f BAO) vorzulegen (RIS‑Justiz RS0130536). Abgabenerklärung und Beweismittel stellen solcherart eine Einheit dar, die der Behörde durch die Erstattung der Erklärung zugänglich gemacht wird, auch wenn ein Teil dieser Einheit (vorerst) räumlich beim Abgabepflichtigen verbleibt (Lässig in WK2 FinStrG § 39 Rz 6).
[14] Feststellungen dazu, dass die Angeklagte (soweit hier von Bedeutung) falsche oder verfälschte Urkunden – nicht nur bei der Begehung nicht verfahrensgegenständlicher strafbarer Handlungen nach dem StGB verwendet (siehe dazu ON 2 S 2 ff und § 167 StGB) sondern auch – zum Nachweis nicht bestehender Einkommensteuerpflicht, somit zur Begehung der Abgabenhinterziehungen bereit gehalten hätte, sind dem Urteil nicht zu entnehmen.
[15] Der zutreffend geltend gemachte Subsumtionsfehler führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich (§ 288 Abs 2 StPO).
[16] Da nach der Aktenlage, insbesondere nach dem Inhalt der inkriminierten Urkunden, die fehlenden Feststellungen auch in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten sind, sah der Oberste Gerichtshof aus prozessökonomischen Gründen von einer Verweisung an das Erstgericht ab (Ratz, WK‑StPO § 288 Rz 24) und erkannte unter Zugrundelegung der vom Schöffengericht festgestellten Tatsachen in der Sache selbst (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).
[17] Ausgehend von dieser Feststellungsbasis verwirklichte die Angeklagte mit Blick auf den finanzstrafrechtlichen Tatbegriff (RIS‑Justiz RS0124712) mehrere Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht.
[18] Das Erwirken der die vom Schuldspruch umfasste Steuerpflicht auslösenden Einkünfte mittels fingierter Rechnungen per se ist nicht Gegenstand dieses (Finanz‑)Strafverfahrens.
Zur Strafneubemessung:
[19] Der strafbestimmende Wertbetrag (§ 53 Abs 1 FinStrG) beläuft sich auf 965.718 Euro, sodass unter Bedachtnahme auf § 21 Abs 1 und 2 FinStrG nach § 33 Abs 5 FinStrG ([auch] idF BGBl I 2019/62) von einem Geldstrafrahmen bis zum Zweifachen dessen, also von 1.931.436 Euro auszugehen war.
[20] Bei der Strafbemessung war – iVm § 23 Abs 2 letzter Satz FinStrG – erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Finanzvergehen und der lange Tatzeitraum (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), mildernd hingegen der wesentliche Beitrag zur Wahrheitsfindung (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB).
[21] Ausgehend von den dargestellten Strafbemessungsgründen (§ 23 Abs 2 erster Satz FinStrG) ist auf der Grundlage der Schuld der Angeklagten (§ 23 Abs 1 FinStrG) sowie deren persönlicher Verhältnisse und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (§ 23 Abs 3 FinStrG) eine Geldstrafe von 480.000 Euro schuldangemessen.
[22] Für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe war eine – mit Blick auf die diesbezügliche Höchststrafe von einem Jahr (§ 20 Abs 2 erster Satz FinStrG) angemessene – Ersatzfreiheitsstrafe (§ 20 Abs 1 FinStrG) von sechs Monaten zu bestimmen.
[23] Angesichts des hohen Schuldgehalts sowie der gezielten Hinterziehung von Abgaben über einen Zeitraum von neun Jahren standen der bedingten Nachsicht eines Teils der Strafe sowohl spezial- als auch generalpräventive Gründe entgegen.
[24] Mit Blick auf die spürbare unbedingte Geldstrafe bedarf es weder aus spezial‑ noch aus generalpräventiven Gründen der zusätzlichen Verhängung einer Freiheitsstrafe (§ 15 Abs 2 FinStrG).
[25] Mit ihren Berufungen waren die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.
[26] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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