OGH 1Ob82/23z

OGH1Ob82/23z23.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwaltin Linz, gegen die beklagte Partei Stadt *, vertreten durch die Wildmoser/Koch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 94.426,38 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 22.096,38 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. November 2022, GZ 4 R 147/22y‑20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 2. August 2022, GZ 31 Cg 19/21m-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00082.23Z.1023.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden teilweise bestätigt, sodass die Entscheidung – unter Einschluss des bereits rechtskräftigen Teils (Abweisung eines Zahlungsbegehrens von 72.330 EUR sA sowie des Feststellungsbegehrens) – als Teilurteil insgesamt lautet:

Das Klagebegehren,

die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger 87.042,79 EUR sA zu zahlen;

es werde festgestellt, dass die beklagte Partei dem Kläger für die künftigen Schäden aus der ab 24. 10. 2018 erfolgten Verletzung der Fürsorgepflicht der beklagten Partei gegenüber dem Kläger zu haften habe,

wird abgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Im Übrigen, also hinsichtlich der Abweisung eines Zahlungsbegehrens von 7.383,59 EUR sA, werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der (mittlerweile im Ruhestand befindliche) Kläger stand seit dem Jahr 2000 in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zur Beklagten. Er war seit 1998 als Schulwart und Verwalter eines Volkshauses eingesetzt. Schuldienst verrichtete der Kläger von 6:00 Uhr bis 13:00 Uhr und von 16:00 Uht bis 18:00 Uhr. Er bewohnte eine Dienstwohnung im Schulgebäude. Von 18:00 Uhr bis 22:00 Uhr hatte er Anwesenheitsdienst in der Schule; in dieser Zeit musste er erreichbar sein und Vereine betreuen, die den Turnsaal benutzten. Der Dienst im Volkshaus begann um 7:30 Uhr mit Vorbereitungsdiensten, um 8:00 Uhr musste der Kläger aufsperren. Er hatte dann Aufsichtsdienst bis 18:00 Uhr. In dieser Zeit hätte er sich grundsätzlich im Volkshaus aufhalten müssen, er verrichtete jedoch den Dienst in der Schule und im Volkshaus parallel. Die Gebäude befinden sich unmittelbar nebeneinander. Ab 18:00 Uhr verrichtete der Kläger dann entweder in der Schule oder im Volkshaus Dienst. Für die Dienste im Volkshaus ab 18:00 Uhr bekam der Kläger ursprünglich Überstunden bezahlt, für den Dienst in der Schule eine Pauschale.

[2] Mit Antrag vom 2. 7. 2018 begehrte er die Nachzahlung von Bezügen für die von ihm im Volkshaus erbrachten Leistungen ab Oktober 2017. Mit Bescheid * vom 12. 12. 2018 wurde diesem Antrag mit der Maßgabe stattgegeben, dass für die im Zeitraum 7. 11. 2017 bis 5. 7. 2018 angeordneten Mehrdienstleistungen im Rahmen des Sperrdienstes für das Volkshaus die begehrte Überstundenvergütung unter Abzug der bereits bezogenen Bereitschaftsentschädigung zugesprochen wurde.

[3] Mit Bescheid vom 23. 12. 2020 wies * den Antrag des Klägers vom 1. 7. 2020 auf Gewährung von Ersatzruhezeiten (zB in Form von Zeitausgleichsstunden) für die in den letzten (zumindest drei) Jahren unterbrochenen und damit nicht gewährten Ruhezeiten oder Nachzahlung einer entsprechenden finanziellen Vergütung bzw Abgeltung ab. In der Begründung führte die Behörde aus, dass zwar durch die vom Kläger vom 7. 11. 2017 bis 5. 7. 2018 geleisteten Sperrdienste die in § 58 Oö StGBG 2002 festgelegte elfstündige ununterbrochene tägliche Ruhezeit nicht eingehalten worden sei. Weder § 58 Oö StGBG 2002 noch die sonstigen auf den Kläger anzuwendenden besoldungsrechtlichen Bestimmungen würden jedoch Ersatzruhezeiten (oder Zeitausgleichsstunden) bzw eine finanzielle Abgeltung bei Nichteinhaltung der gesetzlich festgelegten elfstündigen Ruhezeit vorsehen (Beilage ./X; RS0121557). Dagegen erhob der Kläger kein Rechtsmittel.

[4] Der Kläger begehrt mit seiner am 20. 5. 2021 eingebrachten Klage, soweit noch Gegenstand des Revisionsverfahrens, insbesondere gestützt auf das AHG 22.096,38 EUR sA als Entschädigung für (im Detail aufgeschlüsselte) nicht gewährte (Ersatz‑)Ruhezeiten in den Jahren 2016 bis einschließlich 2018 (8.054,29 EUR für das Jahr 2016, 6.658,50 EUR für das Jahr 2017, 7.383,59 EUR für das Jahr 2018). Seine täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten seien regelmäßig durch die zusätzlich zu den normalen Dienstzeiten anlass- und veranstaltungsbedingt im Volkshaus und im Turnsaal der Schule zu verrichtenden Dienste unterschritten worden. Auch die ihm gemäß §§ 58 f Oö StGBG 2002 zustehenden Ersatzruhezeiten seien ihm nicht gewährt worden. Er habe durch diese rechtswidrigen und grob schuldhaften Handlungen eine Verminderung an Frei-, Ruhe- und Erholungszeit erlitten. Beim Sperrdienst im Volkshaus handle es sich weder um Rufbereitschaft noch Bereitschaftsdienst. Die Nichtgewährung der (Ersatz‑)Ruhezeiten habe auch zu einer Bereicherung der Beklagten geführt, weil sie keinen anderen Mitarbeiter habe einsetzen müssen und sich Mehrausgaben erspart habe. Sein Ersatzanspruch leite sich auch aus der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) ab, die unmittelbar anzuwenden sei. Eine Remonstration gegen die Weisung (Dienstplan) wäre erfolglos geblieben, weil die Beklagte die Diensteinteilung nicht geändert hätte. Auch ein Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheids hätte nichts geändert und wäre mangels gesetzlicher Voraussetzungen nicht zulässig gewesen. Zudem hätte er damit keinen zusätzlichen Vorteil erlangen und keinen Schaden abwenden können. Die Ansprüche seien auch nicht verjährt.

[5] Die Beklagte bestreitet. Ansprüche im Zusammenhang mit dem Vorwurf nicht gewährter (Ersatz‑)Ruhezeiten würden schon deshalb nicht zustehen, weil der Kläger seine Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verletzt habe. Er habe es unterlassen, taugliche Rechtsbehelfe zu ergreifen, insbesondere habe er den Bescheid vom 23. 12. 2020 nicht bekämpft. Zudem wäre dem Kläger gegen die seine Ruhezeiten verkürzende Diensteinteilung die Möglichkeit der Remonstration zur Verfügung gestanden; er hätte die behauptete Rechtswidrigkeit auch durch einen Antrag auf bescheidmäßige Feststellung geltend machen können. Die vom Kläger behauptete Unterschreitung der Wochenruhezeit wurde ebenso bestritten wie die Unterschreitung der täglichen Ruhezeit. Insbesondere handle es sich beim „Sperrdienst“ im Volkshaus und beim Turnsaaldienst nicht um Arbeitszeit, sondern um Rufbereitschaft, die mit nahezu keinen Einschränkungen für die Freizeitgestaltung des Klägers verbunden sei. Letztlich sei die geltend gemachte Entschädigung für Ruhezeiten ohnedies verjährt.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts. Ein Anspruch auf finanzielle Entschädigung für nicht gewährte (Ersatz‑)Ruhezeiten bestehe nicht. Der Kläger habe seine Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verletzt, weil er nicht gegen die Dienstpläne bzw Überstundenanordnung remonstriert und keinen Feststellungsbescheid erwirkt habe. Auch der Hinweis auf die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie 2003/88/EG gehe ins Leere, weil die §§ 58 f Oö StGBG 2002 eine entsprechende Umsetzung der in Art 3 und 5 dieser Richtlinie vorgesehenen täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten enthielten und ein Verstoß dagegen zu Amtshaftungsansprüchen führen könnte. Ein Bereicherungsanspruch liege schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte auch dem Kläger neben seinem Gehalt die (bescheidmäßig festgesetzte) Überstundenvergütung zu leisten gehabt habe.

[7] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil zur Frage einer allfälligen unmittelbaren Geltung der Richtlinie 2003/88/EG wegen fehlender Sanktionen bei Verstoß gegen die die Ruhezeiten regelnden Bestimmungen des Oö StGBG 2002 und eines daraus allenfalls ableitbaren Anspruchs auf Geldersatz für nicht gewährte (Ersatz‑)Ruhezeiten keine oberstgerichtliche Rechtsprechung auffindbar sei.

[8] Mit seiner Revision strebt der Kläger den Zuspruch von (nur mehr) 22.096,38 EUR sA an, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist wegen des Fehlens von Rechtsprechung zur Frage zulässig, ob aus der Verletzung von Arbeitsruhevorschriften des Unionsrechts in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis Amtshaftungs-ansprüche abgeleitet werden können. Sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch teilweise berechtigt.

1. Zur Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. 11. 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung

[11] 1.1. Wie noch zu zeigen ist (unten Pkt 5.), kann der geltend gemachte Anspruch bei Zutreffen des Klagevorbringens – abgesehen von teilweise eingetretener Verjährung – auf die schuldhafte Verletzung von Arbeitsruhe-vorschriften im Oberösterreichischen Statutargemeinden-Bedienstetengesetzes 2002 (Oö StGBG 2002) gestützt werden. Da dieses Gesetz insofern die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung umsetzt, ist es zunächst angezeigt, den Inhalt dieser Richtlinie und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs darzustellen.

[12] 1.2. Zum Inhalt der Richtlinie 2003/88/EG :

Art 1 der Richtlinie bestimmt:

(1) Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.

(2) Gegenstand dieser Richtlinie sind

a) die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, …“

Art 2 sieht vor:

Im Sinne dieser Richtlinie sind:

(1) Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

(2) Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit; …“

[13] Nach Art 3 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24‑Stunden‑Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.

[14] Nach Art 5 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Art 3 gewährt wird.

[15] Nach Art 6 lit b treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet.

[16] Art 17 statuiert die (engen) Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedstaaten von den Art 3 bis 6, 8 und 16 abweichen können.

[17] 1.3. Der EuGH hat bereits mehrfach zu der Richtlinie Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten nicht nur eine Regel des Sozialrechts der Union ist, die besondere Bedeutung hat, sondern auch in Art 31 Abs 2 der Charta, der nach Art 6 Abs 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, ausdrücklich verbürgt ist. Die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88/EG , insbesondere ihre Art 3, 5 und 6, konkretisieren dieses Grundrecht und sind daher in dessen Licht auszulegen (C‑55/18 , CCOO, ECLI:EU:C:2019:402, Rn 30 ff mwN; C‑585/19 , Academia de Studii Economice din Bucureşti, ECLI:EU:C:2021:210, Rn 36 f). Der EuGH hat auch schon wiederholt ausgeführt, dass durch die Richtlinie 2003/88/EG Mindestvorschriften festgelegt werden sollten, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern. Diese Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung auf der Ebene der EU bezweckt, durch die Gewährung von – ua täglichen und wöchentlichen – Mindestruhezeiten einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Daher müssen die Mitgliedstaaten nach den Art 3 und 5 der Richtlinie 2003/88/EG die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24‑Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden und pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Art 3 gewährt wird (C‑477/21 , MÁV-START, ECLI:EU:C:2023:140, Rn 32 und 33 mwN). Die Mitgliedstaaten müssen zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der Richtlinie 2003/88/EG die Beachtung dieser Mindestruhezeiten gewährleisten und jede Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit verhindern (C‑55/18 , CCOO, Rn 40).

[18] 1.4.  Der Kläger stützt seine Ansprüche zentral auf die (unter diesen Prämissen ergangene) Entscheidung C‑429/09 , Fuß/Halle, ECLI:EU:C:2010:717, die daher im Folgenden näher dargestellt wird:

[19] 1.4.1. Im dortigen Ausgangsverfahren machte der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Freizeitausgleich oder Mehrarbeitsvergütung für die Überschreitung der in Art 6 lit b der Richtlinie vorgegebenen wöchentlichen Höchstarbeitszeit geltend, der ihm nach deutschem Recht verwehrt wurde, weil er keinen Antrag an seinen Dienstherrn gestellt hatte, nur für die gesetzlich vorgesehene Arbeitszeit in Anspruch genommen zu werden. Er habe auch keinen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung, da eine als solche bezeichnete Mehrarbeit nicht angeordnet worden sei. Erst für nach Stellung eines entsprechenden Antrags rechtswidrig festgesetzte Arbeitszeiten sei ein Ausgleich zu gewähren, weil sich ein Anspruch auf Dienstbefreiung nach nationalem Recht nur aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben könne (Rn 27 f). Das Vorlagegericht fragte sich aber, ob nicht ein Ausgleichsanspruch aus der Richtlinie 2003/88/EG abgeleitet werden könne (Rn 29).

[20] 1.4.2. Der EuGH verwies in Beantwortung der Frage nach einem derartigen Sekundäranspruch zunächst darauf, dass die Richtlinie keine Bestimmung zu den Sanktionen enthält, die bei einem Verstoß gegen die Mindestvorschriften Anwendung finden, die in dieser Richtlinie ua hinsichtlich der Arbeitszeit aufgestellt werden, und somit keine spezielle Regelung zum Ersatz des Schadens, der den Arbeitnehmern durch diesen Verstoß möglicherweise entstanden ist (Rn 44). In der Folge referierte er allerdings seine Rechtsprechung zur Haftung des Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen (Rn 45 f), und erläuterte, dass die Geschädigten einen Ersatzanspruch haben, wenn (1) die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen worden ist, die Verleihung von Rechten an die Geschädigten bezweckt, (2) der Verstoß gegen diese Norm hinreichend qualifiziert ist und (3) zwischen diesem Verstoß und dem den Geschädigten entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (Rn 47).

[21] Diese drei Voraussetzungen sah der EuGH im Ausgangsverfahren als erfüllt an und kam zu dem Schluss, dass ein Arbeitnehmer, der als Feuerwehrmann in einem zum öffentlichen Sektor gehörenden Einsatzdienst beschäftigt ist und als solcher eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit abgeleistet hat, die die in Art 6 lit b der Richtlinie 2003/88/EG vorgesehene wöchentliche Höchstarbeitszeit überschreitet, sich auf das Unionsrecht berufen kann, um die Haftung der Behörden des betreffenden Mitgliedstaats auszulösen und Ersatz des Schadens zu erlangen, der ihm durch den Verstoß gegen diese Bestimmung entstanden ist (Rn 63). Dabei sprach der EuGH den Schaden an, der dem Arbeitnehmer „durch den Verlust der Ruhezeit entstanden ist, die ihm zugestanden hätte, wenn die in dieser Bestimmung vorgesehene wöchentliche Höchstarbeitszeit eingehalten worden wäre“ (Rn 59). Im Übrigen laufe es dem Unionsrecht auch nicht zuwider, dass die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem Einzelnen durch solche Maßnahmen entstanden sei, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben sein könne (Rn 61).

[22] 1.4.3. Im Weiteren erklärte der EuGH, dass es in Ermangelung entsprechender unionsrechtlicher Bestimmungen Sache der Mitgliedstaaten sei, die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz wahren (Rn 72). So könne das nationale Gericht prüfen, ob sich der Geschädigte in angemessener Form um die Verhinderung des Schadenseintritts oder um die Begrenzung des Schadensumfangs bemüht hat und ob er insbesondere rechtzeitig von allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch gemacht hat (Rn 75). Nach einem allgemeinen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsatz müsse sich nämlich der Geschädigte in angemessener Form um die Begrenzung des Schadensumfangs bemühen, wenn er nicht Gefahr laufen wolle, den Schaden selbst tragen zu müssen (Rn 76). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs widerspräche es jedoch dem Grundsatz der Effektivität, von den Geschädigten zu verlangen, systematisch von allen ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch zu machen, selbst wenn dies zu übermäßigen Schwierigkeiten führen würde oder ihnen nicht zugemutet werden könnte (Rn 77). So könne einem Arbeitnehmer, dem durch den Verstoß seines Arbeitgebers gegen die Rechte aus Art 6 lit b der Richtlinie 2003/88/EG ein Schaden entstanden sei, nicht zugemutet werden, zuvor einen Antrag bei diesem Arbeitgeber zu stellen, um einen Anspruch auf Ersatz dieses Schadens geltend machen zu können (Rn 86). Daher dürfe der Ersatzanspruch nicht von einem solchen Antrag abhängig gemacht werden (Rn 90). Ein Verschulden des Arbeitgebers, das über eine hinreichend qualifizierte Verletzung des Unionsrechts hinausgeht, dürfe ebenso wenig verlangt werden (Rn 67).

[23] 1.4.4. Schlussendlich stellte der EuGH klar, dass zwar Form und Umfang der Entschädigung dem erlittenen Schaden angemessen sein muss, vom Unionsrecht aber nicht geregelt wird. Es sei Sache des nationalen Rechts des betreffenden Mitgliedstaats, unter Beachtung des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes zu bestimmen, ob der Ersatz des Schadens, der einem Arbeitnehmer wie im Ausgangsverfahren durch den Verstoß gegen eine Vorschrift des Unionsrechts entstanden ist, diesem Arbeitnehmer in Form von Freizeitausgleich oder in Form einer finanziellen Entschädigung zu gewähren sei, und die Regeln für die Art und Weise der Berechnung der Anspruchshöhe festzulegen (Rn 98).

[24] 1.5. Im vorliegenden Zusammenhang ist weiters von Bedeutung, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die beiden – autonom auszulegenden – Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ einander ausschließen. Die Bereitschaftszeit eines Arbeitnehmers ist daher für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2003/88/EG entweder als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ einzustufen, da die Richtlinie keine Zwischenkategorie vorsieht (C‑344/19 , D.J., ECLI:EU:C:2021:182, Rn 29 ff mwN). Unter den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG fallen sämtliche Bereitschaftszeiten einschließlich Rufbereitschaften, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. Umgekehrt stellt, wenn die dem Arbeitnehmer während einer bestimmten Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen keinen solchen Intensitätsgrad erreichen und es ihm erlauben, über seine Zeit zu verfügen und sich ohne größere Einschränkungen seinen eigenen Interessen zu widmen, nur die Zeit, die auf die gegebenenfalls während eines solchen Zeitraums tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung entfällt, „Arbeitszeit“ für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2003/88/EG dar (C‑344/19 , D.J., Rn 37 und 38 mwN).

2. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten:

[25] Art 6 lit b der Richtlinie 2003/88/EG bezweckt die Verleihung von Rechten an den Einzelnen. Nichts anderes gilt für Art 3 und 5 dieser Richtlinie. Der Staat ist verpflichtet, diese Regelungen im nationalen Recht umzusetzen. Ein qualifizierter Verstoß kann unter Umständen zu einem Staatshaftungsanspruch führen. Diese Frage stellt sich hier aber nicht, weil die Richtlinie ohnehin korrekt umgesetzt wurde. Der Anspruch kann daher nur darauf beruhen, dass der (öffentliche) Arbeitgeber diese Vorschriften nicht beachtet hat. Insofern kann die Haftung eines öffentlichen Arbeitgebers daher neben die Haftung des Staates wegen mangelhafter Umsetzung der Richtlinie treten (Ulber in Preis/Sagan, Europäisches Arbeitsrecht2 [2019] § 7 Rn 326; vgl Schubert/Bayreuther in Schlachter/Heinig, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht2 [2021] § 11 Rz 6, die darauf hinweisen, dass der Staatshaftungsanspruch und der Ersatzanspruch gegenüber dem Arbeitgeber auseinander-zuhalten sind).

[26] Auf dieser Grundlage besteht – wie der Senat bereits in der Entscheidung 1 Ob 169/22t festgehalten hat – kein Zweifel daran, dass Schäden, die einem Arbeitnehmer durch Verstöße gegen die Richtlinie 2003/88/EG (und gegebenenfalls gegen die diese Richtlinie umsetzenden Gesetze) entstanden sind und nicht schon (etwa durch Ersatzruhezeiten) im Rahmen des Dienstverhältnisses ausgeglichen werden, im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu ersetzen sind; bei öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen daher nach dem AHG. Bei Beurteilung dieser Ersatzansprüche ist der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten.

[27] Angesichts der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des EuGH erübrigt sich im Sinne der Acte‑clair‑Theorie dessen (vom Kläger angeregte) Anrufung (RS0082949). Ob und inwieweit das auch gegenüber privaten Arbeitgebern gilt, ist hier nicht zu entscheiden.

3. Zur innerstaatlichen Rechtslage:

[28] 3.1. Auf das Dienstverhältnis des Klägers findet das Oö Statutargemeinden-Bedienstetengesetz 2002 (Oö StGBG 2002), LGBl 2002/50, Anwendung:

[29] Nach dessen § 56 Abs 1 darf die Tagesdienstzeit – von den in Abs 2 normierten, hier nicht relevierten Ausnahmen abgesehen – 13 Stunden nicht überschreiten. Nach § 58 leg cit ist dem Beamten nach Beendigung der Tagesdienstzeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindesten elf Stunden zu gewähren. Nach § 59 leg cit ist dem Beamten eine ununterbrochene wöchentliche Ruhezeit (Wochenruhezeit) von mindestens 36 Stunden (daher um eine Stunde über die Richtlinie hinausgehend) einschließlich der täglichen Ruhezeit zu gewähren (Abs 1). Wird die Wochenruhezeit während einer Kalenderwoche unterschritten, ist sie in der nächstfolgenden Kalenderwoche um jenes Ausmaß zu verlängern, um das sie unterschritten wurde (Abs 2). Darüber hinaus enthält das Gesetz keine Vorschriften über die (nachträgliche) Gewährung von Ersatzruhezeiten oder eine finanziellen Abgeltung für verkürzte Ruhezeiten.

[30] Bei der Kontrolle der Einhaltung der Dienstzeit handelt es sich um eine Dienstpflicht des Vorgesetzten, welcher darauf zu achten hat, dass die gesetzlichen Dienstzeit-Höchstgrenzen eingehalten werden, und bei Unterlassen der Kontrolle eine Dienstpflichtverletzung begeht (Wildberger, Praxishandbuch zum Oö Gemeinde-Dienstrechts-und Gehaltsgesetz 2002 [2021] § 97 Oö GDG 2002, 259).

[31] 3.2. Der Beamte hat nach § 63 Abs 1 leg cit auf Anordnung über die im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden hinaus Dienst zu versehen (Überstunden), die nach § 63 Abs 2 leg cit in bestimmter Weise abzugelten sind. Einen darüber hinaus gehenden öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Ausgleich für die Verletzung von Ruhezeiten gibt es jedoch nicht (kritisch Jöchtl in Reissner/Neumayr, ZellKomm ÖffDR § 48d BDG [Stand 1. 6. 2023, rdb.at] Rz 11):

[32] Bereits im Erkenntnis vom 25. 3. 2015, 2013/12/0176, hat der VwGH im Zusammenhang mit § 48d Abs 2 BDG 1979, der eine dem § 59 Abs 2 Oö StGBG 2002 gleichlautende Wochenruhezeitregelung enthält, ausgesprochen, dass keine gesetzliche Grundlage für eine finanzielle Abgeltung für nicht gewährte Wochenruhezeiten und für die nachträgliche Gewährung entgangener Wochenruhezeit gibt. Er verwies lediglich darauf, dass es dem Beschwerdeführer, um das von ihm behauptete Recht auf Gewährung der Wochenruhezeit auch im Fall der Erbringung von Mehrdienstleistungen für die Zukunft klarzustellen, offen gestanden wäre, einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit einer Weisung, nämlich jener Überstundenanordnungen, die zu einer Einschränkung der ihm nach § 48d BDG 1979 zu gewährenden Wochenruhezeit führten, zu stellen.

[33] In seiner Entscheidung vom 2. 10. 2019, Ra 2019/12/0058, hat der VwGH im Zusammenhang mit dem Oö StGBG 2002 iVm § 197 GDG 2002 festgehalten, dass es sich bei dienstplanmäßigen Dienstleistungen nicht um Überstunden handelt. Für außerdienstplanmäßige Dienstzeiten, dh Überstunden, seien von vornherein keine Ersatzruhezeiten zu leisten, weil diese nur für dienstplanmäßige Dienste vorgesehen wären. Sollten im Dienstplan keine ausreichenden Ersatzruhezeiten vorgesehen sein, bestehe keine gesetzliche Grundlage für einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung für nicht gewährte Wochenruhezeiten. Jedenfalls stehe dem Beamten bei im Dienstplan nicht ausreichend vorgesehenen Ersatzruhezeiten, um das Recht auf (ausreichende) Gewährung von Ersatzruhezeit für die Zukunft klarzustellen bzw künftig die gesetzeskonforme Einräumung von Ersatzruhezeit zu erreichen, das dienstrechtliche Feststellungsverfahren offen.

[34] 3.3. Das ARG versteht sich insbesondere auch als Umsetzung der Richtlinie 2003/88/EG (§ 32b Z 1 ARG). Gemäß § 1 Abs 2 Z 1 lit b ARG sind allerdings Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder zu einem Gemeindeverband stehen, soweit sie nicht in Betrieben eines Landes, einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes beschäftigt sind, vom ARG ausgenommen. Es fand daher auf das Dienstverhältnis des Klägers keine Anwendung.

[35] 4. Es trifft – wie die Beklagte meint – zu, dass die Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG hinsichtlich der täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten im Oö StGBG 2002 korrekt umgesetzt wurden. Verstöße gegen die Einhaltung der Mindestruhezeiten können im Rahmen eines Disziplinarverfahrens nach §§ 101 ff leg cit sanktioniert werden. Flankierend steht dem betroffenen Beamten im öffentlichen Dienst nach der Rechtsprechung des VwGH die Möglichkeit offen, ein dienstrechtliches Feststellungs-verfahren einzuleiten.

[36] Das schließt aber einen Schadenersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte als öffentlich-rechtliche Dienstgeberin im vorliegenden Fall nicht aus, wenn und soweit deren Organe rechtswidrig und schuldhaft bestehende Rechtsvorschriften verletzt und dem Kläger dadurch einen Schaden verursacht haben und dieser Schaden nicht schon im Rahmen des Dienstverhältnisses (etwa durch Gewährung von Ersatzruhezeiten) ausgeglichen wird.

5. Zum geltend gemachten Amtshaftungsanspruch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben:

[37] 5.1. Nach dem Klagevorbringen kann ein Anspruch nach § 1 AHG begründet sein.

[38] Den Dienstgeber trifft auch dann eine Fürsorgepflicht für seine Dienstnehmer, wenn das Dienstverhältnis durch Ernennungsakt begründet wurde und daher öffentlich-rechtlichen Charakter hat (RS0021507). Die Wahrnehmung dieser Pflicht ist in diesem Fall ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur, sodass der Beamte, soweit ihm die Durchsetzung seiner Ansprüche nicht nach dienstrechtlichen Vorschriften möglich ist, Amtshaftungsansprüche erheben kann, wenn der Dienstgeber diese Pflicht ihm gegenüber verletzt hat und die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs 1 AHG vorliegen (RS0021507 [T5; T8]).

[39] Die Pflicht, auf die Einhaltung der Mindestruhezeiten zu achten, diese zu kontrollieren und jede Überschreitung zu verhindern, ist der Fürsorgepflicht des Dienstgebers zuzuordnen. Sollte die Beklagte ihrer entsprechenden Fürsorgepflicht nicht nachgekommen sein, sodass es zu einer Unterschreitung der täglichen und/oder wöchentlichen Ruhezeiten gekommen ist, könnte sie daher dem Kläger aus dem Titel der Amtshaftung schadenersatzpflichtig werden. Insofern fehlen aber noch konkrete Feststellungen des Erstgerichts.

[40] 5.2. Eine Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG kann die Beklagte dem Kläger nicht erfolgreich entgegenhalten:

[41] 5.2.1. Bei dem Anspruch nach dem AHG handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf, der erst dann zum Tragen kommt, wenn alle anderen Mittel zur Abwendung oder zum Ersatz des Schadens vergeblich waren (RS0053128). Nur für unverbesserliche Akte der Vollziehung soll Ersatz gewährt werden. Der durch einen hoheitlichen Akt potentiell Geschädigte ist verpflichtet, zunächst die ihm vom Rechtsstaat zur Verfügung gestellten und eine Abwendung seines Schadens noch ermöglichenden Rechtsbehelfe auszunützen (RS0053077). Das Unterlassen offenbar aussichtsloser Abhilfemaßnahmen lässt die Rechtsfolgen des § 2 Abs 2 AHG allerdings nicht eintreten (RS0109421; vgl RS0108815).

[42] 5.2.2. Der unionsrechtliche Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz steht einer Anwendung des § 2 Abs 2 AHG nicht grundsätzlich entgegen (vgl 1 Ob 145/97y = RS0108077). Insbesondere können die nationalen Gerichte nach der Rechtsprechung des EuGH prüfen, ob der Geschädigte rechtzeitig von allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch gemacht hat (oben Pkt 1.4.3.; vgl auch EuGH C‑524/04 , Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, ECLI:EU:C:2007:161, Rn 124 ua).

[43] 5.2.3. Ein Rechtsmittel gegen den Bescheid vom 23. 12. 2020 wäre aber, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nach der Rechtsprechung des VwGH aussichtslos gewesen, weil es nach dessen Auffassung an einer gesetzlichen Grundlage für einen Anspruch auf nachträgliche Gewährung entgangener (Ersatz‑)Ruhezeit oder finanzieller Abgeltung im Verwaltungsweg fehlt (oben Pkt 3.). Das bezweifelt die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung nicht.

[44] 5.2.4. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann dem Kläger auch nicht vorgeworfen werden, nicht gegen die Dienstpläne bzw Überstunden-anordnung, aus deren Befolgung eine Nichteinhaltung der in § 58 Oö StGBG 2002 festgelegten ununterbrochenen täglichen Ruhezeit von mindestens elf Stunden sowie die Nichteinhaltung der in § 59 Oö StGBG 2002 vorgesehenen ununterbrochenen wöchentlichen Ruhezeit von mindestens 36 Stunden einschließlich der täglichen Ruhezeit resultieren soll und wonach auch keine Ersatzwochenruhezeit iSd § 59 Abs 2 Oö StGBG 2002 gewährt worden sei, remonstriert und keinen (dienstrechtlichen) Feststellungsbescheid erwirkt zu haben. Damit würde es nämlich dem Arbeitnehmer überantwortet werden, für die Einhaltung der (vom Unionsrecht vorgegebenen und insoweit ein unionsrechtliches Grundrecht konkretisierenden) Mindestruhezeiten Sorge zu tragen. Dies kann dem Kläger als „schwächerer Partei des Arbeitsvertrags“ im Lichte der zitierten Entscheidung des EuGH C‑429/09 (Rn 80 f) jedoch nicht zugemutet werden, weil ihn die Einforderung dieser Rechte Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könnte, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken könnten.

[45] 5.3. Daher ist es notwendig, den von der Beklagten erhobenen Verjährungseinwand zu prüfen:

[46] 5.3.1. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 AHG verjähren Ersatzansprüche nach § 1 Abs 1 leg cit in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der Schaden dem Geschädigten bekannt geworden ist. Diese Frist wird dann in Gang gesetzt, wenn dem Geschädigten neben dem Schaden der gesamte seinen Anspruch begründende Sachverhalt soweit bekannt ist, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben kann (RS0034512 [T9]).

[47] Für den Beginn des Fristenlaufs stellen die Verjährungsbestimmungen des AHG nicht auf das schädigende Ereignis und die Kenntnis des Schädigers, sondern auf die Entstehung des Schadens und, bei der dreijährigen Verjährungsfrist, auf dessen Kenntnis ab (RS0050376 [T1]; RS0050338). Die Voraussetzung, dass dem Geschädigten der Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden bekannt geworden sein muss, wird schon dann erfüllt, wenn er Kenntnis von den schädlichen Wirkungen eines Ereignisses erlangt, dessen Ursache oder Mitursache ein (bestimmtes) dem Schädiger anzulastendes Verhalten ist (RS0034951 [T2]). Bei fortgesetzter Schädigung beginnt die Verjährung für den Ersatz des erstentstandenen Schadens mit der Kenntnis des Geschädigten von ihm zu laufen; für jede weitere Schädigung beginnt eine neue Verjährung in dem Zeitpunkt, in welchem sie ihm zur Kenntnis gelangt (RS0034536).

[48] 5.3.2. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 AHG ist mit den unionsrechtlichen Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz vereinbar (1 Ob 51/15d mwN; vgl EuGH C‑228/96 , Aprile, ECLI:EU:C:1998:544, Rn 19 mwN; C‑62/00 , Marks & Spencer, ECLI:EU:C:2002:435, Rn 35; C‑445/06 , Danske Slagterier, ECLI:EU:C:2009:178, Rn 32, wonach die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist).

[49] 5.3.3. Der Kläger leitet seine Ersatzansprüche aus der Nichtgewährung von Ruhezeiten in den Jahren 2016 bis 2018 ab. Der Bescheid vom 23. 12. 2020 war demgegenüber weder schadensauslösend noch verjährungshemmend, weil die Antragstellung – wovon ja auch der Kläger ausgeht – mangels gesetzlicher Grundlage aussichtslos war.

[50] Die Klage wurde am 20. 5. 2021 eingebracht. Ansprüche, die aus Ereignissen abgeleitet werden, die sich vor dem 20. 5. 2018 ereignet haben, sind daher verjährt.

[51] 5.4. Damit bedarf letztlich der ersatzfähige Schaden einer näheren Klärung:

[52] 5.4.1. Der EuGH stellt in der Entscheidung C‑429/09 , wie bereits ausgeführt, auf den durch den Verlust der Ruhezeit entstandenen Schaden ab (oben Pkt 1.4.2.).

[53] Die Literatur schließt daraus, dass der Schaden bei unionsrechtswidriger Zuvielarbeit in den verlorenen Ruhezeiten liege (Ulber in Preis/Sagan, Europäisches Arbeitsrecht2 [2019] Rn 7.332; Gallner in Franzen/Gallner/ Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht4 [2022] RL 2003/88/EG Art 6 Rz 6).

[54] Wie und in welcher Höhe diese verlorenen Ruhezeiten auszugleichen sind, gibt der EuGH zwar nicht vor, da er die Entscheidung, ob der Schadenersatz in Form von Freizeitausgleich oder in Form einer finanziellen Entschädigung zu gewähren ist, den Mitgliedstaaten überantwortet (oben Pkt 1.4.4.). Es besteht aber kein Zweifel, dass ein effektiver Ausgleich des Schadens stattzufinden hat.

[55] 5.4.2. Mit der im vorliegenden Fall geleisteten Überstundenvergütung für die in der mutmaßlichen Verkürzung der Mindestruhezeit liegende Zuvielarbeit ist der Schaden des Klägers (noch) nicht zur Gänze abgedeckt:

[56] Bei Beurteilung des Begriffs Arbeitszeit müssen dessen arbeitszeitrechtliche (arbeitnehmerschutzrechtliche) und die lohnrechtliche Seite auseinandergehalten werden (RS0051355). Die Überstundenvergütung bezweckt bloß, die absolute Arbeitsbelastung ab einer bestimmten Arbeitszeitgrenze besonders abzugelten (9 ObA 121/19p [Pkt 9.]). Die Ruhezeiten sollen demgegenüber nach den Vorgaben des Unionsrechts einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleisten. Sie dienen der Erholung (vgl RS0102995 [zu Ruhepausen]). Demgemäß ist die Gewährung einer – auf die Normalarbeitszeit anzurechnenden – Ersatzruhezeit für den Nachtdienst kein (zusätzliches) Entgelt für die Zurverfügungstellung von Arbeitskraft (RS0052257).

[57] 5.4.3. Durch die Überstundenvergütung wird daher nur der lohnrechtliche Aspekt der Zuvielarbeit abgegolten, nicht aber die verlorene Erholungszeit ausgeglichen. Das bestätigt auch ein Blick auf die Regelungen des (hier nicht anwendbaren) ARG:

[58] Nach § 6 ARG steht einem Arbeitnehmer, der innerhalb von 36 Stunden vor dem Arbeitsbeginn in der nächsten Arbeitswoche während der wöchentlichen Ruhezeit („Kernruhezeit“) ausnahmsweise beschäftigt wird, eine Ersatzruhezeit zu, die unter Entgeltfortzahlung das Nachholen jenes Ausmaßes an Freizeit in der folgenden Woche gewährleisten soll, um das die 36-stündige Wochenruhe geschmälert wurde. Als Abgeltung für Arbeit während der nach der Arbeitszeiteinteilung vorgesehenen Ruhezeit soll die Ersatzruhe das Erholungsmanko, das durch diese Arbeiten in der Vorwoche eingetreten ist, in der darauf folgenden Arbeitswoche ausgleichen. Die Ersatzruhe steht unabhängig und zusätzlich zur Entlohnung der Arbeit während der wöchentlichen Ruhezeit zu. Überstundenvergütung, Überstundenzuschläge und auch Sonntagszuschläge können mit dem Ersatzruheanspruch nicht aufgerechnet werden, sondern stehen kumulativ zum Ersatzruheanspruch zu (Lutz/Heilegger/Dunst, ARG6 § 6 Rz 5 f; Schrank, ARG6 § 6 Rz 20). Der dafür durch Anrechnung auf die Wochenarbeitszeit zu gewährende Ausgleich beträgt das Einfache der im betreffenden Zeitraum geleisteten Arbeitszeit. Reine Rufbereitschaft ohne Arbeitseinsatz begründet allerdings keinen Ersatzruheanspruch (Lutz/Heilegger/Dunst aaO Rz 33; in diesem Sinne auch Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3§ 6a ARG Rz 20).

[59] Nach der Rechtsprechung tritt dann, wenn aufgrund einer Beendigung des Dienstverhältnisses die Konsumation bezahlter Freizeit (Ersatzruhezeiten) unmöglich geworden ist, im Wege der Vorteilsausgleichung an die Stelle unverschuldet nicht konsumierter Ersatzruhezeiten ein Geldanspruch in der Höhe, wie ihn der Arbeitnehmer bei Konsumation während aufrechten Arbeitsverhältnisses verdient hätte (RS0111396).

[60] Für die Störungen der täglichen Ruhezeit gibt es in der Regel keinen gesetzlichen Anspruch auf Ersatzruhe, die in die bezahlte Arbeitszeit einzurechnen wäre (Pfeil in Auer‑Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 § 12 Rz 18). § 12 Abs 2a AZG enthält allerdings in Bezug auf eine branchenspezifische Verkürzungsmöglichkeit der täglichen Ruhezeit auf bis zu acht Stunden für Hotellerie und Gastronomie eine Regelung, wonach im Fall des Nicht-Ausgleichs der Ersatzruhe bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich eine geldwerte Zahlung in Höhe des Normallohns und der Zuschläge vorgesehen ist (vgl Klein in Gasteiger/Heilegger/Klein, Arbeitszeitgesetz7 § 12 AZG Rz 4).

[61] 5.4.4. Der Kläger berechnet seinen Schaden, indem er den durchschnittlichen Normalstundensatz der Jahre 2016, 2017 und 2018 heranzieht und den jeweiligen Stundensatz mit den täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten pro Jahr multipliziert, die ihm seines Erachtens zu Unrecht nicht gewährt wurden.

[62] Dieser Schadensberechnung ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten. Sie ist angesichts der im ARG und AZG, aber auch in § 59 Abs 2 Oö StGBG 2002 zum Ausdruck kommenden Vorstellung des Gesetzgebers, dass eine (zulässige) Verkürzung von (bestimmten) Mindestruhezeiten durch Gewährung einer Ersatzruhe 1 : 1 auszugleichen ist, und im Hinblick auf die daran anknüpfende Rechtsprechung, wonach dem Arbeitnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses für unverschuldet nicht konsumierte Ersatzruhezeiten ein Geldanspruch in der Höhe zusteht, wie ihn der Arbeitnehmer bei Konsumation während des aufrechten Dienstverhältnisses verdient hätte, auch schlüssig (vgl auch § 12 Abs 2a AZG).

6.  Aus all dem folgt:

[63] 6.1. Das Erstgericht wird Feststellungen über die ab 20. 5. 2018 vermeintlich nicht gewährten (Ersatz‑)Ruhezeiten zu treffen haben. Dabei wird zu beachten sein, dass die Beurteilung, ob eine Unterschreitung der Mindestruhezeiten vorliegt, auch die Klärung voraussetzt, ob die vom Kläger geltend gemachten Zeiten der Zuvielarbeit tatsächlich im vollen Umfang „Arbeitszeit“ im Sinn des Unionsrechts darstellen (oben Pkt 1.5.).

[64] Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Verlust der Ruhezeit ein immaterieller Schaden ist. Nach der Rechtsprechung findet der Ersatz ideelen Schadens im allgemeinen nur in den vom Gesetz angeführten Fällen statt (RS0022544 [T1]). Im konkreten Fall ergibt sich die Ersatzfähigkeit aus unionsrechtlichen Vorgaben. Art 5 der Richtlinie sieht aber eine Wochenruhezeit von lediglich 35 Stunden vor. Die innerstaatliche Rechtslage geht daher über die unionsrechtlich erforderlichen Mindestansprüche hinaus und ist insoweit günstiger als das Unionsrecht. Um den Zielen der Richtlinie 2003/88/EG Rechnung zu tragen und dafür zu sorgen, dass der Kläger für das durch Unterschreiten der Mindestruhezeiten eingetretene Erholungsmanko einen angemessenen Ausgleich erhält, genügt es, nur die von der Richtlinie garantierten Mindestruhezeiten der Schadensberechnung zugrunde zu legen (vgl zum Urlaubsanspruch: 9 ObA 147/21i ua). Darüber hinaus fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für den Ersatz des immateriellen Schadens. Es ist folglich nur der in einer Unterschreitung der unionsrechtlichen Vorgaben liegende Verlust von Ruhezeit ersatzfähig.

[65] 6.2. Hinsichtlich der Ansprüche, die aus Verstößen in den Jahren 2016 und 2017 abgeleitet werden, also insgesamt 14.712,79 EUR sA, ist Verjährung eingetreten, sodass die abweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen insoweit zu bestätigen sind. Für das Jahr 2018 (restliche 7.383,59 EUR sA) bedarf es einer Bezifferung des Schadenersatzbetrags, der dem Zeitraum nach 20. 5. 2018 zugeordnet wird. (Nur) Insoweit ist das Verfahren ergänzungsbedürftig.

[66] Ausgehend von den dargestellten Erwägungen wird das Erstgericht dem Kläger sodann einen Betrag zuzusprechen haben, mit dem das ihm durch (allenfalls) entgangene Ruhezeiten entstandene Erholungsdefizit kompensiert wird, um den Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG effektiv zum Durchbruch zu verhelfen.

6.3. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Wird in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis gegen Ruhezeitenvorschriften nach der RL 2003/88/EG verstoßen, ohne dass dies im Rahmen des Dienstverhältnisses (etwa durch Ersatzruhezeiten) ausgeglichen wird, haftet der Dienstgeber nach Maßgabe von § 1 AHG für die Verletzung seiner Fürsorgepflicht.

Im Weg des Schadenersatzes ist aufgrund des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes – über die Entlohnung allfälliger Mehrdienstleistungen hinaus – der Erholungswert der entgangenen Ruhezeiten abzugelten. Die Bemessung kann sich am durchschnittlichen Entgelt für die Zeit der entgangenen Ruhe orientieren.

[67] 7. Der Kostenvorbehalt beruht in Bezug auf das Teilurteil auf § 52 Abs 4 ZPO, in Bezug auf den Aufhebungsbeschluss auf § 52 Abs 1 ZPO.

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