OGH 8Ob46/23g

OGH8Ob46/23g27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*, vertreten durch Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei E* GmbH, *, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 1.558.650,39 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 14. April 2023, GZ 2 R 30/23h‑47.2, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00046.23G.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach § 66 NO hat ein Notariatsakt, der mit Außerachtlassung der in den §§ 54 bis 65 NO gebotenen Förmlichkeiten und Vorsichten aufgenommen worden ist, nicht die Kraft einer öffentlichen Urkunde.

[2] Entgegen den Revisionsausführungen folgt daraus aber keine amtswegig wahrzunehmende Nichtigkeit des beurkundeten Geschäfts. Hier bedurfte es zu seiner Wirksamkeit nicht aufgrund einer gesetzlichen Anordnung der Notariatsaktsform.

[3] Bei der vorliegenden Vereinbarung der Streitteile über die Lieferung von Elektromaterial und die Begebung eines Wechsels zur Besicherung der daraus resultierenden Zahlungsansprüche bedarf keiner Notariatsaktsform. Für eine amtswegige Wahrnehmung von – in erster Instanz nicht eingewendeten – Formmängeln des Notariatsakts bestand für das Berufungsgericht schon aus diesem Grund kein Anlass.

[4] 2. Eine Behauptung, dass die Streitteile an den Inhalt ihrer Vereinbarung nur dann gebunden sein wollten, wenn die einvernehmlich gewünschte Solennisierung durch den Notar keine Formmängel aufweist, wurde so in erster Instanz nicht erhoben. Die darauf abzielenden Revisionsausführungen widersprechen dem festgestelltem Wortlaut, demnach der Vertrag „geschlossen (ist), nachdem diesen Vertrag sämtliche Parteien unterschreiben“.

[5] 3. Der Grundsatz der Wechselstrenge bedeutet, dass sich im Allgemeinen die Auslegung der Wechselurkunde daran zu orientieren hat, wie sie von einem am Wechselbegebungsvertrag nicht beteiligten Dritten nachvollzogen werden kann. Davon kann aber dann abgewichen werden, wenn sich die Parteien des Wechselbegebungsvertrags gegenüber stehen, da insofern dann auch auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände zurückgegriffen werden kann, aus denen sich der Parteiwille in Bezug auf die Wechselverpflichtung ergibt (RS0082501 [T2]; vgl auch RS0082498). Die Auslegung von Willenserklärungen hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und hat im Regelfall keine über diesen hinausgehende Bedeutung (RIS-Justiz RS0042936; RS0109021 [T5]).

[6] Eine auffallende Fehlbeurteilung, also ein wesentliches Verkennen der Auslegungsgrundsätze durch das Berufungsgericht, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden müsste, zeigt die Revision nicht auf (vgl auch RS0081754 [T5, T6]; RS0043253 [T18]; RS0042936 [T36] ua). Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Unterschrift des Geschäftsführers der Beklagten nach dem festgestellten Sachverhalt und insbesondere auch dem Inhalt der Widmungserklärung in Vertretung der Beklagten erfolgte, ist keineswegs unvertretbar.

[7] 4. Die für den Eintritt der Fälligkeit eines Sichtwechsels nach § 34 Abs 2 WG erforderliche Vorlage zur Zahlung besteht in der ausdrücklichen oder stillschweigenden, daher keiner besonderen Form bedürftigen Aufforderung zur Zahlung der Wechselsumme (RS0082546). Ob eine solche Aufforderung erfolgt ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Dass hier die Vorlage des Wechsels am Firmensitz der Beklagten als Annehmerin in Anwesenheit der Assistentin der Geschäftsführung als zumindest schlüssige Aufforderung hinreichte, zumal sie dem Geschäftsführer der Beklagten nach den Feststellungen tatsächlich zur Kenntnis gelangt ist, stellt jedenfalls keine krasse Fehlbeurteilung dar, die eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründen würde.

[8] 5. Behauptete Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens, die in der Berufung nicht gerügt wurden oder die das Berufungsgericht nach Behandlung nicht als solche beurteilt hat, können im Revisionsverfahren nicht mehr neuerlich geltend gemacht werden (RS0043111). Soweit die Revision mit den Ausführungen zum Zustandekommen des Notariatsakts sekundäre (rechtliche) Feststellungsmängel geltend machen will, ist sie auf die Ausführungen unter Punkt 1. dieser Entscheidung zu verweisen.

[9] 6. Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher ohne weitere Begründung zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

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