OGH 1Ob60/23i

OGH1Ob60/23i27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Dr. Stefan Brandacher, M.B.L., Rechtsanwalt in Schwaz, gegen die beklagte Partei Land *, vertreten durch Dr. Martin Wöll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 35.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 1. März 2023, GZ 5 R 53/22s‑25, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 27. Juli 2022, GZ 15 Cg 75/21p‑18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00060.23I.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 6.774,92 EUR (darin 874,82 EUR USt, 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Im Jahr 2001 schloss der Kläger als Übernehmer mit seinen Eltern einen Übergabsvertrag, der ua folgende Bestimmung enthielt:

„D) allfällige Unterhaltszahlungen:

Der Übernehmer … [der Kläger] verpflichtet sich hiermit, jenen allenfalls einmal fehlenden Unterhalt seiner Eltern im Sinne des § 143 [...] ABGB, der neben ihm auch von seinen Schwestern [...] geschuldet würde, zur Alleinzahlung zu übernehmen und sohin seine beiden genannten Schwestern im Fall von deren diesbezüglicher Inanspruchnahme unverzüglich vollkommen schad- und klaglos zu halten.“

 

[2] Die Mutter des Klägers ist seit 1. 7. 2019 auf einem Pflegeplatz in einer Einrichtung der Soziale Dienste V* untergebracht. Mit Antrag vom 17. 9. 2019 suchte sie bei der Beklagten um die Gewährung der Mindestsicherung an. Dieslehnte die Beklagte zunächst ab, weil die Mutter „aufgrund des vertraglichen Anspruchs eines allenfalls einmal fehlenden Unterhalts“ laut Übergabsvertrag aus dem Jahr 2001 in der Lage sei, die in der Einrichtung entstandenen und weiterhin entstehenden Kosten aus ihren Eigenmitteln zu bezahlen. Mit Schreiben vom 29. 9. 2020 schlug die Beklagte dem damaligen Rechtsvertreter des Klägers im Sinn eines Entgegenkommens vor, „dass nicht die gesamten Pflegeheimkosten als von der unterhaltsmäßigen Verpflichtung umfasst angesehen werden, sondern lediglich der im Heimtarif ausgewiesene sog Grundtarif“ von derzeit täglich 51,07 EUR (monatlich 1.532,10 EUR).

[3] Im Schreiben vom 27. 11. 2020 an die Beklagte erklärte der Kläger auszugsweise:

„Es ist richtig, dass ich den Unterhalt für meine Mutter übernommen habe und diesen [sic] auch nachkommen möchte.

[...]

Weiter bin ich nicht mehr gewillt für diese familiäre Angelegenheit österreichische Rechtsanwaltskosten in unüberschaubaren Ausmaß zu bezahlen.

Mein Vorschlag:

Der Unterhalt der Mutter kann nicht besser sein als der Unterhalt der geschiedenen Frau.

[...]

Berechnung des Unterhalts bezüglich der geschiedenen Ehegattin

[...]

Unterhaltsverpflichtung 833,62 EUR/Monat

Mit diesem Betrag bin ich einverstanden, ansonsten ersuche ich um die Erlassung eines Bescheides, den ich sodann bekämpfen kann.“

 

[4] In einer weiteren, am 18. 2. 2021 an die Beklagte gesendeten, E-Mail führte er insbesondere aus:

„Es ist nicht richtig, dass ich für meine Mutter keinen Unterhalt für den Heimaufenthalt bezahlen möchte.

Meine gesamte Pension beträgt ca 2.490 EUR monatlich. Gerne bin ich bereit, einen angemessenen Beitrag zu leisten, der meinen Lebensunterhalt nicht gefährdet.

Bitte berechnen Sie den Anspruch

Meine eingeholten Rechtsauskünfte bei Notaren und Rechtsanwälten waren, dass ich überhaupt nicht unterhaltspflichtig wäre.

Nochmals betone ich aber, das [sic] ich meinen Beitrag leisten möchte. […]

 

[5] Mit Vereinbarung vom 19. 4. 2021 gewährte die Beklagte der Mutter des Klägers rückwirkend Mindestsicherung durch Unterbringung auf einem Pflegeplatz in der Einrichtung der Soziale Dienste V* ab 1. 7. 2019 in der Pflegestufe 4 unter den in diesem Schreiben näher genannten Bedingungen. Darinwurde ua festgehalten, dass „aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen laut Übergabsvertrag […] die monatliche Mindestsicherungsleistung vom 1.7.2019 bis 31.12.2019 um 1.494,60 EUR und ab 1.1.2020 um 1.532,10 EUR“ zu schmälern sei. Dieses Schriftstück wurde von der Beklagten, einem Vertreter des Heimträgers sowie von der Mutter des Klägers unterfertigt.

[6] Der Kläger zahlte an die Soziale Dienste V* jeweils unter Vorbehalt am 5. 5. 2021 33.481,20 EUR, am 10. 6. 2021 792 EUR, am 5. 5. 2021 1.532,10 EUR und am 10. 6. 2021 1.690,50 EUR.

[7] Der Kläger begehrt von der Beklagten gemäß § 1042 ABGB den Ersatz eines Teils dieser an die Einrichtungsträgerin bezahlten Kosten von 35.000 EUR. Entgegen den Bestimmungen des Tiroler Mindestsicherungsgesetzes (TMSG) habe die Beklagte nicht die gesamten Unterbringungskosten beglichen, sondern die monatlichen Mindestsicherungsleistungen mit Hinweis auf einen vermeintlich im notariellen Übergabsvertrag vereinbarten Unterhaltsanspruch der Hilfebedürftigen gegenüber dem Kläger gekürzt. Da die Mutter des Klägers wegen der von der Beklagten vorgenommenen Kürzung finanziell nicht in der Lage sei, für die Heimkosten aufzukommen, sei er zur Vermeidung der ansonsten drohenden Delogierung faktisch dazu gezwungen gewesen, die nicht gedeckten, von Gesetzes wegen jedoch von der Beklagten zu tragenden Unterbringungskosten zu bestreiten. Die Mutter habe keinen vertraglichen Unterhaltsanspruch gegen den Sohn. Aber auch der gesetzliche Unterhaltsanspruch sei irrelevant. § 23 Abs 3 TMSG bestimme nämlich ausdrücklich, dass insbesondere Kinder nicht zum Kostenersatz verpflichtet seien. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob die Kosten für den Mindestsicherungsbezieher vom Mindestsicherungsträger bereits ausgelegt und diesfalls von Dritten zu ersetzen seien oder diese Ansprüche als eigene Ansprüche vor Beanspruchung der Mindestsicherung geltend zu machen seien.

[8] DieBeklagte bestritt. Das TMSG normiere den Grundsatz des Subsidiarität von Mindestsicherungsleistungen. Der Kläger habe sich gegenüber seiner Mutter im Übergabsvertrag verpflichtet, im Fall des Falles Unterhalt zu zahlen. Das habe er im Schreiben vom 27. 11. 2020 auch selbst bestätigt und darin seine vertragliche Unterhaltsverpflichtung anerkannt. Das Verbot des Pflegeregresses nach § 330a ASVG beziehe sich auf Vermögen und nicht auf Unterhaltsansprüche. Nach der Rechtsprechung des VwGH müsse einerseits zwischen der Gewährung von Mindestsicherung und dem Regress gegenüber beispielsweise einem Kind unterschieden werden. § 23 Abs 3 lit a TMSG stehe der Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen eines Kindes bei der Bemessung der Mindestsicherungsleistung eines Elternteils nicht entgegen.

[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Klagsgegenständlich sei kein Pflegeregress, sondern ein Anspruch nach § 1042 ABGB. Der Übergabsvertrag aus dem Jahr 2001 beinhalte keine vertragliche Unterhaltsvereinbarung zwischen dem Kläger und seinen Eltern. Vielmehr sei die betreffende Klausel lediglich als interne Regelung zwischen den Geschwistern aufzufassen, derzufolge der Kläger den gesetzlich geschuldeten Unterhalt zur Alleinzahlung übernehme und seine Schwestern im Fall ihrer Inanspruchnahme schad- und klaglos halte. Der Kläger habe aber mit seinem Schreiben vom 18. 2. 2021 eine grundsätzliche Unterhaltspflicht im Sinn von bedarfsdeckenden Leistungen gegenüber der Mutter anerkannt, weil er darin ausführe, dass er seinen Unterhaltsbeitrag leisten möchte, obwohl seine eingeholten Rechtsauskünfte dahin gelautet hätten, dass er überhaupt nicht unterhaltspflichtig sei. Diese Erklärung stelle ein konstitutives Anerkenntnis dar. Der Kläger habe damit eine vom Ausnahmetatbestand des § 23 Abs 3 TMSG nicht erfasste Leistungspflicht begründet, weshalb seine Mutter einen Anspruch auf Unterhaltsleistungen gegen ihn habe, den sie auch verfolgen müsse.

[10] Das Berufungsgericht gab über Berufung desKlägersdem Klagebegehren statt und ließ die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.

[11] Der Inhalt der vom Kläger verfassten Schreiben vom 27. 11. 2020 und 18. 2. 2021 sei nicht als ein – einen selbständigen Verpflichtungsgrund schaffendes – Anerkenntnis zu werten.

[12] Aus § 17 Abs 2 TMSG ergebe sich eindeutig, dass die Beklagte als Trägerin der Mindestsicherung einem Hilfesuchenden jedenfalls zunächst in Vorausleistung die erforderliche Hilfeleistung (hier durch Unterbringung) zu gewähren habe und erst dann, wenn die jeweilige Mindestsicherungsbezieherin allfällige gegen Dritte bestehende Ansprüche nicht in zumutbarer Weise verfolge, eine entsprechende Kürzung vornehmen könne. Diese Vorgangsweise sei von der Beklagten aber nicht eingehalten worden. Der zwingende Charakter des § 17 TMSG könne durch Abschluss einer privatrechtlichen Vereinbarung nicht außer Kraft gesetzt werden. Der Kläger habe somit mit den den Gegenstand der Klage bildenden Zahlungen an die Einrichtungsträgerin eine die Beklagte von Gesetzes wegen treffende Verbindlichkeit beglichen.

[13] Mit ihrer außerordentlichen Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils an.

[14] Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[15] Die außerordentliche Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[16] 1. Nach § 1042 ABGB ist der Aufwand zu ersetzen, den ein anderer nach dem Gesetze hätte machen müssen. Nur soweit die Pflicht des anderen reicht, kann Ersatz gefordert werden (RS0104142). Da der Aufwand für einen anderen ein Fall der Verwendung zu fremdem Nutzen ist, gebührt kein Ersatz nach § 1042 ABGB, wenn jemand eine eigene Schuld begleicht, es sei denn, diese Verpflichtung ist der eines anderen subsidiär, was nach allgemeinen Regeln zu beurteilen ist (RS0108671 [insb T3]).

[17] Es ist daher zu untersuchen, ob der Kläger durch die Zahlungen für die Unterbringung seiner Mutter auf einem Pflegeplatz eine – wie er behauptet – fremde Schuld erfüllt hat.

[18] 2. Die Beurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht trifft nicht zu.

[19] 2.1. Das Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG), LGBl 2010/99, ist vom Grundsatz der Subsidiarität geprägt (ErläutRV zu LGBl 2010/99, 4 und 32 f): Leistungen der Mindestsicherung sind so weit zu gewähren, als der jeweilige Bedarf nicht durch den Einsatz eigener Mittel und Kräfte sowie durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann (§ 1 Abs 4 TMSG).

[20] Nach § 17 Abs 1 TMSG hat der Antragsteller vor der Gewährung von Mindestsicherung – soweit zumutbar und nicht offensichtlich aussichtslos – insbesondere auch alle öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegen Dritte zu verfolgen.

[21] Zwar ist nach § 17 Abs 2 TMSG jedem Anspruchsberechtigten die Mindestsicherung unbeschadet der Verpflichtung nach Abs 1 als Vorausleistung zu gewähren. Das Berufungsgericht hat allerdings – wie die Revisionswerberin zu Recht releviert – außer Acht gelassen, dass ua gerade diese Bestimmung gemäß § 43 Abs 1 TMSG für die stationäre Pflege nicht galt. Die Ausnahme war bis 31. 12. 2021 anwendbar, bevor mit der Änderung des Tiroler Mindestsicherungsgesetzes, des Tiroler Heimgesetzes 2005 und des Tiroler Krisen- und Katastrophenmanagementgesetzes, LGBl Nr 205/2021, die Regelungen des 9. Abschnitts „Sonderbestimmungen für die Hilfe zur Betreuung und die Hilfe zur Pflege“ in das Gesetz über Heime für hilfs-, betreuungs- oder pflegebedürftige, insbesondere ältere, Menschen und über die Hilfe zur Betreuung und die Hilfe zur Pflege (Tiroler Heim- und Pflegeleistungsgesetz – THPG) übernommen wurden. Eine inhaltliche Änderung der bisherigen Regelungen sollte nach den Materialien damit im Übrigen nicht einhergehen (ErläutRV zu LGBl Nr 205/2021, 1).

[22] 2.2. Nachdem im Verfassungsrang stehenden § 330a ASVG ist ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten unzulässig.

[23] Aufgrund dieser Bestimmung iVm § 707a Abs 2 zweiter und dritter Satz ASVG trat § 43 TMSG betreffend die stationäre Pflege ab 1. 1. 2018 insoweit außer Kraft, als dieser einen Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten ermöglichte.

[24] Davon blieb aber die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seiner Mutter unberührt:

[25] Das Verbot des Pflegeregresses betrifft Vermögen und nicht Einkommen. Die Abgrenzung der Begriffe „Einkommen“ und „Vermögen“ ist in Zweifelsfällen anhand einer „Zuflussbetrachtung“ durchzuführen. Danach ist für die Frage, ob Geld und Geldeswert dem Einkommen oder dem Vermögen zuzurechnen sind, der Zeitpunkt des Zuflusses an den Empfänger entscheidend. Erfolgt der Zufluss im Bedarfszeitraum, so handelt es sich um Einkommen. Der nach Ablauf eines Bedarfsabschnitts nicht verbrauchte Teil der Einkünfte wächst dem Vermögen zu (VwGH Ra 2019/10/0199; vgl 2 Ob 161/18t).

[26] § 330a ASVG steht daher der Heranziehung von Unterhaltsleistungen eines Kindes nach § 234 ABGB zur (teilweisen) Deckung der Pflegekosten eines Elternteils nicht entgegen. § 43 TMSG aF wurde insoweit durch die §§ 330a, 707a Abs 2 ASVG nicht derogiert.

[27] 2.3. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts die Beklagte nicht gegen die Bestimmung des § 17 Abs 2 TMSG verstoßen hat, weil sie keine Vorausleistungspflicht in Ansehung der stationären Pflegekosten traf.

[28] 3. Der Kläger bestreitet seine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber der Mutter nach § 234 ABGB (vormals § 134 ABGB), auf die der Übergabsvertrag abstellt, grundsätzlich nicht. Er steht auf dem Standpunkt, dass § 23 Abs 3 TMSG seine Unterhaltspflicht neben dem Bezug von Mindestsicherung durch die Mutter ausschließe. Mit diesem Einwand befindet er sich nicht im Recht.

[29] 3.1. Das Kind schuldet seinen Eltern und Großeltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht im Stande ist, sich selbst zu erhalten, und sofern er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat (§ 234 Abs 1 ABGB). Diese Unterhaltspflicht der Kinder steht der eines Ehegatten, eines früheren Ehegatten, von Vorfahren und von Nachkommen näheren Grades des Unterhaltsberechtigten im Rang nach. Mehrere Kinder haben den Unterhalt anteilig nach ihren Kräften zu leisten (§ 234 Abs 2 ABGB).

[30] Der Unterhaltsanspruch nach § 234 ABGB ist demnach subsidiär und setzt voraus, dass die Eltern nicht im Stande sind, sich selbst zu erhalten. Es wird ein angemessener und nicht nur der notdürftige Unterhalt geschuldet (RS0107948). Die konkrete Unterhaltshöhe richtet sich nach den Lebensverhältnissen des Kindes und des Elternteils. Bei entsprechender Leistungsfähigkeit der Nachkommen ist jedenfalls der zur Ergänzung auf das notwendige Ausmaß erforderliche Unterhalt zu erbringen, das heißt, die Bedarfslücke ist zu füllen (9 Ob 18/09a).

[31] 3.2. Eine Person, deren Unterhaltsbedürfnisse aufgrund einer öffentlichen Verpflichtung zur Gänze von einem Dritten gedeckt werden, kann schon deswegen keine Unterhaltsansprüche gegen einen zivilrechtlich Unterhaltspflichtigen stellen, weil ihr kein Anspruch auf Doppelversorgung zusteht.

[32] Diese Grundsätze können aber dort nicht angewendet werden, wo der Gesetzgeber durch Anordnung einer aufgeschobenen (also erst mit Verständigung des Unterhaltsverpflichteten durch den Sozialhilfeträger bewirkten) Legalzession ausdrücklich das Weiterbestehen des Anspruchs des Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt hat (RS0063121). Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung ist die dem Unterhaltsberechtigten gewährte Sozialhilfe daher nur dann als anrechenbares Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen, wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz keine Rückzahlungsverpflichtung des Sozialhilfeempfängers und keine „aufgeschobene“ Legalzession bzw keine dieser gleich zu haltende Verpflichtung zur rechtsgeschäftlichen Zession vorsieht, also die einmal gewährte Sozialhilfe nicht (mehr) zurückgefordert werden kann (4 Ob 113/22d mwN; RS0080395 [T25]; RS0063121 [T2]; RS0118565 [T2]; RS0047347 [T3]). In den übrigen Fällen bleibt der volle Unterhaltsanspruch bestehen. Insoweit ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung davon auszugehen, dass der Unterhaltspflichtige durch die Gewährung solcher Leistungen nicht entlastet werden soll (3 Ob 201/20k; RS0063121 [T5]).

[33] 3.3. Der Zugriff auf Dritte, gegen die der Mindestsicherungsbezieher im relevanten Zeitraum Ansprüche hatte, ist in den §§ 23 und 24 TMSG differenziert geregelt: Dritte sind gemäß § 23 Abs 1 TMSG unmittelbar zum Ersatz der für den Mindestsicherungsbezieher aufgewendeten Kosten verpflichtet, wenn dieser ihnen gegenüber im Bezugszeitraum Ansprüche auf Leistungen nach § 17 Abs 1 TMSG, also insbesondere Unterhaltsansprüche, hatte. Nicht zum Kostenersatz verpflichtet sind insofern aber die Kinder des (früheren) Mindestsicherungsbeziehers (§ 23 Abs 3 lit a TMSG). § 24 TMSG regelt demgegenüber den Übergang der Ansprüche des Mindestsicherungsbeziehers auf Leistungen nach § 17 Abs 1 TMSG auf das für die Gewährung der Mindestsicherung zuständige Organ (Legalzession); eine schriftliche Anzeige an den Dritten bewirkt den Übergang des Anspruchs auf den Rechtsträger der Mindestsicherung. Eine § 23 Abs 3 lit a TMSG vergleichbare Ausnahmeregelung besteht hier nicht.

[34] In der Zusammenschau zeigen diese Regelungen des TMSG, dass durch die Gewährung von Mindestsicherung keine grundsätzliche Entlastung des Unterhaltspflichtigen bewirkt werden soll (3 Ob 201/20k). Die unterhaltspflichtigen Kinder sind zwar von der unmittelbaren Kostenersatzpflicht gegenüber dem Rechtsträger der Mindestsicherung ausgenommen, die Legalzession des Unterhaltsanspruchs bleibt aber nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes trotz dieses Ausschlusses zulässig (vgl 4 Ob 29/14i [Oö BMSG]; 4 Ob 113/22d [Oö SOHAG]). Das gegenteilige Verständnis widerspräche dem von der Subsidiarität geprägten Gesetzeszweck. Auch den Gesetzesmaterialien sind keine Anhaltspunkte für eine solche Reduktion des Anwendungsbereichs der Bestimmung über den Übergang von Rechtsansprüchen zu entnehmen.

[35] 3.4. Das TMSG sieht demnach eine „aufgeschobene“ Legalzession vor, die nach den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung die Anrechnung der dem Unterhaltsberechtigten gewährten Sozialleistungen als dessen Eigeneinkommen ausschließt. Im Fall des Bezugs einer Mindestsicherung nach dem TMSG bleibt daher der volle Unterhaltsanspruch bestehen (ebenso jüngst 5 Ob 213/22t).

[36] 3.5. Damit lässt sich auch die Judikatur des VwGH in Einklang bringen, wonach es sich beim Unterhaltsanspruch von Eltern gegen Kinder gemäß (nunmehr) § 234 ABGB um einen privatrechtlichen Anspruch auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen iSv § 17 Abs 1 TMSG handelt und § 23 Abs 3 lit a TMSG der Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen eines Kindes bei der Bemessung der Mindestsicherungsleistung eines Elternteils nicht entgegensteht (VwGH 2011/10/0201; vgl auch LVwG Tirol 2020/13/1442‑1).

[37] 3.6. Zusammengefasst folgt, dass § 23 Abs 3 lit a TMSG die gesetzliche Unterhaltspflicht des Klägers und seiner beiden Schwestern gegenüber seiner (Mindestsicherungsleistungen beziehenden) Mutter nicht ausschließt und diese Unterhaltspflicht auch nicht gegenüber der Mindestsicherung subsidiär ist.

[38] 4. Der Kläger hat mit dem Übergabsvertrag aus dem Jahr 2001 auch die (allfälligen) gesetzlichen Unterhaltspflichten seiner beiden Schwestern gegenüber den Eltern zur Alleinzahlung übernommen. Es kann daher keine Rede davon sein, dass er mit den an die Pflegeeinrichtung geleisteten Zahlungen bloß eine fremde Schuld beglichen hat. Vielmehr hat er seine gesetzliche Unterhaltspflicht und die seiner Schwestern, die er vertraglich übernommen hatte, erfüllt, wobei er die Höhe in diesem Verfahren konkret nicht in Zweifel gezogen hat.

[39] Aus diesem Grund scheidet ein Anspruch nach § 1042 ABGB aus und erweist sich die Klageabweisung durch das Erstgericht im Ergebnis als richtig. Auf die Frage, ob in den Schreiben vom 27. 11. 2020 und 18. 2. 2021 ein – einen selbständigen Verpflichtungsgrund schaffendes – Anerkenntnis zu erblicken ist, kommt es nicht mehr an.

[40] 5. Der Revision der Beklagten ist damit Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts einschließlich dessen Kostenentscheidung wiederherzustellen.

[41] 6. Die Entscheidung über die Kosten zweiter und dritter Instanz beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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