OGH 5Ob106/22g

OGH5Ob106/22g31.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. A* K*, 2. W* K*, beide vertreten durch Mag. Edda Ofner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Antragsgegner 1. G* registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *, vertreten durch Dr. Wilhelm Garzon, Rechtsanwalt in Wien, sowie 2. bis 39. die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG *, wegen Auflösung des Verwaltungsvertrags (§ 52 Abs 1 Z 8 iVm § 21 Abs 3 WEG), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Mai 2021, GZ 38 R 21/21a‑15, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 6. November 2020, GZ 10 Msch 31/20b‑8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00106.22G.0131.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

 

Spruch:

I. Das Verfahren über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin wird fortgesetzt.

II. Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Zu I. 

[1] Das Revisionsrekursverfahren war bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens über die im außerordentlichen Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin enthaltene Ablehnung sämtlicher Richter des Rekurssenats unterbrochen (5 Ob 158/21b). Der Ablehnungsantrag wurde nunmehr rechtskräftig zurückgewiesen, sodass das unterbrochene Verfahren fortzusetzen ist.

Zu II. 

[2] Die Antragsteller sind die Wohnungseigentümer der Wohnung Top 36 in einem Haus in Wien. Die Erstantragsgegnerin ist die Verwalterin dieser Liegenschaft, die weiteren Antragsgegner sind die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer.

[3] Die Antragsteller begehrten in einem Vorverfahren die Durchführung von Erhaltungsarbeiten nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG. Mit Sachbeschluss des Erstgerichts vom 27. 9. 2019 wurde den Antragsgegnern in diesem Verfahren (sämtlichen übrigen Mit- und Wohnungseigentümern) „aufgetragen“, am Haus der Liegenschaft im Bereich der Wohnung Top 36 verschiedene „Arbeiten in Angriff zu nehmen“, darunter zu Spruchpunkt c.) die Arbeit, den im Zug einer Dachreparatur entfernten Dämmstoff wieder einzubauen. Der Antrag, „die Hausverwaltung zu beauftragen“, die Wiederherstellung der Dämmung nach Einholung entsprechender Kostenvoranschläge in Auftrag zu geben, wurde abgewiesen.

[4] Dieser Sachbeschluss aus dem Vorverfahren ist jedenfalls seit 11. 11. 2019 rechtskräftig und der Erstantragsgegnerin zumindest seit Ende 2019/Anfang 2020 bekannt. Jedenfalls die im Sachbeschluss unter Spruchpunkt c.) erwähnten Arbeiten wurden bis dato nicht durchgeführt.

[5] Die Erstantragsgegnerin beabsichtigt nicht, den rechtskräftigen Sachbeschluss umzusetzen und steht auf dem Standpunkt, dass aus diesem keine Handlungspflicht für sie abzuleiten ist.

[6] Die Antragsteller begehrten die gerichtliche Auflösung des Verwaltungsvertrags. Die Erstantragsgegnerin habe im Zusammenhang mit der im Bereich der Wohnung der Antragsteller fehlenden Dachdämmung ihre Verwalterpflichten grob verletzt. Insbesondere habe sie behauptet, für die Durchsetzung des im Vorverfahren ergangenen Sachbeschlusses nicht zuständig zu sein. Die Erstantragsgegnerin habe damit Minderheitsrechte und Weisungen der Mehrheit, insbesondere einen rechtskräftigen Beschluss des Gerichts, ignoriert und missachtet. Es bestünden daher gewichtige Bedenken gegen ihre Treue- und Interessenwahrungspflicht. Die Vertrauensbasis sei zerstört.

[7] Die Erstantragsgegnerin bestritt. Sie habe ihre Verwalterpflichten nicht verletzt. Der im Vorverfahren ergangene Sachbeschluss trage den übrigen Mit- und Wohnungseigentümern persönlich diverse Arbeiten auf. Der Antrag, der Hausverwaltung eine Wiederherstellung einer Dämmung aufzutragen, sei hingegen abgewiesen worden. Dieser Sachbeschluss ersetze den Beschluss der Eigentümergemeinschaft daher nicht. Da sich der Sachbeschluss ausschließlich gegen die Mit- und Wohnungseigentümer richte und die Erstantragsgegnerin ausschließlich zur Vertretung und Wahrung der Interessen der Eigentümergemeinschaft befugt und berufen sei, habe für die Erstantragsgegnerin aufgrund dieses Beschlusses keinerlei Handlungsmöglichkeit bestanden. Im Gegenteil, die Umsetzung des Sachbeschlusses durch die Erstantragsgegnerin als Vertreterin der Eigentümergemeinschaft und insbesondere auf deren Kosten wäre eine Pflichtverletzung. Aus – im Einzelnen dargelegten – technischen Gründen bestehe nämlich auch inhaltlich keine Notwendigkeit für die Erstantragsgegnerin, als Verwalterin tätig zu werden. Das Dach sei nachträglich im Zug der Sanierung 2016/2017 von außen gedämmt worden. Eine Innendämmung sei daher nicht mehr erforderlich. Im Übrigen sei die Eigentümergemeinschaft für die Anbringung einer Innendämmung gar nicht zuständig. All diese Umstände seien offensichtlich auch den Antragstellern bewusst, würden sie doch gar nicht versuchen, den Sachbeschluss gegen die Wohnungseigentümer vollstrecken zu lassen. Andere im Sachbeschluss angeführte Arbeiten seien im Übrigen zwar nicht aufgrund des rechtskräftigen Sachbeschlusses, aber im Rahmender laufenden Tätigkeit der Hausverwaltung durchgeführt worden.

[8] Das Erstgericht verzichtete auf ein Beweisverfahren und entschied auf der Grundlage der Außerstreitstellungen sowie des wechselseitigen Vorbringens. Es gab dem Antrag statt und löste den Verwaltungsvertrag auf.

[9] Die Entscheidung des Gerichts im (Vor‑)Verfahren zur Durchsetzung eines Minderheitsrechts ersetze, ungeachtet dessen, dass der Antrag gegen die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer zu richten sei, den abgelehnten oder versäumten Mehrheitsbeschluss. Der rechtskräftige Sachbeschluss sei demnach einer Weisung der Eigentümergemeinschaft auf Durchführung von Erhaltungsarbeiten gleichzusetzen. Da der Verwalter auch unzweckmäßige Weisungen zu beachten habe, berechtigten die inhaltlichen Einwände gegen die aufgetragenen Erhaltungsarbeiten die Erstantragsgegnerin nicht dazu, den Sachbeschluss nicht umzusetzen. Die bisherige und auch für die Zukunft erklärte Weigerung der Erstantragsgegnerin, den rechtskräftigen Sachbeschluss auf Durchführung von Erhaltungsarbeiten umzusetzen, sei daher eine grobe Pflichtverletzung iSd § 21 Abs 3 WEG.

[10] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Erstantragsgegnerin nicht Folge.

[11] Die Antragsteller hätten im (Vor‑)Verfahren zur Durchsetzung von Erhaltungsarbeiten völlig zutreffend ausschließlich die Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft als Antragsgegner in Anspruch genommen. Die von ihrem Verwalter vertretene Eigentümergemeinschaft sei nicht Partei dieses allein zwischen den Wohnungseigentümern abzuführenden Verfahrens. In diesem Verfahren habe weder gegen die Eigentümergemeinschaft noch gegen die vom Antragsteller belangten (übrigen) Wohnungseigentümer ein Leistungsbefehl zu ergehen. Das Gericht habe vielmehr durch eine rechtsgestaltende Entscheidung den von der Eigentümergemeinschaft abgelehnten oder versäumten Mehrheitsbeschluss zu ersetzen. An die Entscheidung, die Erhaltungsarbeiten durchzuführen, sei der Verwalter danniSd § 20 Abs 1 WEG gebunden.

[12] Die vom Erstgericht im Sachbeschluss gewählte Formulierung des Spruchs spreche nicht gegen die Annahme eines solchen den Verwalter bindenden Beschlusses. Wie eine solche rechtsgestaltende, einen Beschluss der Eigentümergemeinschaft ersetzende Entscheidung konkret formuliert werde, bleibe dem Gericht überlassen. Dass das Erstgericht im Sachbeschluss den dortigen Antragsgegnern (zutreffend sämtliche Mit- und Wohnungseigentümer) eine Frist zur Durchführung der Arbeiten gesetzt habe, bedeute nicht, dass damit schon ein Leistungsbefehl geschaffen worden sei, der unmittelbar vollstreckbar wäre. Der rechtskräftige Sachbeschluss beinhalte zweifellos die rechtsgestaltende Erklärung zur Durchführung dieser Arbeiten als Voraussetzung für jede Verpflichtung im detailliert beschriebenen Umfang. Damit ersetze hier die gerichtliche Entscheidung den von der Eigentümergemeinschaft abgelehnten oder versäumten Mehrheitsbeschluss. Auf Details der Formulierung komme es nicht an.

[13] Ein maßgebliches Kriterium für die Beurteilung einer objektiv nachvollziehbaren gravierenden Zerstörung der Vertrauensbasis durch bestimmte Pflichtverletzungen bzw Verletzung der Interessenwahrungspflichten sei die Zukunftsprognose. Einer auch für die Zukunft erklärten Weigerung des Verwalters, aus dem Minderheitsrecht des § 30 WEG entspringende Entscheidungen umzusetzen, wenn diese nicht auch einen Mehrheitsbeschluss für sich haben oder die gesonderte Zustimmung des Verwalters finden, sei daher von erheblicher Bedeutung. Ein derartiges Verhalten, sollte es auch nur in einem Fall feststellbar sein, gefährde das Vertrauen nachvollziehbar auch für die Zukunft, wenn gleichzeitig angekündigt werde, sich auch in Hinkunft nicht an gerichtliche Sachbeschlüsse im vollen Umfang halten zu wollen.

[14] Da das WEG keine Durchsetzung im Wege der Zwangsverwaltung wie nach den §§ 3, 6, 37 MRG kenne, müsse sichergestellt sein, dass der einzelne Mit- und Wohnungseigentümer bei erfolgreicher Ausübung seines Minderheitsrechts auf Durchführung dringend notwendiger Erhaltungsarbeiten mit der pflichtgemäßen Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung durch den Verwalter rechnen könne. Als ultima ratio nach dem WEG komme sonst nur mehr die Entlassung des Verwalters nach den §§ 21, 30 Abs 1 Z 5 WEG in Frage.

[15] Der in der Tagsatzung am 19. 10. 2020 persönlich anwesende Vorstand der Erstantragsgegnerin habe sogar noch nach gegenteiliger Rechtsbelehrung durch das Gericht ausdrücklich darauf beharrt, den rechtskräftigen Sachbeschluss auch in Zukunft nicht umzusetzen, weil sich dieser (nur) gegen die Mit- und Wohnungseigentümer richte und nicht gegen die Eigentümergemeinschaft. Dies habe der Vertreter der Erstantragsgegnerin mit einem entsprechenden Vorbringen unterstützt. Die Passivlegitimation nur der Mit-und Wohnungseigentümer ergebe sich aber schon aus dem Wortlaut des § 30 Abs 1 erster Satz WEG, dessen Kenntnis sowohl beim Vertreter der Erstantragsgegnerin, wie auch beim Vorstand einer so namhaften Hausverwaltung wie der Erstantragsgegnerin vorausgesetzt werden könne. Das Erstgericht habe hier daher nachvollziehbar angenommen, dass der beharrliche und wohl auch wider besseren Wissens und noch vor Gericht, trotz gegenteiliger Rechtsbelehrung eingenommene Rechtsstandpunkt nur dazu dienen solle, den Antragstellern die Umsetzung ihrer mit Sachbeschluss rechtskräftig zuerkannten Minderheitsrechte vorzuenthalten. Nachdem die Weigerung auch noch nach Rechtsbelehrung, selbst für die Zukunft und generell erfolgt sei, habe das Erstgericht zutreffend angenommen, dass auch jede positive Zukunftsprognose ausgeschlossen sei.

[16] Gegen diesen Sachbeschluss des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin. Sie macht die Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens, Aktenwidrigkeit sowie unrichtige rechtliche Beurteilung samt sekundärer Feststellungsmängel geltend und beantragt, den angefochtenen Sachbeschluss abzuändern und den Antrag abzuweisen. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[17] Die Antragsteller beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben. Die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer haben sich am Revisionsrekursverfahren – wie schon am Rekursverfahren – nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

[18] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rechtsauffassung der Vorinstanzen korrekturbedürftig ist. Er ist demnach auch – im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags – berechtigt.

[19] 1. Das Individualrecht auf Auflösung des Verwaltungsvertrags kann nur dann erfolgreich ausgeübt werden, wenn nach dem Verhalten des Verwalters begründete Bedenken bestehen, dass er seiner Treue- und Interessenwahrungspflicht nachkommt. Dabei muss es sich um Gründe handeln, die nach allgemeiner Verkehrsauffassung so gewichtig sind, dass die Wahrnehmung der Interessen der Wohnungseigentümer nicht mehr gesichert ist (RIS‑Justiz RS0083249). Geringfügige und entschuldbare Fehlleistungen haben unberücksichtigt zu bleiben (RS0083249 [T1]).

[20] Ob ausreichende Gründe vorliegen, den Verwaltungsvertrag auf Antrag eines Mit- und Wohnungseigentümers aufzulösen, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen (RS0111893; RS0042763). Mehrere einzelne Pflichtverletzungen des Verwalters, die für sich allein betrachtet noch keine grobe Vernachlässigung der Verwalterpflichten sind, können jedoch bei einer Gesamtschau seine Abberufung rechtfertigen (RS0083249 [T2]; RS0111894 [T1]). Bei der Prüfung von Auflösungsgründen ist auch eine Zukunftsprognose anzustellen (RS0083249 [T8]; RS0101593).

[21] Für die sofortige Abberufung des Verwalters auf Antrag (nur) eines Wohnungseigentümers sind gravierende, die Vertrauensbasis zerstörende Pflichtverletzungen zu fordern (RS0083249 [T4]), zumal im Hinblick auf das Verbot der Wiederbestellung (§ 21 Abs 3 WEG) zu berücksichtigen ist, dass durch eine derartige Abberufung der Mehrheit der Wohnungseigentümer, die dem Verwalter weiterhin das Vertrauen schenken, ein Verwalterwechsel aufgezwungen wird (5 Ob 107/19z mwN).

[22] 2. Die Vorinstanzen sahen es als eine die Auflösung des Verwaltungsvertrags iSd § 21 Abs 3 WEG rechtfertigende Pflichtverletzung an, dass die Erstantragsgegnerin es ablehnt, den im Vorverfahren nach § 30 Abs 1 WEG iVm § 52 Abs 1 Z 3 WEG ergangenen Sachbeschluss auf Durchführung bestimmter Erhaltungsarbeiten umzusetzen.

[23] Nach § 30 Abs 1 Z 1 WEG kann jeder Wohnungseigentümer die Entscheidung des Gerichts unter anderem darüber verlangen, dass Arbeiten iSd § 28 Abs 1 Z 1 WEG durchgeführt werden. Voraussetzung für die Anrufung des Gerichts ist also die Untätigkeit der Mehrheit oder des Verwalters, entweder durch die Unterlassung einer Beschlussfassung oder die Ablehnung einer Erhaltungsarbeit (5 Ob 195/17p mwN).

[24] Die Entscheidung des Gerichts im Verfahren nach § 30 Abs 1 WEG iVm § 52 Abs 1 Z 3 WEG ist rechtsgestaltend. Diese enthält keinen Leistungsbefehl und ist nicht vollstreckbar; sie ersetzt vielmehr den von der Eigentümergemeinschaft abgelehnten oder versäumten Mehrheitsbeschluss. Die Durchführung von Erhaltungsarbeiten bleibt dabei in der Kompetenz der Eigentümergemeinschaft; der sie vertretende Verwalter ist an die Entscheidung, die Erhaltungsarbeiten durchzuführen, gebunden (RS0123170).

[25] Die Erstantragsgegnerin bestreitet die Richtigkeit dieser Grundsätze der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht. Sie stützt ihren Standpunkt vielmehr darauf, dass der im Vorverfahren ergangene Sachbeschluss – rechtsirrig – nicht die gebotene Rechtsgestaltung vornehme, sondern den Mit- und Wohnungseigentümern einen Leistungsbefehl erteile.

[26] 3. Die Erstantragsgegnerin beruft sich zutreffend darauf, dass die Rechtsprechung, auch die des Obersten Gerichtshofs, differenziert und nicht jeder Entscheidung in einem Verfahren nach § 30 Abs 1 WEG iVm § 52 Abs 1 Z 3 WEG gleichsam automatisch rechtsgestaltende Wirkung zuerkennt, sondern eine entsprechende Formulierung des Spruchs voraussetzt und verlangt.

[27] So führte der Fachsenat in seiner Leitentscheidung 5 Ob 116/07f aus, dass das WEG 2002 für die genaue Fassung des auf Geltendmachung des Individualrechts gerichteten Antrags des einzelnen Wohnungseigentümers ebenso wenig konkrete Vorgaben mache, wie für die zu treffende gerichtliche Entscheidung. Der Senat sei dazu (mit A. Vonkilch in Hausmann/Vonkilch,Österreichisches Wohnrecht § 30 WEG 2002 Rz 9) der Meinung, dass aus Gründen der Verfahrensökonomie und zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes eine unmittelbar rechtsgestaltende Entscheidung vorzunehmen sei und nicht bloß die opponierende Mehrheit zu entsprechender Willensbildung zu verhalten. Im Bereich des § 30 Abs 1 Z 1 WEG habe demzufolge das Gericht in einer gegen die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer gerichteten rechtsgestaltenden Entscheidung den den Verwalter bindenden Mehrheitsbeschluss zu ersetzen. Zwar könnte man den Wortlaut des Gesetzes auch so verstehen, dass ein Leistungsbefehl gegenüber den Antragsgegnern zu erlassen sei. Dagegen spreche aber, dass es sich hier um Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung, die in die Zuständigkeit der (Wohnungs-)Eigentümergemeinschaft, und nicht der einzelnen Mit- und Wohnungseigentümer fallen, handle. Eine solche Leistungspflicht könnte daher nur der Eigentümergemeinschaft gegenüber ausgesprochen werden, die ihrerseits aber im Hinblick auf § 52 Abs 2 Z 1 WEG 2002 gar nicht Verfahrenspartei sei. Ein Leistungsbefehl scheide daher mangels rechtlichen Gehörs des materiell Verpflichteten aus. Mangels Möglichkeit, einen Leistungsbefehl zu erlassen, könnten solche gerichtlichen Entscheidungen auch nicht nach §§ 346 f EO in Exekution gezogen werden, sondern sei nach der geltenden Rechtslage davon auszugehen, dass durch den den Mehrheitsbeschluss ersetzenden rechtsgestaltenden Ausspruch des Gerichts lediglich der Verwalter im Rahmen der ihm obliegenden Aufgaben iSd § 20 Abs 1 erster Satz WEG 2002 gebunden werde. Im Fall der Antragsstattgebung werde hinsichtlich der Formulierung des Spruchs zu berücksichtigen sein, dass nicht ein Leistungsauftrag den Antragsgegnern gegenüber, sondern eine rechtsgestaltende, den Mehrheitsbeschluss ersetzende Anordnung zur Durchführung der Maßnahmen zu ergehen habe.

[28] In der Praxis wird der Antrag allerdings nicht immer ausdrücklich auf Substituierung des geforderten Mehrheitsbeschlusses gerichtet und andere, einem Leistungsbefehl ähnelnde Formulierungen des Antragsbegehrens wurden auch schon toleriert (vgl 5 Ob 195/17p, 5 Ob 123/10i [je Auftrag zur Sanierung durch die Eigentümergemeinschaft]). Die Gerichte zweiter Instanz (vgl 5 Ob 182/13w) und der Oberste Gerichtshof (5 Ob 212/13g) haben die Frage der richtigen Spruchformulierung fallweise aber aufgeworfen und den Spruch von einem an die Antragsgegner gerichteten Leistungsbefehl auf eine rechtsgestaltende Formulierung geändert.

[29] Zu 5 Ob 182/13w stellte der Fachsenat im Zusammenhang mit der Frage der Beschwer zudem ausdrücklich klar, dass es sich bei einem Leistungsbefehl und einer Rechtsgestaltung um verschiedene Begehren handelt, die sich in ihren Rechtswirkungen unterscheiden: Die (in diesem Verfahren ergangene) Entscheidung des Rekursgerichts weiche vom Begehren der Antragstellerin ab, weil das Rekursgericht anstelle des begehrten exekutiv durchsetzbaren Auftrags zur Durchführung der Erhaltungsarbeiten (nur) einen Mehrheitsbeschluss der übrigen Mit- und Wohnungseigentümer auf Durchführung der konkreten Erhaltungsarbeiten ersetzt habe. Dieser sei nicht vollstreckbar. Die Verpflichtung der übrigen Mit- und Wohnungseigentümer zur Durchführung der Erhaltungsarbeiten, sei im außerstreitigen Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 3 WEG freilich nicht durchsetzbar.

[30] 4. Die Erstantragsgegnerin vertritt nun – zusammengefasst – den Standpunkt, der Sachbeschluss im Vorverfahren enthalte in seinem Spruch einen an die dort genannten Antragsgegner gerichteten Leistungsbefehl. Dieser möge zwar grundsätzlich nicht vorgesehen sein, er sei aber dennoch verbindlich und vollstreckbar. Der Umstand, dass das Erstgericht richtigerweise eine rechtsgestaltende Entscheidung zu fassen gehabt hätte, vermöge nichts daran zu ändern. Im Exekutionsverfahren sei ein Rückgriff auf die Entscheidungsgründe oder gar die materielle oder formelle Rechtslage, die Absicht des Verfassers oder den Parteienantrag nicht zulässig. Nichts anderes könne für die Auslegung der Entscheidung durch die Erstantragsgegnerin gelten.

[31] Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zur Beurteilung des Umfangs des Gegenstands eines Exekutionstitels im Zug der Vollstreckung im Exekutionsverfahren nach der EO, aber auch im Vollstreckungsverfahren gemäß § 6 Abs 2 MRG (vgl 5 Ob 151/21y mwN) ist diese Argumentation nicht nur nachvollziehbar; bei einem an dem – gemäß dieser Rechtsprechung primär maßgebenden – Wortlaut des Spruchs orientierten Verständnis des Sachbeschlusses („den Antragsgegnern aufgetragen, […] Arbeiten in Angriff zu nehmen“) ist diese vielmehr zutreffend. Ein Beschluss, der in einem Verfahren gemäß § 30 Abs 1 Z 1 WEG ergeht, bindet den Verwalter aber nur dann, wenn dieser tatsächlich eine entsprechende Rechtsgestaltung vornimmt und daher einen Mehrheitsbeschluss ersetzt.

[32] Trifft der Standpunkt der Erstantragsgegnerin zu, ist die Weigerung, eine Bindung anzuerkennen, schon keine Pflichtverletzung. Und selbst wenn man den Spruch des Sachbeschlusses großzügig und unter Heranziehung der Entscheidungsgründe als rechtsgestaltend verstehen wollte: Dass die Erstantragsgegnerin darin keine einen Mehrheitsbeschluss der Eigentümergemeinschaft ersetzende Entscheidung erkannt hat (und sich auch von der Rechtsbelehrung durch den Erstrichter nicht sofort vom Gegenteil überzeugen ließ), wärenicht als gravierende Pflichtverletzung iSd § 21 Abs 3 WEG anzusehen. Nach der für die Beurteilung des Gewichts eines Pflichtverstoßes maßgeblichen allgemeinen Verkehrsauffassung bildet die Verkennung der Rechtslage durch den Verwalter umso weniger als eine die Vertrauensbasis zerstörende Pflichtverletzung, je komplexer deren Beurteilung ist. Im vorliegenden Fall ist die Rechtslage in diesem Sinn durchaus komplex und deren Verkennung der Erstantragsgegnerin daher subjektiv nicht besonders vorwerfbar (5 Ob 11/15a).

[33] Zufolge dieser Komplexität der Rechtslage ist es objektiv nicht nachvollziehbar, dass deren allfällige Verkennung die Vertrauensbasis endgültig zerstörte. Mangels Klarheit der Rechtslage ist auch die Zukunftsprognose nicht schon allein deshalb negativ, weil die Verwalterin der Rechtsbelehrung des Erstrichters keinen Glauben geschenkt (und ihrem Rechtsvertreter vertraut) hat (vgl 5 Ob 11/15a). Das Rekursgericht zieht in der Begründung seiner gegenteiligen Beurteilung Schlussfolgerungen in Bezug auf den Kenntnisstand der Erstantragsgegnerin und deren angebliche Motive, die in den Feststellungen und den Verfahrensergebnissen keine Deckung finden.

[34] 5. Nach der Behauptung der Antragsteller und dem Ergebnis des Vorverfahrens gehört der im Sachbeschluss aufgetragene Wiedereinbau des im Zug einer Dachreparatur entfernten Dämmstoffs zur ordnungsgemäßen Erhaltung iSd § 28 Abs 1 Z 1 WEG und daher zur ordentlichen Verwaltung. Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung muss der Verwalter auch ohne einen Beschluss der Eigentümergemeinschaft nach pflichtgemäßem Ermessen eigenständig setzen (RS0122841). Nicht gesetzwidrige, generell oder für den Einzelfall erteilte Weisungen der Mehrheit hat der Verwalter dabei zu befolgen (RS0083550). Die Pflicht des Verwalters nach § 20 Abs 1 Satz 1 WEG, die gemeinschaftsbezogenen Interessen aller Wohnungseigentümer zu wahren, gibt dem Verwalter aber auch auf, auf die Wahrung der Minderheitsrechte durch die Gemeinschaft hinzuwirken und dabei gegebenenfalls eine die Pflichten der Gemeinschaft missachtende und daher rechtswidrige Weisung zu übergehen. So darf er etwa nicht untätig bleiben, wenn die Mehrheit die Durchführung bestimmter Erhaltungsarbeiten, die ein Wohnungseigentümer offensichtlich berechtigterweise verlangt, ablehnt (6 Ob 3/14f).

[35] Eine grobe Pflichtverletzung iSd § 21 Abs 3 WEG könnte der Erstantragsgegnerin daher dann anzulasten sein, wenn sie die nach dem Sachbeschluss gebotenenMaßnahmen schon in ihrer Funktion als Verwalterin im Rahmen der Erhaltung iSd § 28 Abs 1 Z 1 WEG von sich aus durchzuführen gehabt hätte (und aus diesem Grund zu einer verständigen Interpretation der Bedeutung des Sachbeschlusses für sie als Verwalterin verpflichtet gewesen wäre). Die Antragsteller warfen der Erstantragsgegnerin ihre Untätigkeit im Verfahren vor dem Erstgericht auch aus diesem Blickwinkel vor.

[36] Die am Vorverfahren nicht beteiligte Erstantragsgegnerin bestritteine solche Handlungspflicht; diesim Hinblick auf die behauptete fehlende technische Notwendigkeit der Maßnahme aus tatsächlichen, aber auch aus rechtlichen Gründen. Diese Einwendungen wurden im Verfahren bisher nicht geprüft. Das Erstgericht hat aufgrund seiner unrichtigen Rechtsansicht die erforderlichen Feststellungen dazu nicht getroffen. Dieser sekundäre Feststellungsmangel zwingt zur Aufhebung der Sachbeschlüsse der Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht.

[37] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG. Die danach gebotenen Billigkeitserwägungen können erst in dem die Sache erledigenden Sachbeschluss angestellt werden (RS0123011 [T1]).

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