OGH 4Ob192/22x

OGH4Ob192/22x20.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka und Dr. Annerl sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch Dr. Florian Scheiber, Rechtsanwalt in Vaduz, Liechtenstein, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch Mag. Martin Paar und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 24. August 2022, GZ 2 R 100/22y‑13, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 25. Mai 2022, GZ 62 Cg 17/22w‑6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00192.22X.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst wird der erstgerichtliche Beschluss wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.286,30 EUR (darin keine USt) bestimmten Kosten des Zwischenstreits über die Postulationsfähigkeit der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt gegenüber seinem Rechtsschutzversicherer die – mit 15.100 EUR bewertete – Feststellung, dass dieser ihm Rechtsschutzdeckung für die Verfolgung von Ansprüchen aus einem Schadensfall zu gewähren habe.

[2] Der in Vaduz, Liechtenstein, ansässige Klagevertreter ist seit 20. 1. 2017 in die Liste der liechtensteinischen Rechtsanwälte eingetragen und Mitglied der liechtensteinischen Rechtsanwaltskammer; er hatte am 28. 9. 2015 vor der Rechtsanwaltsprüfungskommission beim Oberlandesgericht Innsbruck die österreichische Rechtsanwaltsprüfung nach § 6 RAPG bestanden.

[3] Die Beklagtestellte den Antrag auf Zurückweisung der Deckungsklage. Der Klagevertreter sei nur im Fürstentum Liechtenstein als Rechtsanwalt zugelassen, welches wiederum Vertragsstaat des EWR‑Abkommens sei, sodass das EIRAG anzuwenden wäre. Nach dessen § 5 Abs 1 dürften in Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht – sofern nicht der Fall des § 5 Abs 3 leg cit vorliege – europäische Rechtsanwälte als Vertreter oder Verteidiger einer Partei nur im Einvernehmen mit einem Einvernehmensrechtsanwalt handeln, außer der dienstleistende europäische Rechtsanwalt hätte mit Erfolg die Eignungsprüfung nach § 5 Abs 3 EIRAG abgelegt. Es existiere jedoch keine gesetzliche Vorschrift, nach welcher der Nachweis der Eignungsprüfung im Fall der abgelegten österreichischen Rechtsanwaltsprüfung entfallen könnte. Die Klage sei wegen Postulationsunfähigkeit des Klägers zurückzuweisen.

[4] Der Klägerbeantragte die Abweisung des Antrags; hilfsweise beantragte er die Erteilung eines Verbesserungsauftrags. Der Klagevertreter dürfe vorübergehend rechtsanwaltliche Tätigkeiten wie ein in der Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragener Rechtsanwalt erbringen, weil er nur vorübergehend als dienstleistender europäischer Rechtsanwalt iSd § 2 EIRAG einschreite. Dassein solcher grundsätzlich nur im Einvernehmen mit einem Einvernehmensrechtsanwalt handeln dürfe, gelte nach § 5 Abs 3 EIRAG nicht, wenn jener mit Erfolg die Eignungsprüfung nach §§ 24 ff EIRAG abgelegt habe. Da der Klagevertreter die im Vergleich zur Eignungsprüfung höherwertige österreichische Rechtsanwaltsprüfung positiv abgelegt habe, werde nach § 5 Abs 3 EIRAG (a minori ad maius) kein Einvernehmensrechtsanwalt benötigt. Zweck der Eignungsprüfung sei die Überprüfung der Fähigkeit zur Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts in Österreich (§ 25 EIRAG). Die Rechtsanwaltsprüfung ersetze denklogisch die Eignungsprüfung; Postulationsfähigkeit sei gegeben. Der Klagevertreter verfüge zudem über die notwendigen Voraussetzungen für die Eintragung als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt nach §§ 9 ff EIRAG, sodass kurzfristig ein Antrag auf Eintragung in die Liste der niedergelassenen europäischen Rechtsanwälte gestellt werden könnte.

[5] Das Erstgerichtwies den Antrag auf Klagszurückweisung ab. Die Eignungsprüfung sei viel weniger umfangreich als die Rechtsanwaltsprüfung. Die Fähigkeiten zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in Österreich, zu deren Nachweis die Ergänzungsprüfung diene, habe der Klagevertreter durch die Absolvierung der Rechtsanwaltsprüfung unter Beweis gestellt.

[6] Das Rekursgericht behob diesen Beschluss und trug dem Erstgericht auf, ein Verbesserungsverfahren zur Beseitigung der Postulationsunfähigkeit des Klägers durchzuführen. § 5 EIRAG weise keine planwidrige Lücke auf, sondern verweise ausdrücklich auf die Eignungsprüfung nach dem EIRAG. Über die Erlassung von Prüfungsfächern entscheide nach § 29 EIRAG der Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission im Einvernehmen mit der zuständigen Rechtsanwaltskammer; Fragen der verfassungskonformen Auslegung des EIRAG, etwa zur Frage, ob die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte nach § 35 EIRAG auch aufgrund der abgelegten Rechtsanwaltsprüfung möglich wäre, seien im Verfahren über einen Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte zu beantworten. Dagegen könne dem Gesetz nicht entnommen werden, dass das Zivilgericht selbst von den in § 5 EIRAG festgelegten verfahrensrechtlichen Voraussetzungen absehen könnte, wenn sich der einschreitende europäische Rechtsanwalt auf einen anderen Nachweis als die im EIRAG genannte Eignungsprüfung berufe, womit – im Ergebnis – im EIRAG ohnedies geregelte Fragen der Anrechenbarkeit bzw Erlassung von Prüfungsfächern in das gerichtliche Verfahren verlagert würden. Im Ergebnis lägen die Voraussetzungen für das Einschreiten des Klagevertreters (derzeit) nicht vor.

[7] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 5.000 EUR übersteige, und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Rechtsanwaltsprüfung einer Eignungsprüfung im Hinblick auf § 5 Abs 3 EIRAG gleichzuhalten wäre.

[8] Mit seinem Rekurs beantragt der Kläger die Aufhebung des rekursgerichtlichen und – erkennbar – die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses.

[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Rekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

[11] 1.1. Nach § 2 EIRAG, BGBl I 2000/27, dürfen europäische Rechtsanwälte, soweit sie Dienstleistungen iSd Art 50 EGV (nunmehr: Art 57 AEUV, BGBl III 1999/86) erbringen, in Österreich vorübergehend rechtsanwaltliche Tätigkeiten wie ein in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragener Rechtsanwalt erbringen, wobei sie jedoch den sich aus den Bestimmungen des ersten Teils des EIRAG ergebenden Beschränkungen unterliegen (dienstleistende europäische Rechtsanwälte).

[12] 1.2. In Verfahren, in denen sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt oder ein Verteidiger beigezogen werden muss, dürfen dienstleistende europäische Rechtsanwälte als Vertreter oder Verteidiger einer Partei nur im – bei der ersten Verfahrenshandlung gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisenden – Einvernehmen mit einem in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmensrechtsanwalt) handeln. Diesem obliegt es (nur), beim dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt darauf hinzuwirken, dass er bei der Vertretung oder Verteidigung die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beachtet (§ 5 Abs 1 und 2 EIRAG); der Einvernehmensrechtsanwalt muss aber nicht alle subjektiven Parteiinteressen wahrnehmen (vgl Zib in Fasching/Konecny 3 II/1 §§ 31, 32 ZPO [2015] Rz 101).

[13] § 5 Abs 1 und 2 EIRAG gilt nicht, wenn der dienstleistende europäische Rechtsanwalt mit Erfolg die im 3. Hauptstück des 3. Teils geregelte Eignungsprüfung abgelegt hat (§ 5 Abs 3 EIRAG).

[14] 1.3. Dasselbe (Pkt 1.2.) gilt auch dann, wenn sich ein europäischer Rechtsanwalt unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaats auf Dauer zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich niederlässt und in die Liste der niedergelassenen europäischen Rechtsanwälte eingetragen ist (§§ 9, 14 EIRAG); lediglich „vollintegrierte“ europäische Rechtsanwälte (§§ 18 ff EIRAG) wären österreichischen Rechtsanwälten zur Gänze gleichgestellt (2 Ob 36/15f; Zib in Fasching/Konecny 3 II/1 § 30 ZPO [2015] Rz 28).

[15] 2.1. Nach dem 3. Teil („Niederlassung“) 3. Hauptstück („Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte nach Ablegung einer Eignungsprüfung“) des EIRAG sind Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der EU und der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den EWR sowie der Schweiz, die einen Ausbildungsnachweis erlangt haben, aus dem hervorgeht, dass der Inhaber über die beruflichen Voraussetzungen verfügt, die für den unmittelbaren Zugang zu einem in der Anlage zum EIRAG angeführten Beruf (für Liechtenstein: „Rechtsanwalt“) erforderlich sind, auf Antrag in die Liste der Rechtsanwälte (§ 1 Abs 1 RAO) einzutragen, wenn sie mit Erfolg eine Eignungsprüfung abgelegt haben (§ 24 Abs 1 EIRAG).

[16] Nach § 25 EIRAG („Zweck der Eignungsprüfung“) ist diese – ebenso wie die österreichische Rechtsanwaltsprüfung vor einem Senat der Rechtsanwaltsprüfungskommission (§ 3 RAPG, BGBl 1985/86) abzulegende (§ 26 Abs 1 EIRAG) – Eignungsprüfung eine ausschließlich die beruflichen Kenntnisse des Bewerbers betreffende staatliche Prüfung, mit der seine Fähigkeit, den Beruf eines Rechtsanwalts in Österreich auszuüben, beurteilt werden soll. Die Eignungsprüfung muss dem Umstand Rechnung tragen, dass der Bewerber in einem Staat, der Mitglied der EU oder Vertragsstaat des Abkommens über den EWR ist, über eine berufliche Qualifikation zur Ausübung eines Anwaltsberufs verfügt.

[17] Die Prüfung besteht aus einem schriftlichen (Zivilrecht und wahlweise Straf- oder Verwaltungsrecht) und einem mündlichen (Arbeits- und Sozialrecht, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht und Berufs- und Standesrecht der Rechtsanwälte sowie Kostenrecht sowie wahlweise Strafrecht, öffentliches Recht oder Abgabenrecht) Teil (§§ 3032 EIRAG); der Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission hat im Einvernehmen mit der zuständigen Rechtsanwaltskammer auf Antrag Prüfungsfächer zu erlassen, wenn der Bewerber nachweist, dass er in seiner bisherigen Ausbildung oder seiner bisherigen Berufstätigkeit in einem Prüfungsfach die für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in Österreich erforderlichen materiell‑rechtlichen und verfahrensrechtlichen Kenntnisse im österreichischen Recht erworben hat (§ 29 EIRAG).

[18] Nach erfolgreicher Ablegung der Eignungsprüfung hat der Bewerber, wenn er sich zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich niederlassen will, beim Ausschuss der Rechtsanwaltskammer, in deren Sprengel er seinen Kanzleisitz nimmt, die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte (§ 1 Abs 1 RAO) zu erwirken (§ 35 Abs 1 EIRAG; vgl auch – zur Eintragung als bereits niedergelassener europäischer Rechtsanwalt – § 21 EIRAG [nach Eignungsprüfung] bzw § 18 EIRAG [nach dreijähriger Tätigkeit]).

[19] Auf die Eignungsprüfung ist im Übrigen das Rechtsanwaltsprüfungsgesetz (RAPG) sinngemäß anzuwenden (§ 34 EIRAG).

[20] 2.2. Nach § 1 RAPG soll die Rechtsanwaltsprüfung die für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse des Prüfungswerbers, im Besonderen seine Gewandtheit bei der Einleitung und Besorgung der einem Rechtsanwalt übertragenen öffentlichen und privaten Angelegenheiten sowie seine Eignung zur Abfassung von Rechtsurkunden und Rechtsgutachten sowie zum geordneten schriftlichen und mündlichen Vortrag einer Rechts- und Sachlage nachweisen. Die Rechtsanwaltsprüfung kann nach Abschluss eines Studiums des österreichischen Rechts (§ 3 RAO) und einer praktischen Verwendung im Ausmaß von drei Jahren, hievon mindestens sieben Monate bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und mindestens zwei Jahre bei einem Rechtsanwalt, abgelegt werden, wenn überdies an den für Rechtsanwaltsanwärter verbindlichen Ausbildungsveranstaltungen teilgenommen wurde (§ 2 RAPG).

[21] Die Rechtsanwaltsprüfung besteht aus einem schriftlichen (Zivilrecht, Verwaltungsrecht einschließlich Abgabenrecht und Strafrecht) und einem mündlichen (Arbeits- und Sozialrecht, zivilgerichtliches Verfahren einschließlich AußStrG und EO, Strafrecht, Strafvollzugsrecht, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht einschließlich Wertpapier- und Immaterialgüterrecht, sowie gewerblicher Rechtsschutz, Insolvenzrecht, öffentliches Recht, Abgabenrecht einschließlich Finanzstrafverfahren, Vertragsgestaltung und Urkundenverfassung sowie Berufs- und Standesrecht der Rechtsanwälte, Pflichten als Unternehmer und Dienstgeber, Maßnahmen zur Verhinderung von Geldwäscherei oder Terrorismusfinanzierung sowie Kostenrecht) Teil (§§ 13 ff RAPG).

[22] Zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich bedarf es nach § 1 Abs 1 RAO keiner behördlichen Ernennung, sondern lediglich der Nachweisung der Erfüllung der Erfordernisse laut § 1 Abs 2 RAO (darunter der Abschluss eines Studiums des österreichischen Rechts, die praktische Verwendung in der gesetzlichen Art und Dauer, die mit Erfolg zurückgelegte Rechtsanwaltsprüfung und die Teilnahme an den erforderlichen Ausbildungsveranstaltungen) und der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte. Letztere ist unter Nachweis aller gesetzlichen Erfordernisse beim Ausschuss der Rechtsanwaltskammer, in deren Sprengel der Rechtsanwalt seinen Kanzleisitz nimmt, zu erwirken (§ 5 RAO).

[23] 3. Die Benennung eines Einvernehmensrechtsanwalts iSd § 5 EIRAG für einen (niedergelassenen oder dienstleistenden) europäischen Rechtsanwalt ist bei absoluter Anwaltspflicht erforderlich (RS0130040). Die Herstellung und der Nachweis des Einvernehmens sind – vom Fall des § 5 Abs 3 EIRAG abgesehen – Bedingungen dafür, dass die Verfahrenshandlung des einschreitenden ausländischen Rechtsanwalts denen eines österreichischen gleichgestellt ist; solange das Einvernehmen nicht nachgewiesen ist, liegt Postulationsunfähigkeit der Partei vor (vgl RS0129660 [insb T2]). Das Fehlen des Nachweises eines Einvernehmens ist ein der Verbesserung zugängliches Formgebrechen (RS0124121).

[24] 4. Hier steht fest, dass der Klagevertreter als dienstleistender europäischer Rechtsanwalt (also ohne Niederlassung in Österreich zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft) in einem Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht (§ 27 Abs 1 ZPO) einschreitet (vgl 6 Ob 115/14a).

Er handelt dabei weder im Einvernehmen mit einem Einvernehmensrechtsanwalt noch hat er iSd § 5 Abs 3 EIRAG die im 3. Hauptstück des 3. Teils dieses Gesetzes geregelte Eignungsprüfung abgelegt.

[25] Der Klagevertreter hat jedoch die österreichische Rechtsanwaltsprüfung abgelegt, worauf er sich auch beruft und ausführt, diese Prüfung sei der Eignungsprüfung iSd EIRAG zumindest gleichwertig, sodass es in analoger Anwendung des § 5 Abs 3 EIRAG keines Einvernehmens mit einem Einvernehmensrechtsanwalt und damit auch keiner Verbesserung zur Behebung eines diesbezüglichen Formgebrechens bedürfe.

[26] 5. Dem ist zuzustimmen:

[27] 5.1. Die Notwendigkeit der Herstellung des Einvernehmens ist nach der oben dargelegten Rechtslage an die Voraussetzung geknüpft, dass ein (dienstleistender oder niedergelassener) europäischer Rechtsanwalt, der nicht in die österreichische Anwaltsliste eingetragen ist, keine Eignungsprüfung iSd EIRAG abgelegt hat. Hat ein dienstleistender europäischer Rechtsanwalt bereits die Eignungsprüfung erfolgreich absolviert, ohne aber noch in die österreichische Rechtsanwaltsliste eingetragen zu sein, so bedarf er nach dem insofern klaren Gesetzeswortlaut der Beiziehung eines Einvernehmensrechtsanwalts nicht (ebenso Zib in Fasching/Konecny 3 II/1 §§ 31, 32 ZPO [2015] Rz 101).

[28] Die zivilprozessuale Postulationsfähigkeit der bei absoluter Anwaltspflicht ohne Einvernehmen von einem europäischen Rechtsanwalt vertretenen Partei ist daher allein davon abhängig, dass der Anwalt – unter Berücksichtigung des Umstands, dass er in einem anderen EU‑ oder EWR‑Staat zum Rechtsanwalt qualifiziert ist – die Fähigkeit nachgewiesen hat, den Beruf eines Rechtsanwalts in Österreich auszuüben (§ 25 EIRAG).

[29] 5.2. Der Vergleich der Prüfungsinhalte und ‑zwecke nach EIRAG und RAPG ergibt, dass die Absolvierung der Rechtsanwaltsprüfung eine umfänglich wie inhaltlich weitergehende Kenntnis des österreichischen Rechts in materieller und formeller Hinsicht voraussetzt als die Eignungsprüfung nach dem EIRAG. Diese hat nämlich einen dahin eingeschränkten Zweck (so schon die ErläutRV 777 BlgNR 18. GP  10 zum – dem § 25 EIRAG nahezu wortgleich entsprechenden – § 9 EWR-RAG 1992, BGBl 1993/21), dass ein bereits im Ausland als Anwalt niedergelassener und tätiger Anwalt nur ein geringeres Maß an österreichspezifischen Zusatzkenntnissen erwerben und nachweisen muss, um in Österreich anwaltliche Dienstleistungen erbringen zu dürfen.

[30] Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof Inländerdiskriminierung durch den Umstand verneint, dass sowohl die RAO als auch das EIRAG jeweils einen Weg zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich eröffnen, weil er die sachliche Rechtfertigung für Unterschiede in den Voraussetzungen in der Verschiedenartigkeit der von den Regelungsinhalten angesprochenen Personenkreise begründet sah: Im EIRAG werde an eine bereits bestehende Berechtigung angeknüpft, während die RAO erst die Voraussetzungen für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte normiere, sodass nicht vergleichbare Sachverhalte geregelt würden (B 204/11 VfSlg 19.537/2011 [Pkt 1.1]). Weiters hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die erfolgreiche Ablegung der Eignungsprüfung die erfolgreiche Absolvierung der Rechtsanwaltsprüfung nach dem RAPG substituiere und wie diese bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte und damit zur (uneingeschränkten) Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich berechtige; bei gebotener verfassungskonformer Interpretation sei die erfolgreich abgelegte Eignungsprüfung eine der wechselseitig anrechenbaren Berufsprüfungen iSd § 9 ABAG (E 1688/2015, VfSlg 20.055/2016).

[31] 5.3. Nichts anderes gilt im hier vorliegenden Fall des § 5 Abs 3 EIRAG mit Eignungs- und Rechtsanwaltsprüfung in umgekehrter Konstellation. Es ist evident, dass der Gesetzgeber des EIRAG nicht einen Fall (wie den des Klagevertreters) vor Augen hatte, dass ein Absolvent eines österreichischen Studiums (vgl § 3 RAO) und der österreichischen Rechtsanwaltsprüfung sich nicht in Österreich in die Rechtsanwaltsliste eintragen ließ und hier den Anwaltsberuf ausübt, sondern im (EU- oder EWR‑)Ausland. Wenn die Rechtsanwaltsprüfung und die Eignungsprüfung für die Frage der gegenseitigen Anrechnung iSd ABAG gleichwertig sind, gilt umso mehr hier für die Frage der Verpflichtung zur Beiziehung eines Einvernehmensrechtsanwalts, dass die Rechtsanwaltsprüfung als der Eignungsprüfung iSd EIRAG (zumindest) gleichwertig anzusehen ist.

[32] 5.4. Die dagegen vom Rekursgericht und Rekursbeantwortung der Beklagten ins Treffen geführten Argumente überzeugen nicht. Hier ist nur die zivilprozessuale Frage zu beantworten, ob die Qualifikation des dienstleistenden europäischen Anwalts dem Zweck des § 5 Abs 3 EIRAG entsprechend die Postulationsfähigkeit der von ihm vertretenen Partei erlaubt, oder ob ein solcher Anwalt trotz österreichischer Anwaltsprüfung eines Einvernehmensrechtsanwalts bedarf, um darauf hinzuwirken, die Erfordernisse einer geordneten österreichischen Rechtspflege zu beachten. Es ist hier aber nicht die Frage zu klären, ob der Anwalt die Voraussetzungen für hier nicht verfahrensgegenständliche Verwaltungsakte wie die Eintragung in die Liste als niedergelassener europäischer Anwalt oder gar als Anwalt nach § 1 Abs 1 RAO erfüllt.

[33] 5.5. § 5 Abs 3 EIRAG ist daher so zu verstehen, dass eine Eignungsprüfung iSd EIRAG nur für solche dienstleistenden europäischen Rechtsanwälte erforderlich ist, die nicht auch die österreichische Anwaltsprüfung abgelegt haben; für dienstleistende europäische Anwälte, die diese Prüfung absolviert haben, gilt – ebenso wie für Absolventen der Eignungsprüfung – § 5 Abs 1 und 2 EIRAG nicht, sodass sie keines Einvernehmensrechtsanwalts bedürfen.

[34] 6. Zusammengefasst bedarf der Klagevertreter aufgrund der von ihm abgelegten österreichischen Rechtsanwaltsprüfung keiner Eignungsprüfung iSd EIRAG, um hier als dienstleistender europäischer Anwalt ohne Einvernehmensrechtsanwalt einzuschreiten; ein Mangel der Postulationsfähigkeit des Klägers liegt nicht vor, eines Verbesserungsverfahrens zum Nachweis des Einvernehmens mit einem Einvernehmensrechtsanwalt bedarf es nicht.

[35] Es war daher dem Rekurs Folge zu geben, der angefochtene Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts war zu beseitigen und es war in der Sache – der Frage der Postulationsfähigkeit des Klägers – der zutreffende erstgerichtliche Beschluss wiederherzustellen.

[36] 7. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 41 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 ZPO.

[37] Es liegt ein Zwischenstreit vor, in dem die Beklagte unterlegen ist. Kosten des Zwischenstreits sind die zu dessen Gegenstand aufgelaufenen abgrenzbaren Kosten, hier somit die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sowie die Kosten der erstinstanzlichen Äußerung des Klägers ON 5 (vgl 4 Ob 84/22i Rz 30 f mwN).

[38] Ein ERV‑Zuschlag gemäß § 23a erster Satz RATG in Höhe von 4,10 EUR gebührt nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für fortgesetzte Schriftsätze, unter denen auch alle Rechtsmittelschriftsätze zu verstehen sind, sodass auch für den Rekurs an den Obersten Gerichtshof nur 2,10 EUR zuzusprechen waren (RS0126594 [T1, T3]).

[39] Umsatzsteuer wurde vom Kläger nicht verzeichnet und daher auch nicht zugesprochen.

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