OGH 9ObA31/22g

OGH9ObA31/22g31.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Christian Lewol (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. C*, vertreten durch Dr. Ralph Forcher, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei B* GmbH, *, vertreten durch e/n/w/c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 110.832,58 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2021, GZ 6 Ra 47/21k‑65, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 19. Mai 2021, GZ 32 Cga 53/18i‑59 aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00031.22G.0831.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.396,34 EUR (darin enthalten 399,39 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war bei der Beklagten von 1. 10. 1998 bis 30. 11. 2016 beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstgeberkündigung. Ein Schreiben der Beklagten an den potentiellen neuen Arbeitgeber des Klägers führte dazu, dass dieser eine bereits verhandelte Geschäftsführerposition nicht erhielt.

[2] Der Kläger begehrt die Differenz zwischen dem von ihm ins Verdienen gebrachten Einkommen und dem, das er als Geschäftsführer von 15. 8. 2017 bis 30. 4. 2018 hätte lukrieren können sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden, die er durch das Schreiben der Beklagten erleiden wird.

[3] Die Beklagte bestreitet.

[4] Im ersten Rechtsgang wurde mit mittlerweile rechtskräftigem Zwischen‑ und Teilurteil das Zahlungsbegehren als dem Grunde nach berechtigt festgestellt und dem Feststellungsbegehren stattgegeben.

[5] Im fortgesetzten Verfahren wies das Erstgericht das Zahlungsbegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers dagegen Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Erstgericht.

[6] Das Berufungsgericht sah das Klagebegehren auch der Höhe nach als berechtigt an, weshalb das Erstgericht nunmehr die von der Beklagten geltend gemachte Gegenforderung zu prüfen habe.

[7] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zur Frage, ob bei Verdienstentgangsansprüchen resultierend aus einer vereitelten Erwerbschance aufgrund einer Verletzung der nachvertraglichen Fürsorgepflicht die bloß abstrakte Möglichkeit, eine adäquate Position zu erhalten, zur Annahme einer Verletzung der Schadensminderungspflicht ausreiche, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

[8] Gegen diese Entscheidung wendet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

[9] Der Kläger beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Rekurs der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 Satz 2 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung des Rekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

[11] 1. Aus § 1304 ABGB ergibt sich allgemein eine Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden möglichst gering zu halten (RS0027043; vgl RS0027116). Es stellt einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, wenn der Geschädigte Handlungen unterlassen hat, die geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, die – objektiv beurteilt – von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten, bzw wenn er Handlungen gesetzt hat, die geeignet waren, den Schaden zu vergrößern und von einem verständigen Durchschnittsmenschen nicht gesetzt worden wären, und dies der Geschädigte bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen und dieser Einsicht nach hätte handeln können (RS0023573).

[12] Die Unterlassung der Schadensminderung kann dem Geschädigten jedoch nur dann vorgeworfen werden, soweit ihm ein konkretes Verhalten zugemutet werden kann (RS0027116 [T6, T7]). Was dem Geschädigten zumutbar ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile, dem redlichen Verkehr. Es kommt daher wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an (RS0027787, RS0029874).

[13] 2. Die Beweislast für eine Verletzung der Schadensminderungspflicht trägt der Schädiger. Er hat zu behaupten und zu beweisen, dass bestimmte Maßnahmen objektiv zumutbar gewesen wären und der Geschädigte diese schuldhaft nicht ergriffen hat; der Geschädigte hingegen hat zu beweisen, dass ihm diese Maßnahmen subjektiv nicht zumutbar waren (RS0026909).

[14] Auch in Zusammenhang mit der Geltendmachung von Verdienstentgang trifft den Schädiger die Behauptungslast und Beweislast dafür, dass der Geschädigte seinen nachgewiesenen Verdienstentgang durch Aufnahme einer anderen Beschäftigung hätte verringern können (RS0031357 [T1]).

[15] 3. So trifft im Fall der unfallbedingt verbliebenen teilweisen Erwerbsunfähigkeit des Geschädigten die Beweislast für eine Verletzung der dem Geschädigten obliegenden Schadensminderungspflicht den Schädiger. Dazu hat der Schädiger den Nachweis zu erbringen, dass der Geschädigte eine ihm nachgewiesene und nach den Umständen zumutbare konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ohne zureichende Gründe ausgeschlagen hat (RS0022883; RS0027143). Ganz allgemein gehaltene Vorbringen und Beweisanbote über eine Verletzung der Schadensminderungspflicht genügen ebenso wenig (RS0031357 [T4]) wie der (bloße) Nachweis der abstrakten Möglichkeit, durch eine anderweitige Beschäftigung den Verdienstausfall zu verringern oder wettzumachen (RS0027143; RS0031357 [T8]).

[16] Dagegen hat nach der Rechtsprechung bei Wiedererlangung seiner Erwerbsfähigkeit im früheren Ausmaß der Geschädigte zu beweisen, nicht in der Lage zu sein, eine gleichwertige und zumutbare Beschäftigung zu finden. Soweit der zur Einkommensminderung führende Körperschaden nicht mehr gegeben ist, fehlt es an einer objektiven Grundlage für einen daraus abgeleiteten Entgang. Es ist daher Sache des Geschädigten zu behaupten und zu beweisen, dass er trotz wiedererlangter voller Erwerbsfähigkeit nicht in der Lage war bzw ist, einen Arbeitsplatz zu finden, an dem er einen seinem früheren Einkommen entsprechenden Verdienst hätte erzielen können. Nur unter dieser Voraussetzung könnte der festgestellte Verdienstausfall des Geschädigten eine adäquate Folge der Körperverletzung darstellen (ZVR 1980/154).

[17] 4. Ein solcher Fall liegt jedoch hier nicht vor, da der Verdienstentgang des Klägers unmittelbare Folge der schädigenden Handlung der Beklagten ist. Für eine Umkehr der Beweislast besteht daher keine Grundlage.

[18] 5. Soweit sich die Beklagte auf die Entscheidung 1 Ob 129/17b bezieht, ist daraus für sie nichts zu gewinnen. Auch in dieser Entscheidung ist der Oberste Gerichtshof von der Beweislast des Schädigers ausgegangen, sah den Beweis jedoch aufgrund der besonderen Konstellation des Einzelfalls als erbracht an, weil nach den Feststellungen mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Geschädigte „zumindest“ als Berater hätte tätig sein können und die Beklagte damit ausreichend konkret bewiesen habe, dass dem Kläger die Ausübung einer bestimmten selbständigen Tätigkeit leicht möglich gewesen wäre.

[19] 6. Im vorliegenden Fall steht zwar fest, dass im zu beurteilenden Zeitraum grundsätzlich eine ausreichende Anzahl an Stellen als Geschäftsführer neu zu besetzen war. Fest steht aber auch, dass solche Positionen in der Regel kaum bis gar nicht über Print‑ oder elektronische Medien ausgeschrieben werden und Besetzungen in der Regel über Branchennetzwerke, zum Teil unter Mitwirkung von Personalberatungsbüros erfolgen. Weiters hat sich der Kläger um eine Neuanstellung, unter anderem durch Kontaktaufnahme – auch – mit geeigneten Personalberatungsbüros bemüht, Initiativbewerbungen versendet und versucht Kontakte zu knüpfen. Wenn das Berufungsgericht davon ausgeht, dass, selbst wenn dabei teilweise Wege gewählt wurden, die aus sachverständiger Sicht nicht zielführend waren, es weder Vorbringen noch Feststellungen dazu gebe, welche Maßnahmen der Kläger schuldhaft unterlassen habe, um eine entsprechende Anstellung zu erhalten, weshalb nicht von einer Verletzung der Schadensminderungspflicht auszugehen sei, hält sich diese Beurteilung im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessenspielraums. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger 18 Jahre bei der Beklagten beschäftigt war, daher sich am freien Markt nicht um eine Stelle bemühen musste, die Nutzung eines Netzwerkes auch den Aufbau eines Netzwerkes voraussetzt und er noch hoffte, bei dem in Aussicht genommenen Arbeitgeber doch als Geschäftsführer bestellt zu werden, wenn die Streitigkeiten mit der Beklagten bereinigt werden. Richtig hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, dass selbst bei intensiven Bemühungen eine Neuanstellung erst nach einer gewissen Zeit hätte gefunden werden können.

[20] 7. Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob in Fällen wie dem vorliegenden der Nachweis einer abstrakten Erwerbschance ausreicht, stellt sich vor diesem Hintergrund nicht, da von der Beklagten lediglich nachgewiesen wurde, dass freie Stellen am Markt vorhanden waren, jedoch nicht, welches Verhalten dem Kläger vorzuwerfen ist, das ein verständiger Durchschnittsmensch in der Position des Klägers gesetzt hätte und das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in einem angemessenen Zeitraum zu einer adäquaten Anstellung geführt hätte. Negative Feststellungen können wie dargelegt aufgrund der Beweislast der Beklagten nicht zum Nachteil des Klägers gewertet werden.

[21] 8. Richtig ist, dass auch im Nichtergreifen eines Rechtsmittels oder der Unterlassung einer Prozessführung eine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegen kann (RS0027787 [T9, T16]), aber nicht liegen muss; es kommt wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an. Der Geschädigte ist nicht zu gerichtlichen Schritten verpflichtet, die mit einem bedeutenden Kostenrisiko verbunden sind (RS0023573 [T10]) oder geringe Aussichten auf Erfolg haben (RS0018766 [T1]). Ist die Rechtslage nicht unproblematisch, so liegt keine Verletzung der Schadensminderungspflicht vor, wenn der Rechtsweg nicht beschritten wird (6 Ob 31/08i mwN).

[22] Im vergleichbaren Fall des Nichtergreifens eines Rechtsmittels kann nach der Rechtsprechung zwar eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit liegen, wenn dieses geeignet gewesen wäre, den Schaden abzuwenden (RS0027787 [T23] ua). Hingegen ist eine solche Verletzung dann zu verneinen, wenn der Entschluss des Verletzten durch den haftungsbegründenden Vorgang herausgefordert wurde, er also erst durch das pflichtwidrige Verhalten des Schädigers in die Lage kam, eine solche Entscheidung treffen zu müssen (RS0027787 [T24]). Darüber hinaus ist hypothetisch nachzuvollziehen und zu beurteilen, wie das Verfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geendet hätte (vgl RS0115755).

[23] 9. Das Berufungsgericht ist vertretbar davon ausgegangen, dass eine Bindung des neuen Arbeitgebers an den Geschäftsführervertrag erst durch Unterfertigung des Geschäftsführerdienstvertrags erfolgen sollte, zu der es aufgrund des Schreibens der Beklagten nicht gekommen ist. Dagegen spricht auch nicht, dass die internen Genehmigungen zunächst vorlagen und in der Folge widerrufen wurden. Das Zustandekommen eines Vertrags hängt nicht von der internen Willensbildung, sondern der Erklärung gegenüber dem Vertragspartner ab.

[24] Die Ansicht des Berufungsgerichts, bei dieser Sachlage könne dem Kläger – abgesehen davon, dass das Schreiben der Beklagten dazu geführt habe, dass er die Geschäftsführerposition nicht erhielt – nicht vorgeworfen werden, keinen Versuch zur Durchsetzung seiner Rechtsposition unternommen zu haben, ist nicht zu beanstanden.

[25] Die Ausführungen dazu, dass der Kläger vor einer klagsweisen Geltendmachung allfällige Ansprüche ja hätte außergerichtlich geltend machen können, stellt eine Neuerung dar, wobei die Beklagte übergeht, dass ihr der Nachweis obliegen würde, dass solche außergerichtlichen Schritte erfolgreich gewesen wären.

[26] 10. Der Rekurs der Beklagten ist daher mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[27] 11. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen (RS0123222).

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