European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00101.22I.0630.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I. Das Rechtsmittel der erstklagenden Partei wird zurückgewiesen.
II. Der in der Revision der zweitklagenden Partei enthaltene Rekurs wird zurückgewiesen.
III. Im Übrigen wird die außerordentliche Revision der zweitklagenden Partei gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
IV. Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.
Begründung:
[1] Die erstklagende GmbH bietet Ausbildungen zum „Atlas-Energetiker“ an. Der Zweitkläger ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Erstklägerin und auch einer weiteren Gesellschaft, die solche „Behandlungen“ anbietet. Der Beklagte ist Rechtsanwalt in Deutschland und einer der Vorsitzenden eines deutschen Vereins für „Atlaslogie“ (E* e.V.). Als solcher war er am 18. März 2017 bei einem Vortrag über „Atlaslogie“ einer (anderen) Vorsitzenden dieses Vereins. Nach dem Vortrag äußerte sich der Beklagte in einem Gespräch gegenüber der ihm damals noch unbekannten Lebensgefährtin des Zweitklägers negativ über diesen. Die Lebensgefährtin zeichnete das Gespräch heimlich auf. Bei dem Gespräch war teilweise auch die andere Vorsitzende anwesend.
[2] Mit der Behauptung, bei dem aufgenommenen Gespräch habe der Beklagte massiv herabsetzende und unwahre Äußerungen über die Kläger getätigt, um den Wettbewerb des deutschen Vereins und der anderen Vorsitzenden zu fördern und die Kläger systematisch in Schädigungsabsicht herabzusetzen, begehren die Kläger, dem Beklagten bestimmte Äußerungen zu verbieten. Weiters begehren sie den Widerruf der Äußerungen, die Feststellung der Haftung des Beklagten wegen der Äußerungen, 20.000 EUR als Schadenersatz und die Urteilsveröffentlichung. Die Kläger stützen ihre Klage auf § 7 UWG und § 1330 ABGB.
[3] Mit Beschluss des zuständigen Insolvenzgerichts vom (richtig:) 14. 9. 2020 (also während des Verfahrens) wurde über das Vermögen der Erstklägerin das Konkursverfahren eröffnet. Das Erstgericht stellte am 17. 9. 2020 deklarativ fest, dass das die Erstklägerin betreffende Verfahren nach § 7 IO unterbrochen sei. Der Konkurs wurde mit Beschluss vom 4. 5. 2021 nach Verteilung des Massevermögens gemäß § 139 IO aufgehoben.
[4] Das Erstgericht gab mit Teilurteil hinsichtlich beider Kläger dem Unterlassungsbegehren zu sieben und dem Widerrufsbegehren zu drei Äußerungen des Beklagten statt. Im Übrigen wies es das Unterlassungs- und das Widerrufsmehrbegehren ebenso rechtskräftig ab wie das Urteilsveröffentlichungsbegehren. Dem Feststellungsbegehren gab es (korrespondierend zu seiner Entscheidung zum Unterlassungsbegehren) zu sieben Äußerungen statt. Über das Zahlungsbegehren wurde noch nicht entschieden.
[5] Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung des Beklagten (mit Blick auf die Unterbrechungswirkung des Insolvenzverfahrens) das die Erstklägerin betreffende Urteil samt dem vorausgehenden Verfahren seit 18. 9. 2020 als nichtig auf. Das Berufungsgericht änderte das den Zweitkläger betreffende Urteil im stattgebenden Teil dahin ab, dass das Unterlassungsbegehren zu zwei weiteren Äußerungen sowie das Widerrufsbegehren und das Feststellungsbegehren zur Gänze abgewiesen wurden. Im Übrigen hob es das Ersturteil im stattgebenden Teil (also hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens zu fünf Äußerungen) zur neuerlichen Entscheidung auf. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand bezüglich beider Kläger jeweils mit 30.000 EUR übersteigend. Das Berufungsgericht sprach unter Hinweis auf 3 Ob 158/00g aus, dass der Rekurs gegen die Nichtigerklärung des Urteils gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO analog zulässig sei. Die ordentliche Revision gegen das abändernde Urteil sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
[6] Mit ihrem Rechtsmittel wenden sich beide Kläger gegen die Nichtigerklärung, die Aufhebung und Abänderung des Ersturteils.
Zur Nichtigerklärung des Urteils betreffend die Klage der Erstklägerin :
Rechtliche Beurteilung
[7] 1.1. Die beschlussmäßige Nichtigerklärung betraf nur das Klagebegehren der Erstklägerin. Damit ist nur diese zum Rekurs legitimiert (2 Ob 1/19i). Der Zweitkläger ist zur Bekämpfung der Nichtigerklärung des Urteils über das Klagebegehren eines weiteren Klägers nicht legitimiert (6 Ob 77/21y = RS0133621), sodass der im Rechtsmittel des Zweitklägers enthaltene Rekurs zurückzuweisen ist.
[8] 1.2. Der im Rechtsmittel der Erstklägerin enthaltene Rekurs ist verspätet. Nach § 521 Abs 1 ZPO beträgt die Rekursfrist 14 Tage. Das gilt auch für zweiseitige Rekurse (§ 521a ZPO), sofern nicht ein Endbeschluss im Besitzstörungsverfahren oder ein Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO angefochten wird. Für den hier vorliegenden Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO (analog) beträgt die Rechtsmittelfrist damit 14 Tage (RS0127522; 1 Ob 64/22a). Ausgehend von der fristauslösenden Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts am 19. 4. 2022 endete die Rekursfrist mit Ablauf des 3. 5. 2022. Der erst am 16. 5. 2022 eingebrachte Rekurs der Erstklägerin ist daher als verspätet zurückzuweisen. Die Erstklägerin kann sich nicht darauf berufen, dass bei einem einheitlichen Erkenntnis, das mehrere Entscheidungen zusammenfasst, alle Entscheidungen innerhalb der jeweils zur Verfügung stehenden längeren Rechtsmittelfrist angefochten werden können (RS0041670), weil ihr gegen die der längeren Frist unterliegende Entscheidung (Berufungsurteil) mangels Rechtsmittellegitimation kein Rechtsmittel zusteht (1 Ob 36/14x; siehe unten).
Zum Aufhebungsbeschluss:
[9] 2.1. Der im Rechtsmittel des Zweitklägers enthaltene Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts ist absolut unzulässig (vgl zuletzt 3 Ob 18/22a mwN). Nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist gegen einen Beschluss der zweiten Instanz, mit dem ein erstinstanzliches Urteil aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen wurde, der Rekurs nur dann zulässig, wenn das Berufungsgericht dies ausgesprochen hat (RS0043898). Dies gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung einen Teil des erstgerichtlichen Urteils bestätigt oder abändert, einen anderen Teil dieser Entscheidung aufhebt und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverweist (RS0043854). Im Anlassfall ist ein Ausspruch des Berufungsgerichts, dass gegen den Aufhebungsbeschluss der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, nicht erfolgt. Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels kann der Zweitkläger auch nicht auf den Rechtssatz RS0042279 stützen. In den diesem Rechtssatz zugrundeliegenden Entscheidungen ging es nur um die (fehlende) Bindungswirkung des Erstgerichts an die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts, die dann nicht besteht, wenn der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht des Berufungsgerichts bereits anlässlich der Behandlung der (zulässigen) Revision gegen den abändernden Teil der Berufungsentscheidung überprüft und nicht gebilligt hat. Daraus ist nicht abzuleiten, dass ein zweitinstanzlicher Aufhebungsbeschluss ohne Zulässigkeitsausspruch vor dem Obersten Gerichtshof bekämpft werden kann. Der in der Revision enthaltene Rekurs ist daher unzulässig und zurückzuweisen.
[10] 2.2. Der in der Revision der Erstklägerin enthaltene Rekurs ist ebenfalls unzulässig und zurückzuweisen, weil die Erstklägerin hinsichtlich des Aufhebungsbeschlusses nicht rechtsmittellegitimiert ist. Diese Entscheidung betraf ausschließlich das Begehren des Zweitklägers (vgl Punkt 1.1.).
Zum Berufungsurteil:
[11] 3. Auch die außerordentliche Revision der Erstklägerin war mangels Rechtsmittellegitimation als absolut unzulässig zurückzuweisen (vgl Punkt 1.1.).
[12] 4. Der Zweitkläger wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf, die die Zulässigkeit seines Rechtsmittels gegen das Berufungsurteil stützen könnte.
[13] 5. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Zweitkläger als Geschäftsführer einer GmbH zwar hinsichtlich § 1330 ABGB (dazu unten Punkt 6.), nicht aber bezüglich § 7 UWG aktivlegitimiert ist.
[14] 5.1. Letzteres deckt sich mit dem klaren Wortlaut dieser Norm, wonach nur der Verletzte, also das herabgesetzte Unternehmen (bzw dessen Inhaber), zur Klagsführung berechtigt ist. Der Geschäftsführer einer Gesellschaft ist aber grundsätzlich nicht selbst als Unternehmer (bzw Unternehmensinhaber) im geschäftlichen Verkehr tätig (4 Ob 143/90; idS auch Görg in Görg, UWG § 7 UWG Rz 191).
[15] 5.2. Nach der Rechtsprechung sind zwar persönlich haftende Gesellschafter einer Personengesellschaft (RS0079346) und die (Mit-)Gesellschafter einer GesbR sowie Teilhaber einer Eigentumsgemeinschaft (4 Ob 120/94), nicht aber Geschäftsführer und Gesellschafter einer GmbH (4 Ob 143/90) nach § 7 UWG aktivlegitimiert. Die Entscheidung hält sich damit im Rahmen der Judikatur.
[16] 5.3. Die Argumente im Rechtsmittel zeigen nicht auf, dass das Berufungsgericht von dieser Judikatur abgewichen ist. Insoweit die Revision sich hier auf 4 Ob 107/92 bezieht, ist diese Entscheidung für die Frage des § 7 UWG nicht einschlägig, weil dort die Aktivlegitimation nach § 1330 ABGB zu prüfen war. Auch die herangezogene Literaturstelle (Handig in Wiebe/Kodek, UWG2 § 7 Rz 159) stützt den Standpunkt des Rechtsmittels nicht.
[17] 6. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die fehlende Tatbestandsmäßigkeit sowohl nach § 1330 Abs 1 ABGB (Ehrenbeleidigung) als auch nach § 1330 Abs 2 ABGB (Kreditschädigung) zugrundegelegt. Auch in diesem Zusammenhang wirft das Rechtsmittel keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[18] 6.1. Ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar gewesen wäre (RS0107768), ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist (RS0113943), ob schutzwürdige Interessen des Verletzten beeinträchtigt wurden und zu wessen Gunsten die nach § 1330 ABGB vorzunehmende Interessenabwägung ausschlägt (RS0031657 [T12]), sind Fragen des Einzelfalls, denen in der Regel keine erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommt. Dies gilt auch für die Frage, wie eine Behauptung auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs im Einzelfall zu verstehen ist (RS0031883).
[19] 6.2. Das Berufungsgericht ist bei der Prüfung des § 1330 ABGB davon ausgegangen, dass die gegen den Zweitkläger gerichteten Vorwürfe der „Gemeingefährlichkeit“ und des „Betrugs“ von der Meinungsfreiheit gedeckt und keine Wertungsexzesse seien. Für die Gemeingefährlichkeit berücksichtigte es den Umstand, dass die Kläger in der Ausbildung die Anwendung der „Atlasenergetik“ bei vielen Erkrankungen vermittelten. Der Beklagte habe mit seiner Kritik damit zum Ausdruck gebracht, dass die Vorgangsweise der Kläger für eine Vielzahl von Menschen gefährlich sei, was nicht überschießend sei, weil die unter falschen Voraussetzungen Ausgebildeten womöglich versuchen könnten, die genannten Krankheiten zu behandeln. Mit dem Vorwurf des Betrugs sei im Anlassfall nicht zwingend der Vorwurf der Erfüllung einer Straftat verbunden, sondern das Täuschen über die Wirksamkeit der Behandlung und die Möglichkeit, mit der Ausbildung ohne weiteres ein Gewerbe anzumelden.
[20] 6.3. Diese Argumentation ist jedenfalls vertretbar. Vom Obersten Gerichtshof wurde die Täuschungseignung von Werbung für „Humanenergetik“ wegen versprochener Heilung oder Krankheitslinderung bereits bejaht (4 Ob 61/14w); die sogenannte „AtlasProfilaxe‑Methode“ wurde als pseudowissenschaftliche (irrationale) Methode qualifiziert (4 Ob 155/10p).
[21] 6.4. Der Zweitkläger setzt sich mit den Argumenten des Berufungsgerichts nicht näher auseinander. Wenn in der Revision lediglich pauschal der Standpunkt vertreten wird, einem Rechtsanwalt sei es „per se“ verboten, strafrechtlich relevante Tatsachen zu behaupten, wird ausgeblendet, dass das Berufungsgericht das Vorliegen solcher Tatsachenbehauptungen im Anlassfall gerade verneint hat. Im Rechtsmittel werden die Argumente des Berufungsgerichts, wonach kein strafrechtlich relevanter Vorwurf vorliege, nicht kritisch gewürdigt, sodass die angefochtene Entscheidung schon deshalb keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung bedarf.
[22] 7.1. Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten, bestimmte Äußerungen gegenüber der anderen Vorsitzenden des Vereins und auch gegenüber der Lebensgefährtin des Zweitklägers schriftlich zu widerrufen. Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung zum Widerrufsbegehren im abweisenden Sinn ab. Auch hier zeigt das Rechtsmittel keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[23] 7.2. Der offenkundige Zweck des Widerrufs liegt nach der Rechtsprechung darin, die durch eine herabsetzende Äußerung eingetretene Gefährdung (also die entstandene abträgliche Meinung, vgl dazu 3 Ob 270/05k) nachträglich zu beseitigen oder bereits eingetretenen Schaden wieder gutzumachen (RS0031936).
[24] 7.3. Das Berufungsgericht stützt seine Abweisung auf den näher begründeten Umstand, dass die Äußerungen des Beklagten bei beiden Frauen nicht geeignet gewesen seien, ein nachteiliges Bild vom Zweitkläger zu erwecken oder zu verstärken. Die Entscheidung deckt sich damit mit der aufgezeigten Rechtsprechung. Im Rechtsmittel wird nicht bestritten, dass die Äußerungen nicht geeignet gewesen seien, die Meinung der Frauen über den Zweitkläger zu beeinflussen. Der knappe Hinweis des Zweitklägers, dass dessen ungeachtet ein Widerruf gerechtfertigt sei, kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen.
[25] 8. Auch zum vom Berufungsgericht als unschlüssig qualifizierten Feststellungsbegehren ist dem Rechtsmittel nicht zu entnehmen, inwieweit die Entscheidung hier von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängen soll, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (§ 502 Abs 1 ZPO).
[26] 9. Für die nicht freigestellte und daher zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendige Revisionsbeantwortung des Beklagten gebührt kein Kostenersatz (§ 508a Abs 2 Satz 2 ZPO).
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