OGH 3Ob270/05k

OGH3Ob270/05k24.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Reinhard G*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Vinatzer, Rechtsanwalt in Wien, wider die verpflichtete Partei Österreichischer Rundfunk (ORF), Wien 13., Würzburggasse 30, vertreten durch Korn Frauenberger Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Widerrufs gemäß § 354 EO, infolge Rekurses und Revisionsrekurses der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. August 2005, GZ 46 R 385/05s-6, womit die Rekursbeantwortung der verpflichteten Partei zurückgewiesen und der Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 12. April 2005, GZ 13 E 855/05f-2, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs und der Revisionsrekurs werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung der betreibenden Partei werden mit 499,39 EUR (darin 83,23 EUR) als weitere Exekutionskosten bestimmt.

Text

Begründung

Der nunmehr Verpflichtete wurde auf Grund des rechtskräftigen Urteils des Handelsgerichts Wien vom 26. November 2003 unter Punkt 1) des Spruchs schuldig erkannt, „die in der Fernsehshow 'Vera' vom 15. 2. 2001 erhobene Behauptung, der Kläger (Anm: und nunmehr Betreibende) habe als Chef der neben einem Wiener Jugendheim gelegenen Reinigungsfirma den 15-jährigen Martin sexuell missbraucht, unter Druck und offensichtlich auch unter Drohungen gesetzt und auch an andere Herren verliehen, sodass er Unvergessliches ertragen habe müssen, zu unterlassen". Nach Punkt 2) des Spruchs wurde der nunmehr Verpflichtete überdies rechtskräftig schuldig erkannt, „die in Punkt 1) des Urteilsspruchs enthaltene Behauptung gegenüber den Zusehern der Fernsehshow 'Vera' in der der Rechtskraft dieses Urteils zweitfolgenden Show 'Vera' zu widerrufen". In den Gründen wurde festgehalten, dass der Widerruf „in gleich wirksamer Form wie die beanstandete Tatsachenbehauptung zu geschehen" habe. Dieser Sicht der Rechtslage trat das Berufungsgericht im Titelverfahren ausdrücklich bei. Die Revision des nunmehr Verpflichteten wurde zurückgewiesen (6 Ob 224/04s = MR 2005, 172).

Der Betreibende behauptete in dem auf das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 26. November 2003 gestützten Exekutionsantrag gemäß § 354 EO, in der Fernsehshow „Vera" des Verpflichteten vom 7. April 2005 sei zwar ein Widerrufstext verlesen worden, es sei jedoch „die nach dem Inhalt des Exekutionstitels bestimmte Behauptung" nicht „in gleich wirksamer Form wie die Verbreitung der damaligen Anschuldigungen als unwahr widerrufen" worden. In der Antragserzählung wurde der von der Moderatorin verlesene Wortlaut samt den für diese Verlautbarung eingesetzten Stilmitteln näher beschrieben. Zur Glaubhaftmachung dessen wurde auf die als Bescheinigungsmittel beigeschlossene Videoaufzeichnung jener Fernsehsendung verwiesen.

Das Erstgericht wies den Exekutionsantrag ab, weil der Verpflichtete seiner Widerrufspflicht bereits in der Fernsehshow „Vera" vom 7. April 2005 entsprochen habe.

Das Rekursgericht bewilligte die beantragte Exekution. Die Rekursbeantwortung des Verpflichteten wies es zurück. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, jedoch nicht 20.000 EUR übersteige, und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es traf nach einer Abspielung des Videobands über die Fernsehshow „Vera" vom 7. April 2005 und unter Wiedergabe eines Teils des im Titelverfahren ermittelten Sachverhalts folgende Feststellungen:

„Der Widerruf wird nach Beiträgen über Dr. Alois Mock und einem Plakatstreit in Götzis nahezu übergangslos in die Sendung 'eingeschoben'. Er wird durch die Moderatorin als 'Reaktion in eigener Sache' angesprochen und sodann in etwa 25 Sekunden so rasch verlesen, dass ein Zuschauer bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit kaum in die Lage versetzt wird, dem Inhalt zu folgen. Einzelne Worte (wie zB statt 'unter Druck' das - nicht nachvollziehbare - Wort 'undruck') werden dabei bis zur Unverständlichkeit zusammengezogen. Während dem ausklingenden Text 'gegenüber den Zusehern der Sendung Vera als unwahr' schwenkt die Kamera auf die regungslosen Gesichter zweier jugendlicher Studiogäste, wodurch die Aufmerksamkeit der Zuseher weiter abgelenkt wird. Unmittelbar nach Verlesung des Textes wird der nächste Gast vorgestellt.

In dem seinerzeitigen Beitrag vom 15. 2. 2001 war nach Vorspann-Bildern über das betreffende Jugendheim und Überschriften einzelner Zeitungsberichte ein Interview mit dem Studiogast Martin L***** zu sehen. Während des Interviews waren am unteren Bildschirmrand Inserts eingeblendet, wie 'Martin (15) musste Unvergessliches ertragen' sowie 'Ich wurde von meinem Peiniger auch an andere Herren verliehen'. Gegen Ende des Interviews war ein Spendenaufruf erfolgt."

Aus diesen Feststellungen zog das Rekursgericht rechtlich den Schluss, dass der verlautbarte Widerruf „nicht annähernd in der gleich wirksamen Form" wie die seinerzeitige Anschuldigung erfolgt sei. Es mangle allerdings an einer Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Frage, „ob bei der Exekution nach § 354 EO über den Exekutionsantrag nur auf Grund der Antragsangaben zu entscheiden" sei „oder ob die Richtigkeit der Behauptungen auf Grund vorgelegter Bescheinigungsmittel vor der Entscheidung inhaltlich geprüft werden" dürfe. Im „Fall der Zulässigkeit der inhaltlichen Prüfung" der Antragsbehauptungen, die eine Exekutionsbewilligung bereits für sich trügen, komme „der weiteren Frage der Formerfordernisse eines Widerrufs einer in einer Fernsehshow ausgestrahlten Tatsachenbehauptung, inbesondere welche Stilmittel zur Steigerung des Auffälligkeitswertes eingesetzt werden" müssten, zur Wahrung der Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zu. Die Entscheidung hänge daher von einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 528 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO ab.

Der Rekurs und der Revisionsrekurs des Verpflichteten sind unzulässig.

1. Zum Rekurs

Rechtliche Beurteilung

1. 1. Der Verpflichtete bekämpft die in zweiter Instanz beschlossene Zurückweisung seiner Rekursbeantwortung. Abgesehen von hier nicht maßgebenden Ausnahmen sind Beschlüsse der zweiten Instanz als Rekursgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 528 ZPO - hier iVm § 78 EO - anfechtbar (Näheres bei Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 519 ZPO Rz 17 mN aus der Rsp). Der Rekurs gegen den in zweiter Instanz ergangenen Zurückweisungsbeschluss ist somit nicht absolut unzulässig.

1. 2. Die zweite Instanz stützte die Zurückweisung der Rekursbeantwortung des Verpflichteten auf eine seit Ergehen der Entscheidungen 3 Ob 92/03f und 3 Ob 162/03z, 163/03x (= EvBl 2004/159 = MR 2004, 130 [zust Korn]) bereits gefestigte Rsp des Obersten Gerichtshofs. Danach ist das Verfahren auf Exekutionsbewilligung in zweiter Instanz auch unter Bedachtnahme auf die Entscheidung des EGMR vom 6. Februar 2001 Beer gg Österreich (ÖJZ 2001, 516) und die darauf gestützte Rechtsfortbildung durch Analogie im österreichischen Verfahrensrecht weiterhin einseitig, soweit die Herstellung der Waffengleichheit im Rekursverfahren durch Anhörung des Rekursgegners nicht aus besonderen - von der zweiten Instanz im Einzelfall im Rahmen ihres pflichtgemäßen rechtlichen Ermessens beurteilbaren - Gründen geboten erscheint; letzterer Gesichtspunkt kommt - in manchen Fällen - jedenfalls dann zum Tragen, wenn eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs jedenfalls unzulässig ist und das Rekursgericht deshalb als letzte Instanz entschied (RIS-Justiz RS0118686; s dazu ferner Zechner aaO Vor §§ 514 ff ZPO Rz 141). An dieser Linie der Rechtsprechung ist festzuhalten.

1. 3. Der Verpflichtete wendet gegen die Zurückweisung seiner Rekursbeantwortung ein, die zweite Instanz sei „rechtsirrig davon ausgegangen", dass die vom Betreibenden „vorgelegte Videoaufzeichnung bei der Entscheidung nicht zu berücksichtigen wäre ... Da somit aber die (rechtliche) Frage der Titelerfüllung durch eine in der Sache unstrittige Handlung" den Verfahrensgegegenstand bilde, sei „ein zweiseitiges Rechtsmittelverfahren dazu geeignet, weitere Streitigkeiten über die vorliegende Widerrufsveröffentlichung hintanzuhalten".

Entsprechend der Stoßrichtung dieser Argumentation ist der Verpflichtete offenkundig der Ansicht, die Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens sei selbst dann zu gewährleisten, wenn im Rechtsmittelverfahren bloß Rechtsfragen aufgeworfen werden und die zweite Instanz die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zu deren Lösung zuließ. Dem entgegen verdeutlicht die unter 1. 2. referierte Judikatur, dass das Rekursverfahren weiterhin einseitig ist, wenn der Rechtsmittelgegner seinen Rechtsstandpunkt nach einem Erfolg des Rekurswerbers vor dem Obersten Gerichtshof verfechten kann. Diese Voraussetzung ist hier nach Zulassung des Revisionsrekurses durch die zweite Instanz erfüllt.

1. 4. Da das dem Verpflichteten im Verfahren auf Exekutionsbewilligung in höherer Instanz zu gewährende rechtliche Gehör nach allen bisherigen Erwägungen nicht beschnitten wurde und die Entscheidung insofern nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO abhängt, ist der Rekurs zurückzuweisen.

2. Zum Revisionsrekurs

2. 1. Nach ständiger Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Exekution nach § 355 EO hat der Betreibende ein Zuwiderhandeln des Verpflichteten gegen den Exekutionstitel konkret und schlüssig zu behaupten. Nicht erforderlich ist es dagegen, diese Behauptungen zu bescheinigen oder zu beweisen. Folgt jedoch aus den angebotenen (und vorgelegten) Bescheinigungsmitteln die Unrichtigkeit der Antragsbehauptungen, so ist das Begehren auf Exekutionsbewilligung oder auch ein weiterer Strafantrag abzuweisen (3 Ob 252/04m; 3 Ob 26/04a; 3 Ob 153/03a u. a., RIS-Justiz RS00113988, RS0004808).

2. 2. Nach einer im Übrigen für das ganze Exekutionsverfahren geltenden Leitlinie ist ein Vollstreckungsbegehren abzuweisen, wenn das Nichtbestehen des betriebenen Anspruchs bereits aus dem Exekutionsantrag oder aus den Gerichtsakten hervorgeht (3 Ob 98/95 = SZ 69/286 [Forderungsexekution]; 3 Ob 63/95 = SZ 68/158 [Forderungsexekution]), weil die Zwecklosigkeit eines Vollstreckungsverfahrens von Amts wegen aufzugreifen ist (3 Ob 98/95). Im Licht dieser Rechtslage wurde auch zur Exekution gemäß § 354 EO bereits ausgesprochen, dass auf akten- und deshalb gerichtskundige Umstände im Verfahren auf Exekutionsbewilligung und auf Verhängung einer Geldstrafe Bedacht zu nehmen ist (3 Ob 126/98w; 3 Ob 377/97f = MietSlg 50.834). Infolgedessen ist es nachgerade selbstverständlich, dass im Verfahren auf Exekutionsbewilligung gemäß § 354 EO - wie im Verfahren nach § 355 EO - auf die vom Betreibenden im Exekutionsantrag angebotenen und Letzterem angeschlossenen Bescheinigungsmittel bei der Entscheidung über das Bewilligungsbegehren Bedacht zu nehmen ist. Dagegen spricht somit nicht der Umstand, dass bei der Exekution gemäß § 354 EO für einen Erfolg des Vollzugsantrags an sich die Behauptung des Betreibenden genügt, dass die titulierte Leistung nicht erbracht worden sei (3 Ob 186/88 = MietSlg 41.610). Diese soeben begründete Rechtsansicht teilt auch der Verpflichtete.

2. 3. Wie der Verpflichtete selbst erkennt, muss der Widerruf nach § 1330 ABGB - entsprechend dem maßgebenden Äquivalenzgrundsatz (6 Ob 328/00d; 6 Ob 295/97v = SZ 70/267) - in gleich wirksamer Form wie die seinerzeitige unrichtige Tatsachenbehauptung erfolgen (6 Ob 328/00d; 6 Ob 14/99y; 6 Ob 316/97g = JBl 1998, 369; 6 Ob 295/97v; 6 Ob 95/97g; 6 Ob 2334/96w = SZ 70/38). Die danach gebotene Veröffentlichung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Sie muss jedenfalls in einem angemessenen Verhältnis zur Wirkung des Verstoßes stehen (6 Ob 95/97g), ist es doch das Ziel des Widerrufs, die durch die veröffentlichte unwahre Tatsachenbehauptung entstandene abträgliche Meinung über den Verletzten zu beseitigen (6 Ob 316/97g; 6 Ob 2334/96w).

2. 4. Der Verpflichtete kann über die soeben referierten Leitlinien bereits deshalb nie im Unklaren gewesen sein, weil auf diese Rechtslage in den Gründen der im Titelverfahren ergangenen Urteile erster und zweiter Instanz ausdrücklich Bezug genommen wurde. Die Tragweite der vollstreckbaren Widerrufspflicht folgt somit eindeutig bereits aus den Gründen dieser Urteile.

2. 5. Nach den vom Rekursgericht getroffenen - hier auf Grund der Erwägungen unter 2. 2. zu verwertenden - Feststellungen liegt auf der Hand, dass der Verpflichtete den Widerruf nicht in der auf Grund des vollstreckbaren Titels gebotenen Form veröffentlichte. Das ergibt sich bereits daraus, dass der Widerruf „nahezu übergangslos in die Sendung 'eingeschoben'" und „in etwa 25 Sekunden so rasch verlesen" wurde, „dass ein Zuschauer bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit kaum" in der Lage war, „dem Inhalt zu folgen", und einzelne Worte außerdem „bis zur Unverständlichkeit zusammengezogen" wurden. Angesichts dieser Tatsachen liegt auf der Hand, dass der Widerruf jedenfalls nicht in der gleich wirksamen Form wie die seinerzeitige Anschuldigung durch unrichtige Tatsachenbehauptungen erfolgte. Insofern werden weitere Fragen, wie etwa die nach einer Einbettung des Widerrufs in die Sendungsoberfläche der Fernsehshow „Vera" in einer bestimmten äußeren Form, nicht mehr aufgeworfen.

2. 6. Aus den voranstehenden Erwägungen folgt, dass der Entscheidung des Rekursgerichts eine auffallende Fehlbeurteilung als Voraussetzung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses gemäß § 528 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO im erörterten Punkt nicht anhaftet. Der Revisionsrekurs ist somit zurückzuweisen, hängt doch die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage ab.

2. 7. Der Kostenausspruch gründet sich auf § 74 EO. Der Betreibende wies auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hin. Dieser Hinweis war zur Rechtsverwirklichung notwendig, sodass die tarifmäßigen Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zuzuerkennen sind.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte