European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00078.22K.0622.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Antragsteller – ein emeritierter Rechtsanwalt – und die Antragsgegnerin waren verheiratet. Ihre Ehe wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 24. 5. 2012 aus seinem alleinigen Verschulden geschieden.
[2] Aus dem Scheidungsverfahren sind folgende Vorgänge hervorzuheben:
[3] Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gab der gegen das Ersturteil gerichteten Berufung des Beklagten mit dem (dessen Verfahrenshelfer am 17. 6. 2014 zugestellten) Urteil vom 27. 5. 2014 nicht Folge. Mit Beschluss vom 25. 6. 2014 erklärte das Erstgericht im Scheidungsverfahren die dem Beklagten bewilligte Verfahrenshilfe für erloschen; diese Entscheidung wurde vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien späterbestätigt. Gegen das Berufungsurteilerhob der Beklagte persönlich am 14. 7. 2014 außerordentliche Revision. Unter einem lehnte er auch die Mitglieder des Berufungssenats wegen Befangenheit ab. Daraufhin unterbrach der Oberste Gerichtshof das Revisionsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Ablehnung. Am 2. 6. 2015 unterbrach das Erstgericht das Scheidungsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Pflegschaftsgerichts über die Frage, ob für den Beklagten ein Sachwalter zu bestellen ist.
[4] Das Pflegschaftsgericht bestellte mit Beschluss vom 18. 12. 2018 den Rechtsanwalt Dr. H* zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter für den Beklagten, unter anderem zur Vertretung in gerichtlichen Verfahren, insbesondere auch zur Vertretung des Betroffenen im bereits anhängigen Scheidungsverfahren.
[5] Am 18. 1. 2019 setzte das Erstgericht das Scheidungsverfahren fort und forderte den Erwachsenenvertreter zur Bekanntgabe auf, ob die bisherige Verfahrensführung genehmigt werde. Mit Beschluss vom 27. 2. 2019 setzte der Oberste Gerichtshof das Revisionsverfahren fort und stellte den Akt dem Erstgericht zurück. Im Zuge eines iSd § 6 Abs 2 ZPO vorzunehmenden – vom Erstgericht ohnehin bereits eingeleiteten – Sanierungsversuchs sei der Erwachsenenvertreter zu einer Erklärung aufzufordern, ob er die bisherige Prozessführung des Beklagten (Zustellung des Berufungsurteils an den Beklagten und dessen Einbringung einer außerordentlichen Revision) genehmige, weil eine Prozessfähigkeit des Beklagten jedenfalls im April 2014 nicht mehr gegeben gewesen sei.
[6] Mit Schriftsatz vom 9. 10. 2019 genehmigte der Erwachsenenvertreter die Verfahrensführung und die vom Beklagten gesetzten Verfahrenshandlungen im Scheidungsverfahren „bis EINSCHLIESSLICH der vom Beklagten eingebrachten Berufung“ und „weiters die Verfahrenshandlung des Zustellvorgangs auf Seite des Beklagten zur Übernahme der Berufungsentscheidung“. Er genehmigte „AUSDRÜCKLICH NICHT (oder hilfsweise zurückgezogen) alle NACH Zustellung des Berufungserkenntnisses … vom Beklagten gesetzten Verfahrensschritte. Sohin ausdrücklich und nicht genehmigt (oder zurückgezogen) im Sinne der obigen Erklärung gilt UNTER ANDEREM die Einbringung einer Revisionsschrift oder Verfahrenshilfe oder aller Nebenanträge zum Revisionsverfahren durch den Beklagten.“ [Hervorhebungen im Original]
[7] Mit der – von seinem Erwachsenenvertreter nachträglich genehmigten – Eingabe vom 21. 12. 2020stellte der Antragsteller den Antrag auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens sowie der ehelichen Ersparnisse gemäß §§ 81 ff EheG.
[8] Das Erstgericht wies diesen Antrag (noch vor Zustellung an die Antragsgegnerin) ab. Die Ehe des Antragstellers sei mit 9. 10. 2019 rechtskräftig geschieden worden, sodass die einjährige Präklusivfrist des § 95 EheG am 8. 10. 2020 geendet habe. Der erst am 21. 12. 2020 gestellte Aufteilungsantrag sei daher verspätet. Der [zwischenzeitig rechtskräftig wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Verfahrensführung abgewiesene] Verfahrenshilfeantrag des Antragstellers vom 11. 12. 2020 sei ebenfalls nicht rechtzeitig gestellt worden.
[9] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Nach herrschender Ansicht trete die Wirkung der formellen Rechtskraft kraft Gesetzes ein und hafte der Entscheidung als eine Eigenschaft an. Ergebe sich für den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft aus dem dafür allein maßgeblichen Akteninhalt zwingend etwas anderes, als in der Rechtskraftbestätigung beurkundet worden sei, gelte gemäß § 292 Abs 2 ZPO der wirkliche Vorgang und nicht der in der Urkunde [hier mit 8. 1. 2020] unrichtig bezeugte Vorgang. In Ermangelung der Genehmigung der vom nicht prozessfähigen Beklagten erhobenen Revision durch dessen Erwachsenenvertreter liege kein Rechtsmittel vor, das einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung zugänglich gewesen wäre. Einer gesonderten pflegschaftsgerichtlichen Ermächtigung zur Zurückziehung habe es nicht bedurft, weil auch die Erhebung von Rechtsmitteln durch den beklagten Schutzberechtigten keiner pflegschaftsbehördlichen Genehmigung bedürfe. Zusammengefasst sei das Scheidungsurteil vom 24. 5. 2012 bereits mit dem Zeitpunkt des Einlangens des Schriftsatzes vom 9. 10. 2019 in Rechtskraft erwachsen. Der erst am 21. 12. 2020 eingebrachte Antrag sei daher materiell‑rechtlich verfristet.
Rechtliche Beurteilung
[10] In seinem dagegen gerichteten außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt der Antragsteller keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung auf.
[11] 1. Die Frist des § 95 EheG ist eine materiell-rechtliche Fallfrist, deren Nichteinhaltung zum Rechtsverlust führt (RIS‑Justiz RS0057726). Sie beginnt mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung über die Scheidung der Ehe (RS0041294; RS0110013 [T5]; RS0057726 [T7]). Verspätete Antragstellung führt dazu, dass der Antrag abzuweisen ist (RS0110013; 1 Ob 190/11i).
[12] Maßgebend für den Fristbeginn ist nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre der Tag des (tatsächlichen) Eintritts der Rechtskraft, nicht der in der Rechtskraftbestätigung (unrichtig) genannte Tag. Die kraft Gesetzes eintretende Wirkung der Rechtskraft kann nicht durch eine mit der Aktenlage unvereinbare unrichtige anderslautende Rechtskraftbestätigung verändert werden (RS0041308; vgl auch RS0040485; Gitschthaler in Schwimann/Kodek 5, ABGB § 95 EheG Rz 3; Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR § 95 EheG Rz 10;Nademleinsky in Schwimann/Neumayr, ABGB TaKom5 § 95 EheG Rz 2; je mwN). Bereits in der Entscheidung 3 Ob 552/84 (= EFSlg 46.418) wurde klargestellt, dass ein Fehler bei der Ausstellung der Rechtskraftbestätigung auf der Urteilsausfertigung dem Antragsteller nicht das Recht verschafft, einen nach dem Gesetz schon erloschenen Anspruch geltend zu machen.
[13] In der Entscheidung 8 Ob 11/03f wurde festgehalten, dass davon die (sich weder hier noch dort stellende) Frage zu unterscheiden sei, inwiefern eine unrichtig erteilte Rechtskraftbestätigung, deren Unrichtigkeit sich nicht aus dem Akt selbst ergibt, für andere Gerichte Bindungswirkung entfaltet. Die unter Verweis auf diese Aussage aufgestellte Behauptung des Rechtsmittelwerbers, die Unrichtigkeit ergäbe sich im vorliegenden Fall nicht „aus dem Akt selbst“, sondern aus dem beigeschafften Scheidungsakt, verkennt, dass nur letzterer den hinsichtlich des Zeitpunkts des Eintritts der Rechtskraft allein maßgeblichen Akteninhalt enthält (vgl 3 Ob 552/84 = EFSlg 46.418).
[14] Im Übrigen meint der Antragsteller, sein Recht nach Art 6 EMRK, dass „seine Sache in billiger Weise … gehört wird“, werde durch die Gesetzesauslegung des Rekursgerichts verletzt. Dabei übersieht er aber, dass seinem Interesse das durch die Präklusivfrist des § 95 EheG geschützte Interesse der Antragsgegnerin und auch dritter Personen an der alsbaldigen Klärung der Vermögensverhältnisse der vormaligen Ehegatten gegenübersteht (RS0057726 [T4]).
[15] Der Revisionsrekurswerber weckt daher weder Bedenken an der Präklusivfrist als solcher (vgl auch 6 Ob 723/89), noch der im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung stehenden Beurteilung der Vorinstanzen, dass deren Lauf jedenfalls nicht mit dem in der Rechtskraftbestätigung [hier mit 8. 1. 2020] unrichtig angeführten Datum begann.
[16] 2.1 Im Übrigen wendet der Revisionsrekurswerber ein, für die aktive Beseitigung eines bereits erhobenen Rechtsmittels bedürfe es – anders als für die Erhebung eines Rechtsmittels – einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung.
[17] Die Genehmigung der bisherigen Prozessführung durch einen nach § 6a ZPO bestellten Erwachsenenvertreter im Passivprozess des Schutzberechtigten bedarf keiner pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung. Das gilt auch dann, wenn sich die Genehmigung negativ auf dessen Erfolgsaussichten auswirkt (RS0122225). Auch die Erhebung von Rechtsmitteln durch den beklagten Schutzberechtigten ist von der Genehmigungspflicht befreit (RS0048154 [T2]). Eine Genehmigung ist nach § 167 Abs 3 ABGB nur dann erforderlich, wenn eine Verfügung über den Verfahrensgegenstand an sich erfolgt. Darunter sind aktive Verfügungen des gesetzlichen Vertreters über den prozessgegenständlichen Anspruch zu verstehen, etwa durch Verzicht, Anerkenntnis oder Vergleich (dazu ausführlich 4 Ob 53/07h mwN; RS0049197 [T2]). Eine Außerstreitstellung oder das Unterlassen einer Prozesshandlung, insbesondere die Unterlassung der Rechtsmittelerhebung, sind keine solchen Dispositionshandlungen (RS0049083; 4 Ob 158/16p). Demgegenüber hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass für einen Rechtsmittelverzicht eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich ist (RS0049127; 10 ObS 135/06k). Dies wird damit begründet, dass der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels die Bedeutung des Verzichts auf ein vor rechtskräftiger Entscheidung noch in Schwebe befindliches Recht habe (1 Ob 148/16w). In der Entscheidung 4 Ob 53/07h wurde angemerkt, dass diese Rechtsprechung in einem Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung stehe, dass das (bloße) Unterlassen von Rechtsmitteln keiner Genehmigung bedürfe.
[18] 2.2 Darauf braucht im konkreten Fall allerdings nicht weiter eingegangen zu werden: Die Erklärung des Erwachsenenvertreters, ein vom Schutzberechtigten persönlich eingebrachtes Rechtsmittel nicht zu genehmigen, ist nicht einem Rechtsmittelverzicht, sondern vielmehr der Unterlassung eines Rechtsmittels gleichzuhalten. Eine vom gerichtlichen Erwachsenenvertreter nach Durchführung eines Sanierungsversuchs nicht genehmigte außerordentliche Revision ist unwirksam (vgl 1 Ob 193/18s = RS0035338 [T3]). Daran ändert nichts, dass der Erwachsenenvertreter das Rechtsmittel „hilfsweise“ auch noch zurückgezogen hat.
[19] Es ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass das Rekursgericht davon ausgegangen ist, dass die Erklärung des Erwachsenenvertreters vom 9. 10. 2019 keine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung erforderte.
[20] 3. Nur rechtzeitig erhobenen, zulässigen Rechtsmitteln kommt eine den Eintritt der Rechtskraft verhindernde Wirkung zu (8 Ob 702/86). Das ist bei der mangels Genehmigung unwirksamen außerordentlichen Revision des beklagten Ehemanns vom 14. 7. 2014 nicht der Fall.
[21] Allerdings ist zu beachten, dass der Beschluss des Erstgerichts im Scheidungsverfahren vom 25. 6. 2014 nach § 68 Abs 1 ZPO, mit dem die dem Beklagten bewilligte Verfahrenshilfe zur Gänze für erloschen erklärt wurde, die im Lauf befindliche Notfrist für die Erhebung einer außerordentlichen Revision unterbrochen hat. Diese Frist hat mit Rechtskraft des Erlöschungsbeschlusses (genauer: mit 0 Uhr des dem Eintritt der Rechtskraft folgenden Tags) neuerlich zu laufen begonnen (M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 II/1 § 68 ZPO Rz 28). Die den erstinstanzlichen Beschluss bestätigende Entscheidung des Rekursgerichts wurde dem Erwachsenenvertreter am 11. 6. 2019 zugestellt. Daraus folgt, dass die Revisionsfrist am 10. 7. 2019 abgelaufen und das Scheidungsurteil mit diesem Tag in Rechtskraft erwachsen ist.
[22] 4. Die Abweisung des erst am 21. 12. 2020 eingebrachten Aufteilungsantrags durch die Vorinstanzen als verspätet erweist sich daher auch unter Berücksichtigung des am 11. 12. 2020 hierfür gestellten Verfahrenshilfeantrags als nicht korrekturbedürftig.
[23] 5. Der außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig und daher zurückzuweisen.
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