European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00029.22W.0621.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger wurde * 1960 als Frau geboren, war als solche verheiratet und gebar zwei Kinder. Im Jahr 2017 unterzog er sich einer Geschlechtsanpassungsoperation, bei der ihm die Brüste und Eierstöcke entfernt wurden. Eine genitalangleichende Operation wurde bisher nicht durchgeführt.
[2] Bis zum 23. 3. 2017 wurde der Kläger im Zentralen Personenstandsregister (ZPR) als Frau geführt. Auf Grund der Geschlechtsänderungsmitteilung vom 24. 3. 2017 wurde eine Personenstandsänderung vorgenommen. Mit Wirksamkeitsdatum 24. 3. 2017 wird der Kläger nunmehr als Mann geführt. Mit Wirksamkeit vom 9. 5. 2017 wurde der Name des Klägers von E* auf J* geändert. Unstrittig beantragte der Kläger am 17. 12. 2020 die Zuerkennung einer Alterspension ab 1. 1. 2021.
[3] Mit Bescheid vom 21. 12. 2020 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Alterspension ab, weil der Kläger das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.
[4] Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zuerkennung einer Alterspension im gesetzlichen Ausmaß. Er habe nach wie vor primäre weibliche Geschlechtsorgane, sodass er als Frau zu behandeln sei. Er habe auch eine typisch weibliche Erwerbsbiographie mit Zeiten der Kindererziehung. Die Ansicht der Beklagten, dass die Eintragung im ZPR maßgeblich sei, widerspreche dem Gleichheitssatz. Frauen, die wie der Kläger den Geschlechtswechsel vor dem 60. Lebensjahr durchführen ließen, seien diskriminiert.
[5] Dagegen wandte die Beklagte vor allem ein, dass der Kläger aufgrund der Personenstandsänderung vom 24. 3. 2017 als Mann zu behandeln sei.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger als Versicherter oder Versicherte iSd § 253 ASVG zu gelten habe, sei an die – rechtlich leicht feststellbare – Änderung im „Geburtenbuch“ (ZPR) anzuknüpfen. Ab diesem Zeitpunkt sei die Geschlechtsänderung relevant, sodass der Kläger seit dem 24. 3. 2017 als männlicher Versicherter zu behandeln sei. Dies gehe auf einen Entschluss des Klägers zurück, der als Mann dieselbe Behandlung erfahre wie eine ursprünglich männliche Person, sodass auch keine Ungleichbehandlung iSd Art 7 B‑VG vorliege.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die österreichische Rechtsordnung definiere nicht, unter welchen Voraussetzungen eine Person als Mann oder als Frau zu gelten habe. In rechtlicher Hinsicht komme eine Änderung des Geschlechts nur im Weg einer Eintragung durch die Personenstandsbehörde zum Ausdruck. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Stichtags sei der Kläger als „männlich“ eingetragen gewesen. Der Zeitpunkt des Eintrags im „Geburtenbuch“ (ZPR) sei maßgeblich, weil die Tatsache, welches Geschlecht ein Mensch habe, eine Vielzahl von rechtlichen Folgen habe, etwa betreffend die Wehrpflicht oder das Pensionsalter. Eine Diskriminierung liege nicht vor, weil der Kläger aus eigenen Stücken die rechtliche Änderung seines Geschlechts und die Namensänderung durchgeführt habe. Er habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er nunmehr als Mann gelten solle. Die RL 79/7/EWG determiniere zwar nicht, dass die Geschlechtsumwandlung einer Person zur Folge haben müsse, diese Person so zu behandeln, als habe sie immer schon das neue Geschlecht gehabt. Allerdings gelte im Pensionsversicherungsrecht das Stichtagsprinzip. Die RL 79/7/EWG stehe gemäß ihrem Art 7 Abs 1 lit a nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszuschließen.
[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht im Hinblick darauf zu, dass in Österreich eine Regelung fehle, unter welchen Voraussetzungen eine Person als Mann oder Frau zu gelten habe und ob, bzw bejahendenfalls wie sich eine Geschlechtsumwandlung auf das pensionsrechtliche Stichtagsprinzip auswirke.
[9] Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung des Klagebegehrens anstrebt.
[10] Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Kläger macht in der Revision geltend, dass auch die Entscheidung 10 ObS 29/09a SSV‑NF 23/27 nur Lösungsansätze für die Rechtsfrage biete, unter welchen Voraussetzungen eine Person als Mann oder als Frau zu gelten habe. Insbesondere bleibe die Frage unbeantwortet, ob die Eintragung ins Zentrale Personenstandsregister (ZPR) konstitutiv oder nur deklarativ sei. Tatsächlich bedeute die Eintragung nicht, dass der Kläger bezüglich sämtlicher daran anknüpfender Rechtsfragen so zu behandeln sei, als wäre er immer Mann gewesen. Den Kläger trotz seiner typisch weiblichen Erwerbsbiographie als männlichen Versicherten iSd § 253 Abs 1 ASVG anzusehen, sei diskriminierend. Der Kläger habe den Vorteil des früheren Pensionsantrittsalters nicht mit der Geschlechtsänderungsmitteilung vom 24. 3. 2017 aufgeben wollen. Bei der Einführung des Stichtagsprinzips iSd § 223 ASVG habe der Gesetzgeber keine diskriminierende Rechtslage schaffen wollen; eine Konstellation wie die vorliegende habe er auch nicht bedenken können. Ungeklärt sei auch, was bei anderen Eintragungen im ZPR zu geschehen habe: Der Kläger habe im Jahr 2017 noch nicht die Möglichkeit gehabt, als Geschlecht „divers“, „inter“ oder auch „kein Eintrag“ eintragen zu lassen, wie dies aber verfassungsrechtlich geboten sei.
Dazu ist auszuführen:
1. Transsexualität:
[12] 1.1 Bei Transsexualität (gebräuchlich sind auch die Begriffe Transidentität, Gender‑Dysphorie, Transgender, in jüngerer Zeit vielfach Gender‑Inkongruenz) ist ein Mensch eindeutig genetisch und/oder anatomisch bzw hormonell einem Geschlecht (männlich/weiblich) zugewiesen, fühlt sich in diesem Geschlecht aber falsch oder unzureichend beschrieben bzw lehnt auch jede Form der Geschlechtszuordnung und Kategorisierung ab. Das psychische Geschlecht bzw die Geschlechtsidentität stimmt also nicht mit dem biologischen Geschlecht überein bzw möchte sich die Person gelegentlich überhaupt nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen (Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG² § 3 Rz 5/4 mH auf die Stellungnahme der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt zu Intersexualität und Transidentität vom28. November 2017, 15 ff, abrufbar unter https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/bioethikkommission/publikationen-bioethik.html ; vgl auch VfGH G 77/2018 VfSlg 20258/2018 zur weiteren Unterscheidung zwischen Transidentität und Intersexualität).
[13] 1.2 Auch das Personenstandsgesetz 2013, BGBl I 2013/16 (PStG 2013), sagt nichts darüber aus, wann davon auszugehen ist, dass sich das Geschlecht einer Person geändert hat. Die österreichische Rechtsordnung und auch das soziale Leben gehen (nach wie vor) davon aus, dass jeder Mensch entweder weiblich oder männlich ist. Welchem Geschlecht operierte Transsexuelle zuzuordnen sind, hat bisher – anders als etwa in Deutschland (vgl dazu ausführlich 10 ObS 29/09a SSV‑NF 23/27) – keine gesetzliche Regelung gefunden. Auch ist eine ausdrückliche Regelung der Transsexualität bisher nicht erfolgt (so bereits VfGH B 1973/08 VfSlg 18929/2009 zum PStG 1983, BGBl 1983/60). Maßgeblich ist daher – nach wie vor – die Verwaltungspraxis (so bereits 10 ObS 29/09a).
2. Rechtslage nach dem ASVG:
[14] 2.1 Gemäß § 253 (1) ASVG hat Anspruch auf Alterspension der Versicherte nach Vollendung des 65. Lebensjahres (Regelpensionsalter), die Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres (Regelpensionsalter), wenn die Wartezeit (§ 236 ASVG) erfüllt ist. Diese gesetzliche Regelung eines unterschiedlichen Anfallsalters für den Anspruch auf Alterspension für Männer und Frauen ist gemäß § 1 des Bundesverfassungsgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl 1992/832, zulässig. Dessen §§ 2 und 3 statuieren ein bundesverfassungsgesetzliches Gebot an den Gesetzgeber, für weibliche Versicherte die Altersgrenze jährlich mit 1. Jänner um sechs Monate zu erhöhen, und zwar für die Alterspension beginnend mit 1. 1. 2024 bis 2033. Erst im Jahr 2033 wird daher das vollendete 65. Lebensjahr das Regelpensionsalter sowohl für Frauen als auch für Männer sein. Nach der österreichischen höchstgerichtlichen Rechtsprechung verstößt § 253 Abs 1 ASVG nicht gegen die in Art 20, Art 21 Abs 1 und Art 23 Abs 1 GRC verankerten Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung, die Österreich bei der Umsetzung der RL 79/7/EWG gemäß Art 51 Abs 1 GRC zu beachten hat (10 ObS 44/14i SSV‑NF 28/74 und 10 ObS 161/20d mH auf VfGH G 182/2020 und G 184/2020 zur wortgleichen Bestimmung des § 130 Abs 1 GSVG; ebenso 10 ObS 26/20a SSV‑NF 34/62 zu einer Korridorpension nach dem APG; RIS‑Justiz RS0129869).
[15] 2.2 Der Versicherungsfall gilt gemäß § 223 Abs 1 Z 1 ASVG bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters als eingetreten (RS0111060 [T1]). Der Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, ist gemäß § 223 Abs 2 ASVG bei Anträgen auf eine Leistung nach § 223 Abs 1 Z 1 ASVG der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste. Die Frage, ob eine Leistung der Pensionsversicherung gebührt, ist nach den Verhältnissen an dem durch den Versicherungsfall ausgelösten Stichtag zu prüfen. Es genügt nicht, dass die Voraussetzungen für eine Versicherungsleistung zu einem beliebigen Zeitpunkt vorliegen, sie müssen vielmehr nach dem Wortlaut des Gesetzes an einem ganz bestimmten Tag gegeben sein (RS0084524).
3. Personenstandsrecht:
[16] 3.1 Mit dem – im Wesentlichen seit 1. 11. 2013 in Kraft stehenden (§ 72) – Personenstandsgesetz 2013 wurde das Zentrale Personenstandsregister (ZPR, § 44 PStG) geschaffen. Damit einher ging nicht nur die zentrale Führung von Personenstandsfällen, sondern auch der Entfall der Bücherstruktur. Die Neufassung des PStG strebte primär eine Verwaltungsvereinfachung für Bürger und Behörden an (ErläutRV 1907 BlgNR 24. GP 3 f).
[17] 3.2 Gemäß § 1 Abs 1 PStG ist der Personenstand im Sinne des PStG die sich aus den Merkmalen des Familienrechts ergebende Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung einschließlich ihres Namens. § 2 PStG unterscheidet zwischen allgemeinen Personenstandsdaten (Daten zum Personenkern, Z 1), besonderen Personenstandsdaten (Z 2) und sonstige Personenstandsdaten (Z 3). Das „Geschlecht“ zählt gemäß § 2 Abs 2 Z 3 PStG zu den allgemeinen Personenstandsdaten, es ist gemäß § 11 Abs 1 PStG aus Anlass der Geburt des Kindes in das ZPR einzutragen (zur Anzeige und Eintragung der Geburt s §§ 9 ff PStG). Die Geburtsurkunde hat ua gemäß § 54 Abs 1 Z 2 PStG das Geschlecht des Kindes zu enthalten (vgl auch die Bestimmungen über die Angaben des Geschlechts bei Heiratsurkunden in § 55 Abs 1 Z 1 PstG, bei Partnerschaftsurkunden in § 56 Z 1 PStG, bei Urkunden über Todesfälle in § 57 Abs 1 Z 2 und Abs 2 Z 2 PStG sowie bei Urkunden über Fehlgeburten in § 57a Z 2 PStG).
[18] 3.3 Jede Änderung des Personenstands ist gemäß § 35 Abs 1 PStG einzutragen. Eintragungen sind gemäß § 36 Abs 1 PStG aufgrund von Anzeigen, Anträgen, Erklärungen, Mitteilungen und von Amts wegen vorzunehmen. Vor der Eintragung ist gemäß § 36 Abs 2 PStG der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Die Eintragung ist gemäß § 40 Abs 1 PStG ohne unnötigen Aufschub vorzunehmen und durch die Freigabe im ZPR abzuschließen (Abs 2). Die Eintragung zu den allgemeinen und besonderen Personenstandsdaten begründet gemäß § 40 Abs 3 PStG vollen Beweis iSd § 292 Abs 1 ZPO, soweit es sich nicht um die Staatsangehörigkeit handelt. Gemäß § 41 Abs 1 PStG hat die Personenstandsbehörde eine Eintragung zu ändern, wenn sie nach der Eintragung unrichtig geworden ist. Bei einer Namens‑ oder Geschlechtsänderung, die gemäß § 11 Abs 1a MeldeG von der Personenstandsbehörde im Wege eines Änderungszugriffes auf das Zentrale Melderegister (ZMR) übermittelt wird, hat die Personenstandsbehörde der betroffenen Person eine Ausfertigung aus dem ZMR, auf der entweder die aufrechten Anmeldungen aus dem Gesamtdatensatz in aktualisierter Form oder – auf Verlangen der Person – die zuletzt geänderten Meldedaten ausgewiesen sind, auszufolgen oder zu übermitteln (§ 41 Abs 3 PStG).
[19] 3.4 Der Verwaltungsgerichtshof hat – noch zum Personenstandsgesetz 1983 – entschieden, dass für den Bereich des österreichischen Personenstandsrechts jedenfalls in Fällen, in denen eine Person unter der zwanghaften Vorstellung gelebt hat, dem anderen Geschlecht zuzugehören, und sich geschlechtskorrigierenden Maßnahmen unterzogen hat, die zu einer deutlichen Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts geführt haben, und bei der mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass sich am Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nichts mehr ändern wird, die betreffende Person als Angehörige des Geschlechts anzusehen ist, das ihrem äußeren Erscheinungsbild entspricht (VwGH 95/01/0061, VwSlg 14748 A/1997). An dieser Ansicht hat er im Erkenntnis 2008/17/0054, (VwSlg 17640 A/2009) festgehalten und ausgeführt, dass ein schwerwiegender operativer Eingriff, wie etwa die Entfernung der primären Geschlechtsmerkmale, keine notwendige Voraussetzung für eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts ist. Maßgeblich ist vielmehr die psychische Komponente des Zugehörigkeitsempfindens zum anderen Geschlecht: Ist dieses Zugehörigkeitsempfinden aller Voraussicht nach weitgehend irreversibel und nach außen in der Form einer deutlichen Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts zum Ausdruck gekommen, ist der österreichischen Rechtsordnung kein Hindernis zu entnehmen, das eine personenstandsrechtliche Berücksichtigung des für die Allgemeinheit relevanten geschlechtsspezifischen Auftretens hindern würde (deutlich auch in der Folgeentscheidung VwGH 2009/17/0263; ebenso auch zum Namensänderungsgesetz 1988 idF BGBl 1995/25 VwGH 2008/06/0032 VwSlg 17746 A/2009 und VfGH B 1973/08).
[20] 3.5 Weiters entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass es sich bei den Verfahren nach dem Personenstandsgesetz weitgehend um Verfahren handelt, die aufgrund von Urkunden erfolgen, jedenfalls aber (nur) der Beurkundung dienen und nicht etwa über den Personenstand konstitutiv absprechen. Das Verfahren vor den Personenstandsbehörden ist daher in der Regel nicht dafür geschaffen, eine den Personenstand betreffende (gerichtliche) Entscheidung auf die Gültigkeit und Maßgeblichkeit zu überprüfen; dies muss vielmehr grundsätzlich derjenigen Institution überlassen bleiben, von der die Entscheidung betreffend den Personenstand gefällt wurde, ist es doch nur Aufgabe der Personenstandsbehörden den für sie ersichtlichen, maßgeblichen (inländischen) Personenstand zu dokumentieren (VwGH 2010/17/0069, VwSlg 18018 A/2011). Einem entgegen der Rechtslage erfolgten Eintrag im Personenstandsregister kommt daher nach dieser Rechtsprechung keine konstitutive Wirkung zu (VwGH 3818/80, VwSlg 11.037 A/1983; ebenso Kutscher/Wildpert, Personenstandsrecht², § 8 StbG Anm 1 [Stand: 1.6.2016, rdb.at] und § 13 PStG 2013 Rn 2 aE [Stand: 1. 7. 2021, rdb.at]).
[21] 3.6 Der Verfassungsgerichtshof hat im bereits erwähnten Erkenntnis G 77/2018 ausgeführt, dass der Gesetzgeber in der Gestaltung der staatlichen Personenstandsregister zwar grundsätzlich dahingehend frei ist und dass keine Verfassungsbestimmung die Aufnahme eines Hinweises auf das Geschlecht gebietet. Ordnet der Gesetzgeber aber an, dass Personenstandsregister das Geschlecht ausweisen, hat er dabei die Anforderungen aus Art 8 EMRK zur Wahrung der individuellen Geschlechtsidentität zu beachten und sicherzustellen (vgl dazu etwa EGMR Bsw 28.957/95, Christine Goodwin gegen Vereinigtes Königreich). § 2 Abs 2 Z 3 PStG 2013 sei nicht verfassungswidrig: Diese Bestimmung verwehre es – bei entsprechend die Vorgaben aus Art 8 EMRK berücksichtigender Interpretation – Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich nämlich nicht, ihre individuelle Geschlechtsidentität bei der personenstandsrechtlichen Festlegung des Geschlechts zum Ausdruck zu bringen. Sie ist auch nicht dahingehend zu verstehen, dass sie Menschen mit einer alternativen Geschlechtsidentität auf die Begriffe männlich oder weiblich zur Bezeichnung des Geschlechts bei der Angabe dieses allgemeinen Personenstandsdatums beschränkt. Mit Erlass des Bundesministers fürInneres vom 9. 9. 2020, GZ 2020‑0.571.947, wurde die Durchführungsanleitung hinsichtlich des Eintrags des Geschlechts ergänzt. Seither ist es für Menschen, deren Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht aufgrund der individuellen Entwicklung ihres Geschlechts nicht eindeutig möglich ist, zulässig, ihr Geschlecht abweichend von den bisher definierten Geschlechtskategorien männlich oder weiblich zum Ausdruck zu bringen („inter“, „divers“, „offen“) oder auch keine Angabe über das Geschlecht zu machen.
[22] 3.7 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung mehrfach betont, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsumwandlung einer Person festzulegen (EuGH C‑423/04 , ECLI:EU:C:2006:256, Richards, Rn 21 mwH). Die Mitgliedstaaten haben jedoch bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Unionsrecht zu beachten, insbesondere die Bestimmungen in Bezug auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung (EuGH C‑451/16 , ECLI:EU:C:2018:492, MB, Rn 29). Diskriminierungen von Transsexuellen stellen eine Diskriminierung wegen des Geschlechts iSd Art 21 Abs 1 GRC dar (Köchle in Holoubek/Lienbacher, GRC‑Kommentar² [Stand 1. 4. 2019, rdb.at] Art 21 Rz 55 mwH in FN 96).
[23] 3.8 In der schon zitierten Entscheidung 10 ObS 29/09a SSV‑NF 23/27 beantragte die Klägerin, die männlichen Geschlechts geboren wurde, nach Durchführung einer Geschlechtsumwandlungsoperation die Zuerkennung einer Alterspension im Alter von 61 Jahren, die ihr auch gewährt wurde. Mit der Begründung, sie hätte als Frau bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres eine Alterspension beantragen können, begehrte die Klägerin allerdings auch die Bonifikation gemäß § 261c ASVG. Diesen Anspruch verneinte der Oberste Gerichtshof mit der wesentlichen Begründung, dass eine „Rückwirkung“ der Feststellung der weiblichen Identität nicht in Betracht komme (Rainer in SV‑Komm [109. Lfg] § 253 ASVG Rz 27; näher zu dieser Entscheidung Leischner, Die Höhe der Alterspension einer postoperativen Mann‑zu‑Frau‑Transsexuellen, iFamZ 2009, 332; Ivansits, Bonifikation einer Alterspension nach Geschlechtsumwandlung, DRdA 2011/17, 148 [152]). In dieser Entscheidung hielt der Oberste Gerichtshof ua fest, dass die RL 79/7/EWG nicht determiniert, dass die Anerkennung einer geschlechtsumgewandelten Person als Angehörige des neuen Geschlechts zur Folge haben muss, diese Person so zu behandeln, als ob sie immer schon dieses Geschlecht gehabt hätte. Auch der Zweck des § 261c ASVG rechtfertige nicht die rückwirkende Anerkennung des neuen Geschlechts der Klägerin, weil diese als Mann noch nicht berechtigt gewesen wäre, eine Alterspension in Anspruch zu nehmen. Das bloße Zugehörigkeitsempfinden der Klägerin zum weiblichen Geschlecht könne nicht als Kriterium für die Anerkennung eines Geschlechtswechsels herangezogen werden. An die Tatsache, welches Geschlecht ein Mensch habe, knüpfe sich nämlich eine Vielzahl von rechtlichen Folgen, wie zB das Pensionsalter oder die Wehrpflicht. Die gebotene Rechtssicherheit könne nur durch die Anknüpfung an die – rechtlich leicht feststellbare – Änderung im Geburtenbuch wieder beseitigt werden. Zur Frage, welcher Zeitpunkt maßgeblich für die Änderung des Geschlechts sei – die operative Geschlechtskorrektur, die Eintragung der Änderung des Geschlechts im (damaligen) Geburtenbuch oder die Rechtskraft dieser Eintragung – musste der Oberste Gerichtshof nicht beantworten, weil die Voraussetzungen für die Bonifikation gemäß § 261c ASVG in keinem dieser Zeitpunkte gegeben waren.
4. Anwendung dieser Rechtsprechung im konkreten Fall:
[24] 4.1 Voranzustellen ist, dass die wesentlichen Änderungen des – am 24. 3. 2017 bereits anwendbaren Personenstandsgesetzes 2013 – die Schaffung des ZPR anstelle der bisherigen „Bücher“ betraf und der Gesetzgeber damit vor allem Rechtssicherheit (insbesondere Datenschutz), Vereinfachungen für die Bürgerinnen und Bürger und Verwaltungsvereinfachungen anstrebte und umsetzte. Die oben dargestellte, noch zur älteren Rechtslage ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann vor diesem Hintergrund auch im Anwendungsbereich des Personenstandsgesetzes 2013 aufrecht erhalten werden.
[25] 4.2 Der Umstand, dass beim Kläger bisher keine genitalangleichende Operation durchgeführt wurde, hinderte daher nicht die Eintragung der Änderung des Geschlechts als Mann am 24. 3. 2017. Auf den in der Revision hervorgehobenen Umstand, dass dem Kläger zum damaligen Zeitpunkt die erst infolge des Erkenntnisses des VfGH G 77/2018 erweiterten Eintragungsmöglichkeiten betreffend das Geschlecht noch nicht offen standen, muss hier nicht weiter eingegangen werden: Da der Kläger eine Personenstandsänderung dahin vorgenommen hat, das er seit 24. 3. 2017 als Mann im ZPR geführt wird und auch keine (weitere) Änderung dieser Eintragung veranlasste, muss die Frage des Anfallsalters für die Alterspension bei einer nicht auf „männliches Geschlecht“ lautenden Eintragung im ZPR hier nicht beurteilt werden.
[26] 4.3 Richtig ist, dass die Eintragung des Geschlechts des Klägers im ZPR nach der – dafür maßgeblichen – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht konstitutiv, sondern lediglich deklarativ wirkt. Allerdings fungiert das Personenstandsrecht auch als Anknüpfungspunkt für eine Reihe von Regelungen in anderen Rechtsbereichen. Unbeschadet dieser dienenden Funktion ist es dem Personenstand eigen, selbst identitätsstiftend zu wirken (VfGH G 77/2018). Das Personenstandsgesetz 2013 enthält – anders als noch das Personenstandsgesetz 1983 – in § 40 Abs 3 die Regelung, dass die Eintragung zu den allgemeinen Personenstandsdaten, zu denen das Geschlecht gehört, vollen Beweis iSd § 292 Abs 1 ZPO begründet. § 40 Abs 3 PStG 2013 steht im Kontext zu der in § 47 Abs 1 PStG 2013 geregelten ZPR‑Abfrage und ermöglicht den Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden sowie der Körperschaften des öffentlichen Rechts in ihren Verfahren die entsprechenden Daten des ZPR anstelle von Personenstandsurkunden zu verwenden ohne dabei eigene Verfahrensvorschriften (zB § 143 Abs 1 AußStrG, § 31 Abs 1 GBG etc) zu verletzen (Kutscher/Wildpert, Personenstandsrecht² [Stand 1. 7. 2015, rdb.at] § 40 PStG Anm 4). Diese Regelung soll demnach auch verdeutlichen, dass die Urkundenvorlage vor den Behörden und Gerichten nunmehr durch die Einsichtnahme in das ZPR ersetzt wird (vgl ErläutRV 1907 BlgNR 24. GP 11). Auch die Sozialversicherungsträger wie die beklagte Pensionsversicherungsanstalt haben diese Daten zu verarbeiten.
[27] 4.4 Soweit der Kläger daher die Auffassung vertritt, dass er trotz der Änderung des Personenstandsdatums „Geschlecht“ auf „männlich“ ab 24. 3. 2017 rechtlich im Hinblick auf das für ihn geltende Pensionsantrittsalter als Frau zu behandeln sei, ist ihm im konkreten Fall diese von § 40 Abs 3 PStG normierte Wirkung der Eintragung entgegenzuhalten: Auch im eigentlichen Anwendungsbereich des § 292 Abs 1 ZPO ist dem Entscheidungsorgan bei einer öffentlichen Urkunde die freie Würdigung dessen verwehrt, was darin von der Behörde verfügt oder von der Behörde oder Urkundsperson bezeugt wird. Erst dann, wenn der Prozessgegner den Beweis dafür erbringt, dass der bezeugte Vorgang oder die bezeugte Tatsache sich nicht oder nicht in der bezeugten Form ereignet haben oder dass der Beurkundungsvorgang unrichtig war, kommt die freie richterliche Beweiswürdigung in diesem Umfang zum Zug (Bittner in Fasching/Konecny 3 III/1 § 292 ZPO Rz 43). Der Kläger muss sich daher seit der von ihm veranlassten Geschlechtsänderungsmeldung rechtlich als Mann behandeln lassen, solange diese Eintragung im ZPR besteht. Der Kläger ist ausgehend davon zum Stichtag 1. 1. 2021 als (männlicher) Versicherter iSd § 253 Abs 1 iVm § 223 Abs 2 ASVG anzusehen.
[28] 4.5 Soweit der Kläger in der Revision die Auffassung vertritt, dass die Eintragung als Mann im ZPR nicht bedeute, dass er bezüglich sämtlicher daran anknüpfender Rechtsfragen so zu behandeln sei, als wäre er immer ein Mann gewesen, ist an dem in der Entscheidung 10 ObS 29/09a ausführlich begründeten und bereits dargelegten Grundsatz festzuhalten, dass eine „Rückwirkung“ der Eintragung insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit nicht in Betracht kommt. Wollte man dieses Argument des Klägers konsequent weiterdenken, müsste man etwa einem Mann, der vor Vollendung des 60. Lebensjahres sein Geschlecht in eine Frau ändert, die Zuerkennung einer Alterspension mit Vollendung des 60. Lebensjahres verweigern, weil bis zu diesem Zeitpunkt eine „typisch männliche“ Erwerbsbiographie vorliege. Dies würde allerdings nach der dargestellten Rechtsprechung des EuGH eine Diskriminierung der Frau wegen ihres Geschlechts darstellen.
[29] 4.6 Die zutreffende Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es für die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen auf eine Alterspension auf die maßgeblichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Stichtags (§ 223 Abs 2 ASVG) ankommt, stellt der Revisionswerber nicht in Frage. Dem Argument des Revisionswerbers, der Gesetzgeber habe bei Einführung des Stichtagsprinzips keine diskriminierende Rechtslage schaffen wollen, ist entgegenzuhalten: Art 4 Abs 1 RL 79/7/EWG untersagt jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ua betreffend die Bedingungen für den Zugang zu den gesetzlichen Systemen, die Schutz gegen die Risiken des Alters bieten. Eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts liegt im Sinn dieser Richtlinie in einer Situation vor, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (EuGH C‑451/16 , MB Rn 34). Der Kläger erfährt jedoch infolge seiner Geschlechtsumwandlung keine weniger günstige Behandlung als ein anderer Mann, der sein bereits bei der Geburt eingetragenes Geschlecht behalten hat, weil auch jener eine Alterspension erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen kann. Daran ändert die Stichtagsregelung des § 223 Abs 2 ASVG nichts, die überdies bei ihrer Anwendung weder auf ein bestimmtes Geschlecht noch auf das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze abstellt.
[30] 5. Die Revision muss daher erfolglos bleiben.
[31] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
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