Spruch:
I. Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV wird zurückgewiesen.
II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Der am 7. 3. 1950 geborene Kläger hat zum 1. 4. 2012 495 Versicherungsmonate, davon 280 Beitragsmonate nach dem ASVG und 161 Beitragsmonate nach dem GSVG, erworben. Er beantragte am 10. 2. 2012 bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt die Gewährung der Alterspension.
Die beklagte Partei lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 19. 3. 2012 ab, weil ein Anspruch auf Alterspension erst dann bestehe, wenn der Versicherte das 65. Lebensjahr vollendet habe.
Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt der Kläger, ihm die Alterspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 3. 2012 zuzuerkennen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, weil das Regelpensionsalter eines Versicherten das vollendete 65. Lebensjahr sei (§ 130 Abs 1 GSVG). Der Rechtsauffassung des Klägers, dass mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. 12. 2009, womit die Grundrechtecharta der Europäischen Union (GRC) den gleichen Rang wie die Gründungsverträge selbst erhalten habe, Art 7 Abs 1 lit a der Richtlinie 79/7/EWG nicht mehr gelte und Art 21 Abs 1 GRC dem Art 7 Abs 1 dieser Richtlinie derogiere, könne nicht zugestimmt werden. In den Erwägungsgründen der GRC werde nämlich angeführt, dass die Charta die in der Union anerkannten Rechte, Freiheiten und Grundsätze bekräftige und diese Rechte besser sichtbar mache, aber keine neuen Rechte oder Grundsätze schaffe, wofür in gewisser Weise auch Art 51 Abs 2 und Art 52 Abs 2 GRC sprächen. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs lasse sich aus der EuGH‑Judikatur kein Zweifel an der „vorübergehenden“ Zulässigkeit ungleicher Altersgrenzen in gesetzlichen Pensionssystemen ableiten, die den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie zugestanden worden sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, in welchem Verhältnis die GRC (insbesondere deren Art 21 Abs 1 und Art 23) zu Art 7 (insbesondere des Abs 1 lit a) der Richtlinie stehe, fehle.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, jenes im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise beantragt er, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
„1. Widerspricht Art 7 der Richtlinie 79/7/EWG, insbesondere Abs 1 Buchstabe a, den sich aus Art 21 Abs 1, Art 23 GRC ergebenden Gleichheitsgeboten?
2. Wird mit der Anpassung des Regelpensionsantrittsalters von Frauen an jenes der Männer erst ab dem Jahr 2024 mit einem 1992 beschlossenen, 10 Jahre andauernden Etappenplan, sodass die tatsächliche Gleichstellung erst im Jahr 2034 erreicht sein wird, insofern gegen Art 7 Abs 2 der Richtlinie 79/7/EWG verstoßen, als eine derartige Regelung weder gerechtfertigt noch verhältnismäßig ist, wenn nahezu alle anderen Mitgliedstaaten das Pensionsantrittsalter um viele Jahre früher angleichen und der österreichische Verfassungsgerichtshof bereits 1990 das geschlechtsspezifische Pensionsantrittsalter als gleichheitswidrig erkannt hat?
3. Ist eine Regelung wie die des § 3 des Bundesverfassungsgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten mit der Ausnahmeregelung des Art 7 Abs 1 lit a der Richtlinie 79/7/EWG vereinbar, wenn seit 1993 entgegen der Vorschrift des Art 7 Abs 2 der Richtlinie 79/7/EWG keine Überprüfung stattgefunden hat, ob die Aufrechterhaltung des unterschiedlichen Pensionsantrittsalters von Frauen und Männern unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung gerechtfertigt ist und der Angleichungszeitpunkt verfassungsrechtlich mit Ende 2033 fixiert ist?“
Die beklagte Partei hat die Revision nicht beantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
Zu I.:
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat eine Prozesspartei keinen verfahrensrechtlichen Anspruch, die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zu beantragen. Ein solcher Antrag ist zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0058452).
Zu II.:
1. Der Revisionswerber macht geltend: Das BVG über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl 1992/832 („BVG‑Altersgrenzen“), sei eine Ausnahmevorschrift im Sinn des Art 7 Abs 1 lit a und Abs 2 der RL 79/7/EWG. Dieses Verfassungsgesetz sei an Art 21 und Art 23 GRC zu messen, seien doch die Mitgliedstaaten an die Chartagrundrechte gebunden, wenn sie Maßnahmen erlassen, mit denen trotz Ausnützung einer Ausnahmebestimmung ein unionsrechtlich vorgegebenes Ziel verfolgt werde. Jede den Chartagrundrechten entgegenstehende Bestimmung nationalen Rechts sei von den nationalen Behörden unangewendet zu lassen. Das BVG-Altersgrenzen laufe auch der Durchsetzung unionsrechtlichen Sekundärrechts zuwider. Die bloß etappenweise Angleichung des Regelpensionsalters erst ab 2024 sei nämlich weder gerechtfertigt noch verhältnismäßig, sodass sie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit verstoße. Art 21 und Art 23 GRC konkretisierten lediglich den allgemeinen Gleichheitssatz, der nach den Erläuterungen zu Art 20 GRC ein allgemeines Rechtsprinzip sei, das in allen europäischen Verfassungen verankert sei und das der Europäische Gerichtshof als ein Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts angesehen habe. Auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und die dortigen Wertungen sei daher auch in Hinblick auf Art 23 GRC Rücksicht zu nehmen. In 18 Mitgliedstaaten der EU werde bereits 2020 eine Angleichung vollzogen sein. Nur in Polen erfolge die Angleichung später als in Österreich, und zwar 2040. Nach den Wertungen der Mehrheit der Mitgliedstaaten verstoße eine etappenweise Angleichung erst ab 2024 gegen den Gleichheitsgrundsatz. Eine entsprechende Rechtfertigung sei nicht gegeben. Das frühe Pensionsantrittsalter für Frauen führe für diese insofern zu einer Benachteiligung, als hiedurch eine Weiterbeschäftigung über das gesetzliche Antrittsalter aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation faktisch unmöglich werde und die Frauen daher in der Pension aufgrund zu niedriger Einkommen und zu kurzen Versicherungszeiten Männern gegenüber wiederum finanziell schlechter gestellt seien. Auch an der Verhältnismäßigkeit mangle es der erst 2034 erreichten Angleichung. Der österreichische Gesetzgeber hätte spätestens 2005 mit einem Etappenplan beginnen müssen, der spätestens zehn Jahre später ein gleiches Pensionsalter für Männer und Frauen hätte herstellen müssen. Österreich verstoße mit dem Etappenplan des BVG-Altersgrenzen gegen Art 7 Abs 2 der RL 79/7/EWG. Die durch dieses Gesetz geschaffene Verfassungsrechtslage mache es den österreichischen Behörden geradezu unmöglich, die gesetzliche Lage auf ihre Konformität mit der sozialen Entwicklung hin zu überprüfen, weil das Ergebnis der Prüfung verfassungsrechtlich fixiert sei. Umgekehrt sei die verfassungsrechtliche Prognose, gerade Ende 2033 werde die „soziale Entwicklung“ die Geschlechtergleichbehandlung erfordern, durch keinerlei seriöse Annahmen im Tatsächlichen begründet. Österreich sei bislang auch seiner Berichtspflicht nach Art 8 Abs 2 der RL 79/7/EWG nicht nachgekommen und verletze hiedurch Unionsrecht.
Hiezu wurde erwogen:
2.1. Zuletzt hat der erkennende Senat in der Entscheidung 10 ObS 35/12p, SSV-NF 26/29, in dem eine außerordentliche Revision zurückweisenden Beschluss seine Auffassung bekräftigt, dass das BVG-Altersgrenzen dem Recht der Europäischen Union nicht widerspricht, ist hiebei aber auf Art 21 Abs 1 und Art 23 Abs 1 GRC nicht ausdrücklich eingegangen. An dieser Auffassung ist festzuhalten:
2.2. Art 20 GRC normiert, dass alle Personen vor dem Gesetz gleich sind.
Art 21 Abs 1 GRC verbietet Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts.
Nach Art 23 Abs 1 GRC ist die Gleichheit von Frauen und Männern in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen. Die Bestimmung kommt in allen Bereichen, daher auch im Bereich der sozialen Sicherheit zum Tragen. Als Grundlage dieser Bestimmung dienten insbesondere Art 2 und Art 3 Abs 2 EGV, die nunmehr durch Art 3 EUV und Art 8 AEUV ersetzt wurden und die die Union auf das Ziel der Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen verpflichten, sowie Art 157 Abs 1 AEUV (ex Art 141 Abs 1 EGV), dem als spezielle Ausprägung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes zentrale Bedeutung für die grundrechtliche Verbürgung der Gleichheit von Frauen und Männern im Unionsrecht zukam; schließlich geht die Bestimmung auch auf Art 14 EMRK zurück (vgl Blauensteiner/Oswald/Weinhandl in Holoubek/Lienbacher , GRC-Kommentar, Art 23 Erläuterungen und Rz 6 und 7).
2.3. Nach den Art 21 und Art 23 GRC sind zum einen Diskriminierungen wegen des Geschlechts verboten und zum anderen ist die Gleichheit von Frauen und Männern in allen Bereichen zu gewährleisten. Art 23 Abs 1 GRC, der daher auch im Bereich der sozialen Sicherheit gilt, macht die nicht einklagbaren Förderungspflichten des Art 8 AEUV und des Art 3 EUV zu rechtlich verbindlichen Pflichten des Uniongesetzgebers. Er muss die Ungleichheiten beseitigen. Hiebei kann er auch schrittweise vorgehen, sofern dies sachlich gerechtfertigt ist (vgl EuGH 1. 3. 2011, C‑236/09, Test-Achats , Rn 20 f; Husmann , Reformbedarf in der Richtlinie 79/7/EWG, ZESAR 2014, 70 [78]).
2.4. Die GRC gilt für die Union ‑ begrenzt durch das Subsidiaritätsprinzip und ihre Kompetenzen - umfassend (Art 51 Abs 1 1. Halbsatz GRC). Den Anwendungsbereich der GRC, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, definiert Art 51 Abs 1 2. Halbsatz GRC dahin, dass diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union gilt. Die Mitgliedstaaten sind an die GRC gebunden, wenn sie sekundäres Unionsrecht anwenden, insbesondere Verordnungen und Richtlinien vollziehen und umsetzen (vgl EuGH 26. 2. 2013, C‑617/10, Akerberg Fransson , Rn 17 ff; 11. 4. 2013, C‑401/11, Soukupova , Rn 25; Holoubek/Lechner/Oswald in Holoubek/Lienbacher , GRC‑Kommentar, Art 51 Rz 20 mwN).
3.1. Schon vor Inkrafttreten der GRC ist durch die Rechtsprechung des EuGH und durch sekundäres Unionsrecht ein umfassendes Antidiskriminierungsrecht der Union entstanden (vgl Bieback in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 6 Vorbemerkungen zu Art 19, 157 AEUV Rz 1 ff). Im Bereich der allgemeinen sozialen Sicherheit wurde die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. 12. 1979 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit geschaffen (ABl 1979, L 6, 24).
Gemäß Art 3 Abs 1 lit a der Richtlinie findet sie unter anderem auf die gesetzlichen Systeme Anwendung, die Schutz gegen das Risiko des Alters bieten. Art 4 der Richtlinie verbietet jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere bei der Berechnung der Leistungen.
Art 7 der Richtlinie 79/7 sieht vor:
„(1) Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, Folgendes von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen:
a) die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen;
...
(2) Die Mitgliedstaaten überprüfen in regelmäßigen Abständen die aufgrund des Absatzes 1 ausgeschlossenen Bereiche, um festzustellen, ob es unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung in dem Bereich gerechtfertigt ist, die betreffenden Ausnahmen aufrechtzuerhalten.“
Ferner haben die Mitgliedstaaten gemäß Art 8 Abs 2 der Richtlinie 79/7 der Europäischen Kommission insbesondere die von ihnen in Anwendung von Art 7 Abs 2 erlassenen Vorschriften mitzuteilen und sie über die Gründe, die eine etwaige Beibehaltung der geltenden Bestimmungen in den unter Art 7 Abs 2 der Richtlinie genannten Bereichen rechtfertigen, sowie über die Möglichkeit einer diesbezüglichen späteren Revision zu unterrichten.
Das Unionsrecht verpflichtet daher die Mitgliedstaaten, wie sich auch schon aus der Bezeichnung der Richtlinie ergibt, lediglich zu einer schrittweisen Verwirklichung der Geschlechtergleichbehandlung auf dem Gebiet des Sozialrechts. Bei der Festsetzung des Anfallsalters für die Alterspension steht es den Mitgliedstaaten frei, zwischen Männern und Frauen unterscheidende Regelungen noch für eine bestimmte Zeit ‑ also nicht unbefristet wie in der die Gültigkeit von Art 5 Abs 2 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. 12. 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen betreffenden Entscheidung des EuGH vom 1. 3. 2011, C‑236/09, Test‑Achats ‑ aufrechtzuerhalten. Nach Art 7 Abs 2 der Richtlinie 79/7 sind die Mitgliedstaaten nämlich verpflichtet, die vom Gleichbehandlungsgebot ausgeschlossenen Bereiche in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, um festzustellen, ob es unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung gerechtfertigt ist, die betreffende Ausnahme aufrechtzuerhalten. Eine feste zeitliche Begrenzung für die Beibehaltung der Ausnahme ist allerdings nicht vorgesehen.
3.2.1. Bislang stellte der EuGH die Ausnahmeregelung nicht in Frage. Er verwies darauf, dass zwar die Begründungserwägungen der Richtlinie die Gründe für die Ausnahmen nicht angeben, der Art der vorgesehenen Ausnahmen aber zu entnehmen ist, dass der (damals) Gemeinschaftsgesetzgeber die Mitgliedstaaten ermächtigen wollte, die Bevorzugung von Frauen im Zusammenhang mit dem Ruhestand vorübergehend aufrechtzuerhalten, und ihnen damit ermöglichen wollte, die Rentensysteme in dieser Frage schrittweise zu ändern, ohne das komplexe finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme zu erschüttern, dessen Bedeutung er nicht verkennen konnte (EuGH 7. 7. 1992, C‑9/91, Equal Opportunities Commission , Slg 1992, I-4297, Rn 15; 27. 4. 2006, C‑423/04, Richards , Slg 2006, I-3585, Rn 35). So nahm der EuGH in seinem ‑ bereits nach dem Inkrafttreten der GRC mit 1. 12. 2009 ergangenen ‑ Urteil vom 18. 11. 2010 in der Rechtssache Kleist (C-356/09 ) ausdrücklich darauf Bezug, dass Österreich von dieser in Art 7 Abs 1 lit a der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit der Festsetzung eines für Männer und Frauen unterschiedlichen Pensionsalters Gebrauch gemacht hat, um die gesellschaftliche, familiäre und ökonomische Benachteiligung der Frauen auszugleichen. Weiters wies der Gerichtshof in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach seiner Rechtsprechung die in der genannten Bestimmung enthaltene Ausnahme vom Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angesichts der grundlegenden Bedeutung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in dem Sinne eng auszulegen ist, dass sie nur für die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Alters- oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen der sozialen Sicherheit gelten kann (Rn 38 f).
3.2.2. In seinem Urteil vom 11. 4. 2013 in der Rechtssache Soukupova (C-401/11 ) legte der EuGH dar, dass die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der VO (EG) 1257/1999 des Rates vom 17. 5. 1999 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) gemäß Art 51 Abs 1 GRC die in Art 20, Art 21 Abs 1 und Art 23 dieser Charta verankerten Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung beachten müssen, sie aber nach der Ausnahmebestimmung des Art 7 Abs 1 der Richtlinie 79/7 bei der Festsetzung des Rentenalters im Bereich der sozialen Sicherheit eine Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen beibehalten dürfen, diese Ausnahmebestimmung jedoch bei der Anwendung der VO (EG) 1257/1999 nicht herangezogen werden kann. Der Umstand, dass die Tschechische Republik von der ihr unionsrechtlich eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht hat, ein unterschiedliches Renteneintrittsalter für Männer und Frauen im Hinblick auf die Altersrente festzusetzen, wurde in keiner Weise problematisiert.
3.2.3. Aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH lassen sich somit, soweit überblickbar, keine Zweifel an der „vorübergehenden“ Zulässigkeit ungleicher Altersgrenzen in gesetzlichen Pensionssystemen ableiten, die den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie 79/7 zugestanden wurde (vgl 10 ObS 35/12p, SSV-NF 26/29). Auch der polnische Verfassungsgerichtshof hat zuletzt mit Urteil vom 15. 7. 2010 (K 63/07) den geschlechtsspezifischen Rentenbeginn auch im Hinblick auf die Richtlinie 79/7 für verfassungsrechtlich zulässig erklärt. Er erließ aber gleichzeitig einen Hinweisbeschluss an das Parlament, in dem er die Aufnahme gesetzgeberischer Tätigkeit zur allmählichen Einführung des gleichen Rentenalters für erforderlich erklärte (vgl Kocher/Skowron , Die „soziale Entwicklung“ bei der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, ZESAR 2012, 274 ff).
4.1. Gemäß § 1 BVG-Altersgrenzen sind gesetzliche Regelungen, die unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten der gesetzlichen Sozialversicherung vorsehen, zulässig. Für weibliche Versicherte ist die Altersgrenze jährlich mit 1. Jänner um sechs Monate zu erhöhen, und zwar für die vorzeitige Alterspension beginnend mit 1. 1. 2019 bis 2028 (§ 2 BVG‑Altersgrenzen) und für die Alterspension beginnend mit 1. 1. 2024 bis 2033 (§ 3 BVG-Altersgrenzen). Dieses Bundesverfassungsgesetz bezweckt, die bestehende Privilegierung weiblicher Versicherter beim Pensionsantritt so lange aufrecht zu erhalten, wie die gesellschaftliche, familäre und ökonomische Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt dies erforderte. Der Bundesverfassungsge-setzgeber beabsichtigte somit eine Angleichung des Pensionsantrittsalters erst in jenem Zeitpunkt vorzunehmen, in dem gegenwärtig noch vorhandene Schlechterstellungen von Frauen im Arbeitsleben als beseitigt angesehen werden können (10 ObS 35/12p mwN).
4.2. §§ 2 und 3 BVG-Altersgrenzen statuieren ein bundesverfassungsgesetzliches Gebot an den Gesetzgeber, für weibliche Versicherte die Altersgrenze für die vorzeitige und für die „reguläre“ Alterspension innerhalb hiefür vorgesehener Zeiträume in näher bestimmter Weise anzuheben. Der Oberste Gerichtshof führte zur Auslegung des BVG-Altersgrenzen bereits in der Entscheidung 10 ObS 205/02y, SZ 2002/151 aus, dass die §§ 2 und 3 dieses Bundesverfassungsgesetzes weder das Ausgangspensionsalter in den Jahren 2019 bzw 2024 noch das für Frauen in den Jahren 2028 bzw 2033 schließlich zu erreichende Pensionsalter fixieren. Der Verfassungsgerichtshof sprach schließlich in seinem Erkenntnis G 300/02 ua, VfSlg 16.293/2003, aus, dass angesichts der Detailliertheit der Regelungen des BVG-Altersgrenzen, im Besonderen dessen §§ 2 und 3, davon ausgegangen werden muss, dass der Bundesverfassungsgeber, wäre es ihm darum gegangen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des BVG-Altersgrenzen einfachgesetzlich geltenden Altersgrenzen für die vorzeitige (und für die „reguläre“) Alterspension weiblicher Versicherter bundesverfassungsgesetzlich festzuschreiben, dies im Wortlaut des Bundesverfassungsgesetzes zum Ausdruck gebracht hätte. Demnach wurde das seinerzeit und heute geltende Regelpensionsalter bundesverfassungsgesetzlich nicht festgeschrieben (vgl Mazal , Zur Angleichung des Pensionsalters von Frauen und Männern, ZAS 2013/44, 263).
5.1. Die Ausnahmebestimmung des Art 7 Abs 1 lit a der Richtlinie 79/7 ist gegenwärtig nicht nur für Österreich, sondern noch für zehn andere Mitgliedstaaten von Bedeutung. Auf der Grundlage des Weißbuches der Europäischen Kommission „Eine Agenda für angemessene, sichere und nachhaltige Pensionen und Renten“ vom 16. 2. 2012, COM (2012) 55 final, der MISSOC (Mutual Information System on Social Protection in the EU Member States, the EAA and Switzerland)-Analyse 2012/1 „Aspekte des aktiven Alterns im Bereich des Sozialschutzes/der sozialen Sicherheit“, Mai 2012, der MISSOC-Analyse 2012/2, November 2012 (beide abrufbar unter ec.europa.eu/missoc und missoc.org) und der Leitfäden der Europäischen Kommission „Ihre Rechte der sozialen Sicherheit“ in Slowenien und in Kroatien, beide aus Juli 2013, ergibt sich folgendes Bild:
5.2. Zurzeit ist das gesetzliche Regelpensionsalter für Frauen in Österreich, Bulgarien, Estland, Griechenland, Italien, Kroatien, Litauen, Polen, Rumänien, der Tschechischen Republik und im Vereinigten Königreich geringer als jenes für Männer. 2009 war in 14 Mitgliedstaaten das Regelpensionsalter für Frauen und Männer gleich. Nach schrittweiser Anhebung des Pensionsalters für Frauen bis 2020 wird das Regelpensionsalter in 21 Mitgliedstaaten angeglichen sein. In Litauen wird ein gleiches Regelpensionsalter 2026, in Kroatien 2030, in Österreich 2033, in Polen 2040 und in der Tschechischen Republik nach 2040 erreicht sein. Eine Angleichung ist in Bulgarien und in Rumänien noch nicht vorgesehen. Im oben genannten Weißbuch empfiehlt die Europäische Kommission Österreich bloß Schritte einzuleiten, um die Übergangszeit für die Harmonisierung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters für Frauen und Männer zu verkürzen.
6.1. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs verstoßt der präjudizielle § 130 Abs 1 GSVG nicht gegen die in Art 20, Art 21 Abs 1 und Art 23 Abs 1 GRC verankerten Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung, die Österreich bei der Umsetzung der Richtlinie 79/7 gemäß Art 51 Abs 1 GRC zu beachten hat (vgl EuGH 11. 4. 2013, C- 401/11 , Soukupova , Rn 28).
6.2. Nach Art 52 Abs 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
6.3. In ständiger Rechtsprechung des EuGH, die bei der Anwendung des Art 52 Abs 1 GRC zugrunde zu legen ist, geht der Gerichtshof im Bereich der sozialen Sicherheit für die Richtlinie 79/7 bei der Prüfung der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von der Formulierung aus, dass Art 4 Abs 1 der Richtlinie einer nationalen Maßnahme entgegensteht, „sofern diese Maßnahme nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Dies ist der Fall, wenn die gewählten Mittel einem legitimen Ziel des Mitgliedstaats dienen, um dessen Rechtsvorschriften es geht, und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind“ (EuGH 24. 2. 1994, C‑343/92, Roks ua, Slg 1994, I-571, Rn 33 f; 9. 2. 1999, C‑167/97, Seymour‑Smith , Slg 1999, I-623, Rn 68 ff; Bieback in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 6 Art 19 AEUV Rz 48 mwN).
6.4. Nach der im Punkt 3.2.2. dargestellten Rechtsprechung geht der EuGH davon aus, dass die durch die Ausnahmebestimmung ermöglichte Ungleichbehandlung während einer Übergangszeit legitimen Zielen der Sozialpolitik dient.
Wann der Zeitpunkt gekommen ist, zu dem ein unterschiedliches Pensionsalter für Frauen und Männer unzulässig ist, weil die Schlechterstellungen von Frauen im Arbeitsleben als beseitigt angesehen werden können, ist auch nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art 14 EMRK schwierig oder unmöglich festzustellen (vgl EGMR Bsw 65.731/01, 65.900/01, Stec ua; 17. 2. 2011 Bsw 6.268/08, Andrle ).
6.5. Vor diesem Hintergrund und unter dem Blickwinkel, dass die Mitgliedstaaten bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele geeigneten Maßnahmen über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügen (EuGH 9. 2. 1999, C‑167/97, Seymour-Smith , Slg 1999, I‑623, Rn 74 mwN), gegenwärtig noch in elf Mitgliedstaaten ein unterschiedliches Pensionsalter besteht, 2020 das Regelpensionsalter (erst) in 21 Mitgliedstaaten angeglichen sein wird, und die unterschiedlichen Endzeitpunkte der laufenden Anpassungsprozesse nach den nationalen Gesetzgebungen zeigen, dass unter den Mitgliedstaaten ein gemeinsamer Standard für die Bemessung der Übergangszeit fehlt, hält es der Oberste Gerichtshof für gerechtfertigt, dass nach österreichischem Recht die Angleichung derzeit nur vorgesehen ist, der Prozess der Angleichung aber noch nicht begonnen hat. Der erkennende Senat sieht sich daher zu der vom Revisionswerber begehrten Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH nicht veranlasst.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit erforderten, wurden nicht dargetan.
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