Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
PStG §16
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
PStG §16
Spruch:
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen; die Mehrkosten von € 360,- werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom
7. November 2008 wurde die Berufung der beschwerdeführenden Partei gegen den Bescheid des Bürgermeisters von Linz, mit dem der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Änderung der Eintragung der Geschlechtsbezeichnung im Geburtenbuch des Standesamtes Linz von "männlich" auf "weiblich" - im Wesentlichen mit der Begründung, dass sich die beschwerdeführende Partei bislang keiner geschlechtskorrigierenden Operation unterzogen habe - abgewiesen worden war, abgewiesen.
Begründend führt die belangte Behörde aus, dass die Personenstandsbehörde nicht selbst beurteilen könne, ob eine Geschlechtsumwandlung erfolgt sei oder nicht. Die Personenstandsbehörde sei daher ausschließlich auf unabhängige Gutachten angewiesen.
Sämtliche dem Magistrat vorgelegten Bestätigungen und Befunde hätte die beschwerdeführende Partei selbst vorgelegt. Überdies seien sie von Sachverständigen erstellt worden, die bei Beantwortung der Frage, ob eine Geschlechtsumwandlung erfolgt sei, allenfalls einen Teilbereich abdecken würden. Aus jenen Bestätigungen, die Laserbehandlungen zur Haarentfernung bzw. die Durchführung einer phonopädischen Behandlung belegen, gehe zwar die Bestrebung der beschwerdeführenden Partei hervor, ihr äußeres Erscheinungsbild dem anderen Geschlecht anzunähern, sie gäben aber nur ungenügend Auskunft über den erzielten Erfolg.
Dem psychotherapeutischen Befund fehle die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VwSlg. 14.748 A/1997 als notwendig erachtete Zukunftsprognose.
Insgesamt fehle eine Gesamtbeurteilung, die nur von einem/einer auf Transsexualismus spezialisierten Sachverständigen oder eventuell von einem/einer unabhängigen Amtsarzt/Amtsärztin abgegeben werden könne. Die Gutachten und Befunde seien nicht nur von ihrer Aussage unzureichend, sondern es fehle ihnen auch die rechtliche Legitimation durch Amtsarzt oder Sachverständigen, ohne die diese Dokumente als Grundlage für die Entscheidung daher ungeeignet seien.
Behördliche Erfahrungen und entsprechende Bemühungen der beschwerdeführenden Partei hätten ergeben, dass weder ein amtsärztliches Gutachten noch ein Gutachten des Departments für gerichtliche Medizin der Universität Wien erhältlich sei, da diese sich für derartige Befunde auf Grund der gültigen Erlasslage nicht für zuständig erachten würden.
Dem Erlass des Bundesministeriums für Inneres folgend werde mangels anderer Richtlinien der Berufung der Erfolg versagt, da es der beschwerdeführenden Partei nicht gelungen sei, hinreichende Beweise dafür zu erbringen, dass die von ihr getroffenen Maßnahmen zu einer deutlichen Annäherung an das weibliche Geschlecht geführt hätten.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Anwendung einer gesetz- und verfassungswidrigen Verordnung ("Erlass") des Bundesministeriums für Inneres vom 12. Jänner 2007, Z BMI-VA1300/0013-III/2/2007, betreffend Transsexualität - Vorgangsweise nach Durchführung einer geschlechtsanpassenden Operation (im Folgenden auch: "Schreiben - Transsexualität") behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt werde.
Weiters wird angeregt, den Erlass des Bundesministeriums für Inneres zur Gänze als gesetz- bzw. verfassungswidrig aufzuheben, da er Außenwirkung entfalte und als Rechtsverordnung kundzumachen gewesen wäre.
3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt. Eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.
Die beschwerdeführende Partei hat nachträglich einen Erlass vorgelegt, der in diesem Verfahren nicht erheblich ist.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Ihre Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des "Schreibens - Transsexualität" legt die beschwerdeführende Partei wie folgt dar:
Der "Erlass" verlange abweichend von Gesetz und Judikatur für eine Änderung der Beurkundung nach §16 Personenstandsgesetz, BGBl. 60/1983 idF BGBl. I 100/2005 (im Folgenden: PStG) u.a. den Befund über eine geschlechtsanpassende Operation, sohin bei Mann zu Frau Transsexuellen die Entfernung von Keimdrüsen und primären Geschlechtsorganen sowie die Formung einer Neovagina. Damit sei dieser "Erlass" aber nicht mehr innenrechtlich (behördenintern) wirksam, sondern entfalte Außenwirkung, weil durch ihn das behördliche Vollzugshandeln in einer vom Gesetz abweichenden Weise gesteuert werde und dieser auch Rechtswirkungen gegenüber Privatpersonen entfalte.
2. Die beschwerdeführende Partei erachtet sich auf das Wesentlichste zusammengefasst
2.1. im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt, da die Aufrechterhaltung der Diskrepanz zwischen dem äußeren Erscheinungsbild und dem Geschlechtsvermerk in Dokumenten eine massive Diskriminierung darstelle und auch die Menschenwürde und die Privatsphäre gröblichst verletze.
Es seien sämtliche rechtliche Voraussetzungen iSd Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwSlg. 14.748 A/1997) erfüllt, weshalb die beschwerdeführende Partei rechtlich als Frau einzustufen sei. Mit unrichtiger Rechtsansicht stelle die belangte Behörde insbesondere auf das Erfordernis einer genitalanpassenden Operation iSd "Erlasses" ab. Weder Gesetz noch Judikatur würden eine geschlechtsanpassende Operation verlangen. Dennoch habe sie sich Operationen unterzogen (3 Jahre Laser- und Nadelepilationen; das seien äußerst schmerzhafte Eingriffe bzw. Operationen).
Obwohl der beigelegten psychotherapeutischen Befundung explizit zu entnehmen sei "es ist daher als fixiert anzunehmen, dass der kontinuierliche Wunsch, dem anderen Geschlecht zuzugehören, besteht", habe die belangte Behörde beurteilt, dass es an der als notwendig erachteten Zukunftsprognose mangle. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung wäre die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen, dass die beschwerdeführende Partei als Transsexuelle zur diskriminierten Personengruppe zähle.
Eine unsachliche Differenzierung sei auch gegenüber einer Frau zum Mann Transsexuellen gegeben, da bei dieser keine vergleichsweise schweren Eingriffe für die Qualifizierung als deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des Gegengeschlechtes gefordert würden.
Weiters liege eine unsachliche Differenzierung auch gegenüber postoperativen Transsexuellen vor, bei denen der Geschlechtswechsel (zu Recht) rechtlich vollzogen würde, obwohl sämtliche Eingriffe mangels medizinischer Möglichkeiten niemals zum Erwerb sämtlicher biologischer Charakteristika des angenommenen Geschlechtes führen könnten. Deren äußeres Erscheinungsbild im Alltagsleben unterscheide sich hinsichtlich der deutlichen Annäherung an das Gegengeburtsgeschlecht grundsätzlich nicht von dem präoperativer Transsexueller.
2.2. In ihrem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art8 EMRK erachtet sich die beschwerdeführende Partei durch die (rechtliche) Negierung ihres weiblichen Geschlechts verletzt. Dies sei ein massiver Eingriff in ihre Intimsphäre. Auch die sexuelle und geschlechtliche Identität würden zum geschützten Privatleben gehören. Gegenüber anderen Menschen habe sie permanent Erklärungsbedarf hinsichtlich der Diskrepanz zwischen ihrem äußeren weiblichen Erscheinungsbild und der geschlechtsspezifischen Eintragung im Geburtenbuch und den Vermerken in Dokumenten als "männlich". Durch die sofortige Erkennbarkeit der Transsexualität, die nach ICD 10 (F 64.0) eine Störung der Geschlechtsidentität bzw. Krankheit darstelle, werde sie diskriminiert.
2.3. Durch den Geschlechtsvermerk "männlich" in Reisedokumenten und dienstlichen Dokumenten werde auch das Grundrecht auf Datenschutz verletzt, da für jedermann die Transsexualität offensichtlich werde. Dies habe bereits zu Verzögerung, ja sogar zur Verweigerung der Einreise in Fremdstaaten geführt.
2.4. Auch das Recht auf Leben gemäß Art2 EMRK werde verletzt, wenn der Staat in Kenntnis des konkreten sozialen Geschlechts und des starken Leidensdrucks Transsexueller zulässt, dass diese zu genitalanpassenden Operationen gezwungen werden, die für viele eine "Verstümmelungskastration" darstellen würden, die zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und sogar zum Suizid führen könnten.
3. Die beschwerdeführende Partei geht davon aus, dass es sich beim Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 12. Jänner 2007, Z BMI-VA1300/0013-III/2/2007, "Transsexualität - Vorgangsweise nach Durchführung einer geschlechtsanpassenden Operation" um eine Rechtsverordnung handle, welche kundzumachen gewesen wäre.
Diese Auffassung teilt der Verfassungsgerichtshof aus folgenden Erwägungen nicht:
Die ersten beide Teile dieses Schreibens enthalten eine Information über die Aufhebung der Punkte 2. und 3. des Erlasses des Bundesministeriums für Inneres vom 27. November 1996, Z36.250/66-IV/4/96, durch den Verfassungsgerichtshof wegen Gesetzwidrigkeit. Es werden die Punkte 1. und 4. als gegenstandslos erklärt, sodass der gesamte Erlass nicht mehr anzuwenden ist; weiters wird ausgeführt, welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
Das vorerwähnte "Schreiben - Transsexualität" hat in dem von der beschwerdeführenden Partei angesprochenen letzten Teil "Weitere Vorgangsweise" den Charakter einer Handlungsanleitung und beschreibt weitgehend nur die Vorgangsweise bei Durchführung eines dem AVG entsprechenden Ermittlungsverfahrens und nennt Beweismittel, deren Aufnahme nicht zwingend ist.
In dem "Schreiben - Transsexualität" wird u.a. ausgeführt:
"Bei Vorliegen eines Antrages auf Eintragung des geänderten Geschlechtes in die Geburtsurkunde ist ein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchzuführen. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ist der Antragswerber/die Antragswerberin aufzufordern, entsprechende Gutachten und Befunde, insbesondere ein psychotherapeutisches Gutachten und den Befund der geschlechtsanpassenden Operation, vorzulegen.
Sind die vorgelegten - unverzichtbaren - Beweismittel so klar, dass sie einer Entscheidung zugrunde gelegt werden können, kann auf die Einholung eines Gutachtens verzichtet werden."
Dies besagt nicht mehr, als dass der Befund nur dann ein unverzichtbares Beweismittel ist, wenn tatsächlich eine geschlechtsanpassende Operation stattgefunden hat. Wenn also ein solcher Befund vorgelegt wird, kann seitens der Behörde auf die Einholung eines Gutachtens verzichtet werden. Voraussetzung für die Änderung des Geschlechtseintrags im Geburtenbuch ist keineswegs eine (genitalverändernde) Operation, wie die beschwerdeführende Partei dem "Schreiben - Transsexualität" zu entnehmen vermeint. So legt auch das Begleitschreiben des Innenministeriums, mit dem das "Schreiben - Transsexualität" dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt wurde, dar, aus dem "Schreiben - Transsexualität" könne nicht gefolgert werden, dass schwerwiegende operative Eingriffe vorgenommen werden müssten, sondern nur, dass auf die Einholung eines besonderen Gutachtens verzichtet werden könne, wenn auf Grund der vorgelegten Beweismittel bereits die Entscheidung getroffen werden könne.
Weiters geht aus dem "Schreiben - Transsexualität" hervor, dass dann, wenn die Einholung eines Gutachtens nach der Verfahrenslage notwendig war und kein Amtssachverständiger zur Verfügung stand, das Gutachten eines (nicht amtlichen) Sachverständigen einzuholen ist.
Das "Schreiben - Transsexualität" ist keine Rechtsverordnung. Wie dargelegt, beschreibt es lediglich in deklarativer Weise das nach Meinung des Bundesministeriums für Inneres abzuführende Verfahren, ohne dass es die Rechtssphäre der Rechtsunterworfenen gestaltet.
4. Gemäß §19 Z3 PStG ist das Geschlecht des Kindes im Geburtenbuch einzutragen. Nach §15 Abs1 leg.cit. ist eine Beurkundung zu berichtigen, wenn sie bereits zur Zeit der Eintragung unrichtig geworden ist; gemäß §16 leg.cit. hat die Personenstandsbehörde eine Beurkundung zu ändern, wenn sie nach der Eintragung unrichtig geworden ist.
Das Personenstandsgesetz sagt nichts darüber aus, wann davon auszugehen ist, dass sich das Geschlecht einer Person geändert hat. Die österreichische Rechtsordnung und auch das soziale Leben gehen davon aus, dass jeder Mensch entweder weiblich oder männlich ist. Welchem Geschlecht operierte Transsexuelle zuzuordnen sind, hat bisher keine gesetzliche Regelung gefunden. Auch ist eine ausdrückliche Regelung der Transsexualität bisher nicht erfolgt (siehe auch VwSlg. 14.748 A/1997).
5. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewandten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
5.1. Der belangten Behörde ist vorzuwerfen, dass sie in Verkennung des Inhaltes des "Schreibens - Transsexualität" davon ausgegangen ist, dass die beschwerdeführende Partei Gutachten und Befunde eines unabhängigen Sachverständigen als Beweismittel zwingend beizubringen hat. Dabei hat sie außer Acht gelassen, dass sie von Amts wegen gehalten ist, die materielle Wahrheit zu erforschen. Sie hat in Verkennung ihrer Ermittlungspflicht in unzulässiger Weise die formelle Beweislast umgekehrt.
5.2. Sie hat zu den entscheidungsrelevanten Fragen, ob eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderes Geschlechtes vorliegt und ob mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass sich am Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nichts mehr ändern wird, Erhebungen unterlassen (vgl. auch VwSlg. 14.748 A/1997).
5.3. Die beschwerdeführende Partei ist sohin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
6. Die Kostenentscheidung gründet in §88 VfGG; im zugesprochenen Kostenbetrag sind € 400,- an Umsatzsteuer und € 220,-
an Eingabengebühr enthalten.
Das Mehrbegehren von € 360,- für die Erstellung eines Privatgutachtens ist im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht ersatzfähig und war daher abzuweisen.
7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)