OGH 10Ob32/21k

OGH10Ob32/21k22.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber sowie die Hofräte Mag. Schober und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am * 2015 geborenen V*, vertreten durch das Land Vorarlberg als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, Carinagasse 11, 6800 Feldkirch), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Vaters S*, USA, vertreten durch Dr. Gerhard Preisl und Dr. Helgar Schneider, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 8. Juli 2021, GZ 3 R 165/21v, 3 R 168/21k‑65, mit dem die Rekurse des Vaters gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Feldkirch vom 29. April 2019, GZ 10 Pu 79/19k‑5 und‑6, zurückgewiesen wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00032.21K.0222.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Am 19. März 2019 beantragte das Kind die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG in dem in § 6 UVG festgelegten Höchstausmaß. Es bestehe kein Unterhaltstitel. Der Vater sei seit mehreren Jahren unbekannten Aufenthalts. Derzeit sei es (deswegen) auch nicht möglich, mit ihm Kontakt aufzunehmen und einen Unterhaltstitel zu schaffen (ON 1).

[2] Über Aufforderung des Erstgerichts, darzulegen, welche Schritte (Befragung der Verwandten/Bekannten, Ausforschungsversuche etc) zur Ausforschung des aktuellen Aufenthaltsorts des Vaters gesetzt worden seien, teilte der Kinder- und Jugendhilfeträger mit, dass die Mutter (und Ehegattin des Vaters) dazu keine Angaben machen habe können. Bekannt sei nur, dass der Vater den gemeinsamen Wohnsitz in den USA und seine Beschäftigung beim (offensichtlich: US‑amerikanischen) Militär aufgegeben habe. Eine (der Eingabe angeschlossene) Anfrage beim US‑amerikanischen Anwalt der Mutter nach dem Aufenthaltsort des Vaters habe kein Ergebnis gebracht (ON 3).

[3] Die daraufhin vom Erstgericht durchgeführten Abfragen aus dem Zentralen Melderegister und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger blieben ohne Erfolg.

[4] Mit Beschlüssen vom 29. April 2019 gewährte das Erstgericht dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG für den Zeitraum von 1. März 2019 bis 29. Februar 2024 in Höhe von monatlich 214 EUR (ON 5) und bestellte für den Vater einen Zustellkurator nach § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG (ON 6). Die Beschlüsse wurden dem Kurator am 7. Mai 2019 zugestellt. Am 14. August 2020 gab der Kinder- und Jugendhilfeträger die aktuelle Adresse des Vaters in den USA bekannt. Am 12. Oktober 2020 trat für den Vater ein anwaltlicher Vertreter auf (ON 32). Diesem wurden die beiden Beschlüsse vom 29. April 2019 (auf sein Ersuchen) am 11. März 2021 zugestellt.

[5] Das Rekursgericht wies die gegen die Beschlüsse vom 29. April 2019 unter anderem wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 58 Abs 1 Z 1 AußStrG) erhobenen Rekurse des Vaters als verspätet zurück. Zwar sei die Bestellung eines Kurators sowie das mit diesem geführte Verfahren nichtig, wenn die Voraussetzungen für seine Bestellung nicht vorgelegen seien. Das gelte auch für den Fall, dass keine ausreichenden Erhebungen über den Aufenthaltsort des Kuranden betrieben worden seien. Im Licht der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 6/01s seien die Rechtsmittelfristen aber selbst dann mit Zustellung an den Kurator (am 7. Mai 2019) in Gang gesetzt worden, wenn die vom Vater behauptete Nichtigkeit tatsächlich vorliegen sollte. Damit seien die angefochtenen Beschlüsse schon (formell) rechtskräftig und die dagegen erhobenen Rekurse verspätet. Die Prüfung, ob der Kurator zu Recht bestellt worden sei oder nicht, sei dem vom Vater (gleichzeitig mit dem Rekurs) gestellten Abänderungsantrag nach § 72 AußStrG vorbehalten.

[6] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, dass die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob die Zustellung an einen ohne ausreichende Erhebungen bestellten Zustellkurator den Lauf der Rechtsmittelfristen auslöse, im Hinblick auf die Entscheidung 8 ObA 4/14t uneinheitlich erscheine.

[7] In seinem Revisionsrekurs beantragt der Vater, den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschuss abzuweisen und den Beschluss, mit dem der Kurator bestellt wurde, ersatzlos aufzuheben. Hilfsweise begehrt er, die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[8] Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[9] Entgegen dem Zulassungsausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 62 Abs 1 AußStrG) unzulässig.

[10] 1. In seinem Revisionsrekurs stellt der Vater in den Vordergrund, dass die Bestellung eines Zustellkurators für ihn mangels entsprechender Erhebungen über seinen Aufenthaltsort nicht ordnungsgemäß erfolgt sei, weshalb die Zustellung der beiden Beschlüsse vom 29. April 2019 an den Zustellkurator keine Zustellwirkungen ausgelöst habe. Aus diesem Grund sei der von seinem anwaltlichen Vertreter erhobene Rekurs rechtzeitig. Außerdem sei bei Anhaltspunkten für einen Aufenthalt des Abwesenden im Ausland die Bestellung eines Zustellkurators Richtersache. Die von einer Diplomrechtspflegerin beschlossene Bestellung sei nichtig.

[11] 2. Zur Bestellung eines Verfahrenskurators für eine abwesende Person:

[12] 2.1. Voraussetzung für die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters (Verfahrenskurators) nach der – § 116 ZPO nachgebildeten – Bestimmung des § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG ist, dass die Person unbekannten Aufenthalts ist und erfolglos versucht wurde, den Aufenthalt der betreffenden Person zu ermitteln (RS0036476 [T7]; Motal in Schneider/Verweijen, AußStrG [2019] § 5 Rz 24; vgl auch RS0112828 [T1]). Dabei sind zumutbare, wenngleich auch nicht sehr umfangreiche Erhebungen zu pflegen, wozu insbesondere Nachforschungen im persönlichen Umfeld der betreffenden Person, also bei leicht erreichbaren Verwandten und sonstigen Personen, die üblicherweise vom Aufenthalt einer Person Kenntnis haben, zählen (RS0036476 [T2]; RS0049217 [T1]). Es können aber auch naheliegende Anfragen bei ausländischen Behörden geboten sein, vor allem wenn amtsbekannt ist, dass diese Meldeanfragen in angemessener Frist beantworten (10 Ob 2/13m; Stumvoll in Fasching/Konecny 3 § 116 ZPO Rz 13; Klicka/Rechberger in Rechberger/Klicka, AußStrG3 § 5 Rz 5 je mwN ua). Sind aufgrund der Sachlage Nachforschungen bzw Erhebungen allerdings von vornherein wenig aussichtsreich bzw nicht erfolgversprechend, ist eine Kuratorenbestellung auch ohne diese möglich (RS0036476 [T3]). Welche Erhebungen erforderlich sind, ist stets von den konkreten Umständen und Verhältnissen abhängig und stellt daher in der Regel eine einzelfallbezogen zu beurteilende Frage dar (RS0036476 [T4]).

[13] 2.2. Diese schon vom Rekursgericht zutreffend dargestellten Grundsätze sind im Verfahren nicht strittig. Der Rechtsmittelwerber verweist auch richtig darauf, dass die Bestellung eines Kurators und das mit diesem durchgeführte Verfahren nichtig sind, wenn die Voraussetzungen für seine Bestellung nicht gegeben waren (RS0036484; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 5 Rz 21; Dokalik/Trauner, Die Nichtigkeitsklage – vom Mauerblümchen zum Massenverfahren? RZ 2005, 206 [215]).

[14] 3. Hier zu beurteilen ist nur die daran anschließende Frage, ob bereits die Zustellung (des Bestellungsbeschlusses und anderer Beschlüsse) an den Kurator die Rechtsmittelfrist auslöst oder ob der Abwesende später noch mit einem „eigenen“ Rekurs erreichen kann, dass das mit einem zu Unrecht bestellten Verfahrenskurator durchgeführte Verfahren für nichtig erklärt wird, obwohl die durch die Zustellung an den Kurator ausgelöste Frist bei Erhebung des „eigenen“ Rekurses bereits abgelaufen war.

[15] 3.1. Im vorliegenden Fall wurden die beiden Beschlüsse vom 29. April 2019 am 7. Mai 2019 an den Kurator zugestellt. Über Ersuchen des anwaltlichen Vertreters wurden sie am 11. März 2021 (nochmals) an diesen zugestellt.

[16] 3.2. Der Vater argumentiert in seinem Rechtsmittel mit der Unwirksamkeit der Kuratorbestellung: Das Erstgericht habe nämlich keinerlei eigene Nachforschungen angestellt, sondern den Kurator allein aufgrund des kaum geprüften Vorbingens im Unterhaltsvorschussantrag bestellt. Es seien weder Erkundigungen bei (nicht näher genannten) Angehörigen getätigt noch sei die Mutter zu seinem Aufenthaltsort befragt worden. Das Erstgericht habe auch keine Internet-Recherchen durchgeführt, obwohl damit der Aufenthalt von Personen mittlerweile recht einfach zu ermitteln sei. Vor diesem Hintergrund weiche die Entscheidung des Rekursgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab, wonach die Zustellung an einen ohne ausreichende Erhebungen bestellten Kurator nicht zum Eintritt der (formellen) Rechtskraft führe.

[17] 3.3. Dem steht allerdings die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (1 Ob 155/10s und 6 Ob 16/14t unter Bezugnahme auf die Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 6/01s) entgegen, dass die Frist zur Bekämpfung des Bestellungsbeschlusses schon mit der Zustellung an den Kurator und nicht erst mit der Zustellung an den abwesenden Kuranden zu laufen beginnt. Nach Eintritt der (formellen) Rechtskraft der Entscheidung steht nicht mehr der Rekurs, sondern nur mehr der Abänderungsantrag offen. Daher muss im Verfahren über den (verspäteten) Rekurs des Kuranden die Frage, ob die Kuratorenbestellung gesetzwidrig war, nicht beantwortet werden.

[18] Anderes gilt nach dieser Rechtsprechungnur für Konstellationen, in denen das Gesetz den Abänderungsantrag ausschließt, und der Grundsatz des rechtlichen Gehörs eine Möglichkeit erfordert, sich wirksam am Verfahren zu beteiligen (RS0126542 [T2]; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 73 Rz 13/1).

[19] 3.4. Demgegenüber hat der Oberste Gerichtshof zu 8 Ob 48/03x im Fall der Bestellung eines Kurators anstatt des an sich gebotenen Vorgehens nach § 8 Abs 2 ZustG den Eintritt der formellen Rechtskraft aufgrund eines offenkundigen Zustellmangels verneint. Mangels wirksamer Bestellung des Kurators sei die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung an den Kuranden in Gang gesetzt worden und demgemäß dessen Rekurs gegen den Bestellungsbeschluss rechtzeitig (so auch 6 Ob 601/86). Zu 8 ObA 4/14t billigte der Oberste Gerichtshof die Ansicht des Berufungsgerichts, ein solcher offenkundiger Zustellmangel liege auch dann vor, wenn ein Kurator bestellt wird, obwohl nicht bescheinigt wurde, dass der Aufenthalt des Kuranden trotz naheliegender Erhebungen unbekannt geblieben sei. Im Hinblick auf die Entscheidungen 2 Ob 128/12f und 8 Ob 49/03x sei dabei maßgeblich, ob der Mangel aus der Aktenlage klar erkennbar ist (vgl auch Trenker, Der prozessuale Abwesenheitskurator, insbesondere im Kontext europäischen Zivilprozessrechts, ZfRV 2013/28, 213 [218]).

[20] 3.5. Es trifft daher zu, dass die Grenzen der Möglichkeit der vermeintlich abwesenden Person, im Fall eines offenkundigen Zustellmangels (wegen eines evidenten Bestellungsfehlers) die Sachentscheidung mit einem ordentlichen Rechtsmittel zu bekämpfen, obwohl für den Kurator die Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen ist, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch eindeutig abgesteckt sind.

[21] 4. Diese Grenzen müssen auch hier nicht näher determiniert werden, weil kein Fall eines offenkundigen, eindeutig eruierbaren Zustellmangels vorliegt.

[22] 4.1. In der Entscheidung 8 ObA 4/14t ist zwar von der Nichtbescheinigung naheliegender Erhebungen über die Zustelladresse die Rede (ErwG 3.1.). Tatsächlich wurden dort jedoch – wie sich aus der (unveröffentlichten) Entscheidung des dortigen Berufungsgerichts ergibt – keinerlei Erhebungen seitens des Gerichts vorgenommen; der Kurator wurde allein auf der Grundlage unbescheinigter Behauptungen des Antragstellers bestellt.

[23] Nun wird im Revisionsrekurs eine gleichgelagerte Situation behauptet. Allerdings ist nicht richtig, dass das Erstgericht gar keine eigenen Erhebungen vorgenommen habe: Es wurden die gängigen Behördenabfragen vorgenommen und dem Kinder- und Jugendhilfeträger die Bekanntgabe der von diesem durchgeführten Erhebungen aufgetragen. Dieser hat mit Vorlage der Anfrage an den US-amerikanischen Anwalt der Mutter (= Ehegattin des Vaters) auch tatsächlich vorgenommene Nachforschungen bescheinigt.

[24] 4.2. Auch nach Rassi (Die Vertretungsmacht und der Rechtsschutz beim Abwesenheitskurator im Lichte der Aliyev-Entscheidung des EuGH, RZ 2017, 3 [6 f]) stehen nur unterhalb des Fehlerkalküls liegende Fehler bei der Bestellung einer Wirksamkeit der Zustellung an den Kurator entgegen. Soweit im vorliegenden Kontext von Interesse, werden damit nur evidente Fehler der Bestellung angesprochen, speziell die Kuratorenbestellung ohne jede Prüfung des Aufenthaltsorts des Abwesenden (siehe bereits 7 Ob 619/95 SZ 68/223). Stumvoll (in Fasching/Konecny 3 § 116 ZPO Rz 52/5 und FN 236) stellt mangels tauglicher Abgrenzungskriterien in letzter Konsequenz darauf ab, ob die Kuratorenbestellung ohne kompliziertes Verfahren aufgrund der Aktenlage geprüft werden kann, was neben der Bestellung eines Kurators für einen Anwesenden oder entgegen § 8 Abs 2 ZustG vor allem dann der Fall sei, wenn vor der Bestellung überhaupt keine Erhebungen durchgeführt wurden. Bei bloß unzureichenden Erhebungen (oder Bescheinigungen) löse dagegen die Zustellung an den Kurator die Zustellungswirkungen aus. Dies entspricht im Wesentlichen auch der Ansicht von Trenker (Rechtsschutz bei fehlerhafter Bestellung eines Abwesenheitskurators, ÖJZ 2014/139, 936 [937]), wonach die Möglichkeit einer sicheren Abgrenzung „evidenter“ von sonstigen Bestellungsfehlern fraglich und deshalb ein offenkundiger (Zustell-)Mangel in der Regel nicht anzunehmen sei.

[25] 4.3. Der Vater spricht in seinem Rechtsmittel keinen jener Fälle an, in denen der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit der Bestellung von Kuratoren einen offenkundigen, also schon aus den Akten klar ersichtlichen, eindeutig eruierbaren Zustellmangel angenommen hat. Dementsprechend stützt er sich auch nicht darauf, dass hier ein dem – von ihm lediglich behaupteten – Unterlassen jeder Prüfung gleichgelagerter Fall vorliegt. In diesem Sinn zeigt er keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf (RS0102181 [T17]).

[26] 5. Schließlich kann dahingestellt bleiben, ob die Kuratorenbestellung im Anlassfall dem Richter vorbehalten gewesen wäre (§ 19 Abs 2 Z 5 lit c RpflG; siehe 10 Ob 91/08t). Die Wahrnehmung durch den Obersten Gerichtshof würde nämlich ein zulässiges Rechtsmittel voraussetzen (RS0007465 [T7]).

[27] 6. Da im Rechtsmittel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 62 Abs 1 AußStrG) angesprochen wird, ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

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