OGH 6Ob601/86

OGH6Ob601/8619.6.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Jensik, Dr. Schobel und Dr. Riedler als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder 1.) Aida B***, geboren am 14.März 1976, Volksschülerin, und 2.) Ramses B***, geboren am 23.Februar 1977, Volksschüler, derzeit im Kinderdorf Bregenz, vor der Anordnung von Maßnahmen der Erziehungshilfe im Haushalt des Vaters Herbert B***, zuletzt wohnhaft in Brand bei Bludenz Nr.1, wegen Aufhebung der Erziehungshilfemaßnahmen, infolge Rekurses 1.) des Vaters und

2.) dessen Ehefrau Ruth B***, beide zuletzt wohnhaft in Brand bei Bludenz Nr.1, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 13.Januar 1986, GZ 1 b R 9/86-19, womit der Rekurs des Vaters gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 14.Oktober 1985, GZ P 91/85-16, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

  1. 1.) Der Rekurs der Stiefmutter wird z u r ü c k g e w i e s e n.
  2. 2.) Dem Rekurs des Vaters wird s t a t t g e g e b e n, der angefochtene Beschluß a u f g e h o b e n und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den vom Vater gegen den erstgerichtlichen Beschluß vom 14.Oktober 1985 erhobenen Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Die beiden pflegebefohlenen Geschwister kamen als eheliche Kinder zur Welt, das Mädchen am 14.März 1976, der Knabe am 23. Februar 1977. Nach dem Tode ihrer Mutter blieben die Kinder in der Obsorge ihres Vaters. Dieser ging eine neue Ehe ein. Das Erstgericht ordnete mit dem Beschluß vom 25.April 1985 (ON 8) in Ansehung beider Kinder gemäß § 26 Abs 3 JWG als Maßnahme der gerichtlichen Erziehungshilfe die Aufnahme der Kinder in die Kinderabteilung des Landeskrankenhauses Feldkirch an. Am 5.August 1985 stellten der Vater und die Stiefmutter der Kinder gemeinsam einen Antrag auf Aufhebung der Erziehungshilfemaßnahmen. Bei diesem zu gerichtlichem Protokoll erklärten Antrag gaben die Antragsteller als Wohnort "Brand bei Familie E***" an. Während der gerichtlichen Erhebungen zu diesem Aufhebungsantrag brachte der Vater die ihm anläßlich eines Besuches überlassenen Kinder nicht wieder in die Krankenhausabteilung zurück. Die Nachforschungen der daraufhin eingeschalteten Gendarmeriebeamten ergaben, daß sich der Vater mit den Kindern in die "Wohnung in Brand" begeben habe. Er war aber tags darauf nach einer Mitteilung der Bezirksverwaltungsbehörde mit seiner Ehefrau und den Kindern unbekannt wohin weggezogen. Das Pflegschaftsgericht wies den gemeinsamen Antrag des Vaters und der Stiefmutter auf Aufhebung der gerichtlich angeordneten Erziehungshilfemaßnahmen mit dem Beschluß vom 14.Oktober 1985, ON 16, ab. Es verfügte die Zustellung dieses Beschlusses an die Antragsteller im Wege der §§ 116 ff ZPO (§ 6 AußStrG). Das Edikt wurde am 17.Oktober 1985 an der Gerichtstafel des Pflegschafsgerichtes angeschlagen, am selben Tag übernahm der bestellte Zustellkurator eine Ausfertigung des zuzustellenden Beschlusses.

Am 10.Januar 1986 überreichte der Vater beim Pflegschaftsgericht eine als Berufung gegen den Beschluß vom 14.Oktober 1985 bezeichnete Eingabe, mit der er eine Stattgebung seines erstinstanzlichen Aufhebungsantrages anstrebte und der Sache nach Verfahrensmängel, unrichtige Tatsachenfeststellungen und unrichtige rechtliche Beurteilung als Anfechtungsgründe ausführte. In dieser Eingabe behauptete der Vater, ihm sei eine Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses erst am 3.Januar 1986 auf sein Verlangen ausgefolgt worden.

In einem Amtsvermerk vom 2.Januar 1986 wurde festgehalten, daß der Vater als Adresse "Brand Nr.1" bekanntgegeben habe (die Form dieser Mitteilung ist nicht aktenkundig).

Das Gericht zweiter Instanz wies die als Rekurs gewertete Eingabe des Vaters mit Beschluß vom 13.Januar 1986, ON 19, als verspätet zurück. Das Rekursgericht legte dabei zugrunde, daß die Voraussetzungen für eine Zustellung zu Handen eines Kurators im Sinne der §§ 116 ff ZPO, § 6 AußStrG vorgelegen seien, so daß die 14-tägige Rekursfrist am 17.Oktober 1985 in Gang gesetzt worden sei und mit Ablauf des 31.Oktober 1985 geendet habe; eine allfällige Bedachtnahme auf das verspätete Rechtsmittel gemäß § 11 Abs 2 AußStrG erachtete das Rekursgericht mit Rücksicht darauf als unstatthaft, daß sich die angefochtene Entscheidung ohne Nachteil für die von den angeordneten Erziehungsmaßnahmen betroffenen Kinder nicht mehr abändern ließe.

Die Zustellung des rekursgerichtlichen Zurückweisungsbeschiusses wurde zunächst an der vom Vater nach dem Amtsvermerk vom 2.Januar 1986 angegebenen Abgabestelle versucht, scheiterte jedoch daran, daß der Empfänger nach dem Bericht des Postzustellers "verzogen" gewesen sei. Nach einem weiteren vergeblichen Zustellversuch an einer anderen Abgabestelle verfügte das Pflegschaftsgericht eine Zustellung im Wege der Hinterlegung ohne Zustellversuch im Sinne des § 23 ZustG durch das für die Abgabestelle nach dem Amtsvermerk vom 2. Januar 1986 zuständige Postamt. Dieses Postamt bewirkte jedoch die gerichtlich angeordnete Zustellung durch Hinterlegung nicht und leitete die Gerichtssendung mit dem Vermerk an das Pflegschaftsgericht zurück, daß der Empfänger nicht mehr im Zustellbereich wohnhaft sei; gleichzeitig gab das Postamt als derzeitige Adresse des Empfängers ein anderes Postamt mit dem Zusatz "postlagernd" an. Hierauf verfügte das Pflegschaftsgericht am 31. Januar 1986 eine Zustellung des rekursgerichtlichen Zurückweisungsbeschlusses an den Vater ohne Rückschein postlagernd. Wann dem Vater die Sendung auf diesem oder einem anderen Wege tatsächlich zugekommen ist, konnte nicht mehr geklärt werden. Am 23.April 1986 langte beim Erstgericht ein mit 17.April 1986 datierter gemeinsamer Schriftsatz des Vaters und seiner Ehefrau mit der Ausführung eines Rekurses gegen den erstinstanzlichen Beschluß vom 14.Oktober 1985 sowie gegen den rekursgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß vom 13.Januar 1986 ein. Den neuerlichen Rekurs gegen den erstinstanzlichen Beschluß vom 14.Oktober 1985 wies das Erstgericht als unzulässig zurück.

Die Rechtsmittelausführungen zum rekursgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß beschränken sich auf die Rüge, daß der erstinstanzliche Beschluß vom 14.Oktober 1985 jederzeit an die Antragsteller unter deren Anschrift Brand Nr.1 hätte zugestellt werden können, weil die Antragsteller unter dieser Anschrift behördlich gemeldet gewesen seien und die P? t (von dort) an sie weitergeleitet oder von ihnen (dort) abgeholt worden wäre. Die Rechtsmittelwerber streben erkennbar eine Sachentscheidung über den Rekurs des Vaters gegen den erstinstanzlichen Beschluß auf Abweisung des Aufhebungsantrages an und bemängeln die Vorgänge bei der Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung an sie.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Stiefmutter gegen die Zurückweisung des vom Vater der Kinder gegen die erstinstanzliche Entscheidung erhobenen Rekurses ist zurückzuweisen, weil der Stiefmutter, die selbst keinen Rekurs gegen die erstinstanzliche Abweisung des von ihr gemeinsam mit dem Vater der Kinder gestellten Antrages erhoben hatte, durch die Zurückweisung des n u r von ihrem Ehegatten als Vater der Kinder erhobenen Rechtsmittels formell nicht beschwert sein kann. Ob die Stiefmutter Erziehungsberechtigte im Sinne des § 39 JWG und damit antrags- und rechtsmittelbefugt war, kann unerörtert bleiben.

Der Rekurs des Vaters gegen den zweitinstanzlichen Zurückweisungsbeschluß ist berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber hatte bei seinem zu gerichtlichem Protokoll genommenen Antrag auf Aufhebung der Erziehungshilfemaßnahmen am 5.August 1985 eine inländische Anschrift als Wohnadresse angegeben. Als die antragsabweisende Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes vom 14.Oktober 1985 an die Antragsteller zuzustellen war, mußte nach der Aktenlage davon ausgegangen werden, daß sich der Rechtsmittelwerber nicht mehr an der von ihm angegebenen Abgabestelle aufhalte, sondern vielmehr an einem für die Behörde unbekannten Aufenthaltsort weile. Der Rechtsmittelwerber hatte es unterlassen, eine Änderung seiner bisherigen Abgabestelle dem Gericht mitzuteilen. Das Gericht hätte gemäß § 8 Abs 2 (§ 23) ZustG vorzugehen gehabt. Die gewählte Vorgangsweise nach den §§ 116 ff ZPO, § 6 AußStrG entsprach nicht dem Gesetz (RZ 1986/3). Sie vermochte daher keine Zustellungswirkungen auszulösen. Da die Rekursbehauptung des Vaters, ihm sei eine Ausfertigung des erstinstanzlichen Beschlusses vom 14.Oktober 1985 erst am 3.Januar 1986 ausgefolgt worden, nicht widerlegt wurde und eine an einem früheren Tag erfolgte wirksame Zustellung nicht aktenkundig ist, muß der Rekurs ON 17 als rechtzeitig behandelt werden.

Aus diesen Erwägungen war der rekursgerichtliche Zurückweisungsbeschluß aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz die neuerliche Entscheidung über den vom Vater gegen den erstinstanzlichen Beschluß vom 14.Oktober 1985 erhobenen Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

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