OGH 4Ob51/06p

OGH4Ob51/06p23.5.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helga B*****, vertreten durch Mag. Martin Prett, Rechtsanwalt in Villach als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte Partei Ing. Herbert B*****, vertreten durch Dr. Hans Gradischnig, Rechtsanwalt in Villach, wegen Unterhalt, infolge Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 15. November 2005, GZ 2 R 434/05h-27, womit das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 19. August 2005, GZ 2 C 55/04x-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beide Revisionen werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 300,10 EUR (darin 50,02 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Ehe der Streitteile wurde 1987 aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten geschieden. Der Beklagte ist seit Juni 1999 wieder verheiratet; aus dieser Ehe stammt der am 24. 12. 2000 geborene Patrick William B*****. Die monatliche Durchschnittsnettopension des Beklagten betrug 2002 1.823,60 EUR, 2003 1.838,17 EUR, 2004 1.830,74 EUR und 2005 1.856,25 EUR. Die Ehefrau des Beklagten bezog bis Ende 2002 Karenzgeld; ab Jänner 2003 entspricht ihr Nettoeinkommen etwa jenem des Beklagten. Der Beklagte erwarb 2000 ein Haus um rund 2 Mio S, das er unter Zuhilfenahme seiner Firmenabfertigung finanzierte. Einziges Einkommen der Klägerin ist ein Unterhalt von 547 EUR, den der Beklagte auf Grund eines Urteils aus dem Jahr 2002 zahlt; dieser Entscheidung lagen das Pensionseinkommen des Beklagten für 2001 und 2002 sowie die Sorgepflichten für den mj. Patrick und seine Gattin zugrunde, die damals ein monatliches Karenzgeld von rund 436 EUR bezog. Die monatlichen Fixkosten der Klägerin (Betriebskosten der Eigentumswohnung, Krankenversicherung, Rückzahlungsrate des Wohnbauförderungsdarlehens, Haushaltsversicherung, Strom, Gas und Telefon) betragen rund 250 EUR.

Die Klägerin begehrte die gestaffelte Erhöhung der Unterhaltsleistung des Beklagten rückwirkend ab September 2001 auf zuletzt 773,48 EUR monatlich; dieser Betrag entspreche dem Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a/bb ASVG. Der Beklagte beziehe eine zweite Pension, seine Ehefrau habe 2003 ihre Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er beziehe nur eine Pension.

Das Erstgericht erhöhte die monatliche Unterhaltsleistung des Beklagten ab 1. 1. 2003 auf 650 EUR und wies das Mehrbegehren ab. Bis Dezember 2002 habe sich die Bemessungsgrundlage nicht geändert. Die wesentliche Erhöhung des Familieneinkommens des Beklagten ab 1. 1. 2003 auf rund 3.700 EUR monatlich rechtfertige den zugesprochenen erhöhten Unterhaltsbetrag, der rund 35 % des Einkommens des Beklagten ausmache. Nach den Verhältnissen des Einzelfalls (Fixkosten der Klägerin, verbleibendes Familieneinkommen von rund 3.000 EUR für zwei Erwachsene und ein Kind) sei es vertretbar, von den in der Rechtsprechung herausgebildeten Prozentsätzen abzuweichen. Eine noch höhere Unterhaltsleistung infolge Orientierung am Ausgleichszulagenrichtsatz komme nicht in Betracht, weil der Beklagte in diesem Fall 40 % seines Einkommens zahlen müsste. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil aus Billigkeitsgründen eine von der Prozentjudikatur um nicht unerhebliche 6 % abweichende Unterhaltsbemessung vorgenommen worden sei. Der Ausgleichszulagenrichtsatz sei kein absoluter Maßstab für den geringsten Ehegattenunterhalt; abzustellen sei immer auf die Umstände des Einzelfalls. Die Unterhaltsbemessung durch das Erstgericht berücksichtige die monatlichen Fixkosten der Klägerin ebenso wie die Einkommenssituation des Beklagten und verhindere eine lebensbedrohende Verarmung der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richten sich die Revision der Klägerin und die Revision des Beklagten; beide Rechtsmittel sind unzulässig, weil entgegen dem - den OGH nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt.

1. Der Unterhalt der geschiedenen einkommenslosen Ehegattin gemäß § 66 EheG (§ 94 ABGB) bestimmt sich nach den in der Rechtsprechung entwickelten und vom Schrifttum gebilligten Berechnungsformeln mit rund 33 % des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen; bei einer konkurrierenden Sorgepflicht für Kinder ist der genannte Prozentsatz um etwa 4 % pro Kind zu verringern (RIS-Justiz RS0047419 [T3]). Die Unterhaltsbemessung nach der Prozentkomponente bietet zwar für durchschnittliche Verhältnisse eine brauchbare Handhabe, bei atypischer Sachlage ist jedoch eine Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse erforderlich (RIS-Justiz RS0047419 [T18]). Reicht die Durchschnittsquote nicht zur Deckung des Existenzminimums - für das der Richtsatz für die Ausgleichszulage nach § 293 Abs 1 lit a/bb ASVG als Maßstab dienen kann (RIS-Justiz RS0109823) -, so kommt ausnahmsweise eine erhöhte Prozentkomponente in Betracht (3 Ob 1520/91; 8 Ob 635/90 = SZ 64/135; 1 Ob 226/99p = EFSlg 91.236; RIS-Justiz RS0009571 [T3]; weitere Nachweise bei Schwimann/Ferrari in Schwimann, ABGB³ § 94 Rz 23). Insgesamt sind jedenfalls immer die besonderen Umstände des Einzelfalles für die Festsetzung der Höhe des gemäß § 66 EheG zu leistenden angemessenen Unterhaltes maßgebend (8 Ob 635/90 = SZ 64/135; RIS-Justiz RS0012492 [T11]).

2. Der Auffassung der Klägerin, ihr Unterhaltsanspruch müsse das Existenzminimum decken, also zumindest die Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes erreichen, was die nunmehrigen Familienverhältnisse des Beklagten auch zuließen, ist entgegenzuhalten, dass es bei der gebotenen Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalls keine absolute Untergrenze des angemessenen Unterhalts geben kann. Ein wichtiger Faktor bei Bemessung der Unterhaltsleistung ist die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (RIS-Justiz RS0047448 [T3]; Beiträge Dritter (hier: der Ehegattin des Beklagten) zum Gesamteinkommen der nunmehrigen Familie des Unterhaltsschuldners sind bei der Unterhaltsbemessung nicht zu berücksichtigen. Es besteht kein Anspruch des unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten, an den Lebensverhältnissen der Familie des Unterhaltsschuldner teilzuhaben. Dazu käme es aber im Ergebnis, wenn - wie von der Klägerin begehrt - die Unterhaltsleistung mit dem Ausgleichszulagenrichtsatz und damit mit 42 % des Einkommens des Klägers bemessen würde.

3. Der Beklagte gesteht zu, dass die von der Rechtsprechung im Unterhaltsrecht entwickelte Prozentwertmethode nur den Charakter einer Orientierungshilfe hat; er sieht aber im Abweichen um 6 % den Ermessensspielraum zu seinen Lasten bei weitem überschritten. Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung von den dargestellten Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht abgewichen. Durch den Wiedereintritt der Gattin des Beklagten ins Erwerbsleben ab 1. 1. 2003 wurde der Beklagte um eine Unterhaltspflicht entlastet, was eine Neufestsetzung des Unterhalts der Klägerin infolge wesentlicher Änderung der Umstände rechtfertigt (RIS-Justiz RS0047202). Das Berufungsgericht hat das Einkommen der Ehegattin des Beklagten auch nicht in die Bemessungsgrundlage des Unterhaltsanspruchs der Klägerin einbezogen. Soweit der Beklagte eine unrichtige Unterhaltsbemessung mit eigenen monatlichen Fixkosten zu begründen versucht, führt er die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig aus, weil er dazu im Verfahren erster Instanz kein Vorbringen erstattet hat.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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