European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040NC00020.21K.0721.000
Spruch:
Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Die Kläger streben – gestützt auf die Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr 295/91 (in der Folge kurz „Fluggastrechte-Verordnung“) – die Verpflichtung des beklagten Luftfahrtunternehmens zur Zahlung von insgesamt 800 EUR an. Der von den Klägern bei der Beklagten gebuchte Flug von Wien nach Djerba (Tunesien) sei umgebucht worden, sodass die Kläger ihr Ziel erst zwei Tage nach der geplanten Ankunft erreicht hätten. Den Klägern stünde nach der Fluggastrechte-Verordnung daher eine Ausgleichsleistung von jeweils 400 EUR zu. Zur Begründung der Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichts Schwechat stützten sich die Kläger auf den Abflugort Wien als Erfüllungsgerichtsstand.
[2] Das Bezirksgericht Schwechat verneinte den geltend gemachten Gerichtsstand und wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit rechtskräftig zurück.
[3] Nunmehr stellen die Kläger einen Ordinationsantrag nach § 28 JN.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die Voraussetzungen für eine Ordination liegen nicht vor.
[5] 1. Die in Österreich wohnhaften Kläger stützen ihren Antrag auf § 28 Abs 1 Z 2 JN. Danach hat der Oberste Gerichtshof, wenn für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre.
[6] 2. Die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN sind in streitigen bürgerlichen Rechtssachen vom Antragsteller zu behaupten und zu bescheinigen (§ 28 Abs 4 zweiter Satz JN; RIS‑Justiz RS0124087).
[7] 3. Die behauptete Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland begründen die Kläger mit der „überaus hohen Korruption“ in Tunesien. Aufgrund der Distanz, der Sprachbarriere und den damit einhergehenden Schwierigkeiten betreffend Rechtspflege könnte zudem eine nötige Entscheidung in Tunesien aller Voraussicht nach nicht rechtzeitig erwirkt werden. Zudem sei ein Aufenthalt bzw eine Prozessführung in Tunesien wegen bewaffneter Konflikte mit einer nicht unwesentlichen Gefährdung für Leib und Leben der Kläger verbunden.
[8] 4.1 Die Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN soll dem Obersten Gerichtshof nicht die Möglichkeit bieten, grundsätzlich jede Rechtssache, zu deren Entscheidung die Zuständigkeitsvorschriften kein österreichisches Gericht berufen, der österreichischen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen und damit einen allgemeinen Klägergerichtsstand zu etablieren (RS0046322). § 28 Abs 1 Z 2 JN soll Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland fehlt (RS0057221 [T4]). Ist im Ausland ausreichender Rechtsschutz gewährleistet und würde die ausländische Entscheidung im Inland auch vollstreckt werden, so besteht bei Fehlen einer inländischen Zuständigkeit kein Anlass zur Bejahung der inländischen Gerichtsbarkeit (RS0046159).
[9] 4.2 Zwischen Österreich und Tunesien ist der Vertrag über die Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen (BGBl 1980/304) anzuwenden. Nach Art 1 Abs 1 leg cit erhalten die Angehörigen jedes der Vertragsstaaten in Zivil- und Handelssachen auf dem Gebiet des anderen zur Verfolgung und zur Verteidigung ihrer Rechte freien und ungehinderten Zutritt zu den Gerichten. Eine Sicherheitsleistung für Prozesskosten ist in Tunesien nicht vorgesehen. Nach Art 16 des Vertrags ist den Staatsangehörigen jedes Vertragsstaats vor den Gerichten des anderen Vertragsstaats die Verfahrenshilfe unter denselben Bedingungen wie Inländern zu gewähren. Bereits diese Vertragsbestimmungen sprechen gegen die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung in der Republik Tunesien (2 Ob 32/08g). Die jeweiligen Entscheidungen der beiden Länder sind nach dem Vertrag über die Anerkennung und die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und öffentlichen Urkunden auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechts (BGBl 1980/304) jeweils vollstreckbar.
[10] 4.3 Damit besteht für eine Durchsetzung der klägerischen Ansprüche in Tunesien ausreichender Rechtsschutz (2 Ob 32/08g; idS für die Türkei bei einem vergleichbaren Abkommen: 5 Nc 11/21v, 8 Nc 29/19h, 10 Nc 38/19h, 10 Nc 28/19b; 9 Nc 14/19m; anders nur bei Drittstaaten, mit denen es kein derartiges Abkommen gibt: 8 Nc 18/20v, 5 Nc 21/20p und 6 Nc 1/19b [jeweils Ägypten]; 4 Ob 11/19h [Vereinigten Arabischen Emiraten]; 6 Nc 1/19b [Serbien] oder 4 Nc 20/20h [Mexiko]). Die in der Entscheidung 4 Nc 9/21t (Türkei) vertretene Rechtsansicht wird nicht mehr aufrecht erhalten.
[11] 4.4 Es kann auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der effektiven Umsetzung von Unionsrecht in der vorliegenden Konstellation nicht davon die Rede sein, dass die Abweisung eines Ordinationsantrags im Ergebnis einer Rechtsschutzverweigerung gleichkommt (idS 5 Nc 11/21v). Vergleiche auch die die Ordination bejahenden Entscheidungen 6 Nc 1/19b und 4 Nc 11/19h, in denen jeweils ausdrücklich darauf verwiesen wurde, dass die Entscheidung des Drittstaats in Österreich gar nicht vollstreckbar ist.
[12] 4.5 Die Sprachbarrieren können wegen der Möglichkeit des Übersetzens und Dolmetschens die Unzumutbarkeit der Rechtsdurchsetzung in einem anderen Staat nicht rechtfertigen (jüngst 3 Nc 22/20w). Entsprechendes gilt auch für den knappen Hinweis auf die „Distanz“, zumal sich dieses Argument für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen stellt und daher zu Lasten der Kläger geht (RS0046420). Insoweit die Kläger auf die „hohe Korruption“ in Tunesien verweisen, fehlt jegliche Bescheinigung, dass sich diese auch auf einen von ihnen in Tunesien geführten konkreten Prozess nachteilig auswirken soll. Auch der vage Hinweis auf „bewaffnete Konflikten“ im Urlaubsland der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN nicht. Abgesehen davon, dass auch mit Blick auf das oben zitierte Rechtshilfeabkommen ein persönlicher Aufenthalt der Kläger am Prozessort nicht zwingend erscheint (und auch nicht bescheinigt wurde), bezieht sich die der aktuellen Website des Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten zu entnehmende Reisewarnung nur auf beschränkte Teile in der Peripherie des Landes.
[13] 5.1 Schließlich hat eine Ordination nach § 28 JN zu unterbleiben, wenn ohnehin ein Gerichtsstand im Inland besteht, was der Oberste Gerichtshof anhand der Angaben im Ordinationsantrag zu prüfen hat (RS0117256, RS0114391). Ergeben sich aus dem Vorbringen des Antragstellers Anhaltspunkte für das Vorliegen des Gerichtsstands, ist die beantragte Ordination entbehrlich und der Antrag daher abzuweisen (RS0102084).
[14] 5.2 Gemäß § 99 Abs 3 JN können ausländische Anstalten, Vermögensmassen, Gesellschaften, Genossenschaften und andere Personenvereine bei dem inländischen Gericht geklagt werden, in dessen Sprengel sich ihre ständige Vertretung für das Inland oder ein mit der Besorgung der Geschäfte solcher Anstalten und Gesellschaften betrautes Organ befindet. Der Gerichtsstand der inländischen Vertretung ausländischer juristischer Personen, die keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben, besteht unabhängig vom Umfang der inländischen Vertretung; unmaßgeblich ist auch, ob die Vertretungsmacht ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten eingeräumt wurde (RS0057113).
[15] 5.2 Da die Kläger selbst die Beklagte als Gesellschaft mit einer Anschrift in Wien bezeichnen, liegen ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte als international tätige Fluggesellschaft an der angegebenen Anschrift in Wien ein Geschäftslokal betreibt, das als ständige Vertretung in Österreich fungiert, wo auch Zustellungen für die Beklagte möglich sind. Nach der Aktenlage ist somit das Bestehen eines Gerichtsstands im Inland anzunehmen, der Ordinationsantrag war daher auch deshalb abzuweisen (jüngst 5 Ob 36/20v, 2 Nc 33/19d, 8 Nc 29/19h).
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