OGH 4Nc11/19h

OGH4Nc11/19h6.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Hon.‑Prof. Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei E*****, wegen 1.200 EUR sA, über den Ordinationsantrag nach § 28 JN in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040NC00011.19H.0506.000

 

Spruch:

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.

 

Begründung:

Mit der an das Bezirksgericht Schwechat gerichteten Klage vom 3. Jänner 2019 begehrte die Klägerin, das beklagte Flugunternehmen mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten – aufgrund der an sie abgetretenen Ansprüche von zwei Fluggästen – zur Zahlung von 1.200 EUR zu verurteilen. Sie stützt sich dabei auf die Verordnung 261/2004/EG über Fluggastrechte. Die gebuchten Flüge hätten von Wien-Schwechat über Dubai nach Colombo geführt. Aufgrund einer Verspätung des ersten Fluges sei der Anschlussflug in Dubai versäumt worden. Aus diesem Grund habe die verspätete Ankunft am Endziel mehr als drei Stunden betragen, wofür jedem der beiden Fluggäste 600 EUR zustehe.

Mit Beschluss vom 8. Jänner 2019 wies das Bezirksgericht Schwechat die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Der in Anspruch genommene Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 88 Abs 1 JN stehe nicht zur Verfügung, weil dafür der urkundliche Nachweis einer Vereinbarung über den Erfüllungsort erforderlich sei. Eine solche Vereinbarung liege hier nicht vor.

Mit Beschluss vom 19. Februar 2019 bestätigte das Rekursgericht diese Entscheidung, sodass der Zurückweisungsbeschluss in Rechtskraft erwuchs.

Mit ihrem – an den Obersten Gerichtshof gerichteten – Ordinationsantrag gemäß § 28 JN beantragt die Klägerin die Ordination des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien als für die Klage örtlich zuständiges Gericht. Die Ansprüche würden aus Unionsrecht abgeleitet, weshalb Österreich sicherstellen müsse, dass die Ansprüche effektiv durchgesetzt werden könnten. Außerdem sei die Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar, weil die Klagsführung im Ausland ein übermäßiges Erschwernis begründe und die Durchsetzung der Ansprüche in den Vereinigten Arabischen Emiraten aussichtslos erscheine.

Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben:

Rechtliche Beurteilung

1.  Für den Fall, dass für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, bestimmt § 28 Abs 1 JN, dass der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen hat, das für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn Österreich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist (Z 1), wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre (Z 2), oder wenn die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart wurde (Z 3).

Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Ordinationsantrag unzulässig, bevor die Frage der inländischen Gerichtsbarkeit und der Zuständigkeit in einem bereits anhängigen ordentlichen Verfahren rechtskräftig entschieden wurde (RIS‑Justiz RS0046450); im Anlassfall liegt eine solche Entscheidung vor. Anders als bei einer Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 JN (vgl 4 Nc 8/19t) kommt eine Ordination nach Z 2 leg cit auch dann in Betracht, wenn im Rahmen des Zuständigkeitsstreits die internationale Zuständigkeit Österreichs verneint wurde (§ 28 Abs 2 JN).

2.1  Die Klägerin stützt ihren Ordinationsantrag auf § 28 Abs 1 Z 2 JN, also auf den Fall der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland. Durch diese Bestimmung wird eine inländische Notkompetenz für den Fall eröffnet, dass die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist. Da es sich um eine Notkompetenz handelt, ist eine strenge Prüfung geboten (vgl RS0046159; RS0057221 [T4]).

Die nach der in Rede stehenden Bestimmung erforderliche allgemeine Voraussetzung des Naheverhältnisses zum Inland ist hier schon im Hinblick auf den Sitz der Klägerin in Wien erfüllt; zudem lag der Abflugort der Fluggäste in Wien-Schwechat.

2.2 Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland liegt nach der Rechtsprechung insbesondere dann vor, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht vollstreckt werden könnte (vgl RS0046148).

Gemäß § 79 Abs 2 EO sind (nur) Akte und Urkunden für vollstreckbar zu erklären, wenn sie nach den Bestimmungen des Staates, in dem sie errichtet wurden, vollstreckbar sind und die Gegenseitigkeit durch Staatsverträge oder durch Verordnungen verbürgt ist. Damit geht Österreich vom Prinzip der formellen Gegenseitigkeit aus (vgl Garber in Angst/Oberhammer , EO 3 § 79 Rz 19). Zwischen Österreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten besteht kein bilaterales Abkommen oder multilaterales Übereinkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bzw von Entscheidungen über Ansprüche aus Flugverspätungen.

Aus dem Vorbringen der Klägerin im Ordinationsantrag ergibt sich, dass sie die Durchsetzung der geltend gemachten Ansprüche in den Vereinigten Arabischen Emiraten für aussichtslos hält. Daraus lässt sich (noch) ausreichend deutlich ableiten, dass sie die Vollstreckung in Österreich anstrebt, was bei einem Exekutionstitel aus den Vereinigten Arabischen Emiraten allerdings nicht möglich ist. Der Ordinationsantrag ist daher berechtigt.

2.3  Dieses Ergebnis wird durch folgende unionsrechtlichen Überlegungen bekräftigt: Die Klägerin leitet die ihr zedierten Ansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung, also aus einem unionsrechtlichen Sekundärrechtsakt ab. Für solche Ansprüche haben die Mitgliedstaaten nach Art 47 GRC einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen. Diesem unionalen Verfahrensgrundrecht kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn der Kläger sonst gehalten wäre, seine Ansprüche außerhalb der Europäischen Union geltend zu machen (vgl EuGH C-327/10 , Hypotecni banka ). Aus diesem Grund sind alle interpretativen Möglichkeiten auszuschöpfen, um – bei einem ausreichenden Inlandsbezug – Fluggästen, die von einem in der Europäischen Union gelegenen Flughafen abfliegen, die Durchsetzung von in der Fluggastrechte-Verordnung normierten Ansprüchen grundsätzlich auch gegen ein Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat zu ermöglichen (ähnlich 6 Nc 1/19b; siehe allgemein EuGH C‑274/16, flightright ).

3. Für die Auswahl des zu ordinierenden Gerichts enthält § 28 JN keine ausdrücklichen Vorgaben. Nach der Rechtsprechung ist dabei auf die Kriterien der Sach- und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RS0106680 [T13]).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat eine Zuweisung der vorliegenden Rechtssache an das Bezirksgericht Schwechat zu erfolgen, weil der Abflugort im Sprengel dieses Gerichts gelegen war; zudem wurde die vorliegende Klage bei diesem Gericht bereits behandelt (vgl dazu 2 Nc 17/12s).

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