OGH 10Nc28/19b

OGH10Nc28/19b1.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch Heinke . Skribe + Partner Rechtsanwaelte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S***** A.S., *****, Türkei, vertreten durch Dr. Wolfgang Spitzy, Rechtsanwalt in Wien, wegen 400 EUR sA, über den Ordinationsantrag nach § 28 JN in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0100NC00028.19B.1001.000

 

Spruch:

Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin begehrt, gestützt auf die Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (EU‑FluggastrechteVO), die Zahlung von 400 EUR durch das beklagte Flugunternehmen mit Sitz in A*****, Türkei. Sie habe am 31. 7. 2017 bei der Beklagten einen Flug von Wien nach A***** gebucht, sei jedoch gegen ihren Willen von der Beklagten mit diesem Flug nicht befördert worden, sodass ihr der geltend gemachte Entschädigungsanspruch zustehe.

Das Bezirksgericht Schwechat wies die Klage mit – vom Landesgericht Korneuburg als Rekursgericht bestätigtem – rechtskräftigem Beschluss vom 4. 12. 2018 mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Die Klägerin könne sich zur Begründung eines Gerichtsstands weder auf § 88 JN noch auf § 92a JN berufen.

Verbunden mit ihrem Rekurs beantragte die Klägerin am 20. 12. 2018 beim Obersten Gerichtshof gemäß § 28 JN die Ordination des Rechtsstreits an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien.

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind nicht gegeben.

1. Die Klägerin stützt ihren Ordinationsantrag erkennbar auf § 28 Abs 1 Z 2 JN und begründet ihn allein mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Die Verfahrensführung vor dem Sitzgericht der Beklagten in der Türkei „erscheine aussichtslos“, weil türkische Gerichte die EU‑FluggastrechteVO nicht anwendeten. Zwar gebe es auch nach türkischem Recht bestimmte Rechtsvorschriften, welche Fluggäste schützen, dies dürfe aber nicht dazu führen, dass die EU‑FluggastrechteVO unanwendbar werde.

2. Nach § 28 Abs 1 Z 2 JN hat der Oberste Gerichtshof, wenn für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinne dieses Gesetzes oder einer anderen Rechtsvorschrift nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn unter anderem der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre.

3. In einer vergleichbaren Konstellation (ebenfalls türkische Luftfahrtunternehmen betreffend) hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst in den Entscheidungen 9 Nc 14/19m und 9 Nc 39/19m zusammengefasst ausgeführt, dass die sich aus der EU‑FluggastrechteVO ergebenden Rechte für sich allein genommen keine Grundlage dafür bieten, eine allenfalls fehlende (generelle) Zuständigkeitsvorschrift des Verfahrensrechts nur aus dem Grund des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (generell und) unabhängig vom Einzelfall zu ersetzen. Denn es können durchaus Fälle denkbar sein, in denen die Rechtsverfolgung auch von Rechten aus der EU‑FluggastrechteVO in einem Drittstaat weder unmöglich noch unzumutbar sind (9 Nc 14/19m mH auf 10 Nc 20/19a, 6 Nc 1/19b).

Ein solcher Fall liegt auch hier vor:

4. Nach der Rechtsprechung kann eine Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland auch vorliegen, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde (RS0046644; RS0132702), dies allerdings unter der weiteren Voraussetzung, dass überhaupt eine Exekutionsführung im Inland geplant ist (RS0046148 [T17, T18]). Die Klägerin stellt aber gar keine dahin gehenden Behauptungen auf. Darüber hinaus – und dies unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt von jenen der Entscheidungen 6 Nc 1/19b (Serbien), 4 Nc 11/19h (Vereinigte Arabische Emirate) und 2 Nc 12/19s (Ägypten; Ordination jeweils bejaht) – besteht zwischen Österreich und der Türkei ein Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen in Zivil‑ und Handelssachen (BGBl 1992/571).

5. Auch dass ein Verfahren in der Türkei kostspieliger als im Inland wäre (zu diesem allenfalls eine Unzumutbarkeit einer ausländischen Verfahrensführung mitbegründenden Argument s etwa 6 Nc 1/19b, 2 Nc 12/19s), hat die Klägerin nicht behauptet. Schon all diese Umstände sprechen danach gegen eine Ordination iSd § 28 Abs 2 Z 2 JN (9 Nc 14/19m, 9 Nc 39/19m).

6. Schließlich entspricht es der Rechtsprechung, dass die Voraussetzung der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland im Sinn des § 28 Abs 1 Z 2 JN nicht allein durch eine unterschiedliche Ausgestaltung der materiellen Rechtslage verwirklicht wird. Eine günstigere oder ungünstigere materielle Rechtslage allein kann nicht die Begründung einer ansonsten nicht gegebenen inländischen Gerichtsbarkeit bewirken (RS0117751). Dass die Türkei eine eigene Fluggastrechteverordnung kennt (vgl zu dieser näher 9 Nc 14/19m, 9 Nc 39/19m), gesteht die Klägerin in ihrem Antrag zu. Sie behauptet gar nicht, dass nach dieser Verordnung nicht auch ihre Rechte als Fluggast im konkreten Fall geschützt wären.

Der Ordinationsantrag ist im konkreten Fall daher nicht berechtigt.

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