OGH 15Os54/21m

OGH15Os54/21m29.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen C***** S***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 14. Dezember 2020, GZ 37 Hv 107/20z‑45, sowie dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Vorsitzenden vom 7. April 2021 (ON 52) nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00054.21M.0629.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde C***** S***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (I./) und des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in I***** und an anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Kokain mit einem durchschnittlichen Reinsubstanzgehalt von zumindest 48,8 % reinem Cocain

I./ in einer das 15‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, nämlich von 2016 bis zumindest Juni 2020 M***** Sa***** und C***** H***** zumindest 662,5 Gramm Kokain (323,3 Gramm reines Cocain);

II./ 49,9 Gramm Kokain (24,35 Gramm reines Cocain) bis zum 11. September 2020 mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf Z 1, 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Eine Ausgeschlossenheit der erkennenden Richter erblickt die Besetzungsrüge (Z 1 iVm § 43 Abs 1 Z 3 StPO) darin, dass das Erstgericht sich in einer „effektiven Beratungszeit von 14 Minuten“ nicht mit den „gesamten Beweismitteln gesetzmäßig auseinandergesetzt“ habe, sondern „aus subjektiver Sicht des Angeklagten das ausgesprochene Urteil … bereits vor Beratung festgestanden“ sei. Zudem habe die Verkündung des Urteils und die mündliche Begründung lediglich vier Minuten gedauert.

[5] Ausgeschlossenheit im Sinn des hier angesprochenen § 43 Abs 1 Z 3 StPO liegt vor, wenn aufgrund des äußeren Anscheins der objektiv gerechtfertigte Eindruck entsteht, dass ein Richter nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit an die Sache herantritt, somit unsachliche Motive eine unparteiische Entscheidungsfindung hemmen (RIS‑Justiz RS0096914, RS0096880). Die bloß subjektive Besorgnis einer Ausgeschlossenheit genügt nicht (RIS‑Justiz RS0097086).

[6] Mit ihren unsubstanziierten Behauptungen und pauschalen Spekulationen gelingt es der Rüge ebenso wenig die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit der erkennenden Richter in Zweifel zu ziehen wie mit Überlegungen zum unterschiedlichen Strafausmaß eines – in einem anderen Verfahren verurteilten – Mittäters und dem Hinweis auf ein – erst nach Urteilsfällung – zum Akt gekommenes Schriftstück (ON 48). Vielmehr erschöpft sich das Beschwerdevorbringen in einer Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung.

[7] Dass die Tatrichter den Aussagen des Zeugen Sa***** und der Zeugin H***** im Ermittlungsverfahren Glaubwürdigkeit zumaßen (US 6: „keinen Zweifel an der Richtigkeit der Erstangaben“), ihren einschränkenden Angaben in der Hauptverhandlung aber keinen Glauben schenkten (US 7), stellt keinen Widerspruch im Sinn des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes (Z 5 dritter Fall) dar (RIS‑Justiz RS0117402 [T8]).

[8] Mit der Aussage des Zeugen Sa*****, insbesondere auch mit seinen Angaben zum Suchtgiftbestellvorgang durch Senden von „Emojis“ am Mobiltelefon, haben sich die Tatrichter auseinandergesetzt (Z 5 zweiter Fall), daraus aber nicht die vom Angeklagten gewünschten Schlüsse gezogen (US 6 f; RIS‑Justiz RS0099599).

[9] Der Nichtigkeitsgrund nach Z 5a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, mit anderen Worten intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht ermöglicht (RIS‑Justiz RS0119583).

[10] Mit der Wiederholung des zur Mängelrüge (Z 5) erstatteten Vorbringens (vgl aber RIS‑Jusitz RS0115902), unterstützt durch den Hinweis darauf, dass Sa***** und H***** in der Hauptverhandlung – anders als im Ermittlungsverfahren – als Zeugen unter Wahrheitspflicht ausgesagt hätten, gelingt es der Tatsachenrüge (Z 5a) nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

[11] Weshalb der Umstand, dass der Schöffensenat die Aussagen dieser Zeugen in der Hauptverhandlung als Versuch wertete, den Angeklagten „wahrheitswidrig zu entlasten“ (US 7), eine „unvertretbare Feststellung“ sein sollte, die „eklatant gegen die Unschuldsvermutung verstößt“, bleibt unerfindlich.

[12] Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist ausschließlich der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt. Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat daher das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810).

[13] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) erschöpft sich in dem Vorbringen, „die zu Z 5 … ausgeführte Feststellungsrüge“ werde „als Rechtsfehler mangels Feststellungen geltend gemacht“. Damit wird der Nichtigkeitsgrund nicht deutlich und bestimmt zur Darstellung gebracht (vgl neuerlich RIS‑Jusitz RS0115902).

[14] Entgegen dem weiteren Vorbringen (Z 10, inhaltlich Z 5 vierter Fall) blieben die Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht unbegründet, sondern wurden – ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens und grundlegende Erfahrungssätze – auf die Vorstrafenbelastung des Angeklagten, die weitergegebenen Suchtgiftmengen und auf eine „lebensnahe Betrachtung des kriminellen Verhaltens“ (vgl RIS‑Justiz RS0098671, RS0116882) gestützt (US 9). Welche „diesbezüglichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite“ zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich gewesen wären, lässt die Beschwerde offen.

[15] Soweit der Beschwerdeführer die Feststellungen zum Tatzeitraum unter Anstellung eigener beweiswürdigender Erwägungen als aktenwidrig und widersprüchlich (Z 5 dritter und fünfter Fall) kritisiert, bekämpft er bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld.

[16] Die von der Subsumtionsrüge (Z 10) vermissten Feststellungen zum erweiterten Vorsatz (zu II./) finden sich auf US 5. Danach hat der Angeklagte das Kokain mit dem Vorsatz erworben und besessen, „dass er es durch Verkauf in Verkehr setzen werde“. Entgegen der weiteren Kritik wurde diese Konstatierung mit der Bezugnahme auf das „gesamte Verhalten des Angeklagten und seine Vorstrafenbelastung“ auch zureichend begründet (US 10; Z 5 vierter Fall).

[17] Indem die Beschwerde (Z 10) schließlich die Konstatierungen des Erstgerichts zu den jeweiligen Suchtgiftmengen und damit die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG bestreitet, geht sie nicht – wie dies bei der Geltendmachung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit erforderlich wäre (RIS‑Justiz RS0099810) – vom Urteilsinhalt aus (US 4).

[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[19] Die Beschwerde des Angeklagten (ON 53) gegen den Beschluss vom 7. April 2021 (ON 52), mit welchem sein Antrag auf Berichtigung des Protokolls über die Hauptverhandlung abgewiesen wurde, ist damit – ohne einer inhaltlichen Erwiderung zu bedürfen – erledigt, weil die Nichtigkeitsbeschwerde auch im Fall der beantragten Berichtigung erfolglos geblieben wäre (RIS‑Justiz RS0126057 [T2]).

[20] Zur Entscheidung über die Berufung ist demzufolge das Oberlandesgericht zuständig (§ 285i StPO).

[21] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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