OGH 4Ob74/21t

OGH4Ob74/21t22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache des Antragstellers Mag. A***** I*****, vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen den Antragsgegner G***** B*****, vertreten durch Achammer & Mennel Rechtsanwälte OG in Feldkirch, wegen Einräumung eines Notwegs, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 18. Februar 2021, GZ 3 R 306/20b-106, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00074.21T.0622.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Der Antragsteller ist schuldig, dem Antragsgegner die mit 1.047,88 EUR (darin 138,98 EUR USt und 214 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses zu Handen seiner Rechtsvertreterin binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Antragsteller erhielt im Jahr 1980 von der Gemeinde ein als Baufläche gewidmetes Grundstück geschenkt. Die Liegenschaft grenzt unmittelbar an das Elternhaus des Antragstellers, verfügt jedoch über keinen Anschluss an das öffentliche Wegenetz. Der Antragsteller beabsichtigt nun, das Grundstück zu bebauen. Die ihm am naheliegendst erscheinende Zufahrt ist jene über die bereits vorhandene Zufahrtsstraße über die Liegenschaft des Beklagten. Auch andere Anrainer besitzen ein Wegerecht über diese nicht asphaltierte, aber geschotterte und kompakte Straße. Dem Antragsteller wird dieses seitens des Antragsgegners verwehrt.

[2] Der Antragsteller begehrte mit seinem an das Erstgericht gerichteten Antrag, ihm und seinen Rechtsnachfolgern im Eigentum seiner Liegenschaft zu Lasten des Antragsgegners und dessen Rechtsnachfolgern im Eigentum seiner Liegenschaft einen näher bezeichneten Notweg in Form einer Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens für Wohnzwecke über den in der Natur vorhandenen Weg einzuräumen.

[3] Der Antragsgegner beantragte die Abweisung des Antrags. Die Gemeinde habe das Grundstück erworben, ohne dass ein Geh- und Fahrrecht für Wohnzwecke gegeben gewesen sei. Dies sei grob fahrlässig und vom Antragsteller mit zu vertreten. Außerdem bestünden alternative Zufahrtsmöglichkeiten über andere Grundstücke. Das Haus des Antragsgegners stehe direkt an der als Notweg vorgesehenen Straße und es gingen zwei Ausgänge sowie sein Schlafzimmer in diese Richtung; durch die Zunahme des Verkehrs werde sein Schlaf massiv gestört.

[4] Das Erstgericht gab dem Antrag statt und verpflichtete den Antragsteller zur Zahlung einer Entschädigung von 5.055 EUR. Die Liegenschaft des Klägers sei notleidend im Sinne des Notwegegesetzes (NWG), eine auffallende Sorglosigkeit des Antragstellers liege nicht vor. Eine Interessenabwägung falle zu Gunsten des Antragstellers aus, alternative Wegführungen gäbe es bei Berücksichtigung des Bodenbedarfs und des Kostenaufwands nicht. Der Notwegeinräumung auf einer bestehenden Weganlage oder der Erweiterung einer solchen sei gegenüber anderen Varianten der Vorzug zu geben. Der Umfang des Notwegs ergebe sich aus der Widmung als Bauland und der notwendigen Breite für die Erschließung mit einem Einfamilienhaus. Bei der Ermittlung der angemessenen Entschädigung sei einerseits auf die bereits bestehende Widmung der belasteten Liegenschaften, andererseits auch auf bereits bestehende Fahrrechte Bedacht zu nehmen.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, bemaß den Wert des Entscheidungsgegenstands mit 30.000 EUR übersteigend und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

[6] Der Antragsgegner beantragt mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs, den begehrten Notweg vollinhaltlich abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs zeigt jedoch keine erheblichen Rechtsfragen auf, ist somit nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.

[8] 1.1. Als Verfahrensmangel rügt der Revisionsrekurswerber, es seien die von ihm beantragten Gutachten verkehrstechnischer, psychiatrischer und liegenschaftsbezogener Art nicht eingeholt worden. Dem tatsächlich beigezogenen Sachverständigen habe die notwendige Fachkunde gefehlt.

[9] 1.2. Die Nichteinholung von (weiteren) Gutachten wurde bereits im Rekurs gerügt. Das Rekursgericht hat sich damit ausreichend auseinandergesetzt und den geltend gemachten Verfahrensmangel schließlich verneint. Ein in zweiter Instanz verneinter Verfahrensmangel kann aber im Revisionsrekursverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RS0030748).

[10] 2. Der Behandlung der Rechtsrüge ist voranzustellen, dass deren gesetzmäßige Ausführung das strikte Festhalten am konkret festgestellten Sachverhalt erfordert (RIS‑Justiz RS0043312; RS0043603 [T8]). Dies wird im Rechtsmittel nicht durchgehend beachtet.

[11] 2.1. So argumentiert der Revisionsrekurswerber etwa, dem Antragsteller sei die (behauptetermaßen) auffallende Sorglosigkeit der Gemeinde, von der er das verfahrensgegenständliche Grundstück geschenkt erhielt, deswegen zuzurechnen, weil ansonsten Grundstücksspekulationen Tür und Tor geöffnet werde. Es werde so möglich, Grundstücke von „geringem Wert“ ohne Zufahrt zu erwerben, sie einem „(angeblich) ahnungslosen Dritten“ zu übertragen und so aufzuwerten, was einen Vorteil für Grundstücksspekulanten zum Nachteil der Grundnachbarn bringe.

[12] 2.2. Es entspricht aber gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass auch der unentgeltliche, aber gutgläubige Erwerb einer Liegenschaft dem Anspruch auf Einräumung eines Notwegs nicht entgegensteht (RS0122191; 4 Ob 232/18y; 1 Ob 45/20d). Wird das Grundstück hingegen im Bewusstsein, dass kein Notwegerecht besteht, um einen (deswegen) geringen Preis erworben oder gar geschenkt, wäre die Einräumung eines Notwegs Rechtsmissbrauch und bestünde der Anspruch nicht (3 Ob 278/06p; 7 Ob 540/87). Der Revisionsrekurs stellt in diesem Zusammenhang keinen Bezug zum festgestellten Sachverhalt her und legt folglich auch nicht begründet dar, weshalb der Antragsteller hier rechtsmissbräuchlich vorgegangen sein soll. Solches ist auch nicht ersichtlich. Die Vorinstanzen haben sich ausführlich mit der Frage der Gutgläubigkeit des Antragstellers auseinandergesetzt und diese bejaht. Zudem zeigt der Revisionsrekurs auch nicht klar auf, worin die auffallende Sorglosigkeit der Gemeinde iSd § 2 Abs 1 NWG gelegen haben sollte. Die Behauptungen, die Gemeinde habe „sehenden Auges“ ein Grundstück ohne Anschluss an das öffentliche Wegenetz erworben (vgl RS0118115) und sie hätte im Verhandlungsweg nie ein Wegerecht erhalten (vgl RS0118156), zeigen jedenfalls keine grobe Fehlbeurteilung dieser Frage des Einzelfalls auf (vgl RS0071136).

[13] 3.1. Nach § 5 NWG müssen durch die Entschädigungssumme alle Schäden ersetzt werden, die der mit dem Notweg belasteten Liegenschaft zugefügt werden. Es ist zumindest die Verminderung des Verkehrswerts auszugleichen (RS0052925 [T8]). Welcher Betrag als Entschädigung angemessen ist, ist in erster Linie eine Ermessensfrage und stets eine Entscheidung des Einzelfalls (RS0087732 [T1, T2]). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung wird im Revisionsrekurs mit der Behauptung, der Antragsgegner müsse an der Wertsteigerung der Liegenschaft des Antragstellers teilhaben, nicht aufgezeigt. Derartiges ergibt sich zum einen nicht aus dem Wortlaut des § 5 Abs 1 NWG, der ausdrücklich nur auf die mit der Einräumung des Notwegs entstehenden Schäden an der belasteten Liegenschaft abstellt. Zum anderen entspricht es auch zum Enteignungsrecht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass Wertveränderungen aufgrund der Wirkungen oder Vorwirkungen der erst durch die Grundabtretung ermöglichten Erschließungsmaßnahmen außer Betracht zu bleiben haben (1 Ob 243/08d; RS0053595). Zwar liegt in der Begründung eines Notwegs keine Enteignung (7 Ob 319/99h), doch müsste der Revisionsrekurs angesichts der ähnlichen Interessenslage des Entschädigten zumindest darlegen, weshalb hier anderes gelten sollte. Im Übrigen bedarf es schon insoweit keiner Sachentscheidung des Obersten Gerichtshofs, weil das Rechtsmittel keine konkrete Behauptung dazu enthält, welche Entschädigungssumme der Antragsgegner anstrebt. Schon deswegen ist seiner Anregung, eine Prüfung des § 2 NWG (der gar nicht die Entschädigung betrifft) durch den Verfassungsgerichtshof zu veranlassen, nicht zu folgen.

[14] 3.2. Dass auch für die dauernden Belastungen durch die Ausübung des Notwegerechts ein einmaliger Kapitalbetrag zu leisten ist, ergibt sich aus dem insoweit eindeutigen § 5 Abs 1 NWG. Welche höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vermisst wird, führt der Revisionsrekurs nicht näher aus. Im Übrigen ist auch zu diesem Punkt darauf hinzuweisen, dass der Antragsgegner zwar meint, mit der festgesetzten Entschädigung „abgespeist“ worden zu sein, jedoch nicht angibt, welche Entschädigung er selbst für angemessen hält.

[15] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 25 Abs 1 NWG. Eine Kostenersatzpflicht trifft nur den Eigentümer des notleidenden Grundstücks (vgl zuletzt 4 Ob 56/20v).

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