European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128110
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG iVm § 9 Abs 3 NWG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1. Nach § 2 Abs 1 NWG ist das Begehren auf Einräumung eines Notwegs dann unzulässig, wenn der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Eine auffallende Sorglosigkeit ist dem Eigentümer einer Liegenschaft dann anzulasten, wenn er selbst als sorglos anzusehen ist oder ihm die Sorglosigkeit seines (Einzel‑)Rechtsvorgängers aus besonderen Umständen zurechenbar ist, zB weil er sie kannte oder kennen musste (1 Ob 122/08k = immolex 2009/106, 287 [Cerha] = RIS‑Justiz RS0071087 [T4]; Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 2 NWG Rz 16). Die Fehleinschätzung des Wegebedarfs durch den Eigentümer der notleidenden Liegenschaft indiziert in der Regel eine auffallende Sorglosigkeit iSd § 2 Abs 1 NWG (RS0071038 [T2]; RS0071074 [T2]). Dahinter steht dabei der Gedanke des qualifiziert selbstverschuldeten Notstands (6 Ob 711/84 mwN). Ob der Eigentümer des notleidenden Grundstücks auffallend sorglos gehandelt hat, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0071136 [T2, T5, T7]; vgl RS0071051 [T1]).
1.2. Eine zu korrigierende Fehlbeurteilung dieser Rechtsfrage durch das Rekursgericht vermag der Antragsgegner nicht aufzuzeigen: Der Vater des Antragstellers hatte den „notleidenden“ Grund 2015 geerbt und diesen dem Antragsteller im selben Jahr geschenkt. Sowohl der Antragsteller als auch sein Vater gingen aufgrund der Vereinbarung aus dem Jahr 1931, die in einer Niederschrift über eine Bauverhandlung über die Errichtung des Wohnhauses auf dem Grundstück des Antragsgegners festgehalten wurde, von einem unbeschränkten Geh- und Fahrrecht über das Grundstück des Antragsgegners zu Gunsten ihrer seit 1978 als Bauland gewidmeten Liegenschaft aus. Das Grundstück des Antragstellers wurde seit jeher und bis zuletzt landwirtschaftlich genutzt. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Antragsteller und sein Vater aufgrund des Inhalts der Niederschrift über die Bauverhandlung davon ausgehen durften, dass ein vertraglich eingeräumtes Geh‑ und Fahrrecht besteht, und es für sie keinen Anlass gab, weitere Erkundigungen anzustellen oder juristischen Rat einzuholen, weil sich aus dieser Urkunde keinerlei Hinweise einer Einschränkung der Servitut auf ausschließlich landwirtschaftliche Zwecke ergaben, ist im konkreten Einzelfall nicht zu beanstanden. Sie hätten anlässlich des jeweiligen Erwerbs davon ausgehen dürfen, dass ihr Grundstück über eine ausreichende Verbindung zum öffentlichen Wegnetz verfüge.
Der Antragsgegner geht selbst davon aus, dass der Antragsteller und sein Vater als sein Rechtsvorgänger „natürlich“ von einem Wegerecht ausgegangen seien, vermeint aber, dass sie die Rechtslage auffallend sorglos falsch eingeschätzt und deshalb keine ausreichende Vorsorge für eine Verbindung zur öffentlichen Straße getroffen hätten. Nach den Feststellungen erfolgten in den Jahren 1933, 1950 und 1965 Grundstücksteilungen, die das Grundstück des Antragstellers betrafen. Der Vater des Antragstellers erbte dieses Grundstück erst 2015. Welche konkreten Möglichkeiten nun für den Vater – als Gesamtrechtsnachfolger der früheren Eigentümerin – bzw den Antragsteller nach den bereits lange zurückliegenden Teilungsvorgängen bestanden haben könnten, eine Wegverbindung zu erlangen, wird vom Revisionsrekurswerber nicht einmal ansatzweise erörtert; vermutlich hätte auch damals nur die Möglichkeit bestanden, einen Notweg über das Grundstück 602 zu beantragen. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass dem Antragsteller keine auffallende Sorglosigkeit iSd § 2 Abs 1 NWG angelastet werden kann, wird von den Rechtsmittelausführungen in keiner Weise erschüttert.
2.1. Die in § 4 Abs 1 Satz 2 NWG normierte Interessenabwägung, einerseits „fremde Liegenschaften möglichst wenig zu belasten und deren Eigentümer möglichst wenig zu belästigen“, andererseits möglichst geringe Auslagen zu verursachen und insbesondere die Fälle der Bewilligung einer Weganlage möglichst einzuschränken, ergänzt die Interessenabwägung nach § 2 NWG. Es werden die Berücksichtigung gegenläufiger Interessen und die restriktive Handhabung bei der Einräumung von Notwegen betont (Prinzip der schonenden Ausübung; Neumayer aaO § 4 NWG Rz 2). Grundsätzlich soll jener Eigentümer zur Duldung des Notwegs herangezogen werden, für den die Bestellung am wenigsten empfindlich ist (RS0070896; RS0071034; Egglmeier‑Schmolke in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 4 NWG Rz 1).
2.2. Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Vorinstanzen dem Antragsteller als Eigentümer der notleidenden Liegenschaft einen Notweg in Form der uneingeschränkten Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens über das im Eigentum des Antragsgegners stehende Grundstück in einer Breite von 3,5 m samt einem bestimmten Einfahrtstrichter bei der Einmündung eingeräumt. Die Marktgemeinde, in der die Liegenschaft liegt, fordert für einen Zufahrtsweg eine Mindestbreite von 3,5 m und prüft für den Fall einer geringeren Breite, ob diese ausreichend ist. Nach den ergänzenden Feststellungen des Rekursgerichts müsste dann, wenn die Zufahrt zum Grundstück des Antragstellers nicht mehr geradlinig geführt würde (also nicht wie über das Grundstück des Antragsgegners), die Feuerwehr‑Zufahrt gemäß Punkt 3.2 TRVB 134 F („Technische Richtlinien vorbeugender Brandschutz, Flächen für die Feuerwehr auf Grundstücken“) zumindest 4 m breit sein. Der Revisionsrekurswerber vermag keine Fehlbeurteilung der Vorinstanzen aufzuzeigen, die annahmen, dass keine vergleichbare Alternative für die Zufahrt zur Liegenschaft des Antragstellers bestünde.
Der Revisionsrekurswerber geht ebenfalls davon aus, dass die Bauvorschriften der Marktgemeinde eine Mindestbreite von 3,5 m für die Zufahrt vorsehen. Er unternimmt nicht den Versuch darzulegen, inwiefern eine Breite des Notwegs von 3 m im konkreten Fall doch ausreichend wäre. Fragen der Beweislast stellen sich in diesem Zusammenhang nicht. Ob den Bestimmungen der TRVB „normative Kraft“ zukommt, ist nicht relevant; das wird vom Rekursgericht auch nicht behauptet. Vielmehr zieht es diese Technische Richtlinie zur Beurteilung heran, dass es keine andere adäquate Zufahrtsmöglichkeit zur Liegenschaft des Antragstellers gibt.
3. Das Erstgericht hat eine detaillierte Skizze zum integrierenden Bestandteil des Urteilsspruchs erklärt und auf den darin dargestellten Zufahrtsweg Bezug genommen. Dadurch ist der Verlauf des vom Urteilsspruch erfassten Zufahrtswegs (Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens) ausreichend bestimmt. Die Beschreibung von Wegerechten durch Bezugnahme auf einen Lage‑ oder Vermessungsplan oder auf eine Skizze, die zum Gegenstand des Urteilsspruchs gemacht werden, ist nach der Rechtsprechung zulässig (8 Ob 59/17k; 1 Ob 128/18g, jeweils mwN). Die Behauptung des Antragsgegners, die händische Skizze erfülle die gesetzlichen Bestimmtheitserfordernisse für die Begründung eines Notwegs nicht, wird nicht näher ausgeführt. Wenn das Rekursgericht vermeinte, die Einholung eines Vermessungsplans sei im vorliegenden Fall nicht erforderlich, erscheint dies unbedenklich.
4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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