OGH 4Ob232/18y

OGH4Ob232/18y27.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin A* H*, vertreten durch Dr. Manfred Rath, Rechtsanwalt in Graz, gegen die Antragsgegnerin A* B*, vertreten durch Dr. Peter Fürnschuß, Rechtsanwalt in Stainz, wegen Einräumung eines Notwegs, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 20. September 2018, GZ 5 R 108/18s‑13, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Deutschlandsberg vom 19. Mai 2018, GZ 101 Nc 2/17 h‑9 aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123682

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses der Antragsgegnerin wird der Endentscheidung vorbehalten.

Der Antrag der Antragstellerin, ihr die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen, wird abgewiesen.

 

Begründung:

Die Antragstellerin erwarb 1997 von ihren Eltern zwei Grundstücke schenkungsweise, die vom übrigen Gutsbestand der Eltern bücherlich abgeschrieben wurden. Diese Grundstücke sind nur über einen Weg erreichbar, der nach Osten über die Grundstücke der Antragsgegnerin führt. Diesbezüglich behaupteten die Eltern der Antragstellerin das Bestehen einer (außerbücherlichen) Servitut. Im Zuge der Abschreibung wurde 1997 ein Teilungsplan erstellt, aus dem ein entsprechender Servitutsweg ersichtlich ist. Aufgrund der Behauptung ihrer Eltern und ihrer grundbücherlichen Einsicht in den Teilungsplan ging die Antragstellerin davon aus, dass ihr in Bezug auf die Grundstücke der Antragsgegnerin (bzw deren Rechtsvorgänger) seit 30 Jahren ein Geh- und Fahrrecht zukommt. Bei der Antragsgegnerin bzw deren Ehegatten erkundigte sich die Antragstellerin nicht. Der Vertragserrichter der Schenkung empfahl der Antragstellerin den Abschluss einer entsprechenden „Servitutsvereinbarung“, in der der Rechtsvorgänger der Antragsgegnerin den Bestand der Servitut bestätigen sollte, was nicht geschah.

Die Eltern der Antragstellerin verkauften ihre an die (nunmehrige) Liegenschaft der Antragstellerin im Westen und Südwesten angrenzenden Grundstücke in den Jahren 1974 und 2015 an Dritte. Zugunsten eines verkauften Grundstücks räumte die Antragsgegnerin ein Wegerecht über ihre Liegenschaften ein.

Gestützt auf Ersitzung erhob die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin im Jahr 2014 vor dem Erstgericht eine Klage auf Feststellung einer Servitut und Zustimmung zur Einverleibung. Diese Klage wurde mit Urteil vom 28. 6. 2015 rechtskräftig abgewiesen.

Die Antragstellerin begehrt die Einräumung eines Notwegs nach dem NWG über einen bereits in der Natur bestehenden Weg. Sie brachte vor, dass sie über keine Zufahrt zu ihren Grundstücken verfüge und ihre Liegenschaft nicht nutzen könne. Da die Antragsgegnerin bereits eine Dienstbarkeit für ein Grundstück eines Dritten eingeräumt habe, überwögen bei Einräumung eines Notwegs die Vorteile der Antragstellerin die Nachteile der Antragsgegnerin. Die von der Antragstellerin für bestehend erachtete Servitut sei für sie völlig überraschend gerichtlich verneint worden. Von ihren Eltern sei – was jedoch nicht ihr anzulasten sei – im Zuge der zahlreichen Grundstücksteilungen und Eigentumsübertragungen offenbar einfach übersehen worden, für eine rechtlich gesicherte Zufahrt zu den Grundstücken der Antragstellerin zu sorgen.

Die Antragsgegnerin warf der Antragstellerin vor, sie habe beim Abschluss des Schenkungsvertrags unterlassen, entsprechende Abklärungen über das Bestehen einer Servitut vorzunehmen. Es wäre ihr noch möglich gewesen, von ihren Eltern als damaligen Eigentümern der angrenzenden Grundstücke eine andere Zufahrtsmöglichkeit Richtung Westen einzufordern.

Das Erstgericht wies das Begehren ab. Der Antragstellerin sei eine auffallende Sorglosigkeit anzulasten. Sie habe es verabsäumt, mit der Antragsgegnerin vor der Schenkung Kontakt aufzunehmen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin Folge, hob die Entscheidung des Erstgerichts auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung auf. Es beurteilte die Vorgangsweise der Antragstellerin unter anderem deshalb nicht als auffallend sorglos, weil es aus den Feststellungen nicht ableiten konnte, dass die Antragstellerin bei Erwerb ihrer Liegenschaft eine realistische Alternative gehabt hätte, eine Anbindung an das öffentliche Straßennetz zu erreichen. Die Antragstellerin, die von einer ersessenen Dienstbarkeit über die Liegenschaft der Antragsgegnerin ausgegangen sei, habe den Mangel der Wegverbindung jedenfalls nicht gekannt oder sich damit abgefunden. Der Mangel der Wegverbindung habe bereits zum Zeitpunkt des Erwerbs bestanden, sodass auch bei Vornahme von Nachforschungen im Grundbuch oder bei der Antragsgegnerin keine auffallende Sorglosigkeit im Sinne des § 2 Abs 1 NWG vorliege. Im Hinblick auf die nach dem NWG zu leistende Entschädigung sei die Sache noch nicht entscheidungsreif.

Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs für zulässig, weil es der Antragstellerin nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin möglich gewesen wäre, von ihren Eltern als Geschenkgeber eine andere Zufahrtsmöglichkeit nach Westen her einzufordern. Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts sei es nicht ausgeschlossen, deshalb eine auffallende Sorglosigkeit anzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Antragsgegnerin erhobene Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.

1. Gegenstand des Rechtsmittels ist ausschließlich die Frage, ob der Antragstellerin eine auffallende Sorglosigkeit vorzuwerfen ist. Sonstige von den Vorinstanzen zur Einräumung eines Notwegerechts bejahte Fragen werden im Rechtsmittel nicht (mehr) aufgeworfen. Das gilt auch für die vom Rekursgericht vertretene Rechtsansicht, dass der Antragstellerin eine allfällige Sorglosigkeit ihrer Eltern im Zuge der mannigfaltigen Liegenschaftsverkäufe und Abschreibungen nicht zurechenbar sei. Das Rechtsmittel kommt darauf nicht mehr zurück, sodass dieser Umstand vom Senat nicht zu prüfen ist (RIS‑Justiz RS0043338 [T15]).

2. Nach § 2 Abs 1 NWG ist das Begehren auf Einräumung eines Notwegs dann unzulässig, wenn der Mangel der Wegverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Die Beurteilung, ob der Eigentümer des notleidenden Grundstücks auffallend sorglos gehandelt hat, ist zwar stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0071051 [T1], RS0071136 [T2; T5; T7]). Eine abschließende Beurteilung ist im jetzigen Verfahrensstadium allerdings noch nicht möglich, weil dazu die notwendigen Feststellungen fehlen.

3. Der Begriff der „auffallenden Sorglosigkeit“ gemäß § 2 Abs 1 NWG entspricht jenem des § 1324 ABGB, dem Antragsteller muss daher grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden können (RIS‑Justiz RS0071130). Auffallende Sorglosigkeit wird in der Rechtsprechung immer dann angenommen, wenn die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlicher Weise vernachlässigt wurde und dieser objektiv besonders schwerwiegende Sorgfaltsverstoß auch subjektiv vorwerfbar ist (RIS‑Justiz RS0071130 [T2]). Der schuldlose und damit schutzwürdige Erwerber oder Eigentümer einer Liegenschaft soll geschützt werden (RIS‑Justiz RS0071074).

4.1 Nach der Judikatur liegt in der Unterlassung der rechtzeitigen Verbücherung eines (angeblich durch Ersitzung erworbenen) Wegerechts für sich alleine noch keine zum Ausschluss des Rechts auf Einräumung eines Notwegs führende auffallende Sorglosigkeit (RIS‑Justiz RS0071123). Nach gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 154/09g mwN) liegt auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers einer Liegenschaft im Sinne des § 2 Abs 1 NWG auch nicht schon in der Kenntnis des Erwerbs einer Liegenschaft ohne ausreichende Anbindung an das öffentliche Wegenetz, wobei die Unterlassung des Versuchs der Herstellung einer Wegeverbindung vor dem Erwerb der Liegenschaft beziehungsweise die Einholung von Erkundigungen über allfällige Wegeverbindungen vor dem Liegenschaftserwerb keinen Selbstzweck bilden (RIS‑Justiz RS0118156).

4.2 Insoweit ist der Ansicht des Rekursgerichts, dass in unterlassenen Recherchen der Antragstellerin zum Zeitpunkt des Schenkungsvertrags keine (relevante) auffallende Sorglosigkeit liege, weil bereits zu diesem Zeitpunkt das Erfordernis der Erwirkung eines Notwegs bestanden habe, nicht entgegenzutreten.

5.1 Auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers liegt freilich dann vor, wenn der Erwerber bei vorherigem Bemühen um die Erlangung einer Wegeverbindung oder durch Erkundigungen eine an die Stelle der Begründung eines Notwegs tretende zumutbare Alternative zur Herstellung der (die ordentliche Bewirtschaftung oder Benützung seiner Liegenschaft erst ermöglichenden) Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz hätte in Erfahrung bringen können, wenn es ihm also vor dem Erwerb der Liegenschaft tatsächlich möglich gewesen wäre, den Wegmangel zu verhindern (3 Ob 154/09g, 6 Ob 36/16m mwN; RIS‑Justiz RS0118156).

5.2 Diesbezüglich hat die Antragsgegnerin vorgebracht, es sei der Antragstellerin vor der Schenkung möglich gewesen, von den Geschenkgebern (ihren Eltern) eine Zufahrt nach Westen einzufordern. Dazu haben die Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen. Es bleibt daher offen, ob eine solche Alternative bestanden hat. Im Hinblick auf die behauptete (1997 angeblich noch) mögliche Wegalternative sind daher ergänzende Feststellungen erforderlich (vgl auch 4 Ob 5/15m).

5.3 Der diesbezüglich vorliegende rechtliche Feststellungsmangel kann – entgegen dem Vorbringen im Rechtsmittel – auch nicht im Hinblick auf die Beweislastverteilung verneint werden. Die Regelungen über die Beweislast kommen nur dann zur Anwendung, wenn die Beweisergebnisse nach der Überzeugung des Gerichts nicht ausreichen, um einen entscheidungswesentlichen Tatumstand als erwiesen oder als nicht erwiesen anzunehmen, sodass die freie Beweiswürdigung zu keinem Ergebnis führt (RIS-Justiz RS0039903). Bei einem rechtlichen Feststellungsmangel hat es das Gericht jedoch aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung unterlassen, zu einem relevanten Umstand überhaupt Feststellungen oder Negativfeststellungen zu treffen.

6. Damit kann die Frage der auffallenden Sorglosigkeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Im Ergebnis muss es daher bei der aufhebenden Entscheidung bleiben, weshalb dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben war. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben, damit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs 1 NWG rechtlich geprüft werden kann.

7. Die Entscheidung über die Kosten der Antragstellerin im Revisionsrekursverfahren gründet sich auf § 25 Abs 1 NWG idF des AußStr‑BegleitG, der Kostenvorbehalt auf § 78 Abs 1 zweiter Satz AußStrG. In Verfahren über die Einräumung von Notwegen kommt ausnahmslos nur noch eine Kostenersatzpflicht der Eigentümer des notleidenden Grundstücks, hier also der Antragstellerin, in Betracht (RIS‑Justiz RS0071335 [T3]). Ein Kostenzuspruch an diese ist somit generell ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0071335).

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