European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129787
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss insgesamt zu lauten hat:
1. Zur Sicherung des Anspruchs auf Wohnungserhaltung wird dem Gegner der gefährdeten Partei verboten, über die in der Stiftungsurkunde vom 19. Juli 1995/20. Februar 2002 bezeichnete eheliche Wohnung im landwirtschaftlichen Betriebsgebäude *, inneliegend EZ *, KG *, rechtsgeschäftlich zu verfügen, insbesondere diese zu veräußern, zu verpfänden und/oder zu vermieten.
2. Die gefährdete Partei hat die Klage zur Geltendmachung des gesicherten Anspruchs binnen drei Monaten ab Zustellung dieser Entscheidung bei Gericht einzubringen.
3. Diese einstweilige Verfügung gilt (vorbehaltlich ihrer Rechtfertigung) bis zur Rechtskraft des Verfahrens über die Rechtfertigungsklage oder der gegebenenfalls früheren Rechtskraft der Ehescheidung.
4. Hingegen wird das Mehrbegehren, dem Gegner der gefährdeten Partei werde weiters verboten, über die bezeichnete Ehewohnung durch Auflösung der Liegenschaftseigentümerin S* Privatstiftung (FN *) rechtsgeschäftlich zu verfügen, sowie ein Veräußerungs‑ und Belastungsverbot zu Gunsten der gefährdeten Partei ob der Liegenschaft EZ *, KG * einzutragen, abgewiesen.
5. Der Antrag, der Gegner der gefährdeten Partei sei schuldig, der gefährdeten Partei binnen 14 Tagen die Verfahrenskosten zu ersetzen, wird abgewiesen.
6. Die gefährdete Partei, die ihre Kosten des Sicherungsverfahrens im Umfang der Stattgebung vorläufig und im Umfang der Abweisung endgültig selbst zu tragen hat, ist schuldig, dem Gegner der gefährdeten Partei die mit 125,87 EUR (davon 20,89 EUR USt) bestimmten Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die gefährdete Partei (idF: Frau) ist seit mehr als 30 Jahren mit dem Gegner der gefährdeten Partei (idF: Mann) verheiratet. Beim Bezirksgericht S* behängt seit Jänner 2020 die vom Mann eingebrachte Ehescheidungsklage. Die eheliche Wohnung befindet sich seit jeher in P*, im landwirtschaftlichen Betriebsgebäude des sogenannten M*. Eigentümer dieser Liegenschaft ist die S* Privatstiftung, deren Stifter und Letztbegünstigter der Mann ist. Nach der Stiftungsurkunde vom 19. 7. 1995 ist Zweck der Stiftung die Versorgung der Begünstigten, die einheitliche Erhaltung und Vermehrung des der Stiftung gewidmeten Vermögens und der Betrieb und die Erhaltung von Land- und Forstwirtschaften. Die Stiftung räumte dem Mann und der Frau die Dienstbarkeit des lebenslänglichen und unentgeltlichen Fruchtgenusses an sämtlichen Liegenschaften ein. Der Mann änderte am 20. 2. 2002 die Stiftungsurkunde, so dass die Stiftung beiden Ehegatten die Dienstbarkeit des lebenslänglichen und unentgeltlichen Wohnungsrechts an der Wohnung im Betriebsgebäude einräumt. Eine grundbücherliche Eintragung erfolgte nicht.
Der Mann widerrief mit Erklärung vom 26. 5. 2020 die Stiftung. Zur rascheren Abwicklung der Auflösung der Stiftung wurde den Stiftungsvorständen vorgeschlagen, seinem Rechtsanwalt Vollmacht zur Fassung des Auflösungsbeschlusses zu erteilen. Nach der Stiftungsurkunde hat der Stiftungsvorstand im Falle des Widerrufs dafür Sorge zu tragen, dass die der Stiftung gewidmeten Vermögenswerte wieder in das uneingeschränkte Eigentum des Stifters übergehen.
Die Ehewohnungdient der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses der Frau. Zudem entspricht sie dem Wohnkomfort, der den ehelichen Verhältnissen vor Einbringung der Scheidungsklage entsprach. Der Mann lebt mit seiner Lebensgefährtin in einer Wohnung in S*. Er kündigte bereits seit Wochen an, dass er mit seiner neuen Partnerin im Haus leben wolle und „besichtigte“ dieses sogar mit ihr. Er verlangte immer wieder, dass die Frau die Liegenschaft verlasse.
Mit Antragvom 5. 6. 2020 beantragte die Frau die einstweilige Verfügung wie im Spruch ersichtlich.
Das Erstgericht erließ diese ohne Anhörung des Mannes antragsgemäß. Bei der Beurteilung, ob der andere Ehegatte den Wohnungserhaltungsanspruch gefährde, sei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzustellen. Stehe daher die Ehewohnung im Eigentum einer juristischen Person und habe der andere Ehegatte auf diese beherrschenden Einfluss, sei er als Verfügungsberechtigter anzusehen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Das der Frau eingeräumte Recht sei nicht verbüchert, und daher ein von dieser Last freier Erwerb der Ehewohnung durch gutgläubige Dritte bei entsprechender rechtsgeschäftlicher Disposition des Mannes denkbar. Die gewählten Sicherungsmaßnahmen seien als zulässiges Sicherungsmittel anzusehen, zumal von einer wirtschaftlichen Identität der Privatstiftung mit dem Stifter auszugehen sei, die im Fall des Widerrufs der Privatstiftung entstehe. Zutreffend habe das Erstgericht in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, dass der Mann auch Letztbegünstigter sei, und ihm daher das verbleibende Vermögen der aufgelösten Privatstiftung in die volle Verfügungsberechtigung zu übertragen sei. Es unterliege letztlich auch der Disposition des Mannes, die Stiftung im Wege einer Antragstellung nach § 35 Abs 3 PSG zur Auflösung zu bringen, sodass im relevanten Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz das Verbot einer Auflösung der Stiftung trotz einer bereits vorliegenden Widerrufserklärung des Mannes noch angezeigt gewesen sei.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekursdes Mannes, mit einem Abänderungantrag. Er macht ausschließlich geltend, dass die Privatstiftung den Auflösungsbeschluss zu fassen habe, sodass das Verbot auch ihr gegenüber ausgesprochen werden müsse. Das Veräußerungs- und Belastungsverbot gegen den Revisionsrekurswerber gehe ins Leere, weil er nicht Eigentümer der Liegenschaft sei. Er sei nicht Organ der Privatstiftung. Gegen Dritte bestehe aber nur dann ein Anspruch auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 97 ABGB, wenn diese schuldhaft das Forderungsrecht beeinträchtigten. Dies liege hier schon deshalb nicht vor, weil der Vorstand verpflichtet sei, den Auflösungsbeschluss zu fassen.
Die Frau beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.
Der Revisonsrekurs ist zulässig, weil die Vorinstanzen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sind; er ist auch teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Anspruch nach § 97 ABGB setzt die Verfügungsbefugnis des anderen Ehegatten voraus. Ist ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt, so hat letzterer nach § 97 ABGB einen Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlasse und vorkehre, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere (RS0047376). Der verfügungsberechtigte Ehegatte hat das Interesse des anderen an der Wohnungsnutzung so zu wahren, wie ein verständiger und vorsorglicher Benützer die eigenen Interessen wahren würde (RS0009534 [T4]). Er hat in Erfüllung seiner Beistandspflichten auch jede einseitige rechtliche oder tatsächliche Veränderung zu unterlassen, die dem auf die Wohnung angewiesenen Ehegatten die Voraussetzungen der Wohnungsnutzung erschwert (RS0009534 [T3]). Es macht keinen Unterschied, ob er Eigentümer, Wohnungseigentümer, Mitglied einer Genossenschaft oder Mieter ist (RS0047318). Die Verfügungsbefugnis kann sich auch aus der Stellung in einer Gesellschaft ergeben (7 Ob 86/03b; 10 Ob 81/11a; 8 Ob 44/19g; RS0009553 [T5]). Die mittelbare Verfügungsbefugnis des anderen Ehegatten im Rahmen einer Gesellschaft, in der ihm (bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise) aufgrund seiner organschaftlichen Stellung ein beherrschender Einfluss zusteht, genügt für die Annahme einer Verfügungsberechtigung im Sinn des § 97 ABGB über die Wohnung, die im Eigentum der Gesellschaft steht (7 Ob 86/03b; 4 Ob 119/14z; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR § 97 ABGB Rz 12).
2. Zwar entsteht unbeschadet des Vorbehalts eines Widerrufs die Privatstiftung mit Eintragung im Firmenbuch (5 Ob 228/01t), das Prinzip der vollständigen Trennung der Stiftung vom Stifter wird aber aufgeweicht, wenn sich der Stifter das Recht der Änderung der Stiftungserklärung oder das Widerrufsrecht vorbehält (3 Ob 177/10s) und er das Zugriffsrecht auf das gewidmete Vermögen nicht verliert (6 Ob 106/03m). In Bezug auf Privatstiftungen ist daher das grundsätzlich bestehende Prinzip der vollständigen Trennung der Stiftung vom Stifter solange nicht verwirklicht, als sich der Stifter Änderungs- oder Widerrufsrechte vorbehält (RS0115134 [T8] = 6 Ob 49/07k; 6 Ob 61/04w).
3. Hier hat sich der Mann als Stifter das Widerrufsrecht vorbehalten (und auch bereits ausgeübt), in welchem Fall der Vorstand der Privatstiftung gemäß § 35 Abs 2 Z 1 PSG deren Auflösung zu beschließen und nach der Stiftungsurkunde dafür zu sorgen hat, dass die Vermögenswerte der Stiftung – darunter auch die Liegenschaft, auf der sich die Ehewohnung befindet – dem Stifter als Letztbegünstigten zukommen. Es ist daher von einer wirtschaftlichen Identität im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung auszugehen.
4. Die aus § 97 ABGB abzuleitenden Ansprüche können gemäß § 382h EO (vormals § 382e EO) gesichert werden. Diese Bestimmung umfasst sowohl Ansprüche eines Ehegatten auf Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses als auch Ansprüche, die aus der Verletzung dieses Wohnungserhaltungsanspruchs resultieren (2 Ob 140/10t mwN). Der Wohnungserhaltungsanspruch gemäß § 97 ABGB kann auch mit einer Maßnahme nach § 382 Z 6 EO (Veräußerungs‑ und Belastungsverbot) gesichert werden (2 Ob 140/10t = RS0115045 [T5]).
5. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann zwar im Allgemeinen ein Belastungs- und Veräußerungsverbot nach § 382 Abs 1 Z 6 EO nur hinsichtlich einer Liegenschaft erlassen werden, bei der das Eigentumsrecht des Gegners der gefährdeten Partei einverleibt ist (RS0005143 [T3]). Hinsichtlich einer nicht im Eigentum des Gegners der gefährdeten Partei stehenden Liegenschaft kommt die Erlassung des Verbots nach § 382 Z 6 EO nicht in Frage, sondern nur ein Drittverbot nach § 382 Z 7 EO (RS0005094). Der Umstand, dass ein Belastungs- und Veräußerungsverbot hinsichtlich einer Liegenschaft wegen des Grundbuchstands im Zeitpunkt der Erlassung nicht im Grundbuch eingetragen werden kann, steht aber der Erlassung des Verbots nicht grundsätzlich entgegen (8 Ob 40/71; RS0005056; vgl RS0075152). Das Verbot kann ohne die beantragte bücherliche Eintragung erlassen werden (vgl Kodek in Angst/Oberhammer EO³ § 382 Rz 18), weil es geeignet ist, Rechtswirkungen – wenn auch nicht solche grundbuchsrechtlicher Art – hinsichtlich weiterer rechtsgeschäftlicher Verfügungen des damit Belasteten nach sich zu ziehen (8 Ob 40/71).
6. Da der Mann nicht Eigentümer der Liegenschaft ist, auf der sich die zu sichernde Wohnung befindet, sondern die in Liquidation befindliche Privatstiftung, sodass deren Liegenschaft mit der Ehewohnung in Kürze dem Mann zufallen wird, kann derzeit zwar das begehrte Veräußerungs- und Belastungsverbot erlassen werden, dessen grundbücherliche Eintragung aber nicht erfolgen. Daher war der Antrag insoweit abzuweisen.
In Bezug auf das beantragte Verfügungsverbot betreffend die Auflösung der Privatstiftung hat der Mann bereits vor dem hier zugrundeliegenden Antrag den ihm zukommenden Beitrag durch Erklärung des Widerrufs geleistet. Ein diesbezügliches Verbot ginge daher ins Leere. Da die Antragstellerin nicht dargelegt hat, welche konkreten weiteren, zu verbietenden Schritte dem Antragsgegner in diesem Zusammenhang aufgrund welcher Umstände noch möglich sein könnten, war das begehrte Vefügungsverbot in Bezug auf die Auflösung der Privatstiftung abzuweisen. Der vom Rekursgericht erwogene Antrag nach § 35 Abs 3 PSG war nicht Gegenstand des erstgerichtlichen Antrags.
7. Die spruchmäßige Befristung der einstweiligen Verfügung muss zunächst auf den Rechtfertigungsprozess abstellen (vgl 9 Ob 226/02d) und den möglichen Wegfall der Anspruchsgrundlage durch eine frühere Scheidung berücksichtigen.
8. Eine einstweilige Verfügung gegen die Privatstiftung wurde nicht beantragt. Die Ausführungen des Revisionsrekurswerbers zum Anspruch gegen Dritte und dazu, dass der Stiftungsvorstand nicht anders handeln könne, weil er zur Fassung des Auflösungsbeschlusses verpflichtet sei, gehen daher ins Leere.
9. Gelingt dem Beklagten die Abwehr des Sicherungsantrags, dann ist die Entscheidung über seine Kosten des Sicherungsverfahrens nicht vorzubehalten, sondern er hat gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO, § 50 Abs 1 ZPO Anspruch auf Ersatz dieser Kosten. Gelingt ihm nur die Abwehr eines Teils des Sicherungsantrags, sind die Vorschriften der ZPO über die Kostenteilung zufolge § 393 Abs 1 EO, der einen Zuspruch von Kosten an den Kläger im Provisorialverfahren nicht ermöglicht, nicht anzuwenden. Der Beklagte hat vielmehr Anspruch auf Kostenersatz in jenem Ausmaß, in dem er im Provisorialverfahren erfolgreich war (1 Ob 14/04x mwN). Hier ist von einem Obsiegen des Mannes mit einem Viertel auszugehen. Es sind ihm daher die verzeichneten Kosten des mit dem Widerspruch verbundenen Rekurses zu einem Achtel sowie jene des Revisionsrekurses zu einem Viertel zu ersetzen (6 Ob 84/11p).
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