OGH 3Ob182/19i

OGH3Ob182/19i29.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.‑Doz. Dr. Rassi, die Hofrätin Mag. Korn, den Hofrat Mag. Painsi und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Exekutionssache der Antragstellerin D***** SE, ***** vertreten durch CHG Czernich Haidlen Gast & Partner Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, gegen die Antragsgegnerin Tschechische Republik, Ministerium der *****, vertreten durch Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Vollstreckbarerklärung, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. Juni 2019, GZ 46 R 165/19h‑14, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 14. Februar 2019, GZ 11 Nc 34/19b‑6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00182.19I.0429.000

 

Spruch:

I. Die Stellungnahme vom 21. Juni 2019 und die Urkundenvorlage vom 5. Dezember 2019 je der Antragstellerin sowie die Äußerung der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2019 werden zurückgewiesen.

II. Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 38.946,75 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Antragstellerin (ASt) begehrte die Vollstreckbarerklärung des von einem Ad-hoc-Schiedsgericht in der Tschechischen Republik erlassenen „Endgültigen Schiedsspruchs“ Rsp 06/2003 vom 4. August (richtig:) 2008 mit dem ua die Antragsgegnerin (AG) zur Zahlung von 4.089.716.666 CZK an Kapital und von 4.244.879.686 CZK an Zinsen verpflichtet wurde. Der Schiedsspruch sei rechtskräftig, weil das Überprüfungsschiedsgericht mit seinem Beschluss vom 23. Juli 2014 ausgesprochen habe, dass „das Verfahren“ eingestellt werde.

Das Erstgericht wies den Antrag ab, weil die Beglaubigung der Unterschriften der Schiedsrichter fehle.

Dem Rekurs der ASt erwiderte die AG in ihrer Rekursbeantwortung ua, der Anspruch auf Vollstreckbarerklärung bestehe dem Grunde nach nicht zu Recht, weil mit der Entscheidung des Überprüfungsschiedsgerichts das (gemeint: gesamte) Schiedsverfahren ohne Zuspruch an die ASt eingestellt worden sei. Zu 3 Ob 39/13a sei bereits geklärt worden, unter welchen – hier nicht vorliegenden – Voraussetzungen der Schiedsspruch verbindlich werde. Daher komme eine Vollstreckbarerklärung nach Art V NYÜ nicht in Betracht.

Das Rekursgericht wies einen Antrag der ASt, ihr eine Stellungnahme zu den in der Rekursbeantwortung vorgebrachten Anerkennungsverweigerungsgründen freizustellen, und die Äußerung der AG dazu wegen Verstoßes gegen die Einmaligkeit des Rechtsmittels zurück.

Dem Rekurs der ASt gab es nicht Folge. Mangels Bestreitung der Echtheit der Unterschriften der Schiedsrichter in der Rekursbeantwortung liege zwar der vom Erstgericht genannte Abweisungsgrund nicht (mehr) vor. Allerdings bedeute der Beschluss des Überprüfungsschiedssenats vom 23. Juli 2014 seinem Spruch und seiner Begründung nach eine Einstellung des gesamten Schiedsverfahrens. Damit sei der Schiedsspruch vom 4. August 2008 durch einen Einstellungsbeschluss des Überprüfungsschiedsgerichts ersetzt worden.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Einstellungsbeschluss in einem Schiedsüberprüfungsverfahren den zugrunde liegenden Schiedsspruch ersetze.

Nach der Beschlussfassung des Rekursgerichts (aber vor Zustellung der Rekursentscheidung) brachte die ASt am 25. Juni 2019 eine an dieses gerichtete Stellungnahme ein, in der sie der Argumentation der AG in der Rekursbeantwortung inhaltlich entgegentrat.

Die ASt erhob auch einen Revisionsrekurs wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Schiedsspruch vom 4. August (richtig) 2008 für vollstreckbar zu erklären; hilfsweise beantragte sie die Aufhebung.

Die AG beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm keine Folge zu geben.

Mit Urkundenvorlage vom 5. Dezember 2019 legte die ASt eine Entscheidung eines belgischen Berufungsgerichts vor, wozu sich die AG am 11. Dezember 2019 äußerte.

Rechtliche Beurteilung

I. Die Replik der ASt zur Rekursbeantwortung war schon deshalb als unzulässig – aus verfahrensökonomischen Gründen auch vom Obersten Gerichtshof (vgl RS0123439) – zurückzuweisen, weil sie an das Rekursgericht adressiert ist, dort aber erst nach Beschlussfassung einlangte.

Die weiteren von den Parteien in dritter Instanz – neben Revisionsrekurs und Revisionsrekursbeantwortung – überreichten Schriftsätze verstoßen gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels (RS0041666; RS0100170 [T2]) und sind daher als unzulässig zurückzuweisen. Daran vermag es auch nichts zu ändern, wenn damit keine unzulässigen Neuerungen vorgetragen oder vorgelegt werden.

II. Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts gemäß § 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Die ASt meint, die Rekursentscheidung leide an Nichtigkeit iSd § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, weil ihr im Rekursverfahren das rechtliche Gehör zu den von der AG in deren Rekursbeantwortung zulässig vorgetragenen Neuerungen unter Hinweis auf den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels verweigert worden sei.

Ob der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels gegenüber der Wahrung des rechtlichen Gehörs in der gegebenen Konstellation zurücktreten muss, hier also ob der ASt wegen zulässiger Neuerungen in der Rekursbeantwortung der Gegenseite eine Ergänzung ihres Rekurses zur Wahrung eines fairen Verfahrens gewährt werden müsste (vgl RS0122089; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG² § 49 Rz 38 und § 52 Rz 7), obwohl Derartiges in § 411 Abs 3 EO für den hier gegebenen Fall der Abweisung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung nicht vorgesehen ist, muss hier nicht beantwortet werden. Denn das rechtliche Gehör wird verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wird (was die ASt zutreffend gar nicht geltend macht), und auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (RS0005915; RS0074920 [T3]). Der Vorwurf, das Rekursgericht habe sich auf ein von der AG in ihrer Rekursbeantwortung vorgelegtes, privates Rechtsgutachten gestützt, ist jedoch unrichtig, weil es seine Entscheidung ausschließlich aus dem (seines Erachtens unklaren) Wortlaut des Spruchs und (insbesondere) aus dem Inhalt der Begründung der von der ASt in erster Instanz vorgelegten Entscheidung des Überprüfungsschiedsgerichts ableitete. Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs wird daher weder eine erhebliche präjudizielle Rechtsfrage aufgezeigt noch ein Mangel des Rekursverfahrens.

2. Die ASt bezeichnet die Entscheidung des Überprüfungsschiedsgerichts ausdrücklich als „Überprüfungsschiedsspruch“ und macht gegen diesen – erstmals im Revisionsrekurs – den Versagungsgrund des Art V Abs 1 lit d NYÜ geltend, weil die Bildung des Überprüfungsschiedsgerichts nicht der Vereinbarung der Parteien entsprochen habe. Damit geht die ASt selbst davon aus, dass die Entscheidung des Überprüfungsschiedsgerichts vom 23. Juli 2014 einen grundsätzlich anerkennungsfähigen Schiedsspruch im Sinn des NYÜ darstellt.

Auch dazu spricht sie aber keine erhebliche Rechtsfrage an, weil sie weder einen Verstoß gegen Art II des Schiedsvertrags bei der Bestellung des dritten Schiedsrichters nachvollziehbar darstellen, noch eine Regelung der Bestellung eines Ersatzschiedsrichters im Schiedsvertrag nennen kann. Sie meint zu Letzterem – offenbar im Bewusstsein einer fehlenden Regelung im Schiedsvertrag – nur, dass dessen Bestellung nach jenen Regeln hätte erfolgen müssen, die für die Bestellung des weggefallenen Schiedsrichters gelten, beruft sich dazu jedoch auf den hier nicht anwendbaren § 591 Abs 1 Satz 2 ZPO. Gegen die Maßgeblichkeit der im Überprüfungsschiedsspruch (im Punkt 4.1) erwähnten Bestimmung des § 9 Abs 2 des unstrittig anwendbaren tschechischen Schiedsverfahrensgesetzes (Gesetz Nummer 216/1994 GBl. über das Schiedsverfahren und den Schiedsbefundvollzug), nach dem das Gericht einen Schiedsrichter auf Antrag einer jeden Partei auch dann bestellt, wenn der bestellte Schiedsrichter von seiner Funktion zurücktritt oder sie nicht mehr ausüben kann, trägt der Revisionsrekurs hingegen nichts vor.

Der Umstand, dass die – somit an sich rechtskonforme – Bestellung von zwei Schiedsrichtern durch tschechische staatliche Gerichte nicht das von der ASt angestrebte Ergebnis brachte, verwirklicht den Tatbestand des Art V Abs 1 lit d NYÜ aber keinesfalls.

3. Streitentscheidend ist die Ermittlung des Sinngehalts des Überprüfungsschiedsspruchs und die Bedeutung für die – von der AG erkennbar unter Hinweis auf Art V Abs 1 lit e NYÜ bestrittene – Verbindlichkeit des Schiedsspruchs vom 4. August 2008.

3.1 Die Auslegung von Schiedssprüchen folgt den Grundsätzen der Auslegung von Urteilen (RS0000296 [T8]; Hausmaninger in Fasching/Konecny ³ § 607 ZPO Rz 62) und stellt deshalb regelmäßig – wie hier – keine erhebliche Rechtsfrage dar (6 Ob 178/17w; RS0004662 [T2]; RS0118891 [T3]). Der Sinngehalt einer Entscheidung ist in erster Linie aus ihrem Spruch, hilfsweise aus ihrer Begründung und der der Entscheidung zugrundeliegenden Antragstellung zu ermitteln (RS0000234; RS0000300; RS0000296).

Wenn das Rekursgericht unter Beachtung dieser Grundsätze ua mit dem zutreffenden Hinweis darauf, dass die Begründung damit schließe, dass „das Schiedsverfahren einzustellen“ sei, zur Beurteilung gelangte, das Überprüfungsschiedsgericht habe damit wegen des aufgrund eines vorangehenden Schiedsspruchs aus dem Jahr 2002 bestehenden Hindernisses der rechtskräftig entschiedenen Sache als auch aufgrund des Wegfalls der Zulässigkeit des Schiedsverfahrens die Einstellung des gesamten Schiedsverfahrens ausgesprochen, stellt dies ein jedenfalls vertretbares Auslegungsergebnis zum Überprüfungsschiedsspruch dar, das den weiteren Überlegungen zugrunde zu legen ist.

Die ASt hält dem – aktenwidrig – entgegen, wegen Zurückziehung der Überprüfungsanträge durch beide Parteien habe nur das Überprüfungsschiedsverfahren eingestellt werden können. Allerdings hielt das Überprüfungsschiedsgericht mehrfach in der Begründung fest, dass zwar die ASt ihren Antrag zurückgenommen habe, die AG jedoch auf ihrem bestanden habe.

Der Kritik der ASt an der Begründung des Überprüfungsschiedsspruchs ist zu entgegnen, dass eine sachliche Nachprüfung der Entscheidung nur im Rahmen der – hier nicht anwendbaren und von ihr gar nicht bemühten – Vorbehaltsklausel des ordre public zulässig ist, das Gericht des Vollstreckungsstaats aber nicht zu überprüfen hat, wie der Streitfall richtig zu entscheiden gewesen wäre (Verbot der révision au fond; RS0002409).

3.2 Die Frage der Verbindlichkeit des hier zu beurteilenden Schiedsspruchs vom 4. August 2008 nach tschechischem Schiedsverfahrensrecht (§§ 27 und 28 leg cit) im Zusammenhang mit der Befassung des Überprüfungsschiedsgerichts hat der Oberste Gerichtshof bereits mit der ausführlich begründeten Entscheidung 3 Ob 39/13a geklärt. Damit wurde – in Kenntnis der von der ASt bestrittenen Wirksamkeit des von der AG gestellten Überprüfungsantrags – ausgesprochen, dass das Schiedsverfahren erster und höherer Instanz ein einheitliches Verfahren bildet (vgl § 27 letzter Satz leg cit: „Die Überprüfung des Schiedsspruchs ist ein Bestandteil des Schiedsverfahrens ...“), das auf die Herbeiführung einer das Schiedsverfahren insgesamt beendenden Entscheidung des Schiedsgerichts gerichtet ist, und dass ein Überprüfungsantrag zu einer „vollen“ Überprüfung des Schiedsbefunds auch in der Tatfrage führt. Abschließend wurde festgehalten: Solange daher das fristgerecht angerufene Oberschiedsgericht nicht entweder den Überprüfungsantrag der verpflichteten Partei zurückgewiesen hat oder nach inhaltlicher Überprüfung des erstinstanzlichen Schiedsspruchs diesen ganz (oder teilweise) aufrechterhält, ist das Schiedsverfahren noch nicht beendet und somit eine Verbindlichkeit des Schiedsspruchs nicht eingetreten.

Der Senat sieht keinen Anlass, davon abzugehen, weil die ASt diesen Aussagen weder kritisch entgegentritt (vielmehr sich im Antrag auf diese Entscheidung ausdrücklich beruft) noch eine Änderung der tschechischen Rechtslage behauptet. Demnach ist aber der Eintritt der Verbindlichkeit des Schiedsspruchs vom 4. August 2008 zu verneinen:

3.3 Im Überprüfungsschiedsspruch wurde der Überprüfungsantrag nicht zurückgewiesen (sondern in der Begründung der darauf gerichtete Einwand der ASt als unberechtigt angesehen). Die Rückziehung des Überprüfungsantrags durch die ASt konnte sich zwangsläufig nur gegen den abweisenden Teil des Schiedsspruchs vom 4. August 2008 richten, der nicht Gegenstand des vorliegenden Vollstreckbarerklärungsverfahrens ist, weshalb darauf nicht weiter Bedacht zu nehmen ist.

Die ausgesprochene Einstellung des Schiedsverfahrens ua wegen res iudicata entspricht keinesfalls einer Aufrechterhaltung des Schiedsspruchs nach inhaltlicher Überprüfung.

Daraus ist zwingend abzuleiten, dass der Schiedsspruch vom 4. August 2008 ungeachtet des Umstands, dass es zu keiner ausdrücklichen Beseitigung kam, durch die Erlassung des Überprüfungsschiedsspruchs jedenfalls nicht verbindlich wurde, womit der Versagungsgrund nach Art V Abs 1 lit e NYÜ (weiter) verwirklicht ist.

4. Schon angesichts der bereits durch den Obersten Gerichtshof zu 3 Ob 39/13a erfolgten Klarstellung der hier relevanten tschechischen Rechtslage erübrigt(e) sich die Einholung eines Rechtsgutachtens dazu.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die AG ist ihrer Behandlung als ausländische Unternehmerin durch das Rekursgericht in ihrer Revisionsrekursbeantwortung nicht entgegengetreten, weshalb ihr dafür nach ständiger Judikatur Vertretungskosten ohne USt zuzusprechen sind (RS0114955).

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