European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00068.18Z.0913.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens ist die Rückforderung von 7.211,66 EUR an Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens, das die Klägerin aus Anlass der Geburt ihrer Tochter am 14. 8. 2011 von der Beklagten für den Zeitraum vom 1. 1. 2012 bis 13. 8. 2012 bezogen hat. Strittig ist, ob die Klägerin die Zuverdienstgrenze von 6.100 EUR für das Kalenderjahr 2012 (§ 24 Abs 1 Z 3 KBGG idF BGBl I 2011/139, vgl § 50 Abs 3 KBGG) überschritten hat.
Die Klägerin, die sich unstrittig während des gesamten Jahres 2012 in Karenz befand und keiner Erwerbstätigkeit nachging, erhielt im April 2012 eine aus dem Jahr 2011 resultierende Sonderzahlung in Höhe von 6.105,30 EUR brutto. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einer Erfolgsprämie für das Jahr 2011 sowie der lohnverrechnerischen Berücksichtigung eines Weihnachtsgeschenks im Jahr 2011. Von diesem Bruttobetrag wurde bei der Auszahlung die Lohnsteuer in Höhe von 2.202,15 EUR in Abzug gebracht und der Klägerin der Nettobetrag von 3.850,50 EUR überwiesen. Darüber hinaus hatte die Klägerin im Jahr 2012 keine Einkünfte.
Mit dem Einkommensteuerbescheid der Klägerin für das Jahr 2012 wurde die Einkommensteuer für dieses Jahr mit - 2.202 EUR festgesetzt und ausgesprochen, dass das Einkommen im Jahr 2012 5.331,79 EUR betrug. Die Begründung des Einkommensteuerbescheids lautet auszugsweise:
„… Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit
[Arbeitgeber der Klägerin] 6.105,30 EUR
Pauschalbetrag für Werbungskosten - 132 EUR
Gesamtbetrag der Einkünfte 5.973,30 EUR“
Mit Bescheid vom 7. 11. 2016 widerrief die beklagte Tiroler Gebietskrankenkasse die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum vom 1. 1. 2012 bis 13. 8. 2012 in der Höhe der Überschreitung der Zuverdienstgrenze und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz von 7.211,66 EUR.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass diese Rückersatzverpflichtung nicht zu Recht bestehe. Sie bringt zusammengefasst vor, dass es sich bei der im April 2012 erhaltenen Zahlung um eine einmalige Sonderleistung gemäß § 67 EStG gehandelt habe, die für die Beurteilung der Überschreitung der Zuverdienstgrenze außer Betracht zu bleiben habe.
Die Beklagte wandte dagegen ein, dass sowohl sie als auch die Gerichte an den Bescheid des Finanzamts, und zwar auch an dessen Begründung, gebunden seien.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es qualifizierte die vom Arbeitgeber an die Klägerin im April 2012 geleistete Sonderzahlung als sonstigen Bezug gemäß § 67 EStG, der bei der Ermittlung der Zuverdienstgrenze zum Kinderbetreuungsgeld nicht zu berücksichtigen sei.
Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung nicht Folge. Es ließ die Revision mit der Begründung nicht zu, dass eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zu entscheiden war.
In ihrer außerordentlichen Revision gegen diese Entscheidung macht die Beklagte geltend, dass sie ebenso wie die Gerichte nicht nur an den Spruch, sondern auch an die Begründung des rechtskräftigen – und von der Klägerin nicht bekämpften – Einkommensteuerbescheids gebunden sei. Sie zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage auf:
Rechtliche Beurteilung
1.1 Der Oberste Gerichtshof hat – ausführlich begründet in 10 ObS 27/13p, SSV‑NF 27/43 – bereits mehrfach – auch zum KBGG – betont, dass aufgrund der unterschiedlichen Ziele der Sozial‑(versicherungs‑)gesetze und der Steuergesetze zwischen dem Einkommen im Sinn des EStG 1988 und dem Erwerbseinkommen im Sinn der Sozialversicherungsgesetze erhebliche Unterschiede bestehen können, sodass die Versicherungsträger (sowie aufgrund der sukzessiven Kompetenz die Gerichte) bei der Ermittlung des relevanten Einkommens zu durchaus anderen Ergebnissen als die Steuerbehörden im Abgabenverfahren kommen können (RIS‑Justiz RS0085210, RS0085302; speziell zum KBGG etwa 10 ObS 34/13t, SSV‑NF 27/50). Nach dieser – vom Berufungsgericht beachteten – Rechtsprechung ist eine Bindung der Gerichte an einen Einkommensteuerbescheid der Abgabenbehörde in diesem Zusammenhang – hinsichtlich der Beachtlichkeit der Einkünfte im Hinblick auf die Zuverdienstgrenze – zu verneinen (10 ObS 34/13t, SSV‑NF 27/50; 10 ObS 1/16v, SSV‑NF 30/42; RIS‑Justiz RS0084294 [T2]; Konezny in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG² § 8 Rz 26; Burger‑Ehrnhofer, KBGG und FamZeitbG § 8 Rz 4; aA Weißenböck in Holzmann‑Windhofer, KBGG § 8 110 f). Dem Argument der Beklagten, beim KBGG handle es sich um keine Materie, die dem Sozialversicherungsrecht zugehöre, ist entgegenzuhalten, dass sich der Gesetzgeber bei der Schaffung dieses Gesetzes ua ausdrücklich auf Art 10 Abs 1 Z 11 B‑VG stützte (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 58).
1.2 Auch in der von der Revisionswerberin für ihren Standpunkt zitierten Entscheidung 10 ObS 62/17s wird ausgeführt, dass es der ständigen Rechtsprechung entspricht, dass für die Gerichte der Spruch über den Bescheidgegenstand bindend ist (RIS‑Justiz RS0037051, RS0036948). Der Spruch eines Abgabenbescheids enthält neben der Art und Höhe der Abgaben (zur Bindung an die Höhe vgl 10 ObS 34/13t, SSV‑NF 27/50) und dem Zeitpunkt deren Fälligkeit auch die Grundlagen der Abgabenfestsetzung. Zur Bemessungsgrundlage gehören Größen, aus denen die Abgaben unmittelbar abgeleitet werden, wie beispielsweise das Einkommen. Dagegen gehört die Einreihung zB des Gewinns unter eine bestimmte Einkunftsart nicht zum Spruch, sondern zur Bescheidbegründung (10 ObS 62/17s mwH). Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der weiteren von der Beklagten für ihren Rechtsstandpunkt zitierten Entscheidung 3 Ob 172/15p, in der auch ausgeführt wird, dass die auf einen bestimmten Sachverhalt gestützte Beurteilung der Rechtsfrage in der Begründung nicht von der Bindungswirkung umfasst ist (RIS‑Justiz RS0037015).
2.1 Letztlich ist es somit, wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausging, Aufgabe der Gerichte zu klären, welche Einkünfte bzw Abzüge bei der Ermittlung der Höhe der Erwerbseinkommen im Sinne der Sozialversicherungsgesetze zu berücksichtigen sind (10 ObS 27/13p, SSV‑NF 27/43 mwH; 10 ObS 136/12s, SSV‑NF 26/85 ua).
2.2 Erhält der Arbeitnehmer neben dem laufenden Arbeitslohn von demselben Arbeitgeber sonstige, insbesondere einmalige Bezüge (zB 13. und 14. Monatsbezug, Belohnungen), liegt eine gemäß § 67 Abs 1 EStG zu besteuernde Sonderleistung vor. Sonstige Bezüge sind daher solche Lohnteile, die zwar aufgrund eines Dienstverhältnisses und vom selben Arbeitgeber, aber neben und zusätzlich zum laufenden Lohn aus diesem Dienstverhältnis gezahlt werden (Kirchmayr/Schaunig in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG19 [Stand 1. 2. 2017, rdb.at] § 67 EStG Rz 9). Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, dass die einmalige Zahlung einer aus dem Vorjahr resultierenden Erfolgsprämie und eines Weihnachtsgeschenks des Arbeitgebers nach diesen Kriterien eine Sonderleistung gemäß § 67 Abs 1 EStG darstellen (vgl die Beispiele bei Kirchmayr/Schaunig in EStG19, § 67 EStG Rz 14), ist vertretbar und wird inhaltlich von der Revisionswerberin auch nicht in Frage gestellt.
2.3 Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ist gemäß § 8 Abs 1 Z 1 KBGG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 2013/117 (§ 50 Abs 6 KBGG) auf die während des Kinderbetreuungsgeldbezugs nach steuerrechtlichen Grundsätzen erzielten Einkünfte (Lohnsteuerbemessungsgrundlage) abzustellen. Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 Satz 2 KBGG bleiben sonstige Bezüge im Sinn des § 67 EStG 1988 jedoch außer Ansatz. Die von der Revisionswerberin aufgeworfene Frage der zeitlichen Zuordnung der hier zu beurteilenden Einkünfte (zum Jahr 2012) stellt sich daher im konkreten Fall nicht.
Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.
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