OGH 8ObA1/18g

OGH8ObA1/18g26.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und Mag. Susanne Haslinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler & Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei U*****gesellschaftmbH & Co KG, *****, vertreten durch Mag. Dr. Gerald Amandowitsch, Rechtsanwalt in Wilhering, wegen 39.245,70 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 38.369,93 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. November 2016, GZ 7 Ra 34/17x‑22, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00001.18G.0126.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0106298). Auch ob der Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit verwirklicht ist, ist nur anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0029733, RS0029547 [T28, T40] ua). Insbesondere hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob ein Fehlverhalten eines Angestellten bei Anlegung eines objektiven Maßstabs geeignet war, das Vertrauen des Arbeitgebers soweit zu erschüttern, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – auch nur bis zum nächsten Kündigungstermin (RIS-Justiz RS0029020) – nicht zumutbar ist (RIS-Justiz RS0103201). An das Verhalten von Arbeitnehmern in leitender Position wird dabei durchgängig ein strengerer Maßstab angelegt (RIS-Justiz RS0029341, RS0029652).

2. Eine Schädigungsabsicht oder ein Schadenseintritt ist beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nicht erforderlich; entscheidend ist vielmehr die Vertrauensverwirkung (RIS-Justiz RS0029531 [T3]), bei der auch nicht jeder einzelne Vorfall für sich allein beurteilt und damit das Gesamtergebnis zerpflückt werden darf, sondern das Gesamtbild des Verhaltens des Arbeitnehmers berücksichtigt werden muss (RIS-Justiz RS0029790, vgl auch RS0029600). Der Revision ist darin zuzustimmen, dass einer der dabei zu berücksichtigenden Faktoren auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses ist. Ein Arbeitnehmer, der sich während eines langjährigen Arbeitsverhältnisses immer wohlverhalten hat, wird einen größeren Vertrauensvorschuss erwarten dürfen als ein Arbeitnehmer, der sich einer Verfehlung bereits schuldig gemacht hat (RIS-Justiz RS0029790 [T3]). Zur Relation der Dauer des Arbeitsverhältnisses zur Schwere des Entlassungsgrundes lassen sich aber ebenfalls keine generellen, von den Umständen des Einzelfalls losgelösten Aussagen treffen.

3. Das Vorliegen eines Entlassungsgrundes hat der Arbeitgeber zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0029127, RS0028971). Der Arbeitnehmer trägt dagegen die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen, die die – ansonsten gegebene – Berechtigung zur Entlassung aufheben oder ausschließen (RIS-Justiz RS0029534, RS0029398 [T1], RS0029868).

4. Nach den Feststellungen hat die Klägerin einen Gutschein eingelöst, obwohl diese Gutscheine von Mitarbeitern nicht für private Einkäufe verwendet werden dürfen. Damit hat die Beklagte aber ein Fehlverhalten der Klägerin nachgewiesen, für dessen Rechtfertigung im Einzelfall (Zuwendung durch einen Vorgesetzten) die Klägerin beweispflichtig gewesen wäre. Zu Recht hat das Berufungsgericht die entsprechende Negativfeststellung zu Lasten der Klägerin gewertet.

Wenn es weiters dieses Verhalten der Klägerin trotz des geringen Gutscheinwerts nicht für sich allein, aber in Zusammenhalt mit dem Umstand, dass die Klägerin als Marktleiterin sich von anderen Mitarbeiterinnen regelmäßig (über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren wöchentlich bzw 14-tägig) 15–20 Brötchen herrichten ließ und dafür nur den Materialwert bezahlte und damit die Arbeitsleistung dieser Mitarbeiterinnen regelmäßig für private Zwecke nutzte, auch vor dem Hintergrund der langen Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht mehr als vernachlässigbares Fehlverhalten ansah, stellt dies keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.

Darauf, ob der Klägerin die Pflichtwidrigkeit ihres Verhaltens etwa aufgrund einer Weisung offenkundig war, kommt es nicht an, es genügt vielmehr, dass ihr diese bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt bewusst werden musste (RIS-Justiz RS0029531 [T4]).

5. Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht.

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